Transplantation in Boston Patient mit Schweineniere kann Krankenhaus verlassen

Mithilfe von Schweinen versuchen Mediziner, dem Mangel an Organspendern entgegenzuwirken. In den USA transplantierten sie kürzlich erstmals eine Niere, die in den Tieren gezüchtet wurde. Nun darf der Patient nach Hause.

04.04.2024

Als weltweit erster Mensch ist ein Patient mit einer genetisch veränderten Schweineniere aus einem Krankenhaus entlassen worden. Rund zwei Wochen nach seiner Operation erhole sich der Mann gut und werde nun zu Hause weiter genesen, teilte das Massachusetts General Hospital in Boston mit.

Den Ärzten zufolge erfüllt die Schweineniere im Körper des Empfängers ihre überlebenswichtigen Funktionen. Sie filtere Giftstoffe aus dem Blut, halte Körperflüssigkeiten im Gleichgewicht und produziere Urin, heißt es.

»Auf diesen Moment habe ich viele Jahre gewartet«, sagte der 62-jährige Patient Richard Slayman bei seiner Entlassung laut einer Mitteilung des Krankenhauses. »Jetzt ist er Wirklichkeit geworden.« Er freue sich auf ein Leben »frei von der Belastung durch die Dialyse, die meine Lebensqualität beeinträchtigt hat«.

Hoher Bedarf an Spendernieren

Wissenschaftler hoffen, mit Organen aus Tieren dem weltweiten Mangel menschlicher Spender zu begegnen. Vor einer sogenannten Xenotransplantation müssen die Spendertiere genetisch angepasst werden, damit von ihren Organen keine Krankheitserreger auf den Empfänger übertragen und Abstoßungsreaktionen vermieden werden.

Vor zwei Jahren war zum ersten Mal ein Schweineorgan in einen Menschen verpflanzt worden, ein Herz. Die Operation im amerikanischen Maryland galt als Meilenstein in der Transplantationsmedizin. Etwa zwei Monate nach der Operation war der schwer kranke Mann jedoch verstorben. Ein weiterer Patient bekam im vergangenen Jahr ein Schweineherz. Er überlebte knapp sechs Wochen mit dem Organ.

Der Bedarf an gespendeten Nieren ist weltweit besonders groß. In den USA leiden eine halbe Million Menschen an Nierenversagen und sind auf die Dialyse angewiesen, in Deutschland sind mehr als 80.000 Menschen betroffen. Viele von ihnen warten auf eine Organspende.

Trotz des Erfolgs in Boston wird es dauern, bis Xenotransplantationen zur Routine werden. Bisher beruhen sie auf Ausnahmegenehmigungen der zuständigen US-Arzneimittelbehörde. Um eine medizinische Zulassung zu erhalten, sind umfangreiche klinische Studien notwendig, die mehrere Jahre dauern können.





Wie viel bringt die Widerspruchslösung? 

Stand: 04.04.2024

Um die Organspenderate zu erhöhen, hält Gesundheitsminister Lauterbach die Widerspruchslösung für "alternativlos". Statistisch gibt es keine Belege dafür, dass sie wirklich für mehr Spenden sorgt. 


Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder 

Mehr als 8.000 Menschen warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan. Daran werde auch das Organspende-Register nicht viel ändern, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Vorstellung des neuen Portals. "Ich glaube, dass wir ohne die Widerspruchslösung dieses Problem nicht lösen können", so Lauterbach. Die Widerspruchslösung sei "alternativlos".

Auch der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann fordert die Einführung der Widerspruchslösung. Er kündigte an, einen Gesetzesantrag in den Bundesrat einzubringen, um das parlamentarische Verfahren in Gang zu setzen. Die Bundesländer hatten bereits im Dezember vergangenen Jahres die Bundesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufgenommen wird.

Was ist die Widerspruchslösung?

Die Widerspruchslösung beinhaltet, dass Menschen generell als Organspender gelten, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprochen haben. Momentan ist es in Deutschland quasi andersherum: Nur bei einer ausdrücklichen Zustimmung darf einem Menschen ein Organ entnommen werden - auch nach seinem Tod. Kritiker bemängeln, dass durch diese sogenannte Entscheidungslösung viele potenzielle Spender verloren gingen und verweisen auf Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt. Mit 48,9 Spendern pro einer Million Einwohner war die Spendenquote dort im vergangenen Jahr viermal so hoch wie in Deutschland (11,4)




Kein statistisch signifikanter Unterschied

Doch dass allein der Wechsel von der Entscheidungslösung hin zur Widerspruchslösung einen starken Anstieg der tatsächlichen Organspenden herbeiführt, ist aus statistischer Sicht nicht haltbar, sagt Katharina Schüller, Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft. "Die Widerspruchslösung erhöht zwar die Anzahl der potenziellen Organspender, nicht aber die Anzahl der tatsächlichen Organspenden."

So hat eine Studie aus dem Jahr 2019 die Organspende- und Transplantationsraten zwischen 17 OECD-Ländern mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit Zustimmungsregel verglichen. Demnach gab es keinen statistisch bedeutsamen Unterschied im Anteil der tatsächlichen Organspender. "Während es bei den Ländern mit Widerspruchslösung zwar insgesamt mehr Spenden von Verstorbenen gibt, ist der Anteil der Spenden von lebenden Menschen geringer", sagt Schüller.

Bei Lebendorganspenden handelt es sich in den meisten Fällen um Nieren, 27 Prozent der gespendeten oder transplantierten Nieren in Deutschland im Jahr 2022 kamen von lebenden Menschen. Bei Lebern lag der Anteil bei etwa fünf Prozent. "Leber und Nieren zusammen machen mehr als 80 Prozent aller transplantierten Organe aus, die Nieren allein 60 Prozent", sagt Schüller. "Das heißt, wenn die Lebendorganspenden deutlich heruntergehen, müssen sehr viel mehr passende Spender gefunden werden, die nach ihrem Tod Nieren spenden lassen, damit sich das wieder ausgleicht."

Andere Faktoren entscheidend

Auch eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung deutet in eine ähnliche Richtung. Die Forschenden analysierten fünf Länder, die von einer Zustimmungsregel auf eine Widerspruchslösung umgestellt hatten (Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay und Wales). Der Wechsel führte demnach zu einer nicht wesentlichen Erhöhung der tatsächlichen Organspenderaten.

Andere Studien attestieren der Widerspruchslösung zwar erste positive Anzeichen mit Blick auf die Zahl der daraus resultierenden Organspender, zum Beispiel für Großbritannien und die Niederlande. Allerdings wird auch dort darauf hingewiesen, dass die Unterschiede in den Organspenderaten nicht allein durch die Widerspruchslösung erklärt werden können. So heißt es in einer Studie des schottischen Gesundheitsministeriums, dass es ermutigende Hinweise darauf gibt, dass die Widerspruchslösung als Teil eines Maßnahmenpakets zu einem Anstieg von Organspenden und Transplantation führen könne.

Und auch in Spanien ist einer Studie zufolge die Widerspruchslösung nicht der entscheidende Faktor für die hohe Spenderate. "Ein proaktives Spendererkennungsprogramm, das von gut ausgebildeten Transplantationskoordinatoren durchgeführt wurde, die Einführung systematischer Todesfallprüfungen in den Krankenhäusern in Verbindung mit einer positiven sozialen Atmosphäre, einem angemessenen Management der Beziehungen zu den Massenmedien und einer angemessenen wirtschaftlichen Vergütung für die Krankenhäuser waren für diesen Erfolg verantwortlich", lautet das Fazit der Forschenden.

Hinzu kommt, dass in Spanien die Widerspruchsregel nicht streng ausgelegt wird. Denn auch ohne vorliegenden Widerspruch werden in der Regel die Angehörigen gefragt, ob sie eine Entnahme der Organe zustimmen. Während sich in Deutschland jedoch nach Angaben der DSO die Angehörigen bei unbekanntem Willen des Verstorbenen in 74 Prozent der Fälle dagegen entscheiden, entscheiden sich in Spanien die Angehörigen insgesamt in 85 Prozent der Fälle dafür.

"Organspendezahlen sind immer multikausal"

"Länder, die die Widerspruchslösung haben, weisen zusätzlich dazu von Deutschland abweichende strukturelle und/oder gesellschaftliche Strukturen auf und haben mitunter andere medizinische Voraussetzungen für eine Organspende", teilt eine Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit. "Organspendezahlen sind immer multikausal. Wie sich die Einführung einer Widerspruchslösung auf die Organspendezahlen in Deutschland auswirken würde, kann deshalb letztlich nicht vorhergesagt werden."

Dem stimmt auch Axel Rahmel, medizinischer Vorstand bei der DSO, zu. "Zu glauben, dass man die Widerspruchslösung einführt und die Spenderzahlen dann explodieren, ist sicherlich zu kurz gegriffen", sagt er. "Aber man kann schon hoffen, dass die Einführung einer Widerspruchslösung einen Kulturwandel mit anstößt." Denn hohe Spenderaten seien vor allem eine Einstellungsfrage - in Spanien gebe es mit Blick auf Organspenden eine ganz andere Mentalität.

In Deutschland haben einer Umfrage der BZgA zufolge 84 Prozent eine positive Einstellung gegenüber der Organ- und Gewebespende. Einen Organspendeausweis besitzen demnach 40 Prozent, wovon mehr als 80 Prozent einer Organspende zustimmen. In der Praxis werde jedoch nur bei etwa 15 Prozent der möglichen Organspender der Organspendeausweis überhaupt gefunden, sagt Rahmel.

Auch wenn Organspenden generell positiv gesehen würden, würden viele Menschen ein Festhalten ihrer Entscheidung im Organspendeausweis oder im neuen Organspende-Register immer wieder aufschieben. Dabei ist die Organspenderate bei den Menschen am höchsten, deren Wille schriftlich festgelegt wurde.

"Widerspruchslösung als Wegbereiter"

Die politischen Rahmenbedingungen wurden seiner Ansicht nach in den vergangenen Jahren in Deutschland hingegen stark verbessert, sodass die Unterschiede in dieser Hinsicht zu Spanien nicht mehr gravierend seien. Zwar gebe es zwischen einzelnen Kliniken in Deutschland noch erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung, doch insgesamt seien ausgemachte Erfolgsfaktoren aus Spanien wie Transplantationsbeauftragte an Krankenhäusern auch in Deutschland eingeführt worden. Zudem erhalten die Kliniken inzwischen deutlich mehr Geld, um den Aufwand einer Organspende zu decken.

"Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht den einen Schalter gibt, um die Spenderate zu erhöhen", sagt Rahmel. Ein Baustein ist aus seiner Sicht, dass in Deutschland erst bei einem unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) Organe entnommen werden dürfen. In vielen anderen europäischen Ländern sind auch Organspenden nach Herzkreislauftod erlaubt. Da deutlich mehr Patienten auf Intensivstationen an Herzkreislauf-Versagen sterben, könnte dadurch die Spenderate erhöht werden. In einigen Ländern machen Spenden nach Herzkreislauftod bis zu 50 Prozent aller Organspenden aus.

Ein weiterer Faktor könnte Rahmel zufolge die Maschinenperfusion sein, durch die Schäden am Spenderorgan verringert werden können und dadurch zu besseren Ergebnissen nach Transplantationen führen.

Insgesamt hält Rahmel einen Kulturwandel beim Thema Organspende jedoch für den wichtigsten Baustein - und befürwortet daher auch die Widerspruchslösung. "Meine feste Überzeugung ist, dass die Widerspruchslösung, wenn sie von der Politik und auch von der Gesellschaft mitgetragen wird, als Wegbereiter und Unterstützer des Kulturwandels helfen kann."


https://dso.de/SiteCollectionDocuments/Hintergrundtexte%20PDFs/Hintergrund_Maschinenperfusion.pdf


HINTERGRUNDINFORMATION

Maschinenperfusion in Deutschland


Ein Weg, um die Zahl der gespendeten Organe zu steigern Wachsender Organmangel, zunehmendes Alter der Organspenderinnen und -spender, diffizile medizinische Befunde der Organe – die Herausforderungen für die Organspende in der heutigen Zeit sind groß. Eine technische Lösung, um gegenzusteuern, ist die international bereits erfolgreich in der klinischen Praxis angewendete Maschinenperfusion.

Herkömmliche Konservierung vs. Maschinenperfusion

Üblicherweise werden die Organe bei der Entnahme mit speziellen gekühlten Lösungen gespült und anschließend in sterile Organbeutel verpackt, die ebenfalls diese Lösungen enthalten. Dies bezeichnen Fachleute als kalte Organkonservierung.

Bei der Maschinenperfusion werden die Organe nach der Entnahme mit speziellen Konservierungslösungen, Blut oder blutähnlichen Flüssigkeiten maschinell gesteuert kontinuierlich gespült. Dabei kann die Temperatur der Perfusionslösung gekühlt sein (hypotherme Perfusion) oder Körpertemperatur aufweisen (normotherme Perfusion).

Maschinenperfusion zur besseren Organkonservierung

Ein wesentliches Ziel der Maschinenperfusion ist es, Organschäden durch die fehlende Durchblutung (Ischämie) und damit die fehlende Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff während der Organkonservierung sowie den Reperfusionsschaden eines Spenderorgans zu minimieren. Dies kann zu besseren Transplantationsergebnissen beitragen. Außerdem können in der Regel längere Transport- und Ischämiezeiten toleriert werden. So erlaubt beispielsweise der Einsatz der Maschinenperfusion beim Herzen den Transplantationszentren auch dann eine Herztransplantation in Erwägung zu ziehen, wenn diese sonst aufgrund der zu langen Transportzeit – und des damit verbundenen Risikos eines schlechteren Ergebnisses der Transplantation – im Vermittlungsverfahren abgelehnt worden wäre. Bei der herkömmlichen kalten Organkonservierung darf nämlichbei Spenderherzen eine Transportzeit von vier Stunden nicht überschritten werden. Die Maschinenperfusion ermöglicht es dagegen, Spenderherzen auch an diejenigen Empfängerinnen und Empfänger zu vermitteln, bei denen größere Entfernungen zurückgelegt werden müssen.

Maschinenperfusion zur Beurteilung der Organqualität

An die Maschine angeschlossen, können Organe je nach verwendetem Maschinenperfusionsverfahren auch sorgfältiger untersucht und ihr Zustand besser beurteilt werden. Dadurch entsteht mehr Sicherheit bei der Entscheidung darüber, welche Organe zur Vermittlung an Eurotransplant gemeldet werden können und welche nicht.

Somit können aufgrund der maschinellen Perfusion auch Organe genutzt werden, die ansonsten aufgrund eines zu schlecht eingeschätzten Zustands oder aufgrund von Erkrankungen des Spenders nicht zur Transplantation angeboten worden wären.

Maschinenperfusion zur Rekonditionierung des Spenderorgans

Darüber hinaus wird an Verfahren gearbeitet, um die Phase der Maschinenperfusion dazu zu nutzen, mögliche Beeinträchtigungen des Organs zu behandeln und zu reduzieren. So soll die Funktionstüchtigkeit des Organs durch bestimmte therapeutische Verfahren verbessert werden, zum Beispiel kann möglicherweise dadurch die Verfettung bei Lebern reduziert werden. Langfristig kann die Maschinenperfusion damit dazu beitragen, die Anzahl der zur Transplantation geeigneten Organe zu steigern. Dieser Teilbereich der Maschinenperfusion ist weltweit noch in der Erforschung.

In Ländern, die im Gegensatz zu Deutschland schon vertiefte Erfahrung mit der Maschinenperfusion haben, wird bereits zur Einführung von spezialisierten Organbetreuungs- und -behandlungszentren (Organ care and repair center) weitergegangen. Spenderorgane werden nach der Entnahme zu diesen Zentren transportiert, dort von Fachleuten betreut und wenn nötig optimiert, um dann transplantiert werden zu können. In Groningen in den Niederlanden wird dies seit Jahren praktiziert und derzeit auch in den USA umgesetzt.

Situation der Maschinenperfusion in Deutschland

Die Situation in Deutschland ist komplex und dynamisch. Die Entwicklung ist noch in den Anfängen. Eine ganze Reihe von Zentren setzen die neue Technik zum Beispiel bei der Maschinenperfusion der Leber ein. Zudem gibt es im Rahmen von Studien bereits Erfahrungen zur Maschinenperfusion von Herzen. Für die Nieren ist eine flächendeckende Einführung der Maschinenperfusion geplant.


Pressekontakt:

Deutsche Stiftung Organtransplantation

Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Deutschherrnufer 52

60594 Frankfurt am Main

Tel.: +49 69 677 328 9401, Fax: +49 69 677 328 9409







WESTFALEN-BLATT Nr. 76  Freitag, 29. März 2024


Prof. Dr. Jan Gummert , Ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen, tritt für die Widerspruchslösung ein


Warum das neue Organspende-Register nicht reicht


Von Malte Samtenschnieder

BAD OEYNHAUSEN (WB). Seit Mitte März können sich Organspender online registrieren. Prof. Dr. Jan Gummert bewertet dies positiv. Der Ärztliche Direktor des Herz und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen tritt unabhängig davon weiter für die Widerspruchslösung ein.

Wer seine Bereitschaft zu einer Organspende nach dem Tod elektronisch erklären möchte, der kann dies in Folge der jüngst in Kraft getretenen Neuregelung jetzt unter www.organspende-register.de tun. Voraussetzung dafür ist ein Personalausweis mit Online-Berechtigung.

„Das klingt sehr einfach“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert. Er selbst wolle sich in Kürze auch freischalten lassen. „Allein schon, damit ich meine eigenen Erfahrungen schildern kann“, betonte der Direktor der Klinik für Thorax-und Kardiovaskularchirurgie am HDZ NRW im Gespräch mit dieser Zeitung.

„Das neue Online-Register ist eine Ergänzung. Der bisherige Organspende-Ausweis behält aber weiterhin seine Gültigkeit.“ Diese Feststellung ist Jan Gummert sehr wichtig. Dennoch fordert der Herzchirurg insbesondereauch alle Inhaber eines Organspende-Ausweises auf, sich in dem neuen Online-Register anzumelden.

„Für Krankenhäuser wird es dadurch leichter, Spender zu identifizieren“, sagt der Herzchirurg. Wenn jemand auf der Intensivstation versterbe, könne der Transplantationsbeauftragte der Klinik so über einen gesicherten Online-Zugang eine Datenabfrage vornehmen.

Das Organspende-Register werde sich in der Praxis aber nur als Erfolg erweisen, wenn sich ein Großteil der Bevölkerung beteilige. Daran hat Jan Gummert Zweifel: „Aus anderen Ländern wissen wir, dass die Quote bei etwa 20 Prozent liegt.“ Dieser Wert sei aus seiner Sicht zu niedrig. Zumal die Quote der Menschen mit einem regulären Organspende-Ausweis deutlich darüber liege.

Einen wichtigen Vorteil hat das Online-Register nach Angaben des Herzchirurgen aber: „Die Angaben lassen sich immer aufrufen – auch, wenn jemand seinen Organspende-Ausweis einmal nicht bei sich trägt oder ihn verloren hat.“ Da für die Registrierung im Organspende-Register ein Personalausweis mit Online- Berechtigung benötigt werde, sei dies Verfahren wahrscheinlich von jüngeren, computeraffineren Menschen einfacher zu händeln, als von Älteren, die sich mit technischen Dingen unter Umständen schwerer tun.

Jan Gummert: „Ich habe aber  keine Erkenntnisse darüber, bei vielen Personalausweisen die Online-Berechtigung überhaupt freigeschaltet ist.“

In Anbetracht der langen Vorgeschichte – der Beschluss für das Online-Register sei bereits vor fünf Jahren gefasst worden – sei die Umsetzung jetzt als Erfolg zu werten. Für den Herzchirurgen ist dies jedoch kein Grund, von seiner Forderung nach Einführung der Widerspruchslösung abzurücken.

„Ich bin sehr dankbar, dass sich zum Beispiel NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann ebenfalls unermüdlich für die Widerspruchslösung einsetzt“, sagt Jan Gummert. Doch im Bundestag und im Bundesrat gebe es viel politischen Gegenwind. Deshalb sei nicht damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit wieder über ein neues Transplantationsgesetz diskutiert werde.

In anderen Ländern wie Österreich, in denen die Widerspruchslösung praktiziert werde, zeige sich, dass die Bevölkerung von dieser Maßnahme profitiere und vielen dadurch geholfen werden könne. Jan Gummert: „Widerspruchslösung bedeutet ja zum Beispiel auch nicht, dass vor einer Organentnahme nicht mit den Angehörigen gesprochen wird.“

Für den Herzchirurgen ist es nach eigener Aussage frustrierend zuzuschauen,  dass anderswo erfolgreich umgesetzt wird, wofür sich in Deutschland keine Mehrheit findet.

Beim Neujahrsempfang des Herz- und Diabeteszentrums NRW Mitte Januar im Theater im Park hatte Jan Gummert seine Position mit Zahlen untermauert: „2022 konnten wir 96 Transplantationen durchführen, 2023 waren es nur 75, davon sieben Kinder. Es gibt einfach nach wie vor zu wenig Spenderorgane.“





Montag, 25. März 2024 · Nr. 72 OWL und NRW  Mindener Tageblatt


Organspende: Ärztekammer mahnt Widerspruchslösung an

Die Mediziner aus Westfalen-Lippe drängen auf eine Reform. Auch für chronisch kranke Kinder soll sich einiges ändern.


Münster (epd). Die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) dringt auf eine Reform bei den Organspenden. Die derzeit geltende Entscheidungslösung habe in keiner Weise zu einer Erhöhung der Organspendezahlen beigetragen, erklärte die Ärztekammer am Samstag. Im Interesse von über 8.000 schwerstkranken Menschen, die in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen, sollte der Gesetzgeber hier dringend umsteuern.

Ärztekammer-Präsident Hans-Albert Gehle begrüßte das neue bundesweite Organspende-Register, das 18. März online gegangen ist. Er äußerte jedoch Zweifel, dass das Internet-Angebot allein die Lage bei der Organspende nachhaltig verbessern könne. Dies zeige beispielhaft die Entwicklung in der Schweiz, wo ein Organspende-Register keine Steigerung der Spenderzahlen gebracht habe, argumentierte Gehle, der Leitender Arzt in der Bergmannsheil- und Kinderklinik in Gelsenkirchen-Buer ist.

„Ich bin dafür, jeden sinnvollen Weg zur Steigerung der Spendenzahlen zu gehen“, sagte der Mediziner weiter. „Doch am Ende wird uns nur eine Gesetzesänderung helfen. Wir brauchen in Deutschland die Widerspruchslösung!“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatten zuletzt am Montag erklärt, sich weiter für eine Widerspruchslösung einzusetzen. Als Vorbild dient Spanien.

Dort kann jeder Mensch Organspender werden, es sei denn, er spricht sich zu Lebzeiten ausdrücklich dagegen aus und dokumentiert das. In Deutschland gilt derzeit die Zustimmungslösung, wonach die Bereitschaft zur Organspende ausdrücklich erklärt werden muss.

Derweil mahnt die Ärztekammer Westfalen-Lippe angesichts einer zunehmenden Zahl von chronisch erkrankten Kindern an, die medizinische Versorgung verstärkt darauf einzustellen. Die Krankheitslast im Kindes- und Jugendalter habe sich in den vergangenen Jahrzehnten verlagert, heißt es in einer Resolution der Kammerversammlung. In Deutschland leide mittlerweile rund jedes fünfte Kind unter 18 Jahren an chronischen Krankheiten, darunter Allergien, Adipositas, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 1 sowie psychische oder Entwicklungsstörungen. Nötig seien bessere finanzielle und strukturelle Rahmenbedingungen, um Betroffenen versorgen zu können. Erkrankungen jeder Altersgruppe seien nie ausschließlich biologische Störungen, erklärte Präsident Gehle. Sie umfassten ebenso Psyche und Sozialstatus.

„Mit der Diagnose einer chronischen Erkrankung steht daher die gesamte Familie vor einer großen Herausforderung“, betonte der Mediziner. So seien diese Kinder und Jugendliche oft in der schulischen Leistung beeinträchtigt und hätten weniger Teilhabe an gemeinsamen Aktivitäten mit Gleichaltrigen. „Die medizinischeVersorgung gestaltet sich sehr komplex und kann nur unter Einbeziehung von Familie, Kita und Schule gelingen.




Mindener Tageblatt Samstag/Sonntag, 23./24. März 2024 · Nr. 71 


Organe aus dem 3-D-Drucker

„Nachgebaute“ menschliche Organe versprechen ein Milliardenmarkt zu werden. Der Bund fördert jetzt vier innovative Teams, die jeweils revolutionäre Anwendungen entwickeln. Wie sieht die Zukunft aus?

Björn Hartmann

Berlin. Auf dem Gesundheitsmarkt bahnt sich eine Revolution an. Weltweit arbeiten Forscher daran, menschliche Organe nachzubauen – Leber zum Beispiel oder Bauchspeicheldrüse. Für viele schwer kranke Menschen, die bisher auf Spender angewiesen sind, wäre das die Rettung. Für Unternehmen öffnete sich ein neuer Milliardenmarkt. In einem Wettbewerb von Sprind, der Innovationsagentur des Bundes, treten jetzt vier europäische Teams an, um zu zeigen, was möglich ist.

Sanft summt die Lüftung im Labor, 3. Stock, Bayer-Gelände in Berlin-Wedding. Hier steht der 3D-Drucker, mit dem die Firma Cellbricks schon heute Lebergewebe in Teilen nachdruckt. Das Unternehmen gehört zu den Teilnehmern des Wettbewerbs. Geschäftsführer Joachim von Arnim steht im weißen Kittel mitten im Raum und beobachtet, wie ein Kollege mit Pipette den Drucker vorbereitet. „Was im Menschen 18 Jahre gewachsen ist, wollen wir in 180 Minuten nachbauen“, sagt er. „Wir haben bereits im Labor gezeigt, dass sich Organe in Teilen nachdrucken lassen und dann wachsen. Jetzt zeigen wir, dass unsere gedruckten Elemente auch in Lebewesen funktionieren.“ Die Anforderungen sind hoch. „Die Organe müssen sicher sein, dürfen dem Menschen nicht schaden. Sie dürfen keine Immunreaktion auslösen. Sie sollen natürlich funktionieren. Und sie müssen in der entsprechenden Größe verfügbar sein“, beschreibt Jano Costard das Ziel.

Er ist bei Sprind für den Wettbewerb verantwortlich. Tissue Engineering, Gewebezucht, heißt eine Reihe von Verfahren, mit denen Organe nachgebaut werden können. Eines dieser Verfahren ist lichtbasierter 3D-Druck. Dafür nötig sind menschliche Zellen, etwa von der Leber und von Blutgefäßen, die künstlich vermehrt werden, sowie etwas, das die Zellen später zusammenhält. Cellbricks verwendet selbst entwickelte „vegane Gelatine“. Weil die Zellen genetisch programmiert sind, Blutbahnen oder Leber zu werden, bilden sich im gedruckten Leberstück dann zum Beispiel neue Blutgefäße aus – wenn die Bedingungen stimmen, etwa die Temperatur.

Die Experten im CellbricksLabor haben die Gewebestruktur der Leber am Computer nachgebaut und drucken eine Art ideale Leber. Wobei streng genommen nicht gedruckt wird, die menschlichen Zellen sind zu empfindlich für Düsen klassischer Drucker. Das Gerät im Labor belichtet die flüssigen Zellmischungen. Dort, wo das Licht hinkommt, härtet die Flüssigkeit aus. Für ein Stück Leber sind mehrere belichtete Schichten nötig, von denen jede etwa 20 Tausendstel Millimeter dick ist. Gedruckt werden kann alles, was auf die Druckerschalen passt, die fast das Format einer Postkarte haben. Auf jeden Fall ist Cellbricks auf Größeres eingestellt. „Mit unserem patentierten Verfahren lassen sich Organe im industriellen Maßstab drucken“, sagt von Arnim. Soweit ist es aber noch nicht. Die Berliner drucken keine komplette Leber, zu groß,zu kompliziert. Die Experten bauen ein kleines Stück nach. Wird es dann an eine echte Leber transplantiert, wächst es mit ihr zusammen. Ein beschädigtes Organ könnte sich dann selbst wieder erneuern. Weil die Verfahren aufwendig sind und der Körper eben doch sehr komplex ist, gibt es bisher nur Laborversuche. Und es gibt bisher nur wenige Firmen für das Thema. Einige Konkurrenten sitzen in den USA und Israel. ZonalCartHT ist ein Team aus Experten des Uniklinikums Heidelberg und des Leibniz-Instituts für Polymerforschung in Dresden. Sie entwickeln Knorpelersatz aus einem Trägermaterial und Stammzellen. Die Idee: Statt ganze Gelenke auszutauschen, lässt sich die Funktion auch wiederherstellen, wenn die Knorpel zwischen den Knochen ersetzt werden. Drei Forscher aus Paris arbeiten daran, mit menschlichen Zellen große transplantierbare Muskeleinheiten zu entwickeln. Sie nutzen ein Eisguss genanntes Verfahren für das Trägermaterial. Ein Team der Universität Utrecht in den Niederlanden arbeitet ähnlich wie Cellbricks daran, Organteile in 3D zu drucken. In diesem Fall geht es um die Bauchspeicheldrüse. Das gedruckte Material kann Insulin produzieren – Rettung für viele Diabetiker.

Bis September haben die vier Teams Zeit, zu beweisen, dass sie die Technik im Griff haben und dass künstliche Organ im Tierversuch funktioniert. Dafür bekommen die Teams jeweils 500.000 Euro. „Danach können wir die Projekte weiterfinanzieren“, sagt Sprind Koordinator Costard, „müssen es aber nicht“. In der zweiten Stufe stehen für zwei Monate weitere 200.000 Euro je Team zur Verfügung, um sich auf klinische Studien vorzubereiten. Im November ist dann Schluss. „Am Ende des Wettbewerbs wollen im Idealfall private Investoren Geld in die Projekte stecken. Wir als Sprind können aber auch weiter unterstützen.“

Bei Cellbricks sind sie optimistisch. Das patentierte Druckverfahren funktioniert auch mit anderen Zellarten: Herz zum Beispiel. Bald soll es in jedem großen Krankenhaus  Drucker geben, die Gewebe produzieren.




wa.de

NRW

Plötzlich versagt das Spenderherz: „Besorge mir eine Pistole und erschieße mich“

Stand: 21.03.2024, 14:32 Uhr

Von: Marvin K. Hoffmann

Das Organspenderregister soll in Deutschland für mehr Organspenden sorgen. Das wird nicht reichen. Patienten geben emotionale Einblicke und ein Arzt klärt auf.

Hamm/Bad Oeynhausen – Die Stimme bricht, Oliver Alert weint und ringt nach Luft. „Das war die schwerste Situation in meinem ganzen Leben“, presst er hervor. Der 55-Jährige wirkt verzweifelt, wenn er an diesen Tag zurückdenkt: „Ich habe gesagt, wenn mir das nochmal passiert, dann besorge ich mir eine Pistole und erschieße mich.“

Transplantation oder Tod: Viele Menschen in Deutschland warten auf ein Organ

Ende Mai 2021 war das. Oliver Alert, ehemaliger Zeitsoldat und in guter körperlicher Verfassung, laboriert an den Folgen eines Herzinfarkts. Er weiß: Transplantation oder Tod. Der erlösende Anruf kommt am Morgen, ein passendes Organ wurde gefunden. Alles geht sehr schnell. „Ich wurde in den OP gebracht und narkotisiert“, erzählt er im Gespräch mit wa.de. Als er später wieder aufwacht, ist der Schock groß.

Ich habe die Decke zur Seite geschlagen und wusste sofort: Da stimmt etwas nicht“, sagt Alert. Das Spenderherz war nicht geeignet. Die Transplantation schlug fehl. „Das war nicht fit genug“, sagt Alert. Später spricht er von „versagen“. Die Erinnerungen an diesen Moment machen ihn noch heute fertig, lassen seine Stimme beben: „Ich bin eigentlich kein Typ, der zum Psychologen rennt – da aber sofort.“

Oliver Alert hat ein Spenderherz erhalten

Dabei hat sich mittlerweile alles zum Guten gewendet – den Umständen entsprechend jedenfalls. Oliver Alert hat die Intensivstation bereits verlassen. Keine zwei Wochen ist es her, da schlug in der Brust des 55-Jährigen noch ein kaputtes Herz – jetzt hat er ein neues, ein fremdes. Eine weitere Organspende, die zweite im März 2024 glückte schließlich, hat ihm das Leben gerettet.

Das ist längst keine Besonderheit mehr. Die Medizin ist weit: In der Barbaraklinik in Hamm-Heessen wurde einem Patienten mit einem Tremor ein Hirnstimulator implantiert. Im groben Schnitt werden 250 Herzen jährlich in Deutschland transplantiert. Im Jahr 2022 waren es sogar 358 Herzen. Nur ein Bruchteil der Patienten, die eines benötigen, werden allerdings auch gerettet. Es gibt schlichtweg zu wenig Organspenden in Deutschland. Daher erfolgt laut organspende-info.de auch eine strenge Unterteilung, wer eine Organspende erhält:

  •     
  • HU-Patientinnen und -Patienten     (High Urgency, hohe Dringlichkeit) werden bei der Vergabe bevorzugt.     Ihr Zustand ist akut lebensbedrohlich. Bei HU-Patientinnen und     -Patienten muss nach einer gewissen Zeit die hohe Dringlichkeit     medizinisch bestätigt werden. Andernfalls verlieren diese Menschen     den HU-Status.

        
  • Nach den HU-Patientinnen und     -Patienten kommen Menschen, die mehrere Organe benötigen (außer     der Niere). Das ist die Gruppe ACO (approved combined Organ,     Transplantation mehrerer Organe).

        
  • Personen mit dem Status T     (transplantabel) befinden sich in einem stabilen Zustand. Sie kommen     nach den ACO-Patientinnen und -Patienten. Für alle diese Gruppen     gilt: Menschen, die eine Herz-Lungen-Transplantation benötigen,     haben Vorrang vor Menschen, die nur ein Herz benötigen.     

        
  • Der Zustand eines Menschen, der auf ein Spenderherz wartet,     kann sich immer auch verschlechtern. Manchmal ist dann zeitweise     keine Transplantation möglich. Sie werden dann der Gruppe NT     (nicht-transplantabel) zugeordnet.

Organspenderregister soll für mehr Organspenden sorgen

Das Organspenderregister, das am Montag, 18. März 2024, an den Start ging, soll für eine größere Anzahl von verfügbaren Spenderorganen sorgen. „Ziel dieses Registers soll es sein, dass sich die Organspende-Bereitschaft erhöht. Es ist toll, dass überhaupt etwas passiert. Durch die Einführung erfährt die Organspende immerhin schon jetzt eine positive Aufmerksamkeit“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen, im Gespräch mit wa.de. „Ob es letztendlich auch mehr Organspender geben wird, muss man abwarten. Die Hürden scheinen mir allerdings etwas zu hoch zu sein. Die Registrierung ist nicht ohne und nimmt etwas Zeit in Anspruch. Auch hier muss man zunächst abwarten, wie die Entwicklung ist“, sagt er.

Der Heilige Gral der Organspende scheint die sogenannte Widerspruchslösung zu sein. Dann müssten Menschen aktiv widersprechen, dass sie keine Organe spenden wollen. Der große Vorteil: Die Menschen wären dann gezwungen, sich mit dem Thema Organspende überhaupt erst einmal auseinanderzusetzen.

Widerspruchslösung als „ganz wichtiges Mittel“ angesehen

„Die Widerspruchslösung ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiges Mittel, um die Spenden-Bereitschaft zu steigern“, sagt Prof. Dr. Gummert. „Wir sind eines der wenigen Länder in Europa, das diese Widerspruchslösung nicht hat. Da sieht man, dass andere Länder weiter sind. Da ist es zum Teil schon längst ohne große Probleme eingeführt worden – und das sind alles demokratische Länder, fernab von einem diktatorischen Zwang“, erklärt er. Eine Sache daran ärgert ihn besonders.

Gummert würde gerne noch mehr Menschen helfen. Allein, es fehlt an Organen. „Die Not ist riesengroß. In Deutschland kommen häufig Patienten gar nicht mehr auf die Liste für eine Organtransplantation, weil sie eh zu lange warten müssten“, erklärt der Herzspezialist und führt weiter aus: „Bei einer Niere etwa kann es bis zu zehn Jahre dauern. Bei einem Herzen ist die Situation noch mal eine andere, weil oft eine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Da könnte man sicherlich dreimal so vielen Patienten mit einer Transplantation helfen, wir haben aber nicht genügend Spenderherzen in Deutschland zur Verfügung.“

Organe aus dem Ausland

„Es werden in Deutschland mehr Herzen transplantiert als gespendet. In anderen Ländern gibt es mehr Spenden – weil es dort die Widerspruchslösung gibt“, sagt Prof. Dr. Gummert und wird deutlich: „Ich halte es für moralisch verwerflich, dass für uns die Widerspruchslösung nicht infrage kommt, wir aber die Organe aus Ländern mit einer Widerspruchslösung akzeptieren.“ Der Arzt hat sogar passende Zahlen parat: „Wir reden hier bei insgesamt circa 350 transplantierten Herzen von circa 40 Herzen, die aus dem Ausland kommen – das ist schon ein großer Anteil und ist aus meiner Sicht ein absoluter Skandal.“

Warten auf ein Organ macht mürbe

Für die meisten Patienten ist die Wartezeit die schlimmste Zeit. Mit dem kaputten Herzen kommen sie klar, arrangieren sich. Lauern auf Erlösung aber macht mürbe. Das weiß auch Hubert Knicker. 

Der heute 66-Jährige hat bereits 2010 ein neues Herz erhalten. Er macht sich seitdem für mehr Organspenden stark, hält Vorträge in Schulen und unterstützt in einer Selbsthilfegruppe andere Betroffene. 


Auch ihn trieben während der langen Wartezeit auf ein passendes Spenderherz Suizidgedanken um. „Irgendwann habe ich meinen Tod geplant. Ich wäre zwar nie vor einen Zug gesprungen oder wäre von einer Brücke gestürzt – dazu war ich körperlich gar nicht in der Lage und wäre auch zu feige gewesen“, sagte er im Gespräch mit wa.de. Ein passiver Todeswunsch schlich sich in seine Gedanken. „Wenn mir aber jemand Tabletten oder Gift hingestellt hätte, hätte ich es genommen. Oft habe ich gebetet: ‚Lieber Gott, bitte lass mich sterben‘.“

Schließlich klingelte auch bei ihm das Handy: passendes Spenderherz gefunden. „Ein Zimmernachbar hatte am 24. Juli Geburtstag. Wir haben uns über den Lieferdienst ein Schnitzel bestellt. Das wollten wir gerade essen, da bekam ich den Anruf“, sagt er. Knicker könne sich kaum noch an alles erinnern. „Ich war wie in Trance. Ich bin nur in den Fahrstuhl und hoch zur Herzstation gefahren. Aber ich soll ganz relaxt gewesen sein, meinte meine Frau“, erzählt Knicker. 

Statt Knicker sein Schnitzel, schnitten die Ärzte nun ihn auf. Lange Zeit hatte er Angst vor diesem Eingriff. „Da mit offenem Brustkorb zu liegen – diese Vorstellung gefiel mir nicht. Irgendwann habe ich mich damit arrangiert“, sagt Knicker.

Furcht vor Organspende unbegründet

Prof. Dr. Gummert kennt diese Furcht vor der Operation bei seinen Patienten. Doch auch auf Seiten der potenziellen Spender gibt es Ressentiments, die es zu beseitigen gilt. „In Deutschland kann eine Herzspende nur dann erfolgen, wenn man hirntot ist. Das ist entscheidend, um der Bevölkerung die Angst zu nehmen. Jeder muss die Gewissheit haben: Wenn man ein Herz spendet, dann ist man bereits verstorben“, erklärt er. Bei den Organen Leber, Niere und Lunge hingegen sei auch eine Lebendspende möglich.

„Die Entnahme der Spenderorgane kann man sich vorstellen wie eine Operation. Da verbleiben auch nur ganz diskrete Narben“, sagt Prof. Dr. Gummert. Anschließend werde das Organ für den Transport vorbereitet. Das Herz könne man circa vier bis sechs Stunden erhalten, „die Transplantation muss also schnell durchgeführt werden“, erklärt der Chef des größten Herztransplantationszentrums in Deutschland. Er führt weiter aus: „Das kranke Herz wird entfernt, das Spenderherz wird implantiert und übernimmt dann sofort die Funktion eines Herzens und unterstützt den Kreislauf. In der Regel kann der Patient nach drei bis vier Wochen die Klinik verlassen.“

Für sie alle beginnt dann ein zweites, ein geschenktes Leben. Eines, das nur eine Organspende ermöglicht hat. Hubert Knicker erinnert sich noch gut an diesen Tag. „Als ich wieder wach wurde, wusste ich nicht, ob ich einen Herzstillstand hatte und reanimiert oder transplantiert wurde. Ich habe die Schwestern wohl verrückt gemacht“, sagt er. Am nächsten Tag habe seine Frau ihn besucht und ihm erklärt, dass die Transplantation erfolgreich war. „Ich konnte es gar nicht fassen – bis sie meine Hand genommen hat, die auf meine Brust gelegt und ich den Herzschlag gespürt habe“, sagt Knicker. „Da dachte ich nur: ‚Boah, du hast jetzt ein Spenderherz. Du hast es geschafft‘.“ 





Westfalen Blatt 19.03.2024


Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen setzt erstmals Holografie ein

Wenn das Herz vor den Augen des Arztes schwebt

BAD OEYNHAUSEN (WB).

Unter Holografie versteht man eine bildgebende Technik, bei der Objekte im Raum zu schweben scheinen und von allen Seiten betrachtet werden können. Die Erstellung von Hologrammen zur

Unterstützung ärztlicher Entscheidungen und Therapien wird seit über zwei Jahrzehnten in der Fachwelt diskutiert. Jetzt ist die Technik so weit fortgeschritten, dass der Arzt das originalgetreue Abbild des zeitgleich schlagenden Herzens seines Patienten in der Hand drehen, von allen Seiten betrachten oder mit den Fingerspitzen Abstände messen kann.

Erstmals in Europa ist dies nun am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen Wirklichkeit geworden. Was ein bisschen an Science-Fiction erinnert, könnte vielleicht schon in naher Zukunft Kathetereingriffe zur Therapie struktureller Herzerkrankungen revolutionieren. Einblicke in die Zukunft KI basierter Kathetereingriffe am Herzen hat Professor Dr. Volker Rudolph, Direktor der Klinik für Allgemeine und Interventionelle

Kardiologie und Angiologie am HDZ, im Rahmen der Dresdner Herz-Kreislauf-Tage präsentiert – und dabei mit einem kurz zuvor am HDZ aufgenommenen Videoclip das Interesse des Fachpublikums geweckt.

Im Film ist das Team bei seiner Arbeit im Herzkatheterlabor mit dem in Europa bisher einmaligen Holografie-System zu sehen, das in Bad Oeynhausen zusätzlich zum normalen Monitorbild eingesetzt werden kann. Es erlaubt dem Arzt erstmals, das Herz des vor ihm liegenden Patienten mit allen anatomischen Besonderheiten als dreidimensionales Hologramm während des Eingriffs in Augenhöhe und greifbarer Nähe vor sich schwebend zu erleben. Er kann es nicht nur von allen Seiten viel genauer und besser als bisher betrachten, sondern das Original-Abbild des Patientenherzens auch mit der Fingerspitze im Raum drehen, vergrößern, hineinsehen, es ausmessen oder Teilbereiche zur detaillierten Darstellung heranzoomen. „Wir waren erst skeptisch, dann aber schnell fasziniert von den Möglichkeiten dieser intuitiven und interaktiven Technik“, sagt Prof. Rudolph. „Es handelt sich ja keineswegs um eine optische Täuschung, sondern um eine hochauflösende, dynamische 3D-Projektion im freien Raum, live generiert aus Patientendaten. Eine solche zusätzliche Beurteilungsoption des Herz-Hologramms trägt besonders bei schwierigen Fragen dazu bei, perspektivische Fehler zu vermeiden.“ Oberarzt Dr. Kai Peter Friedrichs: „Stellen Sie sich sehr komplexe Eingriffe an einer Herzklappe vor, die auch für erfahrene Spezialisten aufgrund sehr anatomischer Strukturen oder aufgrund bereits vorhandener Implantate nicht einfach zu beurteilen sind. Mittels Holografie können wir jetzt alle Besonderheiten des Herzens zusätzlich mehrdimensional, live und in Echtzeit wahrnehmen und therapieren. Wenn es um die Positionierung einer neuen Herzklappe oder im Falle von Klappenrekonstruktionen um die Platzierung eines Klappenrings geht, wissen wir eine solche Möglichkeit vor allem dann zu schätzen, wenn die Katheterführung nicht einfach ist.“ Die Bad Oeynhausener Katheterspezialisten sind sich einig, dass die Anwendung der Technik jetzt schon so überzeugend ist, dass es sich lohnt, die Möglichkeiten der Holografie im klinischen Einsatz weiterzuverfolgen. Die Hologramme werden aus Ultraschalldaten generiert, die während des Eingriffs durch die Speiseröhre von Herzklappen und Vorkammern aufgenommen werden. Mit dieser sogenannten transösophagealen Echokardiographie (TEE, auch: Schluckecho) lassen sich Herzklappenfehler, Blutgerinnsel und Auflagerungen exakt darstellen.  Die innovative Holografie-Technik für die Herzmedizin ist in Europa bislang nur in Bad Oeynhausen verfügbar. In der Klinik werden zunächst weitere Erfahrungen mit Hologramm-Beurteilungen gesammelt. Parallel dazu wird das Augenmerk auf die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses gelegt.







Organspenderegister: Chirurgen rechnen nicht mit steigenden Spenderzahlen

Am 18. März geht die bundesweite Organspende-Datenbank an den Start. Für die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie bedeutet dies nicht automatisch steigende Spenderzahlen. Mehr Aufklärung und eine Widerspruchslösung müssten her.

Berlin. Wenige Tage vor der Freischaltung des bundesweiten Organspenderegisters erwarten sich Deutschlands Chirurgen keine steigenden Spenderzahlen durch die Datenbank. „Nur, weil nun etwas in ein Register eingetragen werden kann, erklären sich nicht automatisch mehr Menschen zur Organspende bereit", erklärte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Thomas Schmitz-Rixen, am Mittwoch in Berlin. Er forderte eine verstärkte Aufklärung der Gesellschaft sowie die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende.

In Deutschland gilt derzeit die „erweiterte Zustimmungslösung“. Für die Organentnahme nach dem Hirntod eines Menschen ist die aktive Zustimmung des Betroffenen zu Lebzeiten, die Zustimmung eines engen Angehörigen oder eines Bevollmächtigten erforderlich. Bei einer Widerspruchslösung wäre jeder Bürger ein potenzieller Organspender - außer, er hat ausdrücklich widersprochen.

Lücke zwischen Spendern und Empfängern weiterhin

Derzeit warten rund 8.400 Menschen in Deutschland auf ein neues Organ. Zugleich liegt die Bundesrepublik im internationalen Bereich bei der Zahl der Organspender auf den hinteren Rängen der Tabelle. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation verzeichnete im Jahr 2023 insgesamt 965 Spender. In den 45 Transplantationszentren wurden bundesweit 2.985 gespendete Organe eingepflanzt.

„Die Lücke zwischen Spendern und Empfängern ist weiterhin viel zu groß“, bemängelt Schmitz-Rixen. „Mit jedem Tag, der bis zur Transplantation vergeht, verschlechtert sich der Zustand der Betroffenen und damit auch ihre Chancen auf ein gutes Ergebnis.“

Willenserklärung von Zuhause aus

Ab Montag kann jeder Bundesbürger ab 16 Jahren seinen Willen zur Organspende rechtssicher, freiwillig und kostenlos von zuhause im zentralen Organspenderegister hinterlegen. Voraussetzung ist allerdings, dass man über einen Personalausweis mit Onlinefunktion und PIN (eID) verfügt.

Schmitz-Rixen betonte, dass ein Organspenderegister mehr Klarheit für Angehörige und Ärzte schaffen kann, ob ein Patient zur Spende bereit ist. „Viele Menschen sind zwar zur Organspende bereit, dokumentieren das aber nicht“, so der Chirurg. „Insofern ist diese Möglichkeit ein Fortschritt.“ Doch gibt der Chirurg zu bedenken, dass Jahre vergehen würden, bis sich eine tragfähige Zahl an Menschen eingetragen habe. (KNA)




Organspende in Hannover 

"Kinder und Jugendliche warten – viele leider vergeblich"

Von t-online, mtt

12.03.2024 


Auf eine Million Einwohner kommen aktuell gerade einmal elf Organspender. Mediziner aus Hannover sagen, sie begrüßen alles, was diese Zahl steigen lässt.

Am 18. März soll die Internetseite www.organspende-register.de mit einer Verzögerung von zwei Jahren online geschaltet werden. Wer bereit ist, seine Organe nach seinem Tod anderen Menschen zu überlassen, kann sich dort registrieren lassen.

Ein Eintrag ins Register ist freiwillig, kostenlos und kann jederzeit geändert werden. Während Organspendeausweise verloren gehen oder nicht auffindbar sein können, soll das Online-Register jederzeit verfügbar sein.

"Rund 1.000 Patientinnen und Patienten an der MHH warten"

Aber wird es die Zahl der Organspender tatsächlich merklich erhöhen? Aktuell gilt Deutschland im europäischen Vergleich als eines der Schlusslichter – mit einem Anteil von etwa elf Spenderinnen und Spendern pro einer Million Einwohner.


Die Dringlichkeit, dass sich das ändert, ist laut Prof. Dr. Moritz Schmelzle hoch. Der Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) schilderte dem "Science Media Center Germany" ("SMC") die aktuelle Situation so: Während der Bedarf weit höher liege, würden im Transplantationszentrum der MHH jährlich etwa 350 Transplantationen durchgeführt. Schmelzle: "Rund 1.000 Patientinnen und Patienten an der MHH, darunter auch Kinder und Jugendliche, warten auf ein Spenderorgan (Niere, Leber, Pankreas, Herz, Leber) – viele von ihnen leider vergeblich." Er hoffe, dass das Register "einen neuen Schub" für die Organspende in Deutschland bedeuten könne: "Wir im Transplantationszentrum begrüßen alle Maßnahmen, die eine Dokumentation der Entscheidung zur Organspende zu Lebenszeiten unterstützen, und hoffen, dass möglichst viele Menschen ihre Entscheidung eintragen werden."

"Kommunikation und Wissen kann viel bewirken"

Ähnlich äußerte sich Dr. Frank Logemann, Transplantationsbeauftragter an der MHH. Er sei allerdings skeptisch, dass das Portal viel genutzt wird, "wenn nicht gleichzeitig Aufklärung generell, Beratung im Einzelfall und Hilfestellung beim Eintrag in das Register geleistet werden".

In diesem Jahr komme es aber wahrscheinlich dennoch zu einer Zunahme der Organspenden – einfach weil mit dem Registerstart und der derzeit diskutierten Einrichtung einer Widerspruchslösung das Thema Organspende präsenter werde und sich die Menschen häufiger dazu austauschen würden. "(Positive) Kommunikation und Wissen über Organspende kann viel bewirken", zeigte sich Logemann laut "SMC" überzeugt. "Mit jedem Eintrag, der Klarheit zur Haltung gegenüber Organspende schafft, hat das Register seinen Zweck erfüllt."

Was die technischen Hürden betrifft, hofft Logemann, dass "alle Teile der Bevölkerung in der Lage sein werden, sich mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen". 





Wie Rauchen nachhaltig das Immunsystem stört

Raucher sind infektanfälliger als Nichtraucher. Laut einer aktuellen Studie werden sowohl das angeborene als auch das adaptive Immunsystem durch das Rauchen in Mitleidenschaft gezogen – und zwar teilweise jahrelang.

12.02.2024  Annete Rößler

Wie das Immunsystem eines Menschen auf diverse Krankheitserreger reagiert, ist individuell unterschiedlich. Allerdings gibt es bestimmte übergeordnete Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Diese zu identifizieren, ist das Ziel des französischen Forschungsprojekts Milieu Intérieur, an dem 1000 Menschen teilnehmen. Die Kohorte ist bezüglich Alter, Geschlecht und Ethnie in einer Weise ausbalanciert, die es ermöglicht, die Variabilität einer »normalen« Immunantwort zu untersuchen.

Im Fachjournal »Nature« ist jetzt eine Auswertung des Milieu-Intérieur-Projekts erschienen. Das Autorenteam um Dr. Violaine Saint-André vom Institut Pasteur in Paris untersuchte darin, ob beziehungsweise wie sich 136 Variablen aus den Bereichen Soziodemografie, Diät und Lebensstil auf die Immunantwort auswirken. Sie verwendeten dazu Blutproben der Teilnehmenden und bestimmten darin quantitativ die Freisetzung von 13 infektionsassoziierten Zytokinen als Reaktion auf eine kontrollierte Stimulation mit bestimmten Krankheitserregern.

Rauchen, CMV-Infektion und BMI als Einflussfaktoren

Drei Faktoren veränderten die Zytokinantwort besonders stark: Rauchen, eine latente Infektion mit dem Cytomegalievirus (CMV) und der Body-Mass-Index (BMI). Jede dieser drei Variablen wirkte sich ungefähr so stark auf die Immunantwort aus wie das Alter, das Geschlecht oder die genetische Ausstattung der jeweiligen Person. Dabei stach das Rauchen besonders hervor, weil es sowohl die angeborene als auch die adaptive Immunantwort beeinträchtigte, wobei sich bei Personen, die mit dem Rauchen aufgehört hatten, nur die angeborene Immunantwort schnell wieder normalisierte.

Die adaptive Immunantwort war dagegen auch bei Ex-Rauchern, die schon viele Jahre zuvor aufgehört hatten, noch verändert. Dies ist laut den Forschenden auf epigenetische Veränderungen zurückzuführen: Die Gruppe identifizierte bestimmte DNA-Methylierungsmuster, die die Zytokinfreisetzung beeinflussen und die sowohl bei aktiven als auch bei ehemaligen Rauchern nachweisbar waren, nicht jedoch bei Menschen, die nie geraucht hatten. »Dosisabhängig«, also abhängig davon, wie viele Jahre und wie viele Zigaretten eine Person insgesamt geraucht hatte, war bei Ex-Rauchern die Interleukin-2-Antwort auf eine Erregerstimulation herabgesetzt.

Erklärung für erhöhtes Krebsrisiko? 

Die beobachteten Zusammenhänge könnten nicht nur erklären, warum Raucher infektanfälliger sind als Nichtraucher, sondern auch, warum ihr Risiko für Krebs und Autoimmunerkrankungen erhöht ist – und zwar teilweise noch lange über einen Rauchstopp hinaus. Daraus als Raucher abzuleiten, dass es sinnlos wäre aufzuhören, weil »es ja eh nichts bringt«, wäre jedoch grundfalsch. Denn es ist sehr gut belegt, dass sich das Krebsrisiko bei Ex-Rauchern mit der Zeit wieder demjenigen von Nichtrauchern annähert. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Studienergebnissen, weil epigenetische Veränderungen nicht unumkehrbar sind. In der Tat konnte in der Studie gezeigt werden, dass das Ausmaß der DNA-Methylierung in den Jahren nach einem Rauchstopp kontinuierlich abnahm. Wie schnell das gehen kann, hängt sicherlich auch davon ab, wie gesund sich ein Mensch ansonsten verhält.






Freiwillig und kostenlos Online-Register für Organspenden startet im März 

17.02.2024

Noch immer ist die Zahl der Menschen, die auf eine Transplantation warten, deutlich höher als die der Spender. Um zumindest den Prozess zu erleichtern, soll es bald ein Onlineregister geben. Den Mangel an Spenden will Gesundheitsminister Lauterbach auf anderem Wege lösen.

Potenzielle Organspender können ihre Spendebereitschaft bald in einem zentralen Register hinterlegen. "Das digitale Organspende-Register wird am 18. März nun endlich an den Start gehen", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Düsseldorfer "Rheinischen Post". "Die Eintragung erfolgt völlig freiwillig, hilft aber den Kliniken, schneller zu handeln." 

Lauterbach tritt bei der Organspende eigentlich für ein sogenanntes Widerspruchsmodell ein, bei dem jede und jeder als möglicher Spender gilt, sofern er oder sie dem nicht aktiv widerspricht. Anfang 2020 hatte dies im Bundestag aber keine Mehrheit gefunden, stattdessen wurde die sogenannte Entscheidungslösung beschlossen. Demnach sollen die Bürgerinnen und Bürger regelmäßig von ihren Hausärztinnen und -ärzten mit dem Thema konfrontiert werden. 

Lauterbach hält an Widerspruchslösung fest

Die Entscheidung soll in einem digitalen Register hinterlegt werden, dessen Einführung jedoch lange auf sich warten ließ. Dass es nun endlich komme, "wird den Organspende-Mangel nicht sofort beheben, aber es ist ein wichtiger Schritt nach vorne", sagte der Gesundheitsminister. Zugleich betonte Lauterbach sein Festhalten an der Widerspruchslösung - diese sei der einzige Weg, den Mangel wirklich zu beheben. "Ich hoffe, dass noch in dieser Legislaturperiode erneut ein Antrag aus dem Parlament heraus im Bundestag beraten wird."

Im vergangenen Jahr war die Zahl der Organspenden in Deutschland wieder gestiegen. Nach Angaben der Stiftung Organtransplantation spendeten 965 Menschen ihre Organe nach dem Tod - elf Prozent mehr als im Vorjahr. Mit der Corona-Pandemie waren die Organspendezahlen eingebrochen. 

Trotz der Erholung überstieg die Zahl der Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation die Spendezahlen mit rund 8400 um ein Vielfaches. Im internationalen Vergleich bildet Deutschland ein Schlusslicht bei der Organspende und profitiert im Eurotransplant-Verbund von anderen Mitgliedsländern, indem es mehr Organe erhält, als es abgibt.

Quelle: ntv.de, lno/AFP








Schweine zu künftigen Organspendern für Menschen genmanipuliert 

15 Feb. 2024 18:02 Uhr 

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  • In Japan wurden genmanipulierte Schweinezellen angeblich so weit modifiziert, dass Organe daraus     gezüchteter Tiere bei Transplantationen von menschlichen Körpern nicht mehr so häufig abgestoßen würden. Am Dienstag wurden drei GMO-Ferkel geboren, deren Nachkommen einst als "Ersatzteillager" für Menschen verwendet werden könnten.     


Einem japanischen Forscherteam sei es gelungen, Schweine genetisch verändert so zu züchten, dass man deren Organe zur Organtransplantation beim Menschen verwenden könne. Laut einem vom Asia News Network am Mittwoch veröffentlichten Bericht seien die drei jüngsten gentechnisch in dieser Weise veränderten Ferkel am Sonntag – per Kaiserschnitt entbunden – zur Welt gekommen.

Das Forscherteam hat am Dienstag bekannt gegeben, dass es das Erbgut von Schweinen für Organtransplantationen bei Menschen genetisch verändert habe. Dazu wäre insbesondere ein immunitätsrelevantes Gen beim Schwein verändert worden. Das modifizierte Schweinegen solle bei Organtransplantationen zum Menschen Abstoßungsreaktionen verhindern. Bislang würden starke Abstoßungsreaktionen die Transplantation von Schweineorganen in menschliche Körper erschweren.

Die Übertragung von tierischen Organen auf den Menschen nennt man "Xenotransplantation". Angesichts mangelnder menschlicher Spenderorgane würde das Transplantieren vom Tier zum Menschen zunehmend an Bedeutung gewinnen, heißt es beim Asia News Network. Zum japanischen Forscherteam der Meiji-Universität in Kawasaki gehöre auch das Start-up-Unternehmen PorMedTec Co. Auf deren Website  stellt das japanische Unternehmen PorMedTec unter dem Kapitel "About" sein Angebot vor: "Maßgeschneiderte Produktion von gentechnisch veränderten Schweinen" heißt es dort auf Englisch in der Angebotsbeschreibung.

Gentechnisch veränderte Schweine brauche man schließlich zu verschiedenen Zwecken, erläutert das Universitäts-Spin-Off-Unternehmen sein Geschäftsmodell: Zum Beispiel für die Erforschung von Organregeneration oder zur Evaluation einer von neuen Therapien an den "Modellschweinen". Deshalb könne PorMedTec für unterschiedlichste Wünsche auch von Pharmaunternehmen jeweils speziell gentechnisch manipulierte Schweine produzieren:

"Wir bieten einen Service an, der gentechnisch veränderte und geklonte Schweine erzeugt, die den spezifischen Anforderungen unserer Kunden entsprechen."

Vor der Geburt der gentechnisch manipulierten Ferkel hatte PorMedTec importierte Schweinezellen vom amerikanischen Biotech-Unternehmen eGenesis gekauft. Bei eGenesis hatte man diese Schweinezellen für die Xenotransplantation so genmodifiziert, dass sie weniger anfällig für Abstoßungsreaktionen sein sollten. Zellkerne dieser Zellen habe das japanische Forschungsteam in die befruchteten Eizellen eines normalen Schweins injiziert. Anschließend seien 100 dieser Eizellen in die Gebärmutter eines Schweins eingesetzt worden.

Aktuell sei der nächste Schritt in der Forschung die Transplantation von Schweineorganen in Laboraffen. Aber bereits für den Herbst 2025 plane das Team eine klinische Studie zur Xenotransplantation bei Menschen. Dabei wollen die Japaner mit verschiedenen medizinischen Einrichtungen ihres Landes kooperieren. Außerdem soll im Herbst nächsten Jahres in Japan auch eine klinische Studie an Patienten mit schwerem Nieren- und Leberversagen durchgeführt werden. Nach Aussagen von Professor Hiroshi Nagashima von der Meiji Universität, einem der Gründer von PorMedTec, wolle man möglichst schnell neue Behandlungsmethoden anbieten.






Zunahme der Transplantationen Schweizer Organspende-Rekord – wegen umstrittener Herzentnahme

So viele wie noch nie spendeten im Jahr 2023 ihre Organe. Das Allzeithoch ist auf eine neue Transplantationsmethode zurückzuführen, die sogar zu Strafanzeigen geführt hat – ohne Erfolg. 

Felix Straumann

Publiziert: 15.02.2024


200 Personen spendeten im Jahr 2023 nach ihrem Tod die Organe, so viele wie noch nie. Im Vergleich zu den Vorjahren ist dies ein deutlicher Sprung von gut 20 Prozent. Noch 2022 lag der Wert bei 164 Personen, 2010 sogar bei nur rund 100.

«Wir befinden uns europaweit inzwischen fast im oberen Drittel», sagt Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant. Mit 22,7 Spenden pro Million Einwohner schliesst die Schweiz zu Ländern wie Frankreich (25 pro Million Einwohner) oder Italien (24) auf. In der Vergangenheit galt die Schweiz als eines der Schlusslichter auf dem Kontinent. Franz Immer geht davon aus, dass der Anstieg nachhaltig ist, und erwartet im nächsten Jahr einen Wert zwischen 180 und 220 Spendern. «Wir haben unsere Strukturen stark verbessert und können auf die ausgezeichnete Arbeit der Fachleute an der Front zählen», sagt Immer.

Grund für den Anstieg war unter anderem ein neues Verfahren, das die Herztransplantation neu nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD) ermöglicht. Das Organ wurde bislang nur bei der herkömmlichen Transplantation nach Hirntod (DBD) entnommen. Mit dem neuen Verfahren wurden im vergangenen Jahr neun Herzen verpflanzt. Transplantations-kritische Kreise hatten deswegen Strafanzeigen gegen das Inselspital Bern und die Universitätsspitäler Lausanne (CHUV) und Zürich wegen Verstoss gegen das Transplantationsgesetz eingereicht – wurden jedoch von den zuständigen Staatsanwaltschaften abgewiesen. «Die Anzeigen waren medizinisch-fachlich fehlerhaft», sagt Franz Immer. Eine Aussage, die die Kritiker entschieden zurückweisen. Für Immer ist jedoch unbestritten, dass auch die neue Herztransplantation den gesetzlichen und ethischen Anforderungen genügt.


Was ist der Unterschied zwischen DCD und DBD?

Es gibt zwei Situationen, in denen eine Organspende erfolgen kann. Bei der «herkömmlichen» Transplantation nach Hirntod (DBD, donation after brain death) ist das Gehirn der Spenderin oder des Spenders nicht mehr durchblutet und daher nicht mehr funktionsfähig. Die häufigsten Ursachen für Hirntod sind Hirnblutungen, Sauerstoffmangel oder ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nach dem Spendeentscheid wird die auf der Intensivstation noch zu Lebzeiten eingeleitete künstliche Beatmung über den Tod hinaus weitergeführt, bis die Organe entnommen werden. Durch die Beatmung werden die Organe bis zum Schluss mit Sauerstoff versorgt und vor Schäden geschützt.

Bei der Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD, donation after circulatory death) stirbt der Spender oder die Spenderin aufgrund eines anhaltenden Kreislaufstillstands. Dazu kommt es, wenn im Spital aufgrund einer aussichtslosen Prognose entschieden wird, die Therapien zu beenden und die Person sterben zu lassen. Der Therapieabbruch führt zu einem anhaltenden Stillstand des Kreislaufes. Weil danach das Gehirn nicht mehr durchblutet wird, tritt der Hirntod ein.

Die Todesfeststellung muss sowohl bei DCD als auch bei DBD von zwei qualifizierten Ärztinnen oder Ärzten gemeinsam durchgeführt werden (Vier-Augen-Prinzip). Diese dürfen weder an der Entnahme noch an der Transplantation beteiligt sein.

Möglich wurde die neue Transplantation durch ein neu beschafftes Gerät namens Organ Care System (OCS), welches das Herz ausserhalb des Körpers mit Blut und Sauerstoff versorgt und so länger funktionsfähig hält. Es kommt manchmal auch bei herkömmlichen Herztransplantationen zum Einsatz, etwa bei Organen aus dem Ausland, die dort nicht verwendet werden können. Dank dem Einsatz dieser neuen Technologie stieg die Zahl der Herztransplantationen in der Schweiz auf 58. «Auch das ist ein Höchststand», so Immer.

Weitere Gründe haben zur markanten Zunahme der Organspenden geführt. So etablierten zusätzliche Spitäler die 2011 in der Schweiz eingeführte DCD-Transplantation. «Allein aus dem Spital Sitten kamen zusätzlich über zehn DCD-Spender», sagt der Swisstransplant-Direktor. 

Und schliesslich unterstützt eine neue digitale Anwendung Spitäler bei der Erkennung von Organspenderinnen und -spendern. Bei unklaren Fällen können die Fachleute auf den Intensivstationen mit anonymisierten Patientendaten online eine Anfrage stellen, die durch den medizinischen Dienst von Swisstransplant eingeschätzt wird. «Wir hatten im vergangenen Jahr 200 Anfragen, von denen 70 Prozent für eine Spende infrage kamen – etwas weniger als die Hälfte wurde dann tatsächlich Organspender», sagt Franz Immer.

Ablehnungsrate bleibt hoch 

Durch die vermehrten Spenden erhielten auch mehr Menschen ein Organ (565 Personen, 111 Personen mehr als 2022). Trotzdem bleibt die Situation auf der Warteliste weiter angespannt. Ende 2023 befanden sich darauf 1391 Personen, ein Jahr davor waren es 1442. 92 Personen starben 2023 auf der Warteliste – auch dies ein Rekord.

Bemerkenswert ist, dass der deutliche Anstieg bei den Spendenden noch vor der Einführung der Widerspruchslösung eingetreten ist. Der Systemwechsel, dem das Schweizer Stimmvolk 2022 mit deutlichem Mehr zugestimmt hat, erfolgt gemäss Swisstransplant frühestens in zwei Jahren – nach Einführung des elektronischen Identifikationsnachweises (E-ID). Franz Immer erwartet, dass danach die Zustimmung von Angehörigen in unklaren Fällen graduell zunehmen wird.

Derzeit liegt die Ablehnungsrate bei Angehörigen unverändert bei knapp 60 Prozent, nach wie vor einer der höchsten Werte in Europa. Der Anstieg ist also einzig durch erweiterte Transplantationsverfahren und die bessere Erkennung potenzieller Spender zustande gekommen.



DSO: Organspendezahlen in 2023 auf leichtem Erholungskurs

DEUTSCHE STIFTUNG ORGANTRANSPLANTATION VERZEICHNET 11 PROZENT MEHR SPENDER NACH STARKEM RÜCKGANG IN 2022

DSO

16. Jan. 2024 

Author


Im vergangenen Jahr haben 965 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 96 mehr als in 2022 und entspricht 11,4 Spendern pro Million Einwohner. Im Vergleich zu 2022 (869 Organspender; 10,3 Spender pro Million Einwohner) ist die Zahl der Spenderinnen und Spender damit um 11 Prozent gestiegen. Auch die Summe der in Deutschland postmortal entnommenen Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant nach festgelegten medizinischen Kriterien verteilt und schließlich hierzulande oder im Ausland transplantiert werden konnten, ist gestiegen: Sie erhöhte sich um 8,1 Prozent auf 2.877 Organe (2022: 2.662). Dazu zählten 1.488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen, 52 Bauchspeicheldrüsen und 2 Därme. Die Zahl der organspendebezogenen Kontakte stieg ebenfalls: Dies sind die Fälle, in denen sich die Kliniken an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gewendet haben, um über eine mögliche Organspende zu sprechen. Diese Kontakte stiegen von 3.256 in 2022 auf 3.412 in 2023.

In den 45 hiesigen Transplantationszentren wurden im vergangenen Jahr insgesamt 2.985 Organe nach postmortaler Spende aus Deutschland und dem Eurotransplant-Verbund übertragen (2022: 2.795). Damit wurde bundesweit insgesamt 2.866 schwer kranken Patientinnen und Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2022: 2.695). Gleichzeitig stehen in Deutschland knapp 8.400 Menschen auf den Wartelisten für eine Transplantation. 

Der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel, kann auch weiterhin keine Entwarnung geben, was die Situation der Organspende in Deutschland betrifft: „Durch den enormen Einbruch der Spenderzahlen im Jahr 2022 bringt uns das Plus von 11 Prozent zumindest wieder zurück auf das Niveau, das wir in den Jahren zuvor halten konnten – und das ist angesichts der rund 8.400 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten deutlich zu niedrig. Wir haben nach wie vor einen erheblichen Mangel an Spenderorganen, sodass nicht allen Menschen, die auf ein Organ warten, geholfen werden kann, obwohl wir die medizinischen Möglichkeiten dazu haben. Die Transplantation stellt für die meisten von ihnen die beste und nicht selten auch die einzig verbleibende Behandlungsoption dar, um zu überleben. Jedes einzelne Organ zählt und kann ein Leben retten. Wir dürfen die darauf angewiesenen Menschen nicht im Stich lassen, sondern wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, ihnen mit einem geeigneten Spenderorgan zu helfen.“ 


Realisierte postmortale Organspender:innen 2010-2023 (Datenquelle: DSO)
Realisierte postmortale Organspender:innen 2010-2023 (Datenquelle: DSO)


Diese Möglichkeiten umfassen laut Rahmel insbesondere auch neue technische Entwicklungen, die einzelne Prozesse im Organspendeablauf verbessern können. So unterstützt das automatisierte elektronische Screeningtool DETECT Krankenhäuser dabei, mögliche Organspenderinnen und -spender auf der Intensivstation zu identifizieren. Um die begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Organe optimal zu nutzen, eignen sich Verfahren wie die Maschinenperfusion oder die Fotodokumentation der Spenderorgane im Spendeprozess. Sie können die Qualität und Sicherheit des Organspendeprozesses und der Spenderorgane optimieren, sodass möglichst viele Organe erfolgreich transplantiert werden können.

Der Medizinische DSO-Vorstand betont: „Gemeinsam mit unseren Partnern in den Kliniken werden wir uns weiter mit allen Kräften dafür einsetzen, dass möglichst vielen Patientinnen und Patienten geholfen werden kann.“ Deutschland bildet im internationalen Vergleich immer noch ein Schlusslicht bei der Organspende und profitiert im Eurotransplant-Verbund von anderen Mitgliedsländern, indem es mehr Organe erhält, als es abgibt.

Rahmel appelliert dabei auch an die Bevölkerung, zu Lebzeiten eine Entscheidung zur Organspende zu treffen und diese in einem Organspendeausweis und/oder einer Patientenverfügung zu dokumentieren. Denn ohne Zustimmung der Verstorbenen selbst oder deren Angehörigen ist in Deutschland keine Organspende möglich. Der Mediziner verweist dabei auch auf das Organspende-Register, das im Laufe des Jahres online gehen soll. Das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende ist Bestandteil des zum 1. März 2022 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende. In diesem elektronischen Verzeichnis können die Bürgerinnen und Bürger zukünftig ebenfalls ihre Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende hinterlegen. 





04.01.2024 

Cochrane Review: Dreifachtherapie verbessert die Lebensqualität bei schwerer COPD

Georg Rüschemeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Cochrane Deutschland 

Bei der Behandlung einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) kombiniert man oft mehrere Wirkstoffe zum Inhalieren. Ein Cochrane Review bestätigt nun, dass eine Dreifachkombination mit zwei bronchienerweiternden und einem entzündungshemmenden Wirkstoff gegenüber der verbreiteten Zweifachtherapie den Betroffenen weitere Vorteile bringt. 

Medikamente zum Inhalieren können bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) die Beschwerden lindern und Atemproblemen vorbeugen. Die dafür gebräuchlichen Inhalatoren können einen oder mehrere verschiedene Wirkstoffe enthalten. In Frage kommen einerseits lang wirksame Bronchodilatatoren zur Erweiterung der Atemwege wie langwirksame Beta‐2‐Agonisten (LABA) und langwirksame Muskarin‐Antagonisten (LAMA). Eine weitere Stoffklasse sind inhalierbare Kortikosteroide (ICS) wie Fluticason, Beclometason oder Budesonid, die entzündungshemmend wirken.

Es hat sich gezeigt, dass sich die Therapietreue und die Ergebnisse für die Betroffenen verbessern, wenn man zwei atemwegserweiternde Mittel (LABA und LAMA) kombiniert anwendet. Kommt es dennoch häufig zu akuten Verschlechterungen, kann diese Kombination um ein Kortikosteroid zu einer Dreifachtherapie erweitert werden. Ob eine solche Dreifachkombination zusätzliche Vorteile und Risiken mit sich bringt, war Frage des aktuellen Cochrane Reviews.

Die Autor*innen fanden vier Studien mit insgesamt mehr als 15.000 COPD‐Patient*innen, in denen die LABA/LAMA/ICS-Dreifachtherapien mit LABA/LAMA‐Zweifachtherapien verglichen wurden. Die meisten Studienteilnehmenden waren Mitte sechzig, litten unter schweren oder sehr schweren COPD‐Symptomen und hatten in letzter Zeit mindestens einen COPD‐Schub erlitten. An den Studien nahmen mehr Männer als Frauen teil.

Evidenz von hoher Vertrauenswürdigkeit zeigt, dass sich die Lebensqualität der Betroffenen mit der Dreifachtherapie im Vergleich zur LABA/LAMA‐Zweifachtherapie verbessert. Die mit der Dreifachtherapie behandelten Personen haben jedoch wahrscheinlich ein höheres Risiko für eine Lungenentzündung (moderate Vertrauenswürdigkeit der Evidenz nach GRADE).

Die Dreifachtherapie könnte sich im Vergleich zu den Zweifach-Inhalationen auch positiv auf die Häufigkeit von COPD‐Schüben auswirken. Dies ist jedoch unsicher, da sich hier die Ergebnisse der einzelnen Studien deutlich unterschieden. Eine mögliche Erklärung: Möglicherweise senkt die Dreifachkombination die Zahl akuter Schübe in besonderem Maße bei Patient*innen mit einer großen Menge bestimmter weißer Blutkörperchen (Eosinophile) im Blut. 



28. Dezember 2023

So läuft die Organspende ab 

Wann ist die Organspende überhaupt Thema? Was muss alles passieren, bevor Organe entnommen werden? Was hat es mit dem Hirntod auf sich? Eine Schritt-für-Schritt-Erklärung.

Von allen Menschen, die in Deutschland sterben, kommen nur sehr wenige für eine Organspende infrage, ein bis zwei Prozent sind es etwa, ganz unabhängig davon, ob sie einer Spende zustimmen würden oder nicht. Warum ist das so? In Deutschland gibt es sehr strenge Kriterien: Hierzulande dürfen Organe, so steht es im Transplantationsgesetz, nur nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) entnommen werden, in Ländern wie Spanien, Großbritannien und den Niederlanden manchmal auch bei einem Herzkreislauftod. Anders als oft vermutet, sind nicht Unfälle häufige Gründe für den endgültigen, irreversiblen Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms, sondern atraumatische Hirnschädigungen durch internistische und neurologische Erkrankungen wie Schlaganfälle. Die interkranielle Blutung war 2022 mit fast 50 Prozent die häufigste Todesursache der insgesamt 869 Spender.

Pflegefachperson prüft engmaschig Reflexe 

Der Prozess der Organspende beginnt mit dem Verdacht, dass bei einem Patienten in Kürze der Hirntod einsetzen wird oder schon eingetreten ist. Für die Pflegefachperson (auf der Intensivstation) bedeutet dies, bei Risikopatienten schon früh auf bestimmte Symptome zu achten und engmaschig eine Reihe von Hirnstamm Reflexen zu prüfen, etwa:

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  • die Pupillenreaktion     

        
  • den Würgereflex beim Absaugen     

        
  • den Hustenreflex     

„Wir machen das manchmal stündlich bis zweistündlich, wenn wir wissen, dass es darauf ankommt, rechtzeitig zu reagieren“, sagt Danny Petzoldt, Intensivpfleger und Transplantationsbeauftragter an der Uniklinik Leipzig.

Abteilung informiert die DSO 

Sobald sicher ist, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall eintreten wird, informiert der Transplantationsbeauftragte (oder die Ärzte der Intensivstation) die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Von da an wird immer einer der rund 80 DSO-Koordinatoren den Kontakt zum Team vor Ort halten. Die Organisationszentralen der jeweiligen Regionen der DSO sind rund um die Uhr erreichbar.

Zwei Ärzte diagnostizieren den IHA 

Zwei erfahrene Intensivmediziner (einer davon Neurologe oder Neurochirurg) stellen unabhängig voneinander den irreversiblen Hirnfunktionsausfall (IHA) nach den Richtlinien der Bundesärztekammer fest. Dabei müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: So wird der Ausfall bestimmter Reflexe und der Spontanatmung (Apnoe) überprüft. Zum Irreversibilitätsnachweis wird diese klinische Untersuchung, je nach Hirnschädigung, nach mindestens 12 oder 72 Stunden wiederholt, alternativ durch eine apparative Diagnostik (etwa EEG oder CT-Angiografie). Tod und Todeszeitpunkt stellen die Ärzte nach Abschluss aller Untersuchungen fest.

Ohne Blutproben (und apparative Diagnostik) geht es nicht 

Außerdem werden Blutproben genommen, um noch einmal zu überprüfen, ob die Blutgruppe des Spenders mit der des Empfängers übereinstimmt, um auf Infektionen zu testen und vieles, vieles mehr. Auf dem Programm steht auch die Bestimmung von Parametern, die etwas über die Organfunktion (Nierenwerte, Leberwerte etwa) aussagen. Denn für eine Transplantation eignen sich nur Organe mit einer guten Organfunktion.

Den Verstorbenen organprotektiv pflegen 

Deshalb muss auch die Pflege organprotektiv sein (ebenso wie die Intensivmaßnahmen, so werden beispielsweise auch weiter Medikamente verabreicht). Das bedeutet für die Pflegefachpersonen, den Spender weitgehend so zu pflegen wie lebende Patienten: Mundpflege, Wundpflege, die Pflege von Venen- und Blasenkathetern, Seitenlagerung etc. gehören in jedem Fall dazu.

Ärzte müssen Einverständnis abchecken 

Die zweite zwingende Voraussetzung für eine Organentnahme ist das Einverständnis des potenziellen Spenders oder seiner Angehörigen. Auch dies schreibt das Transplantationsgesetz vor. Wenn der Verstorbene keinen Organspendeausweis hat (und es auch keine Zustimmung in einer Patientenverfügung gibt), bittet der Arzt die Angehörigen in einem Gespräch an einem ungestörten Ort, um eine Entscheidung nach dem zu Lebzeiten mündlich geäußerten Willen des Verstorbenen oder nach dessen mutmaßlichem Willen (die Angehörigen können allerdings auch nach eigenen Wertvorstellungen entscheiden, wenn der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist). Das Gespräch findet am besten statt, sobald sich der IHA andeutet. Dann bleibt den Angehörigen mehr Zeit, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Wenn alles geklärt ist: sofort in den OP 

Von der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls bis zur Organentnahme vergeht idealerweise wenig Zeit. Meistens ist es Abend, wenn der Verstorbene in den OP-Saal geschoben wird. Zur gleichen Zeit werden die Empfänger (mehrere Empfänger, weil meistens auch mehrere Organe entnommen werden) in dem einen und dem anderen der 40 Transplantationszentren in Deutschland (oder in einem Transplantationszentrum innerhalb des Eurotransplant-Verbundes) auf den Eingriff vorbereitet.

Die Zeit im Blick beim Organtransport 

Der DSO-Koordinator hat die Organ-Transporte bereits in dem Augenblick organisiert, in dem feststand, wer die Empfänger sind. Die Organe werden mit einer konservierenden Flüssigkeit gespült und dann, geschützt in einem Beutel, vorsichtig in speziellen Transportkisten auf Eis gelagert. Die Art des Transports – ob mit dem (Charter-)Flugzeug, dem Auto oder in seltenen Fällen mit dem Hubschrauber – hängt vom Organ ab: Eine Niere behält bis zu 24 Stunden außerhalb des Körpers ihre Qualität, ein Herz nur vier Stunden bis maximal sechs Stunden.

Wenn die Operateure dem Spender die Organe entnommen haben, verschließen sie die Wunde wieder – ganz so wie bei jeder anderen OP auch. Der Verstorbene wird aus dem OP hinausgeschoben – sehr häufig in einen Abschiedsraum, in dem die Angehörigen würdevoll von ihrem geliebten Familienmitglied Abschied nehmen können.

Die DSO: Garant für einen reibungslosen Ablauf 

Blickt man von oben auf eine Organtransplantation, gerät man leicht ins Staunen: Was muss nicht alles aus dem Stand heraus klappen, damit sie erfolgreich verläuft: Parallel zum Ablauf einer Organspende in einem der rund 1.200 Entnahmekrankenhäuser müssen innerhalb weniger Stunden die vielen Parameter des Spenders abgeglichen werden mit denen der potenziellen Empfänger auf der Warteliste. Ist der passende Empfänger gefunden, muss er im Transplantationszentrum vorbereitet werden. Und genau dorthin muss dann auch das Spenderorgan transportiert werden.

Das entscheidende Bindeglied in diesem gesamten Prozess ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Sie ist nach dem Transplantationsgesetz damit beauftragt, die postmortale Organspende zu koordinieren. Ins deutsche Gesundheitssystem ist sie fest integriert: Ihre Aufgaben sind in Verträgen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und dem GKV-Spitzenverband festgelegt.

Die rund 80 Koordinatoren der DSO agieren nicht nur zwischen den Entnahmekrankenhäusern und den Transplantationszentren, sie sind auch Schnittstelle zu Eurotransplant: Dorthin übermitteln sie alle wichtigen Angaben zum Spender (unter anderem Blutgruppe, Gewebemerkmale, Ausschluss von Tumorerkrankungen, Infektionen). Eurotransplant in Leiden (Niederlande) ist die zentrale Stelle für die Vermittlung von Organen der Länder Österreich, Belgien, Kroatien, Deutschland, Ungarn, Luxemburg, Niederlande und Slowenien. Die 1969 gegründete Stiftung teilt die Organe nach rein medizinischen Kriterien zu, vor allem nach Dringlichkeit und Erfolgsaussichten. Die Richtlinien für die Vermittlung der Organe werden von der Bundesärztekammer (BÄK) erstellt.

Die DSO-Koordinatoren, alles Ärzte oder Pflegefachpersonen mit fundierter Erfahrung in der Intensivmedizin, kommen auf Wunsch auch ins Entnahmekrankenhaus, um etwa beim Angehörigengespräch zu unterstützen. Auch stellen sie bei Bedarf Kontakt her zu unabhängigen Fachärzten, die den irreversiblen Hirnfunktionsausfall nach den BÄK-Richtlinien diagnostizieren können.

Der Transplantationsbeauftragte: Ansprechpartner vor Ort 

Lange Zeit haben die Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekrankenhäusern ihre Aufgaben nebenbei ausgeführt. Doch seit 2019 werden sie abhängig von der Anzahl der Intensivbetten für einen gewissen Teil ihrer Arbeitszeit freigestellt. Dies sieht eine Änderung im Transplantationsgesetz vor, das die damalige Regierung in den Bundestag eingebracht hat, um die Zahl der Spender zu erhöhen. Auch deshalb heißt es jetzt unmissverständlich im Gesetz, den Transplantationsbeauftragten seien alle erforderlichen Informationen zur Auswertung des Spenderpotentials zur Verfügung zu stellen.

Vorbei ist außerdem das Einzelkämpfer-Dasein: Jetzt muss es für jede Intensivstation einen Transplantationsbeauftragten geben. Zu ihren Aufgaben zählt unter anderem, die Kollegen bei der Identifikation von potenziellen Organspendern (Stichwort Spendererkennung) zu unterstützen und im Falle einer konkreten Organspende den Prozess im Haus zusammen mit dem DSO-Koordinator zu steuern.

Bedrückend und tröstend: Verstorbene pflegen 

Alle kurativen Anstrengungen nützen nichts mehr, der Patient ist verstorben und wird zum Organspender – das ist auch für gestandene Pflegefachpersonen schwer zu begreifen. Tot und warm zugleich: Ist das ein Patient oder ein Verstorbener? Eindeutig ein Verstorbener, erklärt Stefan Klinck, Koordinator bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation, der oft vor Ort ist, wenn ein Krankenhaus einen Organspender meldet. Aber: Klinck behandelt den Toten würdevoll, spricht sogar mit ihm.

Danny Petzoldt sieht in der Pflege eines Spenders etwas Tröstliches: „Ein Mensch stirbt und ich pflege ihn weiter, um eventuell sieben Menschen das Leben zu retten oder deren Lebensqualität zu verbessern. So gesehen, ist die Pflege von Verstorbenen eine schöne, eine sinnvolle Aufgabe. Denn je besser ich den Spender pflege, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Empfänger ein gutes Outcome haben“, sagt der Intensivpfleger und Transplantationsbeauftragte der Uniklinik Leipzig.

Hört man den beiden Pflegefachpersonen zu, bekommt man den Eindruck, als helfe uns die Transplantationspflege von Grund auf, unsere Profession zu reflektieren.






Organtransplantation

Eintrag ins Organspende-Register zu kompliziert?

Anfang 2024 soll nun endlich das bundesweite Organspende-Register an den Start gehen. Doch einfach ist es in der Handhabung für Bürger nicht, meint die DSO. Und es gibt noch ein Problem: Erst zehn Prozent der Kliniken hätten einen Zugriff.

Veröffentlicht: 10.12.2023,

Frankfurt/Main. In einem zentralen Register können Bürger bald eintragen, ob sie einer Organspende zustimmen oder nicht. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) hätte sich gewünscht, dass der Zugang zu diesem Register ebenso einfach ist, wie einen Organspende-Ausweis auf Papier auszufüllen. Aus Datenschutzgründen wird das aber nicht möglich sein.

Den Grundgedanken des Registers hält die DSO für sehr gut: „Einen Ausweis kann man verlieren oder er wird nicht gefunden. Mit einem Register haben die Krankenhäuser einen verlässlichen Zugriff auf den erklärten Willen des Verstorbenen“, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, der Deutschen Presse-Agentur.

Damit sich möglichst viele Menschen dort eintragen, müsse das möglichst einfach sein. „Dem stehen aber hohe Anforderungen an den Datenschutz gegenüber“, sagte Rahmel. So muss man zum Beispiel eine App auf sein Handy oder seinen Rechner herunterladen und einen elektronischen Personalausweis mit PIN haben – „das ist nicht trivial“.

DSO-Vorstand Rahmel: Register muss auch beworben werden

Rahmel hofft, dass das Register beworben und der Zugang gut erklärt wird. „Dann kann das auch eine Chance sein, Organspende wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken und am Ende vielleicht die Zahl der Spender zu erhöhen.“ Die Erfahrungen in anderen Ländern seien sehr unterschiedlich: In den Niederlanden hat sich laut Rahmel jeder Zweite eingetragen, in Österreich ein Prozent.

Aber nicht nur potenzielle Spender, auch die Entnahme-Krankenhäuser müssen Zugang zu dem Register haben. Laut DSO läuft das eher schleppend an: Erst zehn Prozent der Kliniken hätten einen Zugriff. „Hier ist noch viel zu tun.“

Der Papier-Ausweis wird – als parallele Möglichkeit, seinen Willen kundzutun – ohnehin erhalten bleiben, wie Rahmel betont. Der Start der elektronischen Datenbank wurde mehrfach verschoben. Laut Bundesgesundheitsministerium ist die Einführung des Registers nun im ersten Quartal 2024 geplant. (dpa)




Organspende

Herztransplantationen: Kardiologen und Chirurgen loben G-BA für Vorgaben zu Mindestmengen

Herzmedizinische Fachgesellschaften begrüßen die Mindestmengenregelung des G-BA zu Herztransplantationen, sehen aber auch die Notwendigkeit der Widerspruchslösung bei der Organspende.

Veröffentlicht: 29.11.2023 

Düsseldorf/Berlin. Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) begrüßt das Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bezüglich der Mindestmengen für Zentren, die Herztransplantationen anbieten. Spenderherzen seien rar in Deutschland, so die DGTHG in einer Mitteilung vom Mittwoch. 

Auf eine Millionen Einwohner kämen nach aktuellem Stand nur rund zehn Organspender. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten, die ein neues Herz benötigten, könnten hierzulande nicht versorgt werden. Entsprechend sollten die wenigen, verfügbaren Spenderherzen von erfahrenen Fachleuten transplantiert werden. 

„Eine Klinik kann noch so gut ausgestattet sein. Am Ende ist der größte Erfolgsfaktor für eine Herztransplantation die Erfahrung interdisziplinärer und spezialisierter Transplantations-Teams“, positioniert sich DGTHG-Präsident Professor Volkmar Falk. Deshalb habe der G-BA die Leistungsmenge für Herztransplantationen als Mindestmenge festgelegt. Demnach sollen nach einer Übergangszeit ab 2026 nur noch Herzen in Kliniken mit mindestens zehn geplanten Eingriffen transplantiert werden.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK) befürwortet due G-BA-Vorgaben. DGK-Präsident Professor Holger Thiele sieht aber auch weiteren gesundheitspolitischen Handlungsbedarf: „Wenn wir mehr Leben retten wollen, brauchen wir in unserem Land neben anderen Maßnahmen sicherlich auch die Widerspruchslösung.“ (eb)



Mindener Tageblatt

Letzter Ausweg Organspende

Freitag, 24. November 2023 · Nr. 273 · KW 47 

Minden. Etwa 8.500 Menschen warten in Deutschland sehnsüchtig auf eine Organtransplantation.

Nicht alle überleben diese Wartezeit. Die 30-jährige Michaela Keiling hatte Glück, sie bekam kürzlich im Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeynhausen ein neues Herz eingesetzt. Bisher gilt bei uns: Wer nach dem Tod ein Organ spenden will, muss dem ausdrücklich zustimmen, etwa mit einem Spenderausweis. Die meisten Länder regeln das über die Widerspruchslösung. Am Freitag berät der

Bundesrat, wie künftig in Deutschland verfahren werden soll. 

Michaela Keiling hat mit 30 Jahren im HDZ ein Spenderherz bekommen. Sie musste nur 35 Tage warten, oft dauert es deutlich länger. Das liegt an der unzureichenden Regelung für Organspenden, sagen Ärzte. Wird der Bundesrat das heute ändern?

Minden/Bad Oeynhausen. Am 19. September kommt Michaela Keiling auf die Warteliste für ein neues Herz. Gerade einmal 30 Jahre alt ist sie, als sie im Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen aufgenommen wird. 35 Tage muss sie warten, bis das neue Spenderherz transplantiert wird. Während Keiling sich aktuell von den Folgen der Organtransplantation erholt, wird an diesem Freitag der Bundesrat auf Initiative des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU) über das Thema Widerspruchslösung bei der Organspende beraten. Deutschland setzt weiter auf die Entscheidungslösung. Patienten müssen ihren Willen demnach schriftlich festhalten, damit ihre Organe transplantiert werden dürfen.

„Das ist die schlechteste Lösung, die es gibt“, sagt Prof. Dr. Jan Gummert. Worauf der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums anspielt: Der Wille vieler Menschen, Organe spenden zu wollen, könne aktuell oft nicht berücksichtigt werden. Denn haben Verstorbene zu Lebzeiten ihren Willen nicht schriftlich festgehalten, zum Beispiel in einem Organspendeausweis, dann werden die Angehörigen gefragt, erklärt Gummert: „Die Allermeisten haben das mit ihren Angehörigen nie besprochen und sagen dann zur Sicherheit ,nein’“. 

Vor zwei Jahren plötzliche Schmerzen

Michaela Keiling hat Glück: Sie bekommt das Herz eines Menschen, der „Ja“ zur Organspende gesagt hat. Die 30-Jährige hat vor zwei Jahren plötzlich Schmerzen in der Brust – Fieber, ständiger Schüttelfrost, Anstrengungen sind nicht mehr möglich. Sie kann nicht mehr arbeiten. „Das war kurz nach meiner Coronaimpfung“, erinnert sie sich. Einen Zusammenhang mit der Impfung schließen die Medizinerinnen und Mediziner im HDZ jedoch aus. Vielmehr habe ein angeborener Herzdefekt zu der akuten Gesundheitsverschlechterung geführt, sagt der behandelnde Oberarzt Jan Fleischhauer.

Die Zeit drängt bereits, als sie einen Ärztemarathon hinter sich bringt. Zuerst geht sie zum Hausarzt, im Laufe der vergangenen zwei Jahre ist sie in mehreren Krankenhäusern, bekommt zahlreiche Untersuchungen. In der Zeit hat sie vom Sauerstoffmangel ständig blaue Lippen, erzählt sie. Im August 2023 wird sie dann im HDZ aufgenommen. Die Nachricht, dass sie ein Spenderherz braucht, erwischt sie kalt. „Ich wollte das anfangs gar nicht.“

Mit Organspende hat sie sich vorher nie befasst, ist unsicher gewesen. „Aber es gab ja keine andere Möglichkeit mehr.“ Dann hat sie sich mit ihrer Familie beraten und alles gelesen, was sie zur Organspende finden konnte – sogar ein Video von einer Transplantation geschaut. „Ich hab dem Arzt gesagt, ich könnte eigentlich auch mitoperieren.“ 

Ein Spenderherz kommt nach 35 Tagen

In der Zeit vor der Operation geht es ihr schlechter. Vor allem die Ungewissheit plagt sie. Denn wann ein passendes Organ zur Verfügung steht, ist immer unterschiedlich. „Manche warten eine Woche, manche auch mal Monate“, erzählt Anna Reiss, Pressesprecherin des HDZ. Patientinnen und Patienten in besserem Gesundheitszustand warten teils Jahre. Michaela Keiling hat Glück: Sie hat 35 Tage auf ihr neues Herz gewartet. Am 23. Oktober kommt die Nachricht, dass ein passendes Spenderherz verfügbar ist: „Ich war morgens im Bad und hab mir die Zähne geputzt, als Herr Fleischhauer geklopft hat und gefragt hat, was ich denn heute noch so vor hätte. Er hätte da eine Idee.“ Eine echte Überraschung. „Ich hab das erst gar nicht geglaubt.“ Dann ruft sie ihre Mutter an und macht sich für die OP fertig. Denn steht ein passendes Herz zur Verfügung, muss es schnell gehen: Etwa vier Stunden bleiben, bis ein Spenderherz transplantiert werden sollte.

Nach der Operation „war das ein anderes Aufwachen. Alle Probleme waren plötzlich weg.“ Sofort habe sie viel mehr Kraft verspürt. Bereits in einigen Tagen soll sie aus dem Krankenhaus in die Reha entlassen werden und wenn alles läuft wie geplant, wird Michaela Keiling kurz vor Weihnachten wieder zu Hause sein – „seit Februar war ich ja praktisch nur im Krankenhaus.“

Alltag mit neuem Herzen

Dann will sie erst einmal lernen, den Alltag mit ihrem neuen Herzen zu bestreiten: was sie essen darf und was nicht, und sie will lernen, sich Grenzen zu setzen. Sobald es geht, will sie wieder arbeiten – vor ihrer Erkrankung war sie bei der Post. Und auch wenn sie wegen ihres erhöhten Infektionsrisikos den Stall nicht mehr selbst ausmisten sollte: Ihre Ponys und die Hunde kann sie wohl auch bald wiedersehen. 

Der Fall von Michaela Keiling ist ungewöhnlich reibungslos verlaufen. Längst nicht jeder Patient, der auf ein Spenderorgan wartet, hat so viel Glück. Die Umfragewerte zur Organspendebereitschaft in Deutschland stehen eigentlich gut. Doch bei der Regelung sei vieles aufzuholen, findet Professor Gummert. Die zur Verfügung stehenden Organe sind knapp, lange Wartezeiten nicht ungewöhnlich.

Deutschland ist deshalb Mitglied im „Eurotransplant“-Verbund. Der koordiniert die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern. Das bedeutet, dass jemand, der in Deutschland auf ein Organ wartet, ein Spenderorgan aus einem anderen Land dieses Bundes bekommen kann, wenn der Patient oder die Patientin oben auf der Warteliste steht und in einem anderen Land ein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht. Auf diese Organe sei Deutschland angesichts des Mangels dringend angewiesen, sagt Gummert.

Doch gerade im Hinblick auf die anstehende Beratung im Bundesrat zur Organspende fällt dem Ärztlichen Direktor Gummert ein Detail negativ auf: Alle anderen sieben Länder im europäischen Verbund haben bereits die Widerspruchslösung eingeführt. „Wir akzeptieren die Organe aus Ländern mit Widerspruchslösung, wollen aber selbst eine solche Regelung nicht einführen – das finde ich moralisch katastrophal.“

Wann der Patient das Organ bekommt, hängt auch vom Gesundheitszustand ab. Je schlechter der Gesundheitsstatus der Betroffenen, umso weiter rutschen sie auf der Liste nach oben. Die Regelungen für die verschiedenen Organe im Körper sind unterschiedlich. Gummert kann für das Herz sprechen: „Manche Patienten warten jahrelang, weil die Herzschwäche noch nicht so stark ausgeprägt ist. Sie können sogar zu Hause auf ein Spenderherz warten“, erklärt Gummert. „Es ist aber sehr, sehr selten, dass diese Patienten ein Spenderorgan bekommen. Meist sind es solche Patienten, die in unserer Klinik mit höchstem Dringlichkeitsstatus auf ein Herz warten müssen“, sagt der Medizinprofessor. Diese Patienten müssen ständig überwacht und medikamentös behandelt werden.

Wie steht der Professor  zur Organspende?

Ob dann ein Organ zur Verfügung steht, hängt in Deutschland eben immer noch von einem schriftlich festgehaltenen Willen ab. Aber wie steht der Professor eigentlich zum Thema Organspende? Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende sei eine sehr individuelle, sagt Gummert. „Ich würde auch niemals versuchen, jemanden da in eine Richtung zu drängen.“ Viele Sorgen seien aber unbegründet. „Es braucht niemand Angst haben, dass eine Organspende bei jemandem durchgeführt wird, der noch am Leben ist. Das ist komplett ausgeschlossen“, versichert er. Strikte Voraussetzung für die Entnahme eines Spenderherzens ist der fachärztlich nachgewiesene Hirntod. Das bedeutet, dass nur intensivmedizinische Maßnahmen das Herz-Kreislauf-System des Verstorbenen noch aufrechterhalten. Der Hirntod muss unabhängig voneinander von mindestens zwei Ärzten bestätigt werden. „Niemand muss in Deutschland Sorge haben, dass Geräte zu früh abgestellt werden. Das wird niemals passieren“.

Bedenken sind oft unbegründet

Auch Bedenken, ob jemand zum Beispiel aufgrund seines hohen Alters überhaupt noch als Organspender infrage kommt, seien unbegründet. Eine Altersgrenze gebe es nicht. Grundsätzlich komme jeder gesunde Mensch als Organspender in Frage. Organe werden vor einer Transplantation aber immer untersucht. Wenn sie dafür dann doch nicht infrage kommen, können sich Ärzte immer noch gegen eine Transplantation entscheiden.

Im aktuellen System der Entscheidungslösung sieht Gummert keine Möglichkeiten mehr, die Spendenbereitschaft zu erhöhen: „Es gibt seit Jahrzehnten immer wieder Kampagnen“, das habe bisher nichts gebracht. Die Zahl der Organspenden sei weiterhin konstant niedrig. 

Organ für viele die letzte Möglichkeit

Dabei ist ein Spenderorgan für viele Menschen die letzte Überlebenschance und wird erst dann in Betracht gezogen, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Behandlung ausgeschöpft sind. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation standen Ende vergangenen Jahres – das sind die aktuellsten Zahlen – 699 Menschen auf der Warteliste für ein neues Herz. Dabei ist die Zahl der Menschen, die ein neues Herz benötigen noch vergleichsweise gering: fast 6.700 Menschen warteten zum selben Zeitpunkt auf eine neue Niere. „Und die Zahl klingt besser als sie ist, weil in der Realität viele Kliniken auch nicht mehr so viele Menschen melden. Einfach, weil die Chance, zeitnah ein lebenswichtiges Spenderorgan zu bekommen, so gering ist“, betont Gummert.

Sein Wunsch: „Die Widerspruchslösung im Deutschlandtempo einführen. Aber im echten Deutschlandtempo. Also innerhalb von einem Jahr.“ Ob das realistisch ist? „Ich fürchte nein. Aber es wäre so simpel es einzuführen. Es würde nichts kosten. Man könnte mit relativ wenig Aufwand viele Menschenleben retten.“ 

Der Autor ist erreichbar unter Joel.Blank@MT.de

Quelle: Annette Zoepf/epd/ 








Transplantationen: Bundesländer fordern Widerspruchslösung bei Organspenden 

In Deutschland gibt es zu wenig Organspender. Bisher muss man einer Spende zu Lebzeiten ausdrücklich zustimmen. Drei Bundesländer wollen das mit einer Initiative ändern.

24.November 2023, 14:11 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, KNA, lie

   

Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen wollen mit einer neuen Initiative die Zahl der Organspenden erhöhen. Dazu stellten sie im Bundesrat einen Entschließungsantrag vor, mit dem sie die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf zur sogenannten Widerspruchslösung im Transplantationsrecht vorzulegen. Nun beraten die Fachausschüsse über die Vorlage. 

Bei der Widerspruchslösung gilt grundsätzlich jeder Mensch nach einem Hirntod als Organspender, sofern er dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Nach derzeit geltendem Recht muss jeder Mensch hingegen einer Spende zu Lebzeiten ausdrücklich zustimmen. Falls keine schriftliche Erklärung vorliegt, können auch die Angehörigen in seinem Sinne zustimmen. 

Erst 2020 hatte der Bundestag ein Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende beschlossen. Ein Gesetzentwurf für die Widerspruchslösung fand seinerzeit keine Mehrheit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Forderung nach einer Widerspruchslösung damals mitgetragen und begrüßt die neue Länderinitiative. 

Minister kritisieren "beschämend niedriges Niveau" bei Organspenden

Die Zahl der Spender gilt in Deutschland seit Jahren als zu niedrig. Im vergangenen Jahr war sie noch einmal deutlich gesunken auf 869 Organspender bundesweit – das waren fast sieben Prozent weniger als 2021. In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat sich die Statistik allerdings wieder dem Niveau der Vorjahre angenähert. Von Januar bis April 2023 gab es bundesweit 311 Organspender, zudem konnten 954 Organe für eine Transplantation gemeldet werden. 

Aus Sicht der Gesundheitsminister der Länder ist Zahl aber immer noch viel zu gering. Die Spenderzahlen seien nicht akzeptabel, sagte der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU). Derzeit warteten 8.500 Menschen auf ein Organ. Die geltende Lösung sei damit gescheitert. 

Patientenschützer fordern selbstbestimmte Entscheidung

Auch der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Manfred Lucha (Grüne), kritisierte, dass die Zahl der Organspenden seit zehn Jahren auf einem "beschämend niedrigen Niveau" stagniere. Sein hessischer Amtskollege Kai Klose (Grüne) sagte, dass die in Umfragen bekundete hohe Spendenbereitschaft im Widerspruch zu den tatsächlichen Spenden stehe. Deshalb brauche es eine neue Regelung. Klose verlangte zugleich ein zentrales Register zur Organspende und bessere Strukturen.

Patientenschützer hingegen hatten den Vorstoß der Länder bereits deutlich zurückgewiesen. "An der Idee festzuhalten, dass Schweigen Zustimmung heißt, erweist den Kranken auf der Warteliste einen Bärendienst", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen die Organspende sei "nur durch neutrale, ergebnisoffene und umfassende Aufklärung möglich". 







Taz

9.11.2023


Organspende von Tieren: Ein Herz aus Schwein 

Mit Tierorganen den Mangel an Spendeorganen beheben? Bei Versuchen mit Schweineherzen ging das mehrere Monate gut. Das macht Hoffnung.

Noch vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen: das Herz eines Schweins in einem menschlichen Körper. Nun bekamen zwei Patienten, David Bennett und Lawrence Faucette, Anfang 2022 und im September 2023 so ein Organ. Beide litten an Herzerkrankungen im Endstadium. Andere Therapien kamen für sie nicht mehr infrage. Deshalb genehmigte die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) die Eingriffe als Heilversuch.

Anfangs nahmen die Patienten das Herz gut an, erholten sich, machten eine Physiotherapie und verbrachten Zeit mit ihren Familien. Dann aber verschlechterte sich ihr Zustand. Zwei Monate nach der Operation verstarb David Bennett, Lawrence Faucette lebte knapp sechs Wochen mit dem Schweineherz.

Beide hatten nicht damit gerechnet, viel Lebenszeit zu gewinnen. So bekamen sie immerhin ein paar zusätzliche Wochen mit ihren Familien. Zudem war es ihnen wichtig, die Forschung zu solchen Transplantationen von Tier zu Mensch, genannt Xenotransplantationen, voranzubringen.

„Herrn Faucettes letzter Wunsch war, dass wir das Beste aus dem machen, was wir aus dieser Erfahrung gelernt haben, sodass andere eine Chance auf ein neues Herz haben, wenn kein menschliches Organ verfügbar ist“, heißt es in der Pressemitteilung der University of Maryland.

Ein Meilenstein

Fachleute sehen in den Operationen einen Meilenstein in der Transplantationsforschung. So auch Heiner Niemann von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Als 1967 in Kapstadt in Südafrika das erste menschliche Herz transplantiert wurde, hat der Patient nur 18 Tage überlebt, heute leben Menschen teils 25 Jahre mit einem neuen Herz.“

Solche Fortschritte benötigten Zeit, doch die ersten Schritte seien vielversprechend. Niemann war als Leiter des Instituts für Nutztiergenetik in Mariensee an der Produktion genetisch veränderter Schweine beteiligt, die als Grundlage für die heutigen Xeno-Tiere dienten.

Es fehlen Organe

In den 80er Jahren hatte es bereits einmal einen ähnlichen Versuch gegeben. Damals erhielt ein kleines Mädchen mit einem tödlichen Herzfehler ein Pavianherz. Sie starb nach 21 Tagen, weil das Immunsystem das fremde Organ angriff. Heutzutage sollen genetische Veränderungen eine Abstoßung der Schweineherzen verhindern.

Schweineherzen eignen sich für die Transplantation gut, weil sie viele genetische, anatomische und physiologische Eigenschaften mit dem Menschen teilen. Gleichzeitig gibt es mittlerweile gute Methoden, um die Tiere zu modifizieren: Für die Transplantationen in Baltimore waren die Schweineherzen an insgesamt 10 Stellen im genetischen Code verändert.

Die Firma Revivicor, von der die Spenderschweine stammten, hatte drei Gene ausgeschaltet, die für eine schnelle Abstoßung durch menschliche Antikörper gesorgt hätten. Ein weiteres Gen wurde inaktiviert, um zu verhindern, dass das Herz zu stark wächst. Zusätzlich verfügten die veränderten Tiere über sechs menschliche Gene, damit das Immunsystem der Patienten das Organ besser annimmt. „Diese Gene verringern beispielsweise Entzündungen und helfen, die Blutgerinnung zu steuern“, erklärt Niemann.

Von solch großer Bedeutung sind die Versuche, weil viel zu wenig menschliche Spenderorgane vorhanden sind. In der EU waren laut der Europäischen Kommission Ende 2021 52.000 Patienten auf der Warteliste für eine Organtransplantation, während im ganzen Jahr 2021 nur etwas mehr als 26.000 Transplantationen stattfanden, davon gut 2.000 Herzen. Viele Menschen sterben, bevor sie ein neues Organ bekommen können.

Als Übergangslösung können derzeit etwa Kunstherzen oder eine mechanische Kreislaufunterstützung verwendet werden. Allerdings haben auch diese Technologien ihre Grenzen. Hier könnten die Xenotransplantationen in Spiel kommen. „Ich glaube, dass tierische Organe zunächst vor allem zur Überbrückung hilfreich sein werden, wenn kein geeignetes menschliches Organ zur Verfügung steht“, sagt Niemann.

Auch das Erbgut muss genetisch verändert werden

Noch müssen viele weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Vom ersten Versuch hat das Team aus Baltimore bereits gelernt. Denn es stellte sich heraus, dass ein Virusinfekt durch das porcine Cytomegalovirus (PCMV) im Spenderherz unentdeckt geblieben war.

„Nach der Transplantation konnte das Virus sich im Schweineherz ungezügelt vermehren, da es nicht mehr vom Immunsystem des Schweins in Schach gehalten wurde“, sagt Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Ob das Virus für den Tod des Patienten verantwortlich war, ist nicht abschließend geklärt. Doch in Studien mit Primaten hatte das PCMV zu einer deutlichen Verkürzung der Lebensdauer der Organe geführt.

Immerhin: Eine solche Virenübertragung dürfte in Zukunft vermeidbar sein. „Der Fehler lag in der Diagnostik“, so der Tiermediziner Niemann. „Mit sensitiveren Methoden, die wir auch in Deutschland nutzen, kann so eine Übertragung ausgeschlossen werden.“ Denn es gilt: Je höher die Sensitivität einer Methode, desto eher werden auch Viren entdeckt, die das Immunsystem des Schweins gerade noch in Schach hält und die deshalb nur in geringen Mengen vorhanden sind.

Es gibt zudem Viren, die ihre Gene in das Erbgut der Schweine eingebaut haben, die sogenannten porcinen endogenen Retroviren (PERV). Für die Transplantation sollten sie jedoch kein großes Problem darstellen, erklärt Niemann. „Man kann sie mithilfe von CRISPR-Cas herausschneiden, dann ist sichergestellt, dass keine Infektions- und Krankheitsgefahr besteht.“ Die CRISPR-Cas-Methode wird allgemein als Genschere bezeichnet, weil damit sehr gezielt bestimmte Stellen im Erbgut modifiziert werden können.

Auch wenn viele Probleme lösbar sind, werden Organspenden von Schweineherzen in nächster Zeit noch eine Seltenheit bleiben. „Die Heilversuche reichen natürlich nicht aus, um solche Transplantationen in den medizinischen Alltag zu bekommen“, sagt Niemann. „Dafür müssen zuerst klinische Studien durchgeführt werden. Vor allem in den USA werden solche Vorhaben jetzt beantragt.“ Aber auch in Deutschland werde es wohl in absehbarer Zeit klinische Versuche geben, schätzt Niemann.

Die Hoffnung mancher Forschenden ist hoch

Sollte es zu einer Zulassung der Methode kommen, gibt es weitere Hürden, etwa finanzielle: Noch sind die Herstellung und Haltung der genetisch veränderten Schweine, sowie die Prozedur selbst, eine teure Angelegenheit. Die Xenotransplantation wird deshalb vermutlich zunächst auf wohlhabende Industrienationen begrenzt sein. Möglicherweise kann sich das aber ändern, wenn etwa Transplantationen von Schweineherzen häufiger werden.

„Aber auch die Transplantation menschlicher Organe, eine intensivmedizinische Versorgung oder regelmäßige Dialyse kosten viel Geld“, gibt Niemann zu bedenken. Die finanzielle Frage könnte also weit weniger ins Gewicht fallen, als es auf den ersten Blick erscheint.

Die Hoffnung mancher Forschenden ist jedenfalls hoch: So sieht Uta Dahmen, Leiterin der Experimentellen Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Jena, in der Xenotransplantation eine mögliche Lösung des Organmangeldilemmas: „Theoretisch könnte allen Patienten, die ein Organ benötigen, ein solches mit gleichbleibender hoher Qualität angeboten werden.“ Das löse die ethische Frage, welcher Patient aus welchem Grund ein Organ bekommt, und für wen die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen. Dieses Szenario liegt aber wohl noch in weiter Zukunft.





Berliner Zeitung

9.11.2023

Ärzte transplantieren erstmals komplettes Auge

Amerikanischen Ärzten ist es zum ersten Mal gelungen, ein ganzes Auge zu transplantieren. Ob der Patient damit wird sehen können, steht aber noch nicht fest.

Medizinern in den USA ist nach eigenen Angaben weltweit erstmals die Transplantation eines kompletten Auges gelungen. Unklar ist allerdings, ob der Patient mit dem Auge jemals wird sehen können, wie das Ärzteteam des New Yorker Universitätskrankenhauses NYU Langone Health am Donnerstag mitteilte. Seit der 21-stündigen Operation vom vergangenen Mai habe das transplantierte Auge aber „bemerkenswerte Zeichen der Gesundheit“ gezeigt, einschließlich einer Blutversorgung der Netzhaut.

Die Klinik sprach deswegen von einem „bahnbrechenden“ Erfolg in der Transplantationsmedizin. Auch nicht an dem Eingriff beteiligte Mediziner würdigten die Operation als wichtigen Fortschritt. Der Patient Aaron James hatte 2021 bei einem Arbeitsunfall einen 7200 Volt starken Stromschlag erlitten, als er mit seinem Gesicht eine Stromleitung berührte. Er verlor dabei sein linkes Auge, Teile seines Gesichts und Teile seines linken Arms.

Chirurgen transplantierten dem 46-Jährigen nun das linke Auge und Teile des Gesichts eines verstorbenen Spenders. An der Operation waren nach Angaben der Uni-Klinik mehr als 140 Chirurgen und weitere medizinische Mitarbeiter beteiligt.

Sehnerv ist durchtrennt – ob die Sehfähigkeit wiederhergestellt wird, ist offen

Während Transplantationen der Augenhornhaut seit langer Zeit ein gängiger Eingriff sind, war die Transplantation eines ganzen Auges bislang noch nie gelungen. Offen ist allerdings, ob durch einen solchen Eingriff die Sehfähigkeit wieder hergestellt werden kann, weil der Sehnerv mit seinen rund einer Million Nervenfasern durchtrennt ist.

Mediziner würdigten am Donnerstag dennoch die Transplantation in New York. „Das ist eine riesige Sache“, sagte die Chirurgie-Professorin Kia Washington von der Universität des Bundesstaates Colorado der Nachrichtenagentur AFP. Angesichts der seit der Operation vergangenen Zeit gehe sie zwar nicht davon aus, dass der Patient jemals mit dem Auge werde sehen können. „Aber ich sage nie, dass etwas unmöglich ist.“

Daniel Pelaez von der Universität Miami sprach gegenüber AFP von einem „Schlüssel-Moment“ bei den Versuchen, Menschen das Augenlicht wiederzugeben. „Das gibt zahlreichen Menschen weltweit Hoffnung.“

Mediziner forschen bereits dazu, wie der Sehnerv wieder hergestellt werden könnte, etwa durch Gentherapie. Untersucht wird auch, ob eine Verbindung zwischen Auge und Gehirn unter Umgehung des zerstörten Sehnervs hergestellt werden könnte. „Wir machen große Fortschritte bei Behandlungen, um eine Regeneration des Sehnervs zu erreichen, die eine Augentransplantation begleiten könnte“, sagte Jeffrey Goldberg von der Stanford-Universität AFP.






Herztransplantation: 

Zweiter Patient nach Schweineherztransplantation gestorben

Zum zweiten Mal hatten Mediziner einem Patienten erfolgreich ein Schweineherz transplantiert. Zunächst reagierte der Körper des Mannes gut auf das Organ, nun ist er tot. 

1. November 2023,

Sechs Wochen nach der zweiten erfolgreichen Transplantation eines genetisch veränderten Schweineherzens im US-Bundesstaat Maryland ist der Patient gestorben. Der 58-jährigen Marineveteran Lawrence Faucette sei bereits seit Montag tot, teilten die behandelnden Ärzte mit.

Faucette hatte an einem lebensbedrohlichen Herzfehler gelitten, war jedoch für eine herkömmliche Herztransplantation nicht infrage gekommen. Am 20. September wurde ihm schließlich ein Schweineherz eingesetzt

In den ersten vier Wochen nach der Operation habe sein Herz noch gesund gewirkt, teilte die Uniklinik mit. Noch Mitte Oktober berichtete sie, dass er stehen könne. Doch hatte Faucettes Herz zuletzt Abstoßungsreaktionen gezeigt, berichteten die Mediziner. Nach seinem Tod versicherte der an dem Experiment beteiligte Herzchirurg Muhammad Mohiuddin, sein Team werde analysieren, was mit dem Herzen geschehen sei.  

Faucettes Frau Anne ließ über die Universitätsklinik ebenfalls eine Erklärung veröffentlichen. Ihr Ehemann habe "gewusst, dass seine Zeit mit uns kurz sein" würde. "Er hätte sich niemals träumen lassen, dass er so lange überleben würde."     

Genetisch verändertes Schweineherz

Faucette war der zweite Mensch, dem ein Schweineherz transplantiert worden ist. Das Team aus Maryland hatte im vergangenen Jahr die weltweit erste Transplantation dieser Art gewagt. Der Patient David Bennett überlebte nur zwei Monate. Das Herz versagte aus nicht ganz geklärten Gründen. Es wurden Anzeichen eines Schweinevirus im Inneren des Organs gefunden. Für den Versuch mit Faucette waren unter anderem die Virustests verbessert worden. 

Versuche von Organtransplantationen von Tieren auf Menschen – sogenannte Xenotransplantationen – sind jahrzehntelang gescheitert, weil das Immunsystem des Menschen das fremde Gewebe sofort zerstörte. Das Schwein, von dem das Herz stammte, war deshalb genetisch verändert worden. So eliminierten Fachleute ein Gen, das einen bestimmten Zucker bildet und so die starke Immunreaktion beim Patienten auslöst. Ein weiteres Gen, das Gewebe übermäßig wachsen lässt, schalteten sie ebenfalls aus.

Tierische Organe sollen künftig Leben retten

Mediziner streben seit Jahrzehnten danach, tierische Organe für lebensrettende Transplantationen zu nutzen. Frühere Versuche scheiterten, vor allem weil der Körper der Patienten das tierische Organ rasch abstieß. So lebte 1984 ein Säugling 21 Tage lang mit dem Herzen eines Pavians, danach wurden entsprechende Versuche weitgehend eingestellt. 

Bei Spenderorganen gibt es massive Engpässe. Im vergangenen Jahr gab es etwa in den USA nur mehr als 4.100 Herztransplantationen, wobei es sich dabei um einen Höchstwert handelte. Zugleich ist das Angebot an Spenderorganen derart knapp, dass nur jene Patienten mit der größten Überlebenschance in der Regel den Zuschlag bekommen. Wissenschaftler hoffen, dass Xenotransplantate eines Tages den großen Mangel an menschlichen Organspenden ausgleichen können. 






Mindener Tageblatt vom 31.10.2023



Neuer Vorstoß für Organspende

NRW will Bürger automatisch zu Spendern machen. Gesundheitsminister Laumann wirbt

für die sogenannte Widerspruchsregelung und bekommt dafür Zuspruch, aber auch Kritik.


Mareike Köstermeyer

Bielefeld. Nordrhein-Westfalen will im November über den Bundesrat einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung bei der Organspende starten. „Ich bin derzeit dabei, bei den anderen Ländern dafür zu werben, sich diesem Vorhaben anzuschließen“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der von einem drängenden Problem sprach. Mehr als 8.000 Patientinnen

und Patienten warteten in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan.

Doch im Vergleich zum Vorjahr habe es 2022 bundesweit 6,9 Prozent weniger Spenden gegeben. In Nordrhein-Westfalen waren es sogar 18 Prozent weniger.

Durch die erweiterte Zustimmungsregelung, die in Deutschland derzeit für Organspenden gilt, kommen nur Menschen, die sich beispielsweise in Form eines Ausweises aktiv dafür entschieden haben, als Spender infrage.

Mit der sogenannten Widerspruchslösung werden Menschen, die zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben, im Falle eines Hirntods automatisch zu Organspendern.

Diese Regelung gilt bereits in anderen europäischen Ländern wie Österreich oder Italien. Kritiker sehen darin einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte.

Angesichts der angespannten Lage durch stagnierende Spenderzahlen sei der Vorstoß gerechtfertigt, meint Friedhelm Bach, Transplantationsbeauftragter im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld (EvKB). Mit bis zu 900 Organspenden pro Jahr sei Deutschland im Europavergleich das Schlusslicht. Über acht Jahre warten Patienten laut Alexander Weidemann vom St.-Vincenz Krankenhaus in Paderborn durchschnittlich auf eine Nierentransplantation. „Die Zahlen müssen dringend verbessert werden.“ Zuletzt hatte der Bundestag 2020 gegen eine Einführung der Widerspruchslösung gestimmt. Dieses Mal hoffen die Initiatoren auf mehr Unterstützung. „Wir haben unterhalb der Widerspruchslösung wirklich alles gemacht: Werbung, Ansprache durch die Hausärzte, all dies passiert doch längst und schlägt sich nicht in höheren Zahlen nieder“, sagte Minister Laumann. Man wolle dem Bundestag empfehlen, das Verfahren so zu gestalten, dass die Hinterbliebenen am Ende auch noch widersprechen könnten. Für ihn sei aber klar: „Ich finde, wir können und sollten die Entscheidung, ob man spenden möchte oder nicht, erwachsenen Menschen durchaus zumuten“.


Kommentar


Deutschland braucht eine andere Lösung

Thema: NRW plant Initiative zur Widerspruchslösung

MAREIKE KÖSTERMEYER


Mehr als 8.000 Patienten warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Weil die Anzahl gespendeter Organe hierzulande seit Jahren rückläufig ist, plant NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann im Bundesrat einen neuen Anlauf für eine Widerspruchsregelung. Ein wichtiger Vorstoß, denn die bisher geltende erweiterte Zustimmungsregelung ist überholt.

In vielen europäischen Ländern, darunter Spanien, Österreich, Italien und Portugal, ist die Widerspruchsregelung längst Realität. Wer zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, wird dort im Fall eines Hirntods automatisch zum Organspender. Angehörige können allerdings noch ein Veto einlegen. Noch einen Schritt weiter gehen die Regelungen in Schweden und Frankreich. Dort werden Angehörige eines Spenders vor der Organ-Entnahme lediglich informiert, widersprechen können sie jedoch nicht.

Dass Deutschland etwas ändern muss, ist offensichtlich. An Organspenden mangelt es schon lange, inzwischen ist Deutschland europaweit das Schlusslicht. Werbung oder Ansprache durch die Hausärzte sollten mehr Menschen zu Spendern machen. Doch gewirkt haben die Bemühungen nicht. Das ist zum Nachteil derjenigen, die auf ein Organ warten –nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Denn als Mitglied der Stiftung Eurotransplant, die als Service-Organisation für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Mitgliedsländern verantwortlich ist, profitiert Deutschland von den Widerspruchsregelungen anderer Länder.

Deutschland sollte es ihnen im Hinblick auf die gesetzliche Regelung gleich tun. Durch eine Widerspruchslösung sind die Menschen dazu aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen. Diese darf aber nicht in Stein gemeißelt sein, weswegen eine erweiterte Widerspruchslösung, bei der Angehörige auch nach dem Hirntod noch widersprechen können, ein guter Kompromiss wäre.

mareike.koestermeyer@ihr-kommentar.de






Nordrhein-Westfalen will neuen Anlauf für Widerspruchslösung

Montag, 30. Oktober 2023

Düsseldorf – Nordrhein-Westfalen (NRW) will einen neuen Anlauf nehmen, um eine Widerspruchslösung bei der Organspende durchzusetzen. Das kündigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einem Interview der Rheinischen Post an.

„Wir müssen das Thema Widerspruchslösung dringend angehen“, sagte er. Man habe dazu jüngst einen ent­sprechenden Kabinettsbeschluss gefällt. NRW will Laumann zufolge im November eine entsprechende Initia­tive in den Bundesrat einbringen. „Ich bin derzeit dabei, bei den anderen Ländern dafür zu werben, sich diesem Vorhaben anzuschließen.“

Bei der Widerspruchslösung müssen Menschen einer Organspende zu Lebzeiten widersprechen, sofern sie diese ausdrücklich nicht wollen. Ansonsten würden sie, sofern alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind, nach einem Hirntod als potenzielle Organspender gelten.

Laumann erläuterte, wenn man sich die objektiven Zahlen anschaue, werde die Dringlichkeit deutlich. „Mehr als 8.000 Patienten warten derzeit auf ein Organ. Zugleich haben wir die schlechtesten Entnahmezahlen seit vielen Jahren“, betonte er.

Die Organspenden in NRW seien im Bundesvergleich besonders zurückgegangen: 2022 gab es im Vergleich zum Vorjahr dem Gesundheitsminister zufolge bundesweit 6,9 Prozent weniger Spenden. In NRW seien es 18 Prozent weniger gewesen.

„Und wir haben unterhalb der Widerspruchslösung wirklich alles gemacht, was man tun konnte: Werbung, Ansprache durch die Hausärzte, all dies passiert doch längst und schlägt sich nicht in höheren Zahlen nieder“, sagte Laumann. „Wir sind wirklich eines der wenigen Länder in Europa, das sich da derart sperrt.“ Länder mit Widerspruchslösung seien da messbar besser unterwegs.

Mit Blick auf mögliche Widerstände unterstrich der Minister: „Wenn ein Mensch sagt: ‚Ich möchte das nicht.‘ Dann ist das völlig legitim und überhaupt nicht zu kritisieren.“

Im Rahmen der Initiative des Bundesrates werde man dem Bundestag empfehlen, dass Verfahren so zu ge­stal­ten, dass die Hinterbliebenen am Ende auch noch widersprechen könnten.

„Aber Organspenden retten das Leben der Empfängerinnen und Empfänger“, sagte Laumann. „Ich finde, wir können und sollten die Entscheidung, ob man spenden möchte oder nicht, erwachsenen Menschen durchaus zumuten.“ © kna/aerzteblatt.de





Pressemitteilungen

27.10.2023 – Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie 

Europa-Premiere: Neue biologische Mitralklappenprothese verspricht längere Haltbarkeit

Prof. Dr. Jan Gummert und sein Team setzen einem 56-jährigem Patienten erstmals eine biologische Herzklappe ein, die dank neuer Technologie besser als bisher vor Kalkablagerungen schützen soll.

Europa-Premiere am HDZ NRW, Bad Oeynhausen: Prof. Dr. Jan Gummert und sein Team setzen 56-jährigem Patienten erstmals eine biologische Herzklappe ein, die dank neuer Technologie besser als bisher vor Kalkablagerungen schützen soll.


„Das oberste Ziel aus herzchirurgischer Sicht ist es immer, eine erkrankte Herzklappe zu reparieren“, sagt Professor Dr. Jan Gummert, Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen. „Es gibt jedoch viele Patienten, bei denen die Klappe ersetzt werden muss.“

In einer solchen Situation wünschen sich die meisten Patienten eine biologische Klappe, um eine lebenslang notwendige Therapie mit gerinnungshemmenden Medikamenten zu vermeiden. Eine lange Lebensdauer einer biologischen Klappe ist daher von besonderer Bedeutung. Für den Ersatz der Mitralklappe steht mit dem jetzt erstmals in Europa am HDZ NRW erfolgreich durchgeführten Eingriff eine neue Bioprothese zur Verfügung, die Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung in der langfristigen Versorgung der betroffenen Patientinnen und Patienten macht.

„Unsere Erfahrungen zeigen, dass biologische Herzklappen zwar viele Jahre halten, es aber dennoch in aller Regel nach zehn bis 15 Jahren zu Verschleißerscheinungen kommen kann, so dass die Klappe ausgetauscht werden muss“, erläutert Gummert. Wissenschaftliche Studien beschäftigen sich daher seit geraumer Zeit mit den Verbesserungsmöglichkeiten des biologischen Klappengewebes, um Ablagerungen zu verringern und damit dauerhaft einen ungestörten Blutfluss sicherzustellen.

Die von Prof. Gummert und seinem Team implantierte Mitralklappe (Hersteller: Edwards Lifesciences) wird bereits seit 2022 in den USA eingesetzt. Sie besteht aus einem neuartigen, sogenannten Resilia-Rinderperikardgewebe, dessen chemische Eigenschaften den Kalzifizierungs- und Degenerationsprozess im Tierversuch nachweislich besser aufhalten können als bisher verwendetes Gewebe. Bei Aortenklappenpatienten werden Prothesen mit Resilia-Gewebe bereits seit einiger Zeit bei ausgewählten Patientengruppen genutzt. „Natürlich gilt es nun, Langzeitdaten für weitere Erkenntnisse zu sammeln“, betont Gummert. „Die bisherigen Ergebnisse bei Patienten sind auf jeden Fall ermutigend.“

Prof. Gummert im Video: https://youtu.be/6wWjGmb37_k


Hintergrundinformation:

Die Mitralklappe befindet sich auf der linken Seite des Herzens zwischen der linken Herzkammer und dem linken Vorhof. Sie funktioniert wie ein Ventil, öffnet sich in der Füllungsphase der linken Herzkammer und schließt sich zu Beginn der Auswurfphase, sobald die linke Herzkammer das Blut in den Körper pumpt. Alle Bestandteile der Klappe können erkranken und die Klappe in ihrer Funktion so stark beeinträchtigen, dass eine Rekonstruktion nicht mehr möglich und ein Klappenersatz notwendig ist.

Bei einer hochgradigen Mitralklappenschwäche steht in den meisten Fällen eine herzchirurgische Operation an. Ist das individuelle Risiko aufgrund des Alters oder aufgrund von Begleiterkrankungen jedoch zu hoch, kann ein kathetergestütztes Verfahren empfohlen werden.

Die neue Herzklappe besteht aus innovativem Rinderperikardgewebe mit einer Nitinoldrahtform, die es ihr ermöglicht, sich während der Implantation nach innen zu entfalten. Sie ist unter Röntgenstrahlung sichtbar.

Quellen: hdz-nrw.de, Edwards Lifesciences


Weitere Informationen:

Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leitung: Anna Reiss
Georgstr. 11
32545 Bad Oeynhausen
Tel. 05731 97-1955
Fax 05731 97-2028

E-Mail: info@hdz-nrw.de 




Pressemitteilungen


26.10.2023 – 

Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie 

Herzwochen 2023: Neue Medizintechnik zur Therapie von Herzrhythmusstörungen

NRW-Premiere: Bad Oeynhausener Herzspezialisten setzen erstmals einen Einkammer-Defibrillator mit Elektrode außerhalb des Herzens ein, der auch über eine Stimulationsfunktion verfügt. 

Zur Behandlung von schweren Herzrhythmusstörungen in Verbindung mit Herzstillstand haben die Herzspezialisten PD Dr. Guram Imnadze und Dr. Thomas Eitz am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, erstmals einem Patienten ein weltweit neuartiges Defibrillator-System mit außerhalb des Herzens liegender Elektrode und zusätzlicher Stimulationsfunktion eingesetzt.

„Für bestimmte Patientengruppen ist dieses neue System eine gute Alternative zu den bisherigen implantierbaren Defibrillatoren, die unseren Patientinnen und Patienten bereits eine hohe Sicherheit bieten, um einen drohenden Herzstillstand zu vermeiden und im Notfall mit der Auslösung eines elektrischen Schocks zu begegnen“, erläutert Prof. Dr. Philipp Sommer, Klinikdirektor der Klinik für Elektrophysiologie/Rhythmologie am HDZ NRW, unter dessen Leitung der erstmalige Einsatz der neuen Medizintechnik in Nordrhein-Westfalen erfolgreich durchgeführt wurde. Das 6,4x5,1x1,3 Zentimeter kleine und 77 Gramm leichte System wird unterhalb der linken Achselhöhle unter der Haut implantiert. Eine Vollnarkose ist in aller Regel nicht notwendig.

Elektrische Stimulation korrigiert die Herzfrequenz

Im Unterschied zu bisherigen extrakardialen Systemen kann die neue Defibrillator-Generation namens Aurora EV-ICD (Hersteller: Medtronic) dank einer Stimulations-Funktion erstmals auch kleine Pausen und kurze Aussetzer des Herzschlags behandeln. Wie ein Schrittmacher sendet das Gerät dann elektrische Impulse an das Herz, um die Herzfrequenz zu korrigieren und den oft gefürchteten schmerzhaften Schock zu vermeiden.

Bei einem zu schnellen oder unregelmäßigen Herzrhythmus kann das System zunächst einmal kleine elektrische Signale senden, um die Herzfrequenz zu korrigieren und einen schmerzhaften Schock zu vermeiden. 

Nur wenn der unregelmäßige Herzrhythmus anhält, stellt das Gerät durch eine Defibrillation den normalen Herzrhythmus wieder her und verfügt darüber hinaus als einziger extravaskulärer Defibrillator zusätzlich über eine Stimulations-Funktion. Dadurch kann der neue Einkammer-Defibrillator auch Pausen des Herzschlages behandeln. Dabei werden elektrische Impulse an das Herz gesendet, um die Herzfrequenz zu korrigieren.

„Mit einer schonenden Platzierung des Aggregats unterhalb des Brustbeins sowie der außerhalb des Herzens befindlichen Elektrode können wir das Risiko bestimmter Langzeitkomplikationen wie Infektionen oder Gefäßverschlüsse verringern“, erläutert Professor Sommer. Mit einer prognostizierten Laufzeit von knapp zwölf Jahren biete das System eine hohe Patientensicherheit.

Die Wirksamkeit des neuen Defibrillators, der jüngst die CE-Zulassung für den europäischen Markt erhielt, wurde in einer weltweiten Zulassungsstudie belegt, an der 356 Patienten mit dem Risiko eines plötzlichen Herztodes teilnahmen.

Moderne Therapiemethoden zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen stehen auch im Mittelpunkt der diesjährigen Herzwochen-Veranstaltung am 8. November 2023, zu der die Herzkliniken des HDZ NRW Interessierte, Betroffene und Angehörige in den Hörsaal des Klinikums an der Georgstr. 11 in Bad Oeynhausen einladen. Beginn: 18:00 Uhr, der Eintritt ist frei.

Hintergrundinformation:

Was ist ein implantierbarer Defibrillator?

Ein implantierbarer Defibrillator oder ICD (= implantierbarer Cardioverter Defibrillator) ist ein kleines Gerät zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Vom Gerät gehen ein oder zwei drahtförmige Elektroden ab, über welche die Herztätigkeit dauerhaft überwacht wird. Implantierbare Defibrillatoren retten seit mehr als 40 Jahren Leben, indem sie einen lebensrettenden Schock oder schmerzfreie Stimulationstherapie abgeben, um lebensbedrohliche schnelle und/oder unregelmäßige Herzschläge zu regulieren. 

Was ist ein plötzlicher Herzstillstand?

Ein plötzlicher Herzstillstand (SCA) ist ein plötzlicher, abrupter Verlust der Herzfunktion. Die meisten Fällte werden durch eine schnelle und/oder unregelmäßige Aktivität des Herzens verursacht, die als ventrikuläre Tachykardie (VT) oder Kammerflimmern (VF) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um Anomalien des elektrischen Reizleitungssystems des Herzens.

 

Weitere Informationen:

Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leitung: Anna Reiss
Georgstr. 11
32545 Bad Oeynhausen
Tel. 05731 97-1955
Fax 05731 97-2028
E-Mail: info@hdz-nrw.de






Ärzte Zeitung

Organtrans­plantation: Neue Möglichkeiten bleiben in Deutschland ungenutzt

06.10.2023

Berlin/Köln – Nirgendwo in Europa rettet Organspende so wenig Leben wie in Deutschland. Den weiteren Ab­wärtstrend in Deutschland bestätigen auch die neuesten Spendezahlen. Die ausbleibende Aufregung darüber kritisierte kürzlich Rainer Blasczyk, Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der Deutschen Ge­sellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI). Er ist der Ansicht, dass man sich in Deutsch­land an den Abwärtstrend bereits gewöhnt habe.

Pessimistisch äußerte er sich auch bezüglich neuer Techniken: Obwohl Tests für die Verträglichkeitsbewertun­gen von Organspenden immer präziser und moderner werden, würden sie für die Patientinnen und Patienten hierzulande keinen Fortschritt bringen, so Blasczyk. „Denn in Deutschland müssen Patienten nehmen, was sie kriegen können, egal wie schlecht die Verträglichkeit ist.“

Auch die Möglichkeit einer Cross-over-Lebendspende, die in vielen Ländern bereits erlaubt sei, bliebe in Deutschland weiterhin verboten, kritisierte der Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover. Für diese Option sprach sich heute auch die nephrologische Fachgesellschaft (DGfN) auf ihrer Kongress-Pressekonferenz aus.

Blasczyk wies auf Defizite bei der Organtransplantation im Fall von Leber- und Lungenspenden, aber auch bei Lebendspenden für Nierentransplantationen hin. „Die Mortalitätsraten auf den Wartelisten für Leber und Lunge sind im Vergleich zu anderen Eurotransplant-Ländern sogar mehr als doppelt so hoch.“

Das geht aus der Eurotransplant-Statistiken hervor, beispielsweise aus dem Jahre 2022. Im Gegensatz zur Dialyse­therapie bei Niereninsuffizienz gibt es für diese Organe keine Ersatztherapie.

Hinzu kommt, dass vor allem bei der Lebertrans­plantation auch die Überlebensraten der trans­plantierten Empfänger niedriger sind als im europäischen Ausland.

„Das liegt daran, dass die Organknappheit be­dingt, dass jeweils nur die Schwerstkranken mit den schlechtesten Prognosen transplantiert wer­den können“, erläuterte Blasczyk. Immer wieder wird der Konflikt zwischen Dringlichkeit und Erfolgsaussicht diskutiert.

Ein Ausweg wäre die Lebendspende – zumindest für die Nierentransplantation. „Aber genau hier geht die Problematik weiter: Die Qualität der Nierenlebendtransplantationen ist in Deutsch­land nicht gut, da sie mit besonders vielen Mismatches verbunden ist“, erklärte Blasczyk. Den Grund dafür sieht der Experte im veralteten Transplantationsrecht in Deutschland, welches ein Näheverhältnis (Verwandte, Partner) zwischen Spender und Empfänger verlangt.

Die Lebendorganspende ist in Deutschland nach Paragraf 8 des Transplantationsgesetzes (TPG) an strenge Voraus­setzungen geknüpft, da sie für gesunde Spender und Spenderinnen keinen Heileingriff darstellt und mit Risi­ken verbunden ist. So müssen Spendende unter anderem mit dem Empfangenden besonders persönlich ver­bunden sein.

„Im Vordergrund steht also die Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis und nicht die Fragen, welche Spenderniere am besten zum Empfänger passt“, so der Transfusionsmediziner. Daher müsse er regelmäßig bei Kindern Ersttransplantationen mit Nieren eines der beiden Elternteile genehmigen, in dem Wissen, dass in zehn Jahren eine „äußerst schwierige Retransplantation“ anstehen wird, berichtete Blasczyk.

Im Jahr 2021 gab es bereits eine Überarbeitung der Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermitt­lung zur Nierentransplantation durch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekam­mer. Das Ziel war es, einzelne Wartelistenpatientengruppen zu verschieben. Mehr Spenderorgane oder weni­ger Wartelistenpatienten waren nicht zu erwarten, wie das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) berichtet hat.

DGTI und DGfN plädieren für Cross-over-Spende

Abhilfe könnte indes die Cross-over-Spende ermöglichen, die in Deutschland nicht erlaubt ist. In Ländern mit modernerem Transplantationsrecht hingegen ist sie eine Selbstverständlichkeit. Dabei werden die lebend gespendeten Organe so verteilt, dass ein bestmöglicher Match für die Patienten erreicht wird, so dass das neue Organ möglichst gut vom Transplantierten angenommen und eine Abstoßung un­wahrscheinlicher wird.

„Diese Option sollte niemandem verwehrt werden“, findet auch Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der DGfN. Dennoch könne die Cross-over-Spende das Problem des Organmangels nicht grundsätzlich lösen. „Rechnet man die Erfahrungen aus den Niederlanden und England auf Deutschland hoch, könnte man pro Jahr bis zu 150 weitere Nierenlebendspenden realisieren. Um eine wirkliche Trendwende zu erreichen, benötigt man aber mindestens 500 Organe mehr pro Jahr.“

Vor zwei Jahren sprach sich auch bereits der 125. Deutsche Ärztetag mehrheitlich dafür aus, den Kreis der Spendenden bei der Lebendorganspende auszuweiten. Aus Sicht des Ärzteparlaments sollte die Cross-over-Lebendspende künftig auch in Deutschland ermöglicht werden.

Dazu wären gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Konkret müsste § 8 Absatz 1 des TPG erweitert werden, damit ein Spender-Empfänger-Paar mit einem geeigneten zweiten Paar vereinbaren kann, dass zwei Lebend­organspenden kreuzweise durchgeführt werden. 

Das DÄ hat darüber berichtet: 

Lebendorganspende: Ärzteschaft für Ausweitung des Spenderkreises

Der 125. Deutsche Ärztetag hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, den Kreis der Spenderinnen und Spender bei der Lebendorganspende auszuweiten. Aus Sicht des Ärzteparlaments sollte künftig eine Cross-over-Lebendspende – wie sie bereits in anderen Ländern erlaubt ist – auch in Deutschland ermöglicht werden. Dazu wären gesetzliche Neuregelungen erforderlich. Konkret müsste § 8 Abs. 1

Neue Techniken sollen Retransplantationen reduzieren

Solange die Cross-over-Spende in Deutschland verboten ist, gibt es nur die Alternative, die Abstoßungs­reaktion zu unterdrücken und somit die Retransplantationen zu reduzieren. Auf der diesjährigen Tagung der DGTI werden dazu zwei neue Ansätze für die Vermeidung einer Organabstoßung präsentiert.

Bei der ersten Innovation werden die Spenderorgane noch außerhalb des Körpers gentechnisch verändert. So konnten Forschende um Blasczyk in Minischweinen verhindern, dass das Immunsystem des Empfängertiers das neue Organ als fremd erkennt und angreift (Transfus Med Hemother; DOI: 10.1159/000525886; VS16-4). Dies sei ein vielversprechender Ansatz, der derzeit über eine klinische Studie in die Anwednung gebracht werden soll, so der Kongresspräsident.


Info:

Rund 8.500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Täglich sterben im statistischen Schnitt 2,5 von ihnen, weil das lebensrettende Organ fehlt. Im vergangenen Jahr haben in Deutschland 869 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet. Tendenz: weiter sinkend.

Quelle: Deutsche Stiftung Organtransplantation


Info:

Das „Prinzip Ringtausch“ funktioniert so: Spender A kann Empfänger A aus medizinischen Gründen nicht seine Niere spenden. Passt aber das Organ von Spender A zu Empfänger B und die Spenderniere von Spender B zu Empfänger A, können zwei Organspenden erfolgreich durchgeführt werden, die ansonsten nicht möglich gewesen wären. 





Transplantationsskandal

Ex-Chefarzt der Göttinger Uni-Medizin verliert endgültig Ruhegehalt

Veröffentlicht: 20.09.2023 

Göttingen/Lüneburg. Ein früherer Chefarzt und Professor der Göttinger Universitätsmedizin verliert wegen seiner Verwicklung in den so genannten Göttinger Transplantationsskandal endgültig sein Ruhegehalt. Das hat am Mittwoch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden. Der 3. Senat wies damit die Berufung des früheren Leiters der Abteilung für Gastroenterologie und Endokrinologie gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen zurück. 

Nach Überzeugung der Lüneburger Richter war der Mediziner dafür verantwortlich, dass in den Jahren 2009 bis 2011 in mindestens elf Fällen Laborwerte von Leberpatienten ´der Universitätsmedizin Göttingen manipuliert wurden, um deren Chancen auf die Zuteilung eines Spenderorgans zu erhöhen. Außerdem habe er 2006 von der Familie eines Transplantationspatienten 30.000 Euro gefordert und zunächst nicht abgeführt. Damit habe er gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken verstoßen. 

Nach Ansicht des Gerichts hat der heute 71-jährige Mediziner die ihm obliegenden Dienstpflichten insgesamt in so schwerwiegender Weise verletzt, dass ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist, der eine Aberkennung des Ruhegehalts gebietet. Gegen das Urteil könne keine Revision mehr eingelegt werden, teilte ein Gerichtssprecher mit. Die Entscheidung sei damit rechtskräftig. (pid)

Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Az.: 3 Ld 6/22  





Mindener Tageblatt15.09.2023


Körfers Kunstherz-Projekt vor dem Aus


Der ehemalige ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums in Bad Oeynhausen ist verärgert, weil die NRW-Landesregierung versprochene Fördermittel nicht auszahlt.


Carolin Nieder-Entgelmeier

Düsseldorf/Bad Oeynhausen.

Im europaweiten Vergleich ist Deutschland Schlusslicht bei Organspenden. Der Mangel an Spenderorganen ist so groß, dass jedes Jahr etwa 1.000 Menschen sterben, während sie auf ein Organ warten. Herzchirurg Reiner Körfer hat in den vergangenen Jahrzehnten einige dieser Patienten sterben sehen. Um für Herzkranke eine Alternative zur Transplantation zu schaffen, arbeitet Körfer seit vielen Jahren an der Entwicklung eines Herzunterstützungssystems und eines Kunstherzens – doch es fehlt Geld. „Das Unterstützungssystem könnte längst auf dem Markt sein, wenn die NRW-Landesregierung die versprochenen Fördermittel ausgezahlt hätte.“ Es sind die Patienten in Not, die Körfer antreiben. „Wir brauchen eine Alternative zur Herztransplantation, um mehr Leben zu retten, doch die Politik scheint sich dafür nicht zu interessieren.“ Körfer, der von 1984 bis 2009 ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums NRW in Bad Oeynhausen war und 1989 dort die erste Herztransplantation durchführte, ist deshalb verärgert. „Ich habe Verständnis dafür, dass Geld knapp ist. Doch wenn ich sehe, wofür die Regierungen auf Landes- und Bundesebene Geld ausgeben, frage ich mich, warum die Patienten bei der Entscheidung nicht im Mittelpunkt stehen.“ Mit seinen Entwicklungen, dem Kunstherz Reinheart und dem Herzunterstützungssystem Reinvad, die in Kooperation mit dem Helmholtz-Institut Aachen entstanden sind, möchte der 81-Jährige dazu beitragen, schnellstmöglich mehr Leben zu retten. „Beide Systeme lassen sich komplett implantieren. Das Reinheart kommt für etwa 20 Prozent betroffener Patienten infrage. Bei 80 Prozent reicht das Reinvad aus, da es sich auch als Dauerlösung anbietet und die Arbeit des Herzens komplett ersetzen kann.“

Großteil der Mitarbeiter musste entlassen werden

Doch die Entwicklung dieser Systeme kostet nach Angaben Körfers sehr viel Geld. Die Finanzierung des Reinheart sei über Spenden und Mittel des europäischen Fonds für regionale Entwicklung über das NRW-Gesundheitsministerium gelaufen. „Das Reinvad wurde in erster Linie durch die Erich und Hanna Klessmann Stiftung gefördert, doch aufgrund der Zinspolitik sind die Erträge aus dem Stiftungskapital erheblich gesunken.“ In der Pandemie seien weitere Geldgeber weggebrochen. In der Folge habe Körfer trotz der Unterstützung seiner Familie den Großteil seiner Mitarbeiter der Reinheart GmbH entlassen müssen. Die Entwicklung des Reinvad ist nach Angaben Körfers inzwischen jedoch schon so weit fortgeschritten, dass nur noch Pilotstudie und Zulassung fehlen. „Der Plan war immer, dass das Herzunterstützungssystem auf den Markt kommt und wir mit den Erträgen die Entwicklungdes Kunstherzens weiterfinanzieren. Ich selber möchte damit kein Geld verdienen.“ Für diesen letzten Schritt zur Einführung des Reinvad fehlen laut Körfer jedoch die Mittel, obwohl er eine Zusage für Fördermittel in Höhe von zehn Millionen Euro von der NRW-Landesregierung hatte. „2019 versprachen mir Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bei einem Messebesuch die Förderung, doch dieses Versprechen wurde nie eingelöst. Das ärgert mich extrem.“ Seitdem sucht Körfer immer wieder Kontakt zur Landesregierung. „Doch offenbar besteht kein Interesse. Mit Blick auf die vielen Patienten in Not ist das sehr bedauerlich, denn ohne weitere Mittel ist Ende des Jahres Schluss.“ Aus dem NRW-Gesundheitsministerium ist jedoch keine Rettung in Sicht. Zu Körfers Kritik erklärt ein Sprecher, dass es nie ein Versprechen für Fördermittel gab und dass die Markteinführung von Medizinprodukten wie dem Reinvad aus förderrechtlichen Gründen gar nicht durch Landesmittel finanziert werden kann.





Geplantes Organspende-Online-Register: Mediziner skeptisch

29.07.2023

Die Organspendebereitschaft ist in Deutschland gering. Auch regelmäßige Briefe von den Krankenkassen mit Organspendeausweisen ändern daran nichts. Kann ein Online-Register Abhilfe schaffen? 

Mit Organspenden befasste Mediziner in Mitteldeutschland beurteilen das zur Gewinnung von mehr Spendern geplante zentrale Online-Register zurückhaltend. Es sei grundsätzlich ein begrüßenswerter Ansatz, sagte Felix Pfeifer, geschäftsführender Arzt der Deutschen Stiftung Organspende in der Region Ost, der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings bleibe abzuwarten, ob dadurch die Spenderzahlen in absehbarer Zeit nennenswert zunähmen. Die DSO-Region umfasst Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Der Transplantationsmediziner Utz Settmacher vom Universitätsklinikum Jena äußerte Zweifel am Erfolg des Registers.

"Wenn man sich die Erfahrungen aus anderen Ländern ansieht, werden die Ergebnisse bescheiden sein", sagte Settmacher, der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DGT) ist. Das zentrale Register ist ein Kernelement einer Organspendereform, die der Bundestag 2020 beschlossen hatte. Darin sollen Spendenwillige ihre Bereitschaft speichern können - online von zu Hause aus oder in den Kommunalverwaltungen. Starten soll das Register nach bisherigem Stand im ersten Quartal 2024. 

"Dafür müssten sich Millionen von Bürgern in dem Register eintragen, das geht nicht von heute auf morgen", sagte Pfeifer. Er verwies auf die Erfahrungen beispielsweise in Großbritannien. Dort habe ein nationales Spendenregister nicht viel gebracht. "Weniger als die Hälfte der Einwohner haben sich eintragen lassen." Erfolgreicher seien Länder mit der Widerspruchslösung, so die beiden Mediziner. Dort gelten alle Verstorbenen als potenzielle Spender, es sei denn, sie haben zu Lebzeiten ausdrücklich Widerspruch eingelegt. "Die Widerspruchslösung wäre auch für Deutschland der bessere Ansatz", so Settmacher. Dies sei "die geschlossene Meinung der deutschen Ärzteschaft".

Bislang gilt in Deutschland, dass Verstorbenen nur dann Organe und Gewebe entnommen werden dürfen, wenn sie dem zu Lebzeiten zugestimmt haben. Um mehr Spender zu gewinnen, erhalten alle Bundesbürger ab 16 Jahre von ihrer Krankenkasse alle zwei Jahre Informationsmaterial und einen Organspendeausweis zugeschickt. Sie können entscheiden, ob sie ihn ausfüllen und mit sich tragen.

Das Prozedere der geplanten Online-Registrierung könnte aus DSO-Sicht eine Hürde sein. Dafür sei ein elektronischer Personalausweis erforderlich, sagte Pfeifer. "Den hat nicht jeder." Spendenwillige müssten dann extra in die Bürgerämter gehen. Dies sei umständlicher als das Ausfüllen des Organspendeausweises.

Im ersten Halbjahr 2023 wurden der DSO zufolge in Thüringen 39 Organe von 13 Verstorbenen gespendet, in Sachsen-Anhalt waren es 47 Organe von 18 Verstorbenen und in Sachsen 110 Organe von 38 Verstorbenen. Bundesweit wurden 1540 Organe von 496 Spendern entnommen. Lebendspender sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Der Weg zu mehr Organspenden ist ein Thema der Ende Oktober anstehenden DGT-Jahrestagung in Jena.







11.07.2023

Deutsche Stiftung Organtransplantation bilanziert Halbjahreszahlen Über 100 Organspender im Juni und weniger Organspenden an fehlender Zustimmung gescheitert

Mit 103 Organspenden im Juni konnte erstmals seit über 10 Jahren wieder eine dreistellige Spenderzahl innerhalb eines Monats erreicht werden. Insgesamt sind die Organspendezahlen im ersten Halbjahr 2023 – nach einem dramatischen Rückgang im letzten Jahr – wieder auf dem Niveau von 2020/2021 angekommen. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben 496 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. In 2022 waren es im Vergleichszeitraum nur 392 Organspender, in 2021 hingegen 473 Organspender. Die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnte, lag im ersten Halbjahr 2023 bei 1.540. 

Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), sieht darin eine Momentaufnahme, so dass es vermutlich zu früh sei, von einer Trendwende zu sprechen. „Allerdings sind die Zahlen im Juni ein Indiz dafür, dass – wenn alle Beteiligten zusammenwirken –  ein positiver Effekt auf die Organspende zu erreichen ist. Für die erfreuliche Entwicklung im Juni waren zum einen eine hohe Zahl an Spendermeldungen aus den Krankenhäusern verantwortlich, die damit den Trend zu einer kontinuierlich wachsenden Beteiligung der Kliniken an der Organspende fortsetzte. Von entscheidender Bedeutung war zum anderen eine erhöhte Zustimmungsrate im Falle einer möglichen Organspende, insbesondere auch durch die Angehörigen. Dies könnte auch mit einer höheren Aufmerksamkeit durch den Tag der Organspende einhergegangen gegangen sein“, mutmaßt Rahmel. Dadurch seien im Juni weniger Organspenden an einer fehlenden Zustimmung gescheitert, so der Mediziner.  

Die aktuelle Herausforderung sieht Rahmel darin, die Organspendezahlen nachhaltig und systematisch zu steigern, um auf längere Sicht ähnliche Werte zu erreichen, wie sie in anderen europäischen Ländern längst Standard sind. „Aber dafür ist es nötig, bereit zu sein, von diesen Ländern zu lernen und auch in Deutschland die entsprechenden Anpassungen der Rahmenbedingungen anzugehen“, fordert der Medizinische DSO-Vorstand. 

Insgesamt konnten in Deutschland im ersten Halbjahr 1.578 Organe transplantiert werden.  Gleichzeitig warten derzeit rund 8.300 Patienten auf eine lebensrettende bzw. lebensverlängernde Transplantation.


Die wichtigsten und aktuellen Organspendezahlen finden Sie unter dem Link: Organspendezahlen

oder den untenstehenden Link kopieren und einfügen.

https://www.dso.de/SiteCollectionDocuments/Zusammenfassung%20vorl.%20Zahlen%20Jan.%20-%20Juni%202023%20D%20Reg%20BL%20Vgl%20Vorjahre%20ab%202020%20Stand%2005.07.23.pdf





Deutschland FDP-Plan zur Organspende 

„Absurd, dass der deutsche Staat Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen“

Stand: 19.06.2023

Von Kaja Klapsa, Luisa Hofmeier 

Die FDP-Fraktion im Bundestag appelliert an Gesundheitsminister Lauterbach (SPD), den Kreis potenzieller Lebendorganspender zu erweitern – durch Legalisierung verschiedener Verfahren. So sollen nach dem Willen der Liberalen auch anonyme Organspenden aus altruistischen Motiven möglich sein. 

Die FDP-Bundestagsfraktion fordert von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Ausweitung der Lebendorganspende. „Im Sinne der Menschen auf den Wartelisten und jener, die ihnen gerne helfen möchten und bisher nicht dürfen, wird es höchste Zeit, dass sich der Bundesgesundheitsminister zügig der Lebendspende annimmt, statt sich weiterhin an der Widerspruchslösung festzubeißen“, sagt die rechtspolitische Sprecherin Katrin Helling-Plahr WELT.

Die Liberalen im Bundestag haben dazu vergangene Woche ein Positionspapier beschlossen, das WELT vorliegt. Die darin enthaltenen Forderungen zielen darauf ab, den Kreis der potenziellen Lebendspender zu erweitern. Dabei geht es um die Transplantation von Nieren und Teilstücken der Leber, deren Spende nicht den Tod voraussetzen. Bisher ist dies in Deutschland nur zwischen Verwandten, Paaren oder Personen möglich, die sich anderweitig offenkundig nahestehen. Die FDP will nun zwei weitere Konstellationen ermöglichen. Zum einen sollen anonyme Lebendspenden aus altruistischen Gründen über sogenannte Organpools ermöglicht werden. Wer will, könnte sich dann als Spender melden – hätte aber keinen Einfluss darauf, an wen das Organ geht und erfährt dies auch nicht. „Es gibt Menschen, die sich aus altruistischen Motiven zu einer Lebendspende entscheiden möchten, um keiner spezifizierten Person, sondern einem ihnen unbekannten bedürftigen Empfänger das Leben zu retten“, heißt es dazu in dem Positionspapier.

Zum anderen fordert die FDP, dass sogenannte Überkreuz-Lebendspenden zwischen Paaren möglich sind. In der Praxis könnte das so aussehen: Frau Müller braucht dringend eine neue Niere. Ihr Mann wäre zu einer Spende bereit, hat aber nicht die richtige Blutgruppe. Das Ehepaar Schmidt hat dasselbe Problem – allerdings passen Herr Müller und Herr Schmidt jeweils als Spender für die Frau des anderen. Herr Müller könnte nun seine Niere an Frau Schmidt abgeben und Herr Schmidt an Frau Müller.

Bisher ist das in Deutschland wegen der Voraussetzung, dass sich Spender und Empfänger nahestehen müssen, nicht möglich. „Verzweifelte Paare weichen deshalb ins Ausland aus, wo es diese Anforderung nicht gibt, sie sich aber mit astronomischen Eigenkosten konfrontiert sehen“, kritisiert die FDP in ihrem Papier. Es sei „absurd, dass der deutsche Staat seine Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen“.

Darüber hinaus wollen die Liberalen das sogenannte Subsidiaritätsprinzip abschaffen. Darunter versteht man im Kontext der Organspende, dass immer erst die Möglichkeit einer postmortalen Spende geprüft werden muss, bevor eine Lebendspende möglich ist. Selbst wenn es einen willigen und passenden Spender gibt, muss zunächst nach dem Organ eines Verstorbenen gesucht werden.

Zuletzt weist die FDP auf die Möglichkeit hin, dass der Aufbau des vom Bundestag bereits beschlossenen digitalen Organspenderregisters genutzt werden könne, um ein „anonymes ‚Matchmaking‘ zwischen Lebendspendern und Empfängern“ strukturiert zu organisieren.

Grüne zeigten sich skeptisch gegenüber Änderungen

„Seit Jahren führen wir in Deutschland Debatten darüber, wie wir mehr postmortale Spenderorgane gewinnen können“, sagt Helling-Plahr. „Das nachweislich große Potenzial der Organlebendspende wurde stets vernachlässigt.“ In anderen EU-Staaten würden durch die Liberalisierung der Lebendspende bereits viele Leben gerettet. Beispielsweise in den Niederlanden, Spanien oder Österreich ist die Überkreuz-Spende erlaubt. „Wenn sich Menschen selbstbestimmt, aufgeklärt und aus altruistischen Motiven dazu bereit erklären, einander zu helfen, darf der Staat ihnen keine Steine in den Weg legen.“

Ende April hatte das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von WELT erklärt: Man prüfe derzeit die Voraussetzungen einer Novellierung der Lebendspende „im Hinblick auf die Erweiterung des Spenderkreises“ im Sinne der Einführung der Überkreuz-Nierenlebendspende

Der grüne Koalitionspartner kommentierte eine Änderung der bestehenden Regelungen damals skeptisch. „Gesetz und Praxis müssen verhindern, dass Druck auf Angehörige oder Dritte aufgebaut wird“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne).

Die postmortale Organspende habe zu Recht Vorrang vor der Lebendspende, weil die Entnahme von Organen zu Lebzeiten mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden sei. Dem Organhandel dürften nicht Tür und Tor geöffnet werden. Im Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien zu Organspenden keine Vereinbarungen getroffen.

Breit debattiert wurde eine Gesetzesänderung zuletzt Anfang 2020. Dabei stand allerdings die postmortale Spende im Fokus. CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lauterbach – damals noch einfacher Bundestagsabgeordneter – sprachen sich gemeinsam für die sogenannte Widerspruchslösung aus. Also dafür, dass Menschen einer Organspende vor ihrem Tod aktiv widersprechen müssen und ansonsten von Zustimmung ausgegangen wird. Der Bundestag lehnte den Vorschlag ab.

Ende vergangenen Jahres warteten mehr als 6600 Menschen auf eine Niere. Gespendet wurden knapp 2000 Nieren, nur ein Viertel davon machten Lebendspenden aus. Zugleich kamen mehr als 2100 neue Patienten auf die Warteliste.

Lesen Sie hier das Positionspapier der FDP-Fraktion im Original 


POSITIONSPAPIER DER FDP-FRAKTION:

CHANCEN DER ALTRUISTISCHEN

ORGANLEBENDSPENDE NUTZEN – SPENDEN

AUCH IN DEUTSCHLAND ERLEICHTERN


Viele Menschen, die auf der Warteliste für eine Organtransplantation stehen, warten vergeblich.

933 postmortalen Organspendern im Jahr 2021 standen nur 869 im Jahr 2022 gegenüber -der niedrigste Wert der vergangenen fünf Jahre. Dass deutlich weniger Organe gespendet als benötigt werden, ist nicht neu. Für Menschen, deren Überleben von einem Ersatzorgan abhängt, ist oft jahrelanges Bangen die Regel. Aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ist es daher richtig, dass die Frage, wie eine Erhöhung der freiwillig gespendeten Organe erreicht werden kann, den Deutschen Bundestag bereits intensiv beschäftigt hat und Strukturen in Entnahmekliniken angepasst wurden. Zusätzlich haben Parlament wie Gesellschaft umfassend über eine grundsätzliche Neuausrichtung der postmortalen Organspendepraxis diskutiert und dem Thema damit dringend notwendige Aufmerksamkeit geschaffen.

Was bisher aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag in der Debatte um die Erhöhung verfügbarer Spenderorgane völlig vernachlässigt worden ist, ist das enorme Potenzial der Organlebendspende. Die Regelungen des deutschen Transplantationsgesetzes setzen dieser im internationalen Vergleich sehr enge Grenzen. Das führt dazu, dass bedürftige Empfänger, die eigentlich die Chance auf ein durch einen Lebendspender gespendetes Organ hätten, hierzulande weiterhin auf den Wartelisten verharren und mit anderen Wartenden um verfügbare postmortal gespendete Organe konkurrieren müssen. Wir wollen das nicht hinnehmen und auch in Deutschland eine Liberalisierung der altruistischenLebendspende erreichen. Denn Lebendspenden retten Leben! Für eine Reform sehen wir mehrere Ansätze, deren Umsetzung wir vorantreiben werden.


Grundsätzliche Subsidiarität der Lebendspende abschaffen

Das im Transplantationsgesetz festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip erfordert gegenwärtig, dass eine mögliche postmortale Spende stets der Lebendspende vorzuziehen ist – auch wenn von einer nahe stehenden Person ein Organ gespendet würde und obwohl bei der Lebendspende die Überlebensraten des Empfängers höher sind als bei der Transplantation des Organs eines Verstorbenen. Für den Empfänger muss also auch dann zunächst ein postmortal gespendetes Organ gesucht werden, wenn dieser bereits einen potenziellen Lebendspender hätte, der uneigennützig und freiwillig helfen will und das, obwohl bei Lebendspenden eine nachweislich bessere Verträglichkeit besteht. Gleichzeitig kann kein anderer Patient von dem aufgrund der postmortalen Spende zur Verfügung stehenden Organ profitieren. Wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag sehen diese Regelung als widersinnig an. Daher wollen wir den Grundsatz der Subsidiarität der Lebendspende ersatzlos streichen.


Überkreuz-Lebendspenden zwischen Paaren ermöglichen

Die sogenannte Überkreuzspende ermöglicht zwei Paaren die wechselseitige Transplantation, wenn sie zum Beispiel aufgrund von Blutgruppenunverträglichkeit nicht dem jeweils eigenen Partner, wohl aber dem Partner eines anderen einen Teil der Leber oder eine Niere spenden können. Deutschland hinkt anderen europäischen Ländern, was diese Möglichkeit angeht, weit hinterher, denn hierzulande erfordert das Transplantationsgesetz ein Näheverhältnis zwischen Spender und Empfänger, das bei Überkreuzspenden oft nicht besteht. Verzweifelte Paare weichen deshalb ins Ausland aus, wo es diese Anforderung nicht gibt, sie sich aber mit astronomischen Eigenkosten konfrontiert sehen. Aus Sicht der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag ist es absurd, dass der deutsche Staat seine Bürger daran hindert, sich gegenseitig zu helfen. Überkreuz-Lebendspenden retten gleich zwei Menschenleben und nehmen obendrein Druck von den ellenlangen Wartelisten. Wir wollen daher vom europäischen Ausland lernen, wo altruistischen Spendern deutlich weniger Steine in den Weg gelegt werden und die Überkreuz-Lebendspende auch in Deutschland zulassen.


Anonyme Lebendspenden in Organpools zulassen

Es gibt Menschen, die sich aus altruistischen Motiven zu einer Lebendspende entscheiden möchten, um keiner spezifizierten Person, sondern einem ihnen unbekannten bedürftigen Empfänger das Leben zu retten. Wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag haben größten Respekt vor einem solchen Akt des Altruismus und wollen potenziellen Spendern dabei keine Steine mehr in den Weg legen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die gesetzlichen Regelungen des Spenderkreises im Falle von Lebendspenden dahingehend anzupassen, dass auch eine altruistische, nicht-gerichtete Organlebendspende in einen Organpool rechtlich zulässig ist, aus dem anonym gespendete Organe an bedürftige Empfänger vermittelt werden. Vorbildhaft ist, dass derartige nicht-gerichtete Lebendspenden in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Spanien oder auch den USA nicht selten sogenannte Lebendspendeketten initiieren, bei denen anfangs eine solche Spende steht, in deren Folge mehrere Spender-Empfänger-Paare beteiligt sind, sodass letztendlich auch mehrere Empfänger mit einem Spenderorgan versorgt werden können.


Beteiligte umfassend schützen und Vermittlung digital gestalten

Für uns Freie Demokraten im Deutschen Bundestag steht die Rettung von Menschenleben im Zentrum dieser Forderungen. Dabei haben der verfahrensmäßige Schutz von altruistischen Lebendspendern und Empfängern sowie die wirksame Vorbeugung von Organhandel für uns höchste Priorität. Wir sind der tiefen Überzeugung, dass der altruistische Akt der Organlebendspende im Einzelfall auch ohne bestehendes Näheverhältnis oder gewünschte gegenseitige Bekanntschaft von Spender und Empfänger diese Bedingungen erfüllen kann. Insbesondere vor dem Hintergrund des bereits vom Deutschen Bundestag beschlossenen digitalen Organspenderregisters bietet sich nicht nur die Chance, Medizinern wie Angehörigen in emotionalen Ausnahmesituationen Klarheit über den Willen des Verstorbenen zu verschaffen

Auch ein anonymes „Matchmaking“ zwischen Lebendspendern und Empfängern kann aus unserer Sicht über ein solches Register strukturiert organisiert werden. Unter anderem deshalb setzen wir Freie Demokraten im Deutschen Bundestag uns nachdrücklich dafür ein, dass dieses Register schnellstmöglich in Betrieb genommen wird.

Impressum: Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, vertreten durch Johannes Vogel (V.i.S.d.P.),

Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel. 030 22755088, dialog@fdpbt.de, www.fdpbt.de, Stand: Juni 2023






Mindener Tageblatt Freitag, 2. Juni 2023


Ärzte dringen auf Reform der Organspende
Münster (epd).

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe fordert eine Reform bei den Organspenden. Um die Zahl zu erhöhen, sei die Widerspruchslösung nötig, erklärte Ärztekammerpräsident Hans-Albert Gehle in Münster mit Blick auf den Tag der Organspende am Samstag. Das sei angesichts der langen Warteliste für ein Spenderorgan dringend notwendig.
In Deutschland gilt aktuell die sogenannte Zustimmungslösung. Eine Organspende ist also nur möglich, wenn sich die Spenderinnen und Spender zu Lebzeiten ausdrücklich dafür entschieden haben oder wenn nach dem Tod die Angehörigen zustimmen. Der Transplantationsbeauftragte der Kammer, Ehrenpräsident Theodor Windhorst, kritisierte, ein Weiter-so gefährde das Leben tausender Menschen auf der Warteliste. Immer wieder seien Rückgänge bei den Spenderzahlen zu verzeichnen. „Wir brauchen dringend eine Reform der bestehenden Regelungen.“ Zudem sei die zügige Freischaltung des im Aufbau befindlichen Organspende-Registers beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nötig.
Bei der Widerspruchslösung positioniere sich ein Mensch zu Lebzeiten beim Thema Organspende und nehme so den Druck von den Angehörigen, nach seinem Tod über eine Spende entscheiden zu müssen, erklärte die Ärztekammer. In Deutschland stehen laut Ärztekammer knapp 9.000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 





Diatra Journal

Transplantation

Weltweit erste Geburt nach Gebärmuttertransplantation allein mit robotergestützter Chirurgie

Vetenskapsrådet - The Swedish Research Council

31. Mai 2023 · 6 Min. Lesezeit

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Zum ersten Mal weltweit wurde ein Kind nach einer Gebärmuttertransplantation geboren, die ausschließlich durch eine robotergestützte Operation an Spenderin und Empfängerin durchgeführt wurde.

Das Baby, ein Junge mit einer Größe von 49 Zentimetern und einem Gewicht von 3100 Gramm, wurde am Donnerstag, dem 25. Mai, durch einen geplanten Kaiserschnitt entbunden. Dem Kind und der Familie geht es gut, ebenso der Spenderin. Die Mutter ist 35 Jahre alt, und die Spenderin ist eine Verwandte.

Das Besondere an diesem Fall ist die chirurgische Methode, die bei der Transplantation selbst angewandt wurde. In diesem Fall wurden Spenderin und Empfängerin ausschließlich mittels robotergestützter laparoskopischer (Schlüsselloch-)Chirurgie - kurz "Roboterchirurgie" genannt - operiert, ohne dass ein offener chirurgischer Eingriff erfolgte.

Die Roboterchirurgie ist wesentlich weniger invasiv als die traditionelle offene Chirurgie. Bei anderen Operationen hat sich gezeigt, dass das Risiko von Infektionen und Blutungen geringer ist, wenn die Roboterchirurgie eingesetzt wird. Die operierten Patient:innen sind damit im Allgemeinen schneller wieder auf den Beinen.

Bei der Methode werden Kameras und Roboterarme mit daran befestigten chirurgischen Instrumenten durch kleine Eintrittslöcher im Unterbauch eingeführt. Die Chirurgen steuern die Roboterarme dann mit Joystick-ähnlichen Werkzeugen an Konsolen, wo sie gleichzeitig bewegliche 3D-Bilder sehen und mit großer Präzision operieren können.

Minimalinvasiv, hochpräzise

Im vorliegenden Fall wurde die Transplantation im Oktober 2021 im Sahlgrenska University Hospital durchgeführt. Bei der Spenderin wurde die Gebärmutter Schritt für Schritt mit Hilfe eines Roboters befreit. Im letzten Schritt wurde die Gebärmutter von ihren Blutgefäßen gelöst und vaginal in einem laparoskopischen Pouch entfernt.

In der Empfängerin konnte dann die Gebärmutter durch einen kleinen Schnitt in das Becken der Frau eingeführt, zunächst mit den Blutgefäßen vernäht und dann mit der Scheide und dem Stützgewebe vernäht werden. Alle diese Schritte wurden von einem Roboter unterstützt.

Zehn Monate später wurde ein vor der Transplantation durch In-vitro-Fertilisation (IVF) erzeugter Embryo in die transplantierte Gebärmutter eingesetzt, und einige Wochen später wurde eine Schwangerschaft festgestellt. Die werdende Mutter fühlte sich während ihrer gesamten Schwangerschaft wohl, die nun mit einem geplanten Kaiserschnitt in der 38. Schwangerschaftswoche durchgeführt wurde.

Professorin Dr. Pernilla Dahm-Kähler, außerordentliche Professorin für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Sahlgrenska Academy der Universität Göteborg, ist auch Gynäkologin und leitende Oberärztin am Sahlgrenska University Hospital. Als leitende Chirurgin bei der komplizierten Operation an der Empfängerin beschreibt sie die Technik: "Mit der robotergestützten Schlüssellochchirurgie können wir eine ultrafeine Präzisionsoperation durchführen. Die Technik bietet einen sehr guten Zugang, um tief in das Becken hinein zu operieren. Das ist die Chirurgie der Zukunft, und wir sind stolz und froh, dass wir die Gebärmuttertransplantation auf dieses minimalinvasive technische Niveau bringen konnten."

Bisher für unmöglich gehalten

Niclas Kvarnström, Phd, ist der verantwortliche Transplantationschirurg des Forschungsprojekts und derjenige, der die komplizierten Blutgefäßnähte bei der Empfängerin durchführt. "Mit der robotergestützten Technik können Eingriffe durchgeführt werden, die zuvor als unmöglich galten, wenn man mit der normalen Schlüssellochchirurgie arbeitete. Es ist ein Privileg, Teil der Entwicklung in diesem Bereich zu sein, mit dem übergeordneten Ziel, das Trauma für den Patienten durch die Operation zu minimieren", sagt er.

Die Transplantation stellt eine Weiterentwicklung der Gebärmuttertransplantation dar, die 2012 in Schweden mit einer offenen Operationstechnik begonnen wurde. Die Arbeit steht unter der Leitung von Professor Dr. Mats Brännström, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Sahlgrenska-Akademie der Universität Göteborg sowie Gynäkologe und leitender Oberarzt am Universitätsklinikum.

"Dies ist das 14. Baby, das im Rahmen des Uterustransplantationsprojekts an der Sahlgrenska Academy geboren wurde, und weitere Geburten werden in diesem Sommer erwartet. Im Rahmen des Forschungsprojekts werden kontinuierlich zahlreiche Variablen bei Spenderinnen, Empfängerinnen und Kindern nach der Gebärmuttertransplantation ausgewertet und die Operation mehrere Jahre lang nachverfolgt. All dies geschieht, um die Wirksamkeit der Operation zu maximieren und die Nebenwirkungen bei den Patientinnen zu minimieren", sagt Brännström.

Im Jahr 2014 gipfelte die Forschung in der weltweit ersten Geburt nach einer Gebärmuttertransplantation. Insgesamt fanden acht Geburten im Rahmen desselben Forschungsprojekts statt, bevor jemand außerhalb Schwedens ein Baby nach einer Gebärmuttertransplantation zur Welt brachte.

Die Forschungsgruppe hat die Methoden und die Technik durch direkten Wissenstransfer an mehrere Zentren in der ganzen Welt weiter verbreitet. Weltweit wurden schätzungsweise 90 Gebärmuttertransplantationen durchgeführt, und etwa 50 Babys wurden in der Folge geboren.

Übersetzung: DIATRA






Warum die Zahl der Organspenden zurückgegangen ist

Mittwoch, 17. Mai 2023

Frankfurt am Main – Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspenden und Transplantationen in Deutschland zurückgegangen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) analysiert in ihrem neuen Jahresbericht die Gründe.

Sehr wichtig für den Rückgang war demnach die Coronapandemie. Vor allem im ersten Quartal 2022 verzeichnete die DSO einen Rückgang von knapp 30 Prozent bei den Organspenden.

Hier spielten zwei pandemiebedingte Einflussfaktoren eine Rolle. Zum einen führte die Omikronwelle in dieser Zeit zu Überlastungen der Kliniken und zu großen Personalausfällen. Zudem war ein positiver SARS-CoV-2-Befund bis dahin noch ein Ausschlusskriterium für eine Organspende. Ab Ende Februar des vergangenen Jahres war es auch in Deutschland möglich, Organe infizierter Spender zu entnehmen.

Die Pandemie ist aber nicht der einzige Grund für den Rückgang. Sehr wichtig ist laut DSO, dass oft die Zustimm­ung zur Organspende fehlt. Bei den 2.387 organspendebezogenen Kontakten im Jahr 2022, die nicht zu einer Or­ganspende führten, scheiterte die Spende 1.185 Mal an einer fehlenden Zustimmung, also in rund der Hälfte der Fälle.

Die weitere Analyse zeigt, dass bei vorliegendem schriftlichem oder mündlichem Willen der Verstorbenen eine Zustimmung in zwei Drittel der Fälle erfolgt.

„Wenn Angehörige aber allein nach ihren eigenen Wertvorstellungen entscheiden müssen, stimmen sie in rund 80 Prozent der Fälle einer Organspende nicht zu, obwohl Umfragen immer wieder die positive Einstellung der Bun­des­bürgerinnen und -bürger belegen“, hieß es aus der DSO.

Würden mehr Menschen ihre selbstbestimmte Entscheidung dokumentieren, könnte das aus Sicht der Stiftung also dazu beitragen, dass mehr Organe gespendet werden.

Laut dem Bericht ist auch das mediane Alter der gemeldeten Spender weiter gestiegen – von 55 auf 61 Jahre seit dem Jahr 2007.

Mit dem Alter nähmen aber auch Kontraindikationen für eine Organspende zu. „Dies erklärt, warum es trotz stei­gender organspendebezogener Kontakte zur DSO nicht entsprechend mehr realisierte Organspenden gab“, hieß es aus der Stiftung.

Sie empfiehlt deshalb, die Maschinenperfusion nach Organentnahme einzusetzen. Dabei werden die entnomme­nen Organe weiter perfundiert – dies schützt sie vor möglichen Schäden, ihre Qualität kann genauer beurteilt werden und teilweise ist sogar eine Behandlung möglich.

Besonders groß ist der Nutzen laut DSO unter anderem bei Spendern, die älter als 65 Jahre sind. Letztere machen allein ein Drittel aller Spenden aus. Diese Organe sind oftmals uneingeschränkt funktionstüchtig, laut der DSO jedoch besonders empfindlich gegenüber der gekühlten Konservierung. © hil/aerzteblatt.de







Studio in Idar-Oberstein sticht Tattoo kostenlos 

Warum das Organspende-Tattoo den Ausweis nicht ersetzen kann 

   
12.5.2023, 15:39 Uhr    von Caro  Keil     

Ein Organspendetattoo ist persönlich, gilt aber nicht offiziell. Das wird laut rheinland-pfälzischem Gesundheitsministerium auch so bleiben.

Chris, Gründer des Tattoostudios "Inkeria" in Idar-Oberstein, hat selbst noch keinen Organspendeausweis, unterstützt aber die Aktion der "Jungen Helden". Der Verein hat sich ein Organspendetattoo ausgedacht. Das Motiv soll zu Gesprächen über die Organspende anregen. Drei bis fünf Anfragen erhält die "Inkeria" pro Woche. Alle wollen das Organspendetattoo. Es ist gratis.

Das freut auch Kim aus Hermeskeil. Sie lässt sich in der "Inkeria" ihr Organspendetattoo stechen. "Was ist die Bedeutung deines Tattoos ist, ist ein großes Thema", erzählt sie. Seit Jahren hat Kim einen Organspendeausweis, den sie immer aktuell hält. Über das Tattoo will sie "den ein oder anderen" erreichen und die Menschen zumindest dazu bringen, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. "Meiner Meinung nach sollte jeder einen Organspendeausweis haben, selbst wenn er darin vermerkt, dass er nicht spenden möchte, weil dann einfach klar wird, wie steht die Person zu dem Thema." 

OD-Motiv steht für Organ Donor

Das Organspendetattoo zeigt einen Halbkreis, der mit einem weiteren Halbkreis zu einem vollständigen Kreis wird. Ein Symbol für das Geschenk des Lebens – die Organspende, so die Intention des Designers GARA. Die Formen bilden außerdem das Akronym für "Organ Donor". GARA ist ein in der Szene bekannter Tattoo-Artist aus Seoul, der in seiner Heimat, Berlin und New York arbeitet. 

Organspende-Tattoo ersetzt keinen Organspende-Ausweis

Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hat nicht vor das Tattoo in Zukunft gleichwertig wie einen Organspende-Ausweis zu behandeln. Die Willensbekundung sei bei einem Tattoo nicht vom Entscheider selbst niedergeschrieben worden, sondern von einem Dritten, so die Begründung auf SWR-Anfrage. Allein aufgrund eines Tattoos könne zudem nicht abgeschätzt werden, ob der zum Ausdruck kommende Wille überhaupt noch aktuell ist oder eine Meinungsänderung beim Verfügenden eingetreten ist, weil dieser es nicht selbst in der Hand hat, seine Willenserklärung selbst zu beseitigen. 

Trotzdem begrüßt das Ministerium das Tattoo als Indiz für Angehörige, die im Notfall eine Entscheidung treffen müssen. Grundsätzlich sei es sinnvoll, Angehörige über die eigene Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu informieren.

Zentrales Organspenderegister ab 2024

Auch auf Bundesebene sei nicht geplant dem Organspende-Tattoo in Zukunft eine rechtskräftige Wirkung einzuräumen, so das Gesundheitsministerium auf SWR-Anfrage. Ministeriumssprecherin Parissa Hajebi verwies zudem auf das Organspenderegister, welches die Bundesregierung ab 2024 an den Start bringen will. Dort können Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, jederzeit Erklärungen zur Organspende abgeben, ändern oder widerrufen. 

Eine Auskunft aus dem Register erhält ausschließlich die Person, die die Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgegeben hat, sowie medizinisches oder pflegerisches Personal, das von einem Krankenhaus dem Register gegenüber als auskunftsberechtigt benannt wurde und welches weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe der möglichen Organspenderin bzw. des möglichen Organspenders beteiligt ist, erklärt das Ministerium.

Organspendetattoo gut überlegen

Kim rät auch davon ab, das Tattoo rechtlich bindend zu machen. Das könne Leute abschrecken: "Einen Organspendeausweis kann ich rückgängig machen." Bei einem Tattoo ginge das nicht so schnell. Chris von der "Inkeria" erinnert: "Man sollte halt drüber nachdenken, was man sich unter die Haut stechen lässt." Und das gelte auch für das Organspendetattoo.




Neue Westfälische 11.05.2023

Mindener Tageblatt 11.05.2023

Kampf für Organspenden

Vor 13 Jahren erhält Hubert Knicker ein Spenderherz. Seitdem engagiert sich der Bad Oeynhausener als ehrenamtlicher Organpate, um Mitmenschen zu einer Entscheidung zu motivieren.

Bad Oeynhausen/Rödinghausen. 8.500 Menschen warten in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan, weil sie schwer krank sind. Viele überleben die Wartezeit jedoch nicht, weil die Zahl der Organspender so gering ist. Auch Hubert Knicker ist vor 13 Jahren Teil dieser Liste und erlebt während der Wartezeit, wie vier seiner Mitpatienten sterben. Der Bad Oeynhausener schwört sich damals, dass er sich für das Thema Organspende einsetzen wird, wenn er Wartezeit und Transplantation überleben sollte. Dank einer rechtzeitigen Herzspende schafft er das auch und verschreibt sich der Aufklärung. Ein Engagement, das im wahrsten Sinne des Wortes vom Herzen kommt.

Als ehrenamtlicher Organpate für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hält Knicker deutschlandweit Vorträge. „Damit möchte ich meine Dankbarkeit ausdrücken, denn ich bin nur noch deshalb am Leben, weil sich ein Mitmensch dazu entschieden hat, nach dem Tod seine Organe zu spenden“, sagt Knicker. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, berichtet Knicker seit der erfolgreichen Transplantation mit der unermüdlichen Unterstützung seiner Frau Karin eindrucksvoll und persönlich, aber nie belehrend Zuhörern in Schulen, Kirchen, Unternehmen, Kliniken, Hochschulen und Behörden von seinem langen Weg.

„Ich möchte niemanden überreden, sondern dabei unterstützen, eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen, denn es gibt große Wissenslücken“, weiß Knicker. Zudem fehle oft die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Dann überlässt man im Ernstfall allerdings seiner Familie die Entscheidung und das ist für trauernde Angehörige sehr belastend.“ Knicker rät deshalb zu einer klaren Festlegung. „Die Entscheidung sollte man schriftlich in einem Organspendeausweis festhalten und seiner Familie mitteilen.“

Diesen Rat gibt er auch den Schülern der Klasse 10c der Gesamtschule Rödinghausen mit, in der Knicker in dieser Woche einen Vortrag hält. Der 65-Jährige erklärt die Begriffe Defibrillator, Kunstherz, Organspende und Hirntod, gewährt aber auch intime Einblicke in sein Leben. So erzählt Knicker unter anderem von dem Moment, als 1995 sein Leben aus den Fugen gerät. Der Krankenpfleger erhält damals die Diagnose Herzmuskelentzündung, ausgelöst durch eine verschleppte Virusinfektion als Folge eines Mückenstichs. „Ich war erst 37 Jahre alt und meine Frau musste sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass wahrscheinlich nicht mehr viele Jahre hinzukommen würden.“

Lange ist Knicker gar nicht bewusst, wie krank er wirklich ist. „Ich dachte immer, dass sich die Ärzte irren, weil ich noch so jung war. Doch meine Herzleistung lag nur noch bei 30 Prozent, weshalb ich nicht mehr arbeiten und auch nicht mehr so für unseren Sohn da sein konnte wie gewohnt.“ Im Herzzentrum Bad Oeynhausen wird Knicker dann aber schnell klar, dass seine Erkrankung lebensbedrohlich ist. „Der damalige ärztliche Direktor Reiner Körfer sagte mir: ‚Knicker, Sie haben noch zwei Möglichkeiten, sterben oder Kunstherz.‘“ Zwischen Diagnose und Transplantation bestimmen Ängste, Rückschläge, starke Medikamente, Defibrillatoren und ein Kunstherz sein Leben. „Das war eine schwere Zeit, auch für meine Frau.“ Seinen jungen Zuhörern in der Gesamtschule Rödinghausen erzählt Knicker offen von dieser Zeit mit Schmerzen, Tränen und Gebeten. Die Schüler verfolgen die offenen Worte mit Spannung.

Knickers Vortrag ist Teil des Biologieunterrichts von Lehrerin Ina Kröger, die seit zehn Jahren mit dem Bad Oeynhausener zusammenarbeitet. „Die Rückmeldungen der Klassen sind immer gut, weil die Schüler so auch die Perspektive der Betroffenen kennenlernen.“ Zur Vorbereitung des Vortrags ist das Thema Organspende bereits Teil des Unterrichts. „Anfangs fragen viele Schüler, warum sie in ihrem Alter darüber sprechen müssen, doch es ist wichtig früh darüber zu sprechen, denn es kann jeden treffen und die geringe Zahl der Organspender in Deutschland ist ein Problem.“ Kröger ist deshalb froh über das Engagement Knickers. „Ich freue mich immer sehr, wenn die Schüler die Möglichkeit haben, mit ihm zu sprechen.“

Das Interesse daran ist groß, denn die Schüler stellen Knicker viele Fragen. Spüren Sie Ihr Spenderherz? Dürfen Sie Ihre Organe nach dem Tod spenden? Haben Sie Angst, dass Ihr Körper das Organ wieder abstößt? Wie finden Sie die Regel, dass Organempfänger die Familien des Spenders nicht kennenlernen dürfen? „Ich freue mich immer über viele Fragen, weil die Schüler mir damit zeigen, dass sie sich für dieses wichtige Thema interessieren. Das macht mir Hoffnung für die Zukunft“, sagt Knicker.


Kontakt zu Hubert Knicker

Hubert Knicker ist ehrenamtlich als Organpate in Deutschland unterwegs, um über das Thema Organspende aufzuklären. Wer Interesse an einem Vortrag in Schulen, Unternehmen, Hochschulen, Vereinen, Kirchen, Kliniken, Behörden oder anderen Einrichtungen hat, kann sich bei dem Bad Oeynhausener melden. Seine Kontaktdaten: hubert.knicker@web.de

Seine Erlebnisse hat Knicker auch als Buch mit dem Titel „Danke für den Rest Deines Lebens: Mein neues Leben durch ein Spenderherz und der lange Weg dahin“ veröffentlicht. Gewidmet ist es seiner Frau Karin.

Weitere Informationen: www.organpate-owl.de








Krankenkassen: 265 Schwerkranke warten auf Spenderorgan

04.05.2023, 13:25 

In Thüringen stehen nach Angaben von Krankenkassen 265 schwerkranke Menschen auf der Warteliste der Stiftung Eurotransplant für ein Spenderorgan. Die meisten warten auf eine Spenderniere, wie der Verband der Ersatzkassen (VdEK) am Donnerstag mitteilte. Bundesweit warteten etwa 8500 Menschen auf ein dringend benötigtes Spenderorgan. Der Thüringer VdEK-Geschäftsführer Arnim Findeklee appellierte am Donnerstag an die Spendenbereitschaft der Thüringer. 

In Thüringen stehen nach Angaben von Krankenkassen 265 schwerkranke Menschen auf der Warteliste der Stiftung Eurotransplant für ein Spenderorgan. Die meisten warten auf eine Spenderniere, wie der Verband der Ersatzkassen (VdEK) am Donnerstag mitteilte. Bundesweit warteten etwa 8500 Menschen auf ein dringend benötigtes Spenderorgan. Der Thüringer VdEK-Geschäftsführer Arnim Findeklee appellierte am Donnerstag an die Spendenbereitschaft der Thüringer.

Im ersten Quartal 2023 wurden laut Kassenverband in Thüringen 22 Organe von acht Spendern entnommen und über Eurotransplant an Schwerkranke bundesweit und im Ausland vermittelt. Die Stiftung ist verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern. Zu den Ersatzkassen gehören unter anderem Barmer, DAK und Techniker Krankenkasse.






Aktualisiert: 24.04.2023  Jürgen Stahl 


Bochum.  Die Zahl der Organspender ging 2022 deutlich zurück. Eine Tagung in Bochum bringt die Widerspruchslösung erneut ins Spiel. Die SPD will handeln. 

Drei Jahre nach dem Beschluss des Bundestags, bei Organspenden eine sogenannte Entscheidungslösung anzuwenden, habe sich „nichts, aber auch gar nicht verbessert“. Das beklagt Prof. Richard Viebahn, Leiter des Transplantationszentrums am Knappschaftskrankenhaus Langendreer. Sein Appell, die Widerspruchslösung erneut auf die politische Agenda zu setzen, fand am Wochenende Unterstützung bei einem Aktionstag auf dem Bochumer Gesundheitscampus.

Organspenden: Rückgang in Nordrhein-Westfalen beträgt 18 Prozent

Nach jahrelangen Diskussionen hatte sich Anfang 2020 eine Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem Antrag durchgesetzt, die Information über Organspenden zu verstärken – etwa bei der Verlängerung des Ausweises oder beim Hausarzt. Ob eine Organspende erfolgen darf oder nicht, soll ab 2024 in einer zentralen Datenbank registriert werden.

Die Reform sei gescheitert, konstatiert Richard Viebahn, der sich an der Uni-Klinik in Langendreer auf die Verpflanzung von Nieren und Bauchspeicheldrüsen spezialisiert hat. Ernüchternd sei die aktuelle Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Danach ist die Zahl der Spenden 2022 bundesweit um sieben Prozent gesunken: von 933 auf 869. In Nordrhein-Westfalen betrug das Minus sogar 18 Prozent.

Organspende-Stiftung: Wille von Verstorbenen ist oft nicht bekannt

Als eine Ursache erkennt DSO-Geschäftsführer Dr. Scott Oliver Grebe die Corona-Pandemie. Auch die Demografie spiele eine Rolle: Potenzielle Organspender werden tendenziell älter und kränker – mit den entsprechenden medizinischen Kontraindikationen.

„Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist aber die fehlende Einwilligung“, schildert Grebe, der mit der DSO Bindeglied zwischen den landesweit 300 „Entnahmekliniken“ und den Transplantationszentren ist. „Dabei ist auffällig, dass die Ablehnung in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen oder mündlichen Willen der Verstorbenen basiert.“ 

Experten: Widerspruchslösung würde zum Umdenken führen

Stattdessen entschieden sich Angehörige häufig aus Unsicherheit gegen eine Organspende. „Daher ist unser Appell, zu Lebzeiten eine Entscheidung zu treffen, diese etwa mit einem Spenderausweis zu dokumentieren und mit der Familie darüber zu sprechen“, betont Grebe, der am Samstag zu den Teilnehmern eines Aktionstages in der Geschäftsstelle des „Netzwerks Organspende NRW“ auf dem Gesundheitscampus zählte.

Die Gesetzesänderungen von 2020 hätten wegen der Pandemie noch nicht ausreichend Zeit gehabt, um zu greifen. „Grundsätzlich erhoffe ich mir davon in Zukunft höhere Spenderzahlen“, sagt Grebe. Gleichwohl sei er persönlich ein Anhänger der Widerspruchslösung. Dabei müssen die Bürger ausdrücklich „Nein“ sagen, wenn sie gegen eine Organentnahme nach ihrem Tod sind. Sonst werden sie automatisch zum Spender. Grebe: „Das würde zu einem Umdenken und zu einer Enttabuisierung beitragen und die Organspende ein Stück weit zur Normalität machen. Ich würde mich freuen, wenn die Politik die Widerspruchslösung noch einmal aufgreifen würde.“

SPD-Abgeordneter kündigt neue Initiative im Bundestag an

Der Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer schließt sich der Forderung an. „Wir werden die Widerspruchslösung erneut auf die Agenda setzen“, kündigte Schäfer gegenüber der WAZ an. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wisse er dabei an seiner Seite. 

Eile ist geboten. 8500 Namen umfasst die Warteliste der Patienten, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind: mit großem Abstand auf eine Niere (6700), gefolgt von Leber, Herz, Bauchspeicheldrüse und Lunge. „Nieren-Patienten hängen im Schnitt acht Jahre an der Dialyse, bevor ein Spenderorgan bereitsteht. Viele überleben das nicht“, sagt Richard Viebahn. Das sei „ein Armutszeugnis für Deutschland“. In Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt, seien die Spenderzahlen fünfmal höher.







Deutschland Unionsvorschlag 

So soll die Zahl der Organspenden in Deutschland steigen

Veröffentlicht am 19.04.2023 

Von Kaja Klapsa 

Redakteurin Innenpolitik 

Wenn eine Spende an den eigenen Partner wegen der falschen Blutgruppe ausgeschlossen ist, kann eine Überkreuzspende Paaren wechselseitige Transplantationen ermöglichen. Die Union möchte auch in Deutschland diese woanders bereits praktizierte Crossover-Spende erlauben. 

Nach dem Willen der Unionsfraktion im Bundestag sollen möglichst rasch in Deutschland die Voraussetzungen für die im Ausland bereits etablierte anonyme Crossover-Lebendspende geschaffen werden. So soll die Zahl von Organspenden, etwa der Niere, deutlich erhöht werden. Der Gesundheitspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Pilsinger, sagte am Mittwochabend WELT Fernsehen: „Wir wollen ermöglichen, dass man zukünftig auch Überkreuz-Organlebendspenden machen kann. Bisher ist es nur möglich, dass man engen Angehörigen oder Personen, zu denen man eine persönliche Nähe nachweisen kann, ein Organ spenden kann.“ Die Unionsfraktion wird Pilsinger zufolge kommende Woche einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen.

Viele Menschen können ihren Angehörigen kein Organ spenden, weil etwa die Blutgruppen oder Gewebe nicht zusammenpassen. Als Alternative bleibt dann nur die Warteliste für die Organtransplantation von Verstorbenen. Allerdings beträgt die Wartezeit dort bis zu zehn Jahre, ein Teil der Patienten verstirbt vorher. 2022 standen auf der Liste 8700 Erkrankte, im Jahr zuvor waren es 6593. Dem gegenüber stehen 1992 Personen, denen 2021 eine Niere transplantiert wurde.

Pilsinger ist davon überzeugt, dass mit der Zulassung der Crossover-Organspende, die etwa in Österreich, Großbritannien, Spanien, Niederlande und den USA bereits angewandt wird, die Zahl der Lebendspenden spürbar gesteigert werden kann.

Das System funktioniert beispielhaft wie folgt: Lukas aus Hamburg möchte seiner Frau Luisa seine Niere spenden, hat aber eine andere Blutgruppe und fällt daher als Spender aus. Beide tragen sich in ihrem Krankenhaus in ein Register ein und werden mit den Daten anderer Paare abgeglichen, die vor dem gleichen Problem stehen. So finden sie ein Paar aus München, bei dem die Blutgruppe des spendewilligen Partners ebenfalls nicht mit dem seiner Frau zusammenpasst - allerdings mit der Blutgruppe von Luisa in Berlin. Anschließend kann überkreuz gespendet werden - Lukas spendet an die Münchner Ehefrau und der Münchner Ehemann spendet an Luisa.

Nach der Vorstellung von Pilsinger sollte die Überkreuz-Organspende anonym stattfinden. Dafür brauche man ein staatlich geführtes und IT-gestütztes Register, in dem möglichst viele Paare erfasst und die Daten regelmäßig abgeglichen werden. „Um so mehr Menschen in diesem Register sind, um so mehr Matches gibt es“, so Pilsinger. Deshalb sollte das Register auch mit möglichst vielen anderen Ländern vernetzt werden. 





DIATRA - Nephrologie/Transplantation/Diabetologie

                                                                                         Vall                                                                                                      d’Hebron 

Transplantation                                                                18. Apr. 2023 


Spanien: Erste vollständig robotergestützte Lungentransplantation mit neuem Zugangsweg

Das Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron in Barcelona hat einen doppelten Meilenstein auf dem Gebiet der Lungentransplantation erreicht. Zum ersten Mal wurde eine Lunge mit einer minimal-invasiven Technik transplantiert, bei der ein Roboter zum Einsatz kommt. Außerdem wurde ein neuer Zugang geschaffen, über den die kranke Lunge entfernt und die neue Lunge eingesetzt werden kann. Der neue Zugang, der nur einen acht Zentimeter langen Schnitt erfordert, wurde im unteren Teil des Brustbeins, direkt über dem Zwerchfell, angelegt. Damit ist es nicht mehr notwendig, eine große Öffnung durch Durchtrennung der Rippen und Öffnung des Brustkorbs zu schaffen, was bisher die einzige Möglichkeit war. Dieser bahnbrechende Eingriff, der an einem 65-jährigen Mann vorgenommen wurde, der aufgrund einer Lungenfibrose eine Lungentransplantation benötigte, wurde im Rahmen eines multidisziplinären Eingriffs durchgeführt, an dem Fachleute der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation, der Abteilung für Anästhesie, Reanimation und Schmerztherapie, der Abteilung für Herzchirurgie und der Abteilung für Transplantationspflege beteiligt waren.

Bei der Lungentransplantation werden eine oder beide kranke Lungen durch gesunde ersetzt. Dies geschieht in der Regel bei einer Krankheit, die mit einer schweren und fortschreitenden chronischen Ateminsuffizienz einhergeht. Die ersten Lungentransplantationen wurden 1981 in Kalifornien durchgeführt. In Katalonien wird diese Art von Verfahren ausschließlich am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron für Kinder und Erwachsene durchgeführt. Seit Beginn des Programms wurden in Vall d'Hebron mehr als 1.556 Lungentransplantationen durchgeführt.

"Wir sind stolz darauf, heute eine bahnbrechende Technik vorzustellen, die vom katalanischen Gesundheitssystem durchgeführt wird und zur klinischen Verbesserung aller Patienten auf internationaler Ebene beiträgt", so Manel Balcells, Gesundheitsminister von Katalonien. "Wir stellen eine neue Technik in der Lungenchirurgie vor, die einen internationalen und globalen Fortschritt darstellt. Wir tun dies zusammen mit Xavier, dem ersten Patienten, der mit Hilfe der Roboterchirurgie transplantiert wurde, und mit einem neuen, weniger invasiven Zugang, der eine schnellere Genesung ermöglicht". Manel Balcells erklärt außerdem, dass Vall d'Hebron "ein Referenzzentrum für Lungentransplantation für 10 Millionen Menschen ist: Katalonien, Aragonien und die Balearen. Als öffentliches Gesundheitssystem bieten wir neue Techniken in der globalen klinischen Praxis an, die das Wohlbefinden aller Patienten verbessern".

"Das Hauptproblem bei der Öffnung des Brustkorbs bei Lungentransplantationen ist, dass es sich um einen sehr aggressiven Ansatz handelt, der zu einer sehr heiklen postoperativen Phase führt", erklärt Dr. Albert Jauregui, Leiter der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron. Um eine Abstoßung des neuen Organs oder der neuen Organe zu verhindern, müssen bei jeder Transplantation Medikamente verabreicht werden, die das Immunsystem des Patienten für den Rest seines Lebens unterdrücken. Dies bedeutet, dass das Risiko einer postoperativen Infektion immer sehr hoch ist. In einigen Fällen kommt es zu einer Infektion, und die Wunde schließt sich nicht richtig (bei der Transplantation beider Lungen ist der Schnitt etwa 30 Zentimeter lang und verläuft von einer Seite des Brustkorbs zur anderen). Wenn sich die Wunde aufgrund einer Infektion nicht schließt, muss erneut operiert werden, um die Infektion unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen auch bedenken, dass Patienten, die eine Lungentransplantation benötigen, eine chronische Ateminsuffizienz haben und dass einfache Handlungen wie der Gang zur Toilette für diese Menschen anstrengend sein können. Aggressive Operationen, wie die herkömmliche Lungentransplantation, können daher viele negative Folgen nach sich ziehen. Doch jetzt hat sich das Paradigma geändert: Mit dieser neuartigen Operationstechnik können wir einen kleinen Teil der Haut, des Fetts und des Muskels durchtrennen, so dass eine Wunde zurückbleibt, die sich leicht schließen lässt. Das ist nicht nur viel sicherer als die herkömmliche Methode, sondern bei diesem ersten Patienten auch praktisch schmerzfrei. Dies ist ein historischer Meilenstein, von dem wir glauben, dass er das Leben von Tausenden von Patienten verbessern wird", so Dr. Albert Jauregui.

Die Fachleute der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation des Universitätsklinikums Vall d'Hebron planten schon seit einiger Zeit, die Roboterchirurgie bei Lungentransplantationen einzuführen. Diese Innovation war zuvor nur einmal, allerdings in einem weniger ehrgeizigen Verfahren, im Cedars-Sinai Hospital in Los Angeles (USA) eingesetzt worden. In diesem amerikanischen Krankenhaus wurde im vergangenen Jahr erstmals die Roboterchirurgie im Rahmen einer Lungentransplantation eingesetzt, um die neue Lunge mit den Atemwegen und großen Gefäßen des Patienten zu vernähen. Der Rest der Operation wurde jedoch auf herkömmliche Weise durchgeführt, und die Lunge wurde wie üblich durch die Rippen eingeführt.

"Wir in Vall d'Hebron haben schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht, wie wir diese sehr aggressive Operation weniger invasiv gestalten können. Wir standen jedoch immer vor dem gleichen Problem: Wir konnten keinen Weg finden, die kranke Lunge zu entfernen und die neue einzusetzen", erklärt Dr. Albert Jauregui. Er fügte hinzu: "Schließlich kam Dr. Iñigo Royo Crespo, ein Spezialist in der Abteilung für Thoraxchirurgie und Lungentransplantation, auf die Idee, einen Zugangsweg zu erforschen, der bei Operationen von Lungenkrebs und des Thymus verwendet wird, die sogenannte subxiphoide Chirurgie."

Das Xiphoid ist eine kleine knorpelige Verlängerung des unteren Teils des Brustbeins. Die Chirurg:innen machten manuell einen acht Zentimeter langen Einschnitt in die Haut unterhalb des Xiphoids und oberhalb des Zwerchfells. In das offene Loch setzten sie einen Weichteilretraktor ein: ein einfaches Kunststoffwerkzeug, das dazu dient, den Schnitt während der Operation zur Entfernung der kranken Lunge und zum Einsetzen der neuen Lunge offen und sauber zu halten. Die Haut ist hier sehr elastisch, sodass die acht Zentimeter ausreichen, damit die Lunge hindurchpasst. Dies unterscheidet sich von dem bei Transplantationen üblichen Schnitt zwischen zwei Rippen, der nicht elastisch ist. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Operation zu 100 % robotergestützt durchgeführt: Vier Arme des Da-Vinci-Roboters wurden durch vier kleine Löcher (mit einer Breite von 8 bis 12 Millimetern) an verschiedenen Stellen des Brustkorbs eingeführt. Der Thoraxchirurg sitzt an der Konsole und bewegt die Arme des Roboters mithilfe von vier verschiedenen Steuerhebeln: Ein Hebel bewegt einen Arm, der das Herz vorsichtig von der Lunge trennt, sodass er die Entnahme oder das Einsetzen der Lunge nicht behindert; zwei Arme tragen die chirurgischen Werkzeuge wie Skalpelle und Zangen; und der vierte Arm enthält eine Kamera, die dem Chirurgen eine 3D-Ansicht des Körperinneren ermöglicht ( zur Erinnerung: Bislang wurde bei Lungentransplantationen der Brustkorb geöffnet, sodass die Operateure alles mit dem bloßen Auge sehen konnten). Der Da Vinci-Roboter ermöglicht hochpräzise chirurgische Eingriffe, da er eine hervorragende Sicht und eine größere Bewegungsfreiheit bietet. Mit dieser Technologie können minimale, präzise und weniger invasive Schnitte vorgenommen werden, wodurch die Risikofaktoren Zittern, unwillkürliche Bewegungen der Chirurgen und Ermüdung der Körperhaltung bei langen Operationen beseitigt werden.

Nachdem die Lunge des Patienten durch die Roboterarme vom Herzen getrennt worden war, wurde die kranke Lunge durch die subxiphoide Öffnung entfernt. Die neue Lunge wurde dann durch denselben Einschnitt eingeführt und mit den Roboterarmen am Körper befestigt. Auf diese Weise wurde am Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron die erste vollständig robotergestützte Lungentransplantation durchgeführt, die einen echten Wendepunkt in der Geschichte der Lungentransplantation darstellen könnte.

Lungentransplantation: eine multidisziplinäre Aufgabe

Ein wichtiges Fachgebiet bei allen chirurgischen Eingriffen ist die Anästhesie. Wie Dr. Maribel Rochera, Leiterin der Abteilung für Anästhesie, Wiederbelebung und Schmerztherapie, ausführt, "überwachen diese Spezialisten den Zustand des Patienten zu jeder Zeit und halten ihn während der gesamten Operation in bestmöglichem Zustand. Da es sich um eine bahnbrechende Technik handelt, mussten wir unsere Erfahrungen sowohl mit traditionellen Transplantationen als auch mit der robotergestützten Thoraxchirurgie kombinieren, was eine Menge Teamarbeit erforderte". Carme Vallès, Leiterin der Pflegeabteilung für Transplantationskoordination, erklärt: "Diese Technik war für uns alle völlig neu. Allerdings hatten wir uns in der Pflegeabteilung schon seit einiger Zeit auf diesen Moment vorbereitet". Mit diesem Meilenstein wird "die Intensivierung der pflegerischen Betreuung im chirurgischen Prozess und die Bedeutung der Auswahl der OP-Schwester, des Perfusionisten und des Anästhesisten für die Durchführung der robotergestützten Operation deutlich: eine Herausforderung, die dank der Teamarbeit und des professionellen Konsenses erfolgreich bewältigt wurde".

Wenn die Transplantationspatient:innen den Operationssaal verlassen, werden sie immer auf die Intensivstation überwiesen, da sie dort nach einer solch komplexen Operation am besten versorgt werden. Der erste robotergestützte Lungentransplantationspatient wurde nach demselben Verfahren behandelt. Dr. Judit Sacanell, Fachärztin für Lungentransplantation in der Abteilung für Intensivmedizin, betont: "Die Rolle der Abteilung für Intensivmedizin ist von entscheidender Bedeutung für die unmittelbare postoperative Phase von Transplantationspatienten und die Behandlung möglicher Komplikationen nach der Operation. Wir hoffen, dass diese neue Technik es uns ermöglicht, die Zahl der Komplikationen im Zusammenhang mit dieser Art von chirurgischem Vorgehen zu verringern". Abschließend erklärt Dr. Carles Bravo, medizinischer Leiter des Lungentransplantationsprogramms des Krankenhauses, dass "dank dieses wichtigen Meilensteins das Lungentransplantationsprogramm in eine neue Phase der minimalinvasiven Chirurgie eintritt, die zahlreiche Vorteile für den Lungentransplantationspatienten bietet und die Ergebnisse des Lungentransplantationsprogramms verbessern wird".




Mindener Tageblatt Nr.78 Freitag, 14. April 2023 


Angehörige lehnen Organspende oft ab 


Eine Untersuchung der sieben Universitätskliniken in NRW zeigt, dass die wenigsten Menschen ihren Willen
dokumentieren. Das belastet und verunsichert Familien sehr, mitunter kommt es sogar zu Konflikten. 


Carolin Nieder-Entgelmeier.

Bielefeld.

Die Zahl der Organspender ist in Deutschland 2022 gesunken. 869 Menschen haben nach ihrem Tod Organe gespendet und damit 2.695 schwerkranken Menschen geholfen. Damit entspricht die Zahl 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner, eine im internationalen Vergleich sehr geringe Zahl. Und das, obwohl Umfragen immer wieder zeigen, dass die große Mehrheit der Deutschen der Organspende positiv gegenübersteht. In der Realität kommt es jedoch deutlich seltener zu einer Organspende, weil die meisten Menschen ihre Entscheidung nicht dokumentieren und die Angehörigen dann dagegen votieren. Das zeigt eine Untersuchung der sieben Universitätskliniken in NRW. 71 Prozent der Deutschen, die bereits eine Entscheidung zur Organspende getroffen haben, würden ihre Organe nach dem Tod spenden. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2020. „Zu einer derart hohen Zustimmungsrate kommt es in der Realität jedoch nur, wenn die Patienten ihren Willen zur Organspende schriftlich dokumentieren, zum Beispiel mittels eines Organspendeausweises“, erklärt Intensivmediziner Friedhelm Bach, der im evangelischen Klinikum Bethel als Transplantationsbeauftragter tätig ist. Insgesamt liege die Zustimmungsrate zu einer Organspende an den Universitätskliniken Bielefeld, Münster, Düsseldorf, Essen, Aachen, Köln und Bonn mit 38 Prozent nur etwa halb so hoch wie in den Umfragen berichtet.
Um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, haben die Transplantationsbeauftragten der Kliniken 289 Todesfälle mit Hirnschädigung genauer untersucht, die zwischen Juni 2020 und Juni 2021 an den sieben Standorten identifiziert wurden. Eine Zustimmung zur Organspende gab es in 110 Fällen, davon 30 in schriftlicher Form. „Lag die Zustimmung zur Organspende schriftlich vor, ergab sich eine Zustimmungsrate von 70 Prozent“, erklärt Studienautor Bach. „Werden alle Personen mit schriftlicher und mündlicher Willensbekundung berücksichtigt, sank die Zustimmungsrate auf 49 Prozent.“
Die Untersuchung zeigt, dass die wenigsten Menschen ihren Willen dokumentieren und ihre Angehörigen darüber informieren. Lediglich 14 Prozent der potenziellen Spender, die Bach und seine Kollegen untersucht haben, hatten einen Organspendeausweis. Gemäß der Umfrage wäre das jedoch bei 44 Prozent der Bevölkerung zu erwarten gewesen. „Es besteht eine große Diskrepanz zwischen Umfrage und Wirklichkeit“, erklärt Bach.
Die Ergebnisse der Studie zeigen nach Angaben des Intensivmediziners deshalb, wie wichtig es ist, dass Menschen ihren Willen zur Organspende vor ihrem Tode schriftlich dokumentieren und ihre Angehörigen darüber informieren. „Ist der Wille eines möglichen Organspenders unbekannt, müssen die Angehörigen allein entscheiden und das ist für Menschen in der schweren Zeit des Abschiednehmens und Trauerns unglaublich schwer.“ Ein Organspendeausweis oder eine andere Form der Dokumentation entlaste Angehörige. „Denn dann ist der Patientenwille bekannt und die Angehörigen können in diesem Sinne entscheiden. Vielen Menschen spendet das Trost, weil sie wissen, dass die Organe weiterleben und anderen Menschen helfen.“ Ohne das Wissen, entscheiden sich die meisten Angehörigen nach Angaben Bachs gegen eine Organspende. „Oft aus Überforderung und Unsicherheit, weil sie nichts falsch machen möchten.“ Häufig lehnen
Angehörige jedoch auch aus Überzeugung ab. „Manche begründen die Entscheidung mit religiösen Gründen, die meisten erklären sich aber nicht und das müssen sie auch nicht.“ Ein nicht bekannter Wille kann laut Bach auch zu Konflikten in Familien führen. „Als Transplantationsbeauftragte versuchen wir dann immer einen Konsens herzustellen, damit alle Angehörigen mit der Entscheidung leben können. Gespräche sind deshalb sehr wichtig.“ In sehr seltenen Fällen kommt es nach Angaben des Intensivmediziners vor, dass sich Angehörige gegen den Willen des Patienten stellen, der sich vor seinem Tod für eine Organspende entschieden hat. „Das Vorgehen in solchen Fällen wird in der Medizin sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Ärzte, die den Patientenwillen durchsetzen, unabhängig von der Meinung der Angehörigen. Ich würde moderater vorgehen, wenn mir Angehörige glaubhaft versichern können, dass sie mit der Entscheidung nicht leben können.“ Ziel sei jedoch grundsätzlich die Umsetzung des Patientenwillens im Konsens mit der Familie, sagt Bach.Mit Blick auf die Studie steht für die Transplantationsbeauftragten der Universitätskliniken fest, dass in Deutschland noch mal über die gesetzlichen Vorgaben zur Organspende diskutiert werden muss, weil das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft keinen positiven Effekt auf die Organspendezahlen und die Dokumentation einer Entscheidung hat. „Ich habe den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen mit dem Thema befassen und vor allem Jüngere dafür auch aufgeschlossen sind. Doch das reicht nicht“, erklärt Bach. „Mit der Einführung der Widerspruchslösung könnte hier sanfter Druck ausgeübt werden, weil die Bürger dann zu einer Entscheidung für oder gegen eine Organspende gezwungen werden.“ Dafür sei jedoch eine gute Entscheidungsgrundlage nötig, weil noch immer sehr viele Fehlinformationen kursierten. „Wir müssen seriös aufklären, um Akzeptanz zu schaffen.








Entscheidungsregelung

Bundesregierung bestätigt Verzögerung bei Organspender-Register bis 2024

Veröffentlicht: 07.04.2023, 18:29 Uhr 

Düsseldorf. Die Bundesregierung hat erneut die Verzögerung beim Start des geplanten Organspender-Registers eingeräumt. Die „Rheinische Post“ berichtet aus der Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion, wonach das Register wohl erst im ersten Quartal 2024 in Betrieb gehen soll. Diese Verzögerung teilte das Bundesgesundheitsministerium bereits im Juli vergangenen Jahres mit.

Bei der Errichtung des Registers handele es sich um ein anspruchsvolles, komplexes Digitalprojekt, erläutert die Bundesregierung: „Angesichts der besonderen Sensibilität der gespeicherten Erklärungen sind hohe Anforderungen an die Datensicherheit und die Authentisierungsverfahren von Erklärenden sowie des zugriffsberechtigten Personals in den Krankenhäusern zu stellen.“

Union wirft Lauterbach Verzögerung vor

Der Unions-Gesundheitspolitiker und Hausarzt Stephan Pilsinger (CSU) warf Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) vor, die Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende zu verzögern. Es wurde vom Bundestag bereits beschlossen und ist am 1. März 2022 in Kraft getreten. Das Register ist darin enthalten.

„Dass Lauterbach seiner Verantwortung als Bundesgesundheitsminister nicht nachkommt, das vom Bundestag längst beschlossene Gesetz umzusetzen, gegen das er als einfacher Abgeordneter noch gestimmt hatte, riecht nach bewusster Verschleppung. Erst recht, wenn er jetzt fordert, erneut über die Widerspruchslösung zu debattieren“, sagte Pilsinger.

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), erklärte: „Der Bundesgesundheitsminister hat den Auftrag des Parlaments, die Entscheidungslösung bei der Organspende zu stärken, offensichtlich nicht zur Chefsache gemacht.“ (KNA)





Freitag, 7. April 2023 · Nr. 83   Mindener Tageblatt


Die frohe Botschaft
Jana Frevert aus Lerbeck kämpft zum zweiten Mal gegen den Krebs und gibt die Hoffnung nicht auf.
Mittlerweile hat sie Stammzellen ihres Bruders erhalten. Mitte April steht ein alles entscheidender Termin an.


Thomas Lieske
Porta Westfalica-Lerbeck. Hoffnung.

Sie ist im Moment Jana Freverts wichtigste Medizin. Und sie hat angeschlagen. Die 48-Jährige aus Lerbeck hat vor Weihnachten zum zweiten Mal die Diagnose Krebs erhalten. Seitdem ist viel passiert. Vieles, das Hoffnung macht.
Hoffnung auf einen neuen Lebensabschnitt. An einem Montag, Ende Januar, klingelt das Telefon. „Das war ganz komisch. Ich sollte mich auf einen stationären Aufenthalt in der Klinik in Münster vorbereiten“, erinnert sich Jana Frevert. Chemotherapie, das Übliche. Sieben Tage liegt die Portanerin auf der Station und glaubt, dass alles ist wie immer. Dass sie weitere Medikamente bekommt, dass sie weiter warten muss. Warten auf die lebensrettende Stammzellenspende.
Dann geht die Tür ihres Klinikzimmers auf. Vor ihr steht ihr Bruder, er hat eine frohe Botschaft. „Er kam rein und sagte, dass er der passende Spender ist“, weiß Jana Frevert noch genau.
„Das war für mich die größte Überraschung. Er hat vorher nichts erzählt und ich durfte ja auch keinen Besuch empfangen.“ Zu diesem Zeitpunkt hat ihr Bruder bereits Stammzellen gespendet.
Die Vor-Tests sind positiv verlaufen. Der Transplantation steht nichts mehr im Weg. „Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Den restlichen Tag saß ich auf meinem Bett und habe nur noch geheult. Geweint vor Glück. Gehofft hatte sie, dass sich irgendjemand unter Millionen weltweit registrierten Spendern findet. Dass es am Ende ihr eigener Bruder sein wird, der ihr zu einem neuen Lebensabschnitt verhelfen kann, war maximal ein kleiner Funken Hoffnung. „Dann ging alles ganz schnell“, erinnert sich die 48-jährige Mutter von zwei Kindern. „In der Nacht darauf habe ich wenig geschlafen. Mir ging alles durch den Kopf: Wird es jetzt besser? Schaffst du das überhaupt?“ Doch aufgeben ist für Jana Frevert keine Option, schon gar nicht so kurz vor der Transplantation.
Am Mittag des 10. Februars läuft die Infusion in ihren Körper. Die Infusion, an der ihr Leben hängt. Der Krebs in ihr ist eine ebenso seltene wie aggressive Variante, die Zellen zerstört. Die Zeit rennt. Hoffnung haben selbst die Ärzte neben der Chemotherapie nur
noch in diese Transplantation gesetzt. Und auch für Jana Frevert gibt es nur diese eine Option: „Ich habe Spaß am Leben. Ich will meine Kinder weiter aufwachsen sehen, ich will das Leben wieder feiern. Also muss ich jetzt kämpfen.“ Jetzt hängt alles von dieser Infusion ab. Die Stammzellen ihres Bruders gehen in das Blut über und setzen sich ins Knochenmark. Das war der Teil, den die Ärzte beeinflussen können. Für alles andere vertraut die Portanerin jetzt auf ihren Körper. Und da ist sie wieder: die Hoffnung, die sie nie aufgegeben hat. „Wenn man sich selbst aufgibt, dann hat man schon verloren.“
Deshalb kämpft sie. Mit der Krankheit, mit ihrem Kopf, mit ihren Gedanken – für ihre Familie. Die ist in der Klinik die ganze Zeit bei ihr. Nicht physisch, Kontakt gibt es nur sehr begrenzt und nur durch eine Schleuse. Aber an der Wand im Krankenzimmer hat sie eine kleine Galerie kreiert. Auf den Fotos sind ihr Mann und ihre Kinder zu sehen. Und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Ein Stück Heimat im sterilen Patientenzimmer. „Ich habe die Bilder ständig angeschaut und zu mir gesagt: Ich muss kämpfen, für meine Familie kämpfe ich. Ich glaube, das hat mir sehr geholfen. Und nur vor eine weiße Wand zu starren, ist ja auch nicht so prall“, sagt Jana Frevert und lacht. „Ich habe immer nach vorn geschaut und positiv gedacht in dieser Zeit.“
Auch wenn ihr Sohn, ihre Tochter, ihr Mann und Hündin Nala eben nicht die ganze Zeit direkt bei ihr sein konnten. „Mal eben so Besuch zu empfangen, das war nicht drin. Mein Immunsystem muss sich jetzt von ganz unten neu aufbauen“, erzählt die 48-Jährige. Dazu kommt in den vier Wochen, die sie nach der Transplantation im Krankenhaus bleiben muss, die weite Fahrt von Porta nach Münster. Anderthalb Stunden pro Strecke, die Kinder und ihr Mann arbeiten, haben Schule, „und mir ging es auch nicht immer gut. Da wäre der Weg oft umsonst gewesen“, sagt Jana Frevert. Natürlich habe sie die Hoffnung auf ein Leben ohne Krebs nicht aufgegeben. Aber: „Da sind die guten Tage, und dann sind da andere, an denen es mir so dreckig geht, dass ich nicht mehr kann. Dann streikt der Körper.“ Die Nebenwirkungen der Therapie sind heftig. Schmerzen, Kraftlosigkeit, die Haut muss sich regenerieren. 35 Tabletten muss sie zu Anfang pro Tag einnehmen. Mittlerweile sind es noch 22.
„Da gibt es natürlich viele Begleiterscheinungen, aber auf die habe ich mich ohnehin eingestellt.“ So manches Medikament verträgt sich nicht mit dem anderen. Mit fatalen Auswirkungen. „An einem Wochenende im Krankenhaus hatte ich fürchterliche Halluzinationen, weil sich das Schmerzmittel über den Diffuser nicht mit dem Mittel gegen Pilzbefall vertragen hat“, erzählt die Portanerin. Daraufhin rief sie mitten in der Nacht ihren Mann an, weil sie glaubte, von tanzenden Krankenschwestern oder anderen bedrohlichen
Gestalten umgeben zu sein. „Erinnern kann ich mich daran überhaupt nicht.
Das hat mir mein Mann alles erzählt.“ Dagegen sind Schmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung nichts. Aber die nimmt die zweifache Mutter gern in Kauf. Denn die Blutwerte haben sich deutlich verbessert. Zwar erfährt sie offiziell erst am 12. April, ob die Stammzellentherapie wirklich angeschlagen hat. Doch auch vor dem alles entscheidenden Termin haben ihr die Ärzte bereits signalisiert, „dass es ziemlich gut aussieht“, freut sich Jana Frevert. Ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass ihr Körper die fremden Stammzellen annimmt und damit ein komplett neues Immunsystem aufbauen kann.
Und so hat sie auch nach der Rückkehr nach Hause zu kämpfen. „Die erste Woche war fürchterlich. Ich wollte mehr, war aber schlapp.
Manchmal habe ich es nur vom Bett aufs Sofa geschafft, um dort weiterzuschlafen.“ Aktuell vergleichen die Ärzte ihren Körper mit dem eines Babys. „Ich fange bei Null an.
Alles muss nun wieder aufgebaut werden. Und dafür brauche ich einfach Geduld.“ Und genau das, sagt Jana Frevert, sei nicht gerade ihre Stärke. Wie gern würde sie wieder die großen Runden mit Familienhündin Nala laufen. Wie gern würde sie wieder die Einkäufe erledigen, Bekannte und Freunde zu sich nach Hause einladen, arbeiten gehen. Das Leben leben, wie sie es vor der Diagnose Krebs getan hat. Dazu gehörten auch gesellige Osterfeste. Das wird in diesem Jahr anders sein. „Wir feiern in Ruhe, vielleicht gehen wir zu einem Osterfeuer.“ Da wolle sie aber Abstand halten zu den Menschen. Mund-Nasen-Schutz und ein eigenes Glas sind Pflicht – „wegen der Keime und der Infektionsgefahr“. All diese Umstände sind ihr aber egal: „Hauptsache, mal wieder unter Leute kommen“, sagt sie. Denn nach Ostern kommt wieder der Alltag. Und der findet derzeit mindestens einmal die Woche in der Klinik in Münster statt. Wo Ärzte sich ihre Blutwerte anschauen, ihre Ohren, Augen, Füße, die Haut. „Ich habe eben nicht nur einen Schnupfen, sondern mehr.
Und das kann bis zu einem Jahr dauern.“ Im Moment sind es noch Arztbesuche mit viel Ungewissheit. „Ich frage mich immer: Finden die doch noch etwas?“ Am 12. April bekommt sie wohl eine Antwort. Nach Ganzkörper-CT, MRT und Knochenmarkspunktion.
Der aktuelle Status ihrer Krebserkrankung, er ist also noch ein paar Tage lang ungewiss. Ihre Hoffnung darauf, dass jetzt wieder die besseren Zeiten kommen, ist dafür ungebrochen.
Der Autor ist erreichbar unter
Thomas.Lieske@MT.de


So funktioniert eine Stammzellenspende
■ Damit ein durch Krebs und die notwendigen Therapien geschwächter Körper wieder ein Abwehrsystem aufbauen und den Kampf gegen die Krankheit in Teilen selbst bestreiten kann, sind bei besonders schweren Verläufen oftmals Stammzellenspenden notwendig. Spenden darf, wer zwischen 18 und 60 Jahren alt ist. Neuregistrierungen finden allerdings nur bis zum 55. Lebensjahr statt. Stammzellen werden vor allem bei Störungen des blutbildenden Systems transplantiert.


■ Passt die DNA eines potenziellen Spenders mit der des Erkrankten so weit überein, dass eine Spende infrage kommt, gibt es mehrere Möglichkeiten, wie Ärzte für eine Transplantation an die gesunden Stammzellen kommen. In der für den Spender angenehmeren Variante können die Stammzellen direkt aus dem Venenblut gewonnen werden. Das ist heutzutage auch die deutlich öfter angewandte Methode. Dafür muss der Spende aber zuvor per Injektion mit Botenstoffen behandelt werden, die die Anzahl der Stammzellen im Venenblut erhöhen. Die Stammzellen müssen dann in einem Labor noch vom Venenblut getrennt werden. Der Vorteil an dieser Methode: Der Patient muss weder in Narkose gelegt werden noch im Krankenhaus bleiben. Experten sprechen von der sogenannten peripheren Stammzellenentnahme.


■ Eine andere Möglichkeit ist die Entnahme durch Punktion direkt aus dem Beckenkamm. Mithilfe einer speziellen Nadel werden dann zwischen einem halben und anderthalb Liter Knochenmark entnommen. Dafür ist eine Vollnarkose notwendig, zudem bleiben die Spender ein bis zwei Tage nach der Entnahme noch im Krankenhaus. Blutergüsse und vor übergehende Rückenschmerzen können die Folge sein. Auch bei dieser Methode müssen die Stammzellen vom Knochenmark separiert werden.


■ Wer Spender werden möchte, kann sich bei verschiedenen Organisationen in Deutschland registrieren lassen. Dafür gibt es zum einen Typisierungsaktionen, zum anderen können potenzielle Spender auch Testkits für zu Hause anfordern und eine Speichelprobe einschicken. Krankenhäuser lassen die Stammzellspenderkarteien laufend durchsuchen. Sollte sich dabei ein potenzieller Spender finden, wird dieser kontaktiert. Bevor es zu einer Entnahme kommt, folgen aber diverse Voruntersuchungen. Weit mehr als 100.000 Knochenmarkspender wurden so in Deutschland bereits erfolgreich vermittelt. Registriert haben sich allein in Deutschland mehr als zehn Millionen Menschen. 





Neues Leben: Nach 14 Jahren Wartezeit bekommt Josefine Gläsel eine neue Niere

Eine frühere Spende hatte der Körper abgestoßen. Die Mutter einer dreijährigen Tochter aus Brandenburg möchte noch mehr Menschen zur Organspende bewegen.

Kerstin Hense

03.04.2023 

Es war 0.30 Uhr, mitten in der Nacht, als das Handy von Josefine Gläsel klingelte. Eine Ärztin von der internationalen Vermittlungsstelle Eurotransplant teilte ihr mit, dass für sie ein passendes Organ gefunden worden sei. „Ich war noch völlig schlaftrunken und wusste gar nicht, wie mir geschieht“, sagt sie. 

Mehr als 14 Jahre wartete Josefine Gläsel aus Dallgow-Döberitz (Brandenburg) auf eine neue Niere. Länger als andere. Erst vor kurzem meldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) einen bundesweiten Rückgang der Organspendezahlen um 6,9 Prozent. Die 34-Jährige erzählt in der Berliner Zeitung von ihrer unerwarteten Transplantation Anfang des Jahres, die ihr ein neues Leben schenkte. 

Der rund vierstündige Eingriff war für 5 Uhr morgens geplant, erst am Abend lag sie auf dem Operationstisch, da sich das Transportteam verspätet hatte. Die Transplantation verlief erfolgreich und Josefine Gläsel konnte die Intensivstation einen Tag nach der Operation schon wieder verlassen.

„Es war wie ein Wunder, weil ich schon selbst nicht mehr daran geglaubt hatte“, sagt sie. Sie wartete seit 2009 auf ein Spenderorgan und hatte das Handy auch nachts immer vollständig geladen neben ihrem Bett liegen. Mehr als 14 Jahre, bis zum 5. Januar, fieberte sie dem Anruf vergeblich entgegen. Normalerweise beträgt die durchschnittliche Wartezeit bei Spenderorganen laut DSO zehn Jahre.

Ein Grund für die lange Wartezeit war, dass nicht jede Niere für Josefine Gläsel geeignet war und bestimmte Qualitätsmerkmale erhalten musste, da sie bereits schon einmal als Kind eine Lebendspende erhalten hatte und sich dadurch schon Antikörper gebildet hatten, die zu einer Abstoßung des neuen Organs führen konnten.

Doch auch die geringe Spendenbereitschaft und die Corona-Krise haben zur Verzögerung bei Transplantationen geführt. „Wir stehen bei der Organspende immer noch vor großen Herausforderungen“, so der medizinische Vorstand der DSO, Dr. Axel Rahmel. Auch wenn der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückzuführen sei und sich die Zahlen danach stabilisierten, stelle sich die Frage, warum es nicht gelinge, die Organspendezahlen zu steigern. 

In Brandenburg standen laut DSO zum 31.12.2022 336 Patientinnen und Patienten aus Brandenburg auf der Warteliste für eine Transplantation, in Berlin waren es 439. Demgegenüber konnten im vergangenen Jahr 25 Organspenden in Brandenburg und 43 Organspenden in Berlin verzeichnet werden.

Josefine Gläsel musste bis zu ihrer Transplantation einen langen Leidensweg durchlaufen. „Ich kam bereits mit zu kleinen Nieren auf die Welt“, erklärt die Sachbearbeiterin der Technischen Universität Berlin. Als sie zwölf Jahre alt war, musste sie zum ersten Mal zur Dialyse. Das Verfahren funktioniert so: Das Blut wird aus dem Körper über einen Filter herausgeleitet und gereinigt und wieder in den Körper zurückgeführt. Durch diese medizinische Behandlung können Betroffene viele Jahrzehnte überleben.

Ihre Großmutter spendete ihr eine Niere

Ein halbes Jahr nach der ersten Blutreinigung spendete Gläsels Großmutter ihr eine Niere. Sie war die einzige Verwandte, die als Spenderin infrage kam. Doch vier Jahre später stieß Josefines Körper das Organ wieder ab und sie war wieder abhängig von der dreimal wöchentlichen Dialyse. Die führte zu großen Einschränkungen in ihrem Alltag. „Ich verbrachte dort fünf Stunden mit An- und Abfahrt“, erzählt sie. Ihr Tagesablauf war eng getaktet. Morgens arbeiten und nachmittags bis spätabends in die Praxis. Ein spontanes Treffen mit Freunden war nur selten möglich. Auch Urlaube mussten monatelang im Voraus organisiert werden, um sicher zu gehen, dass vor Ort eine Dialyse möglich ist, sagt Gläsel.

Außerdem kamen ständig Operationen dazwischen, weil es zu Komplikationen kam, wenn sich das Bauchfell durch den Katheter wieder entzündet hatte.

Als sie vor vier Jahren schwanger wurde, musste sie neun Monate lang sogar sechsmal in der Woche zur Dialyse. „Dass ich überhaupt ein Kind bekommen habe, ist genauso ein Wunder wie meine neue Niere nach 14 Jahren“, sagt sie. Selbst ihre Ärzte hatten nicht daran geglaubt, da ihre Chance als Dialyse-Patientin schwanger zu werden, sehr gering war. Doch 2019 kam ihre Tochter Clara zur Welt. 

„Ohne meinen Mann hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt Josefine Gläsel aber auch. Sein Alltag war ebenso beeinträchtigt, da er sich mit seinen Terminen immer nach ihren Klinikbesuchen richten musste. Und sie war auch nicht so leistungsstark und hatte weniger Kraft als er. „Ich war viel schneller müde als mein Mann“, sagt Gläsel. Mit 1,51 Metern ist sie auffallend klein. Ebenfalls eine Folge der zu kleinen Nieren, denn die Organe konnten das für das Wachstum zuständige Hormon nicht produzieren.

Drei Monate nach der Operation sitzt sie bei einem Kaffee zu Hause in ihrem Wohnzimmer und zeigt stolz ihre Malereien. Seitdem sie nicht mehr zur Dialyse muss, hat sie wieder Zeit für ihre Hobbys. „Ich weiß manchmal gar nicht, was ich mit der ganzen Freizeit anfangen soll“, sagt sie und lacht. Sie freut sich so über ihr neues Leben.

Bald will sie das Ereignis mit Freunden und der Familie gebührend feiern. Auf der Terrasse hat sie Sekt und Bier kalt gestellt. Vor ihrer Transplantation durfte sie keinen Alkohol trinken und musste auch auf bestimmte Lebensmittel wie Milchprodukte verzichten. Insgesamt durfte sie nur wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, da ihr Körper die nicht ausscheiden konnte. 

Ob sie manchmal Sorge hat, dass ihr Körper das neue Organ wieder abstoßen könnte? „Ich denke da sehr positiv und versuche, mich wenig damit zu beschäftigen“, sagt sie. Manchmal kommen ihr auch Gedanken, wer wohl der Mensch war, der ihr die Niere gespendet hat und wie er ums Leben gekommen ist? In zwei Jahren hat sie die Möglichkeit, sich bei den Angehörigen mit einem Brief zu bedanken. Das will Josefine Gläsel unbedingt tun.

Josefine Gläsel ist selbst auch Organspenderin und sie wünscht sich, dass sie mit ihrer persönlichen Geschichte dazu beitragen kann, dass sich auch andere Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen. Sie sagt: „Ich würde mich freuen, wenn sie sich wenigstens einmal intensiv damit beschäftigen. Denn jeder kann ganz plötzlich in eine ähnliche Sitation wie ich geraten.“ Sie ist dankbar über ihre neue Niere.





Gesundheit Neuer Anlauf für Widerspruchslösung bei der Organspende 

31.03.2023, 05:15 

Bayern will mit anderen Bundesländern einen neuen Anlauf für eine für Widerspruchslösung bei der Organspende starten. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag): "Details werden gerade erarbeitet." 

Bayern will mit anderen Bundesländern einen neuen Anlauf für eine für Widerspruchslösung bei der Organspende starten. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag): "Details werden gerade erarbeitet."

Bei der Widerspruchslösung kann jeder Bürger nach dem Tod Organspender werden, wenn er es nicht ausdrücklich abgelehnt hat. So könnten mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderorgan bekommen, sagte Holetschek:. "Organspende wäre dann der Normalfall und nicht mehr der Sonderfall bei ausdrücklicher Zustimmung." Die sechs bayerischen Universitätskliniken unterstützen den Vorstoß.

Im vergangenen Jahr gab es der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zufolge in Deutschland gerade mal 869 Organspender. Derzeit stehen in Deutschland rund 8500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ.

2020 hatte der Bundestag den Gesetzentwurf einer Abgeordnetengruppe um den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) abgelehnt. Ziel der Bundesratsinitiative ist eine erneute Abstimmung im Bundestag.




29. Mär. 2023 

Pressemitteilungen 

Frauen- und Männer-Herzen: Was ist anders?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Frauen und Männern weltweit die häufigste Todesursache. Es gibt jedoch zahlreiche Unterschiede zwischen den Herzen der beiden Geschlechter. Die neue Nachwuchsgruppe des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) von PD Dr. Claudia Crocini schaut sich diese Unterschiede auf zellulärer Ebene an. Ihr Ziel ist es, neue Regulationsmechanismen der Herzfunktion zu entdecken, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschlechtsspezifischer und somit besser behandeln zu können. Sie erhält für ihre Nachwuchsgruppe 1,65 Millionen Euro in den nächsten sechs Jahren.

Männliche und weibliche Herzen sind selbst bei gesunden Menschen verschieden, etwa bezüglich der Herzfrequenz, des Stoffwechsels oder wie ihr Erbgut reguliert wird. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen können unterschiedlich verlaufen und das Risiko zu erkranken variiert. Trotzdem sind Frauen in klinischen Studien unterrepräsentiert und in Labor-Studien an Herzzellen wird das biologische Geschlecht selten beachtet.

Dr. Claudia Crocini möchte das ändern und erforscht deshalb mit ihrer neuen DZHK-Nachwuchsgruppe an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, wie sich männliche und weibliche Herzzellen unterscheiden. Dafür züchtet sie aus induzierten pluripotenten Stammzellen von gesunden Männern und Frauen Herzmuskel- und Bindegewebszellen, beides Zelltypen, die im Herzen vorkommen. Um die Unterschiede im Herz aufzuspüren, untersucht die Biotechnologin, wie gut sich die Herzmuskelzellen zusammenziehen können; ebenso analysiert sie Ionenströme und wie Impulse weitergeleitet werden. Außerdem schaut sie sich mit ihrem Team an, welche geschlechtsabhängigen Faktoren die Aktivität der Gene regulieren. 

Weniger anfällige Bindegewebszellen im weiblichen Herz

„Bindegewebszellen aus dem Herz von Frauen sind weniger anfällig dafür, sich krankhaft zu vermehren. Dafür finden sich Hinweise in der Fachliteratur“, sagt Crocini. So ein krankhaftes Wachstum von Bindegewebszellen tritt bei vielen Herzerkrankungen auf, so auch bei der hypertrophen Kardiomyopathie. Bei dieser Erkrankung ist die Wand der linken Herzkammer verdickt. Die hypertrophe Kardiomyopathie kann genetische Ursache haben, zum Beispiel unterschiedliche Mutationen im Myosin-Gen. Dieses Gen trägt die Information für das Protein Myosin, das zusammen mit anderen Proteinen im Herzmuskel dafür sorgt, dass er sich zusammenziehen kann.

Sobald die Untersuchungen an gesunden Herzmuskelzellen abgeschlossen sind, plant Crocini Analysen an einer Zellinie von Patienten mit hypertropher Kardiomyopathie, die eine bestimmte Mutation im Myosin-Gen aufweisen. „Bei dieser Mutation sieht das Herzgewebe von Männern und Frauen anders aus. Auch aus dem Tiermodell sind Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen bekannt“, so Crocini. Unter anderem will sie mit ihrer Gruppe herausfinden, wie Herzmuskelzellen und Bindegewebszellen miteinander kommunizieren. 

Florenz, Boulder, Berlin

Bevor sie nach Berlin kam, arbeitete Crocini als Postdoc an der University of Colorado Boulder, USA. Der Wechsel zurück nach Europa hatte auch persönliche Gründe. Denn die Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie erlaubten es ihr lange nicht, ihre Familie in Italien zu besuchen. Dort ist sie aufgewachsen und studierte an der Universität Florenz Biotechnologie mit den Schwerpunkten Medizin und Pharmakologie. Bereits in den USA arbeitete sie an Projekten zu Hertzmuskelerkrankungen. Mit ihren aktuellen Forschungsprojekten hofft sie, die Basis für die Entwicklung von Therapien zu legen, die Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen gezielt adressieren.


Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Dr. Claudia Crocini, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Max Rubner Center (MRC) für kardiovaskuläre-metabolische-renale Forschung, claudia.crocini(at)charite.de

Kontakt: Christine Vollgraf, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Tel.: 030 3465 529 02, presse(at)dzhk.de






Intensiv wird daran geforscht, die Transplantation von Organen speziell gezüchteter Schweine auf den Menschen zu ermöglichen. Im Schweinegenom befinden sich allerdings die Genome verschiedener endogener Retroviren (PERV A, B and C), die möglicherweise Infektionskrankheiten verursachen könnten. Ein Forschungsteam des Paul-Ehrlich-Instituts hat bei der Schweinerasse (Yucatan-Miniaturschwein „Haplotyp SLA D/D“) nachgewiesen, dass das Retrovirus PERV-C vermehrungsfähig und daher infektiös sein könnte. Die Identifizierung des PERV-C-Genoms ermöglicht es jetzt, durch Gen-Editierung das PERV-C-Retrovirusgenom aus dem Genom dieser Schweine zu entfernen (Journal of Virology, 08.03.2023).

Aktuell stehen in Deutschland mehr als 8.500 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für eine Organspende. Organe für die Transplantation sind so knapp, dass Patientinnen und Patienten häufig sehr lange auf ein geeignetes Organ warten müssen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wird schon lange an der Möglichkeit geforscht, speziell gezüchtete Schweine als Organspender einzusetzen. Im vergangenen Jahr 2022 wurde in den USA die erste Transplantation eines genetisch veränderten Schweineherzens auf einen Patienten vorgenommen, für den keine anderen Therapien mehr zur Verfügung standen und der auch nicht für eine reguläre Organtransplantation in Frage kam. Nach 49 Tagen kam es zu Komplikationen und nach 60 Tagen verstarb der Patient. Die Ursachen für das Organversagen werden noch untersucht.

Organtransplantation durch Tiere – Risiko durch Retroviren?

Bei der Transplantation eines Organs von einem Schwein auf einen Menschen – der Xenotransplantation – besteht das Risiko, dass endogene Retroviren des Schweins – Viren, deren Genom im Genom der Spendertiere, und zwar im Genom jeder Zelle dieser Schweine, verankert sind, – in Form vermehrungsfähiger Viruspartikel auf den Empfänger bzw. die Empfängerin übertragen werden könnten und Krankheiten hervorrufen könnten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Betroffenen Medikamente erhalten, die das Immunsystem bremsen (Immunsuppression), um eine Organabstoßung zu verhindern. Aufgrund der Verankerung der Retrovirusgenome im Genom jeder Zelle des Schweins ist bisher eine Entfernung der Retroviren oder eine Züchtung von Spenderschweinen ohne Retrovirus-Genome nicht möglich.

Die endogenen Retroviren der Schweine werden als PERV (porzine endogene Retroviren) bezeichnet. Sie sind eng verwandt mit Retroviren, die bei Mäusen, Katzen oder Gibbonaffen Leukämien und Immundefizienzerkrankungen auslösen können. Daher wird vermutet, dass PERV nach Übertragung auf den Menschen diese Krankheiten bei diesen Menschen ebenfalls auslösen könnten.

Endogene Retroviren des Schweins (PERV) und ihr Übertragungsrisiko

Es wurde gezeigt, dass PERV zweier Klassen, PERV-A und -B, in vitro (in Zellkulturversuchen im Labor) nicht nur Schweinezelllinien infizieren können, sondern auch in der Lage sind, Zelllinien verschiedener Spezies, einschließlich des Menschen, zu infizieren und sich dort weiter zu vermehren. Die Retroviren sind polytrop. Damit könnten PERV-A und PERV-B Speziesbarrieren überwinden und möglicherweise nach Übertragung auch Menschen infizieren. Dagegen können Retroviren des Typs PERV-C hauptsächlich Schweinezellen, aber nicht menschliche Zellen infizieren. Allerdings ist in Laborversuchen beobachtet worden, dass PERV-C mit PERV-A rekombinieren kann, was zu PERV-A/C führte, welches menschliche Zellen infiziert. Im Vergleich zu den PERV-A und PERV-B vermehrt sich PERV-A/C in Zellkultur im Labor sogar besser.

Ein Schweinestamm, der für die Organspende besonders geeignet erscheint, ist eine Züchtung des Yucatan-Miniaturschweins. Die Wildtypen (Vorfahren) dieses Schweins wurden vor 60 Jahren von Yucatan, Mexiko, zur Züchtung nach Boston, USA, gebracht. Dort wurde über einige Jahre im Hinblick auf einen Einsatz der Tiere als Organspender für die Xenotransplantation die Rasse „Haplotyp SLA D/D“ generiert. Diese Züchtung besitzt weder ein voll funktionsfähiges PERV-A-, noch ein voll funktionsfähiges PERV-B-Genom, so dass keine infektiösen oder vemehrungsfähigen Retrovirus-Partikel gebildet werden. Haplotyp SLA D/D-Schweine können aber PERV-C-Genomträger sein, aber bisher ging man davon aus, dass daraus entstehende PERV-C-Retroviruspartikel nicht replikationskompetent (vermehrungsfähig) und nicht infektiös sind, sofern diese Schweine nicht mit PERV-A infiziert werden.

Ein Forschungsteam des Paul-Ehrlich-Instituts unter Leitung von Prof. Dr. Ralf Tönjes, Arbeitsgruppenleiter im Fachgebiet Transfusionsmedizin, Zelltherapie und Gewebezubereitungen, hat sich mit der Frage befasst, ob nicht doch PERV-C selbst auch selbst replikationskompetent sein könnte. Bei der Charakterisierung von PERV-C aus Zellen der Schweinerasse Haplotyp SLA D/D stellten sie fest, dass diese PERV-C in vitro durchaus replikationskompetent und infektiös sind, sich also in Zellkultur vermehren können. Dies würde ein Risiko bei Transplantationen bedeuten. Die gute Nachricht ist: Da die diese PERV-C-Genome im Schweinegenom nur einmal vorkommen, wäre ein Knock-out – ein Ausschalten dieser PERV-C-Loci – durch Genom-Editierung, d.h. die zielgerichtete Veränderung der DNA des Schweins, möglich. Damit wäre bei Organen von PERV-C-Knock-out-Schweinen des Haplotyps SLA D/D Schweinen kein Risiko der Übertragung von PERV bei der Xenotransplantation gegeben.

Die aktuellen Befunde liefern wertvolle Informationen auf dem Weg zu geeigneten Spendertieren für die Xenotransplantation. Das Paul-Ehrlich-Institut ist für die wissenschaftliche Beratung zu und die Genehmigung klinischer Prüfungen von xenogenen Arzneimitteln in Deutschland zuständig.





Endlich: Bundestag entscheidet über spezielles Blutspende-Verbot

18/03/2023 Jerry Heiniken

In den 19080er Jahren begann die Aids-Pandemie. Diese hatte zur Folge, dass schwule Männer, die seither als besonders gefährdet für die Virusinfektion galten, kein Blut mehr spenden durften. Auch vor wenigen Monaten durften schwule Männer nur dann Blut spenden, wenn sie angaben, vorher mindestens vier Monate keinen Sex mehr mit einem Partner gehabt zu haben.

In einem Land, das sich selbst öffentlich als LGBTQ-freundlich hält, ein nicht zu glaubender Zustand. Selbst in Ungarn, einem feindlichen Land für Schwulem hab es hier schon fortschrittlichere Gesetze.
 Und auch unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD hatte die bisherige Regelung kürzlich als „versteckte Diskriminierung“ bezeichnet.

Am vergangenen Donnerstagnachmittag hat der Bundestag das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben nun endlich abgeschafft. In der verabschiedeten Gesetzesänderung des Transfusionsgesetzes steht nun explizit und im klarem Wortlaut:
 „Die sexuelle Orientierung darf bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss von der Blutspende führt, nicht berücksichtigt werden.“

Heißt also: Nur weil ein Mann Sex mit einem Mann hat, darf ihn das nicht mehr von einer Blutspende ausschließen. Das hat nun auch endlich die deutsche Bundesregierung eingesehen und umgesetzt.
 Zur Änderung des Transfusionsgesetzes erklärte die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer am Donnerstag: „Fortschritt und Selbstbestimmung sind für uns nicht nur leere Worthülsen. Mit Änderung des Transfusionsgesetzes starten wir in ein queerpolitisches ereignisreiches Jahr 2023:2

Für die Grüne stünde laut Ganserer schon lange fest: „Wer Blut spendet, hilft Leben zu retten.“ Niemand dürfe hiervon ausgeschlossen werden.

Kritik an der Neuregelung gab es natürlich auch. Sowohl von der AfD als auch von der CDU. Die AfD behauptet, die Neuregelung sei eine „ideologische Entscheidung“. Der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge (48), erklärte, dass man Homosexuelle natürlich nicht unter Generalverdacht stellen dürfe, dass aber der Schutz der Empfänger von Blutspenden von größter Bedeutung bleiben müsse.





Wir müssen mehr tun, um Organspender zu gewinnen

Stand: 15.03.2023 |  

Von Jutta Falke-Ischinger 


Umfragen zeigen, dass die meisten Deutschen Organspenden positiv gegenüberstehen. Doch kaum jemand hat den nötigen Ausweis. Dabei gäbe es eine einfache Lösung, schreibt die Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden e. V.“ in einem Gastbeitrag 


Alle sind sich mal wieder einig im Bedauern: Die Lage bei der Organspende in Deutschland sei katastrophal wie nie. Tatsächlich sind die Zahlen von 2022 noch einmal gesunken. Nur 0,001 Prozent der Deutschen sind Organspender. Und das, obwohl 84 Prozent gemäß jüngster Umfragen positiv zur Organspende stehen. Wie passt das zusammen?

Die Politik hatte sich in der letzten Legislaturperiode dieses Themas angenommen und das maßgeblich von der damaligen Grünen-Fraktionschefin Annalena Baerbock mitgestaltete Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft“ auf den Weg gebracht. Leider trat ein, was viele Kritiker von Anfang an befürchteten: Null Effekt.

Das mag zum einen an Corona liegen und der angespannten Lage in den Krankenhäusern. Zum anderen erweist sich das mit heißer Feder fabrizierte Reförmchen als der Papiertiger, als der es gestartet ist. 

Demnach sollten Hausärzte und Bürgerämter über Organspende informieren, doch sind die schon heute überfordert. Ein geplantes Spender-Online-Register ist in Verzug. Selbst wenn es käme: In anderen Ländern, etwa der Schweiz, haben es weniger als zwei Prozent der Bevölkerung genutzt.

Auch für Deutschland ist es nicht realistisch anzunehmen, dass jemand, der sich nicht die Mühe macht, einen Organspendeausweis auszufüllen, sich mit Pin und TAN in ein Register einloggt. Dennoch setzt die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr Hoffnungen in ein solches Instrument.

Ihre Wortmeldung in der WELT ist vor allem aber als Konter gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu verstehen, der wieder die 2020 gescheiterte Widerspruchsregel ins Gespräch brachte. 

Kritik an dessen neuerlichem Vorstoß kommt auch von einer weiteren Apologetin des Entscheidungsstärken-Modells, der Grünen Kirsten Kappert-Gonther: „Ein Gesetz für gescheitert zu erklären, bevor es umgesetzt wurde, ist verfrüht.“ Ein solcher Satz hat ungefähr die gleiche Logik, als wenn behauptet würde, das Minsker Abkommen könne ja nicht wirken, da es nicht umgesetzt wurde.

Man darf nicht Fortschritt vorgaukeln, wo in Wahrheit der Status quo ante noch unterschritten wird. Deshalb ist es höchste Zeit, mit Mythen und Falschinformationen aufzuräumen, und eine ehrliche Debatte zu führen. 

Die Abgeordneten sollten damals, 2020, ihrem Gewissen folgen. Doch Mitglieder der Grünen berichteten von massiven Beeinflussungsversuchen seitens der Fraktionsführung. Die Fraktionschefin Baerbock sollte keine Niederlage erleiden. 

Die Klatsche folgte parteiintern zwei Jahre später, als auf der Bundesdelegierten-Konferenz in Bonn im Oktober 2022 die Baerbocksche Scheinlösung verworfen und für die Widerspruchsregelung gestimmt wurde. Man darf gespannt sein, wie die einst so basisdemokratischen Grünen mit dieser neuen Beschlusslage umgehen.

Einer, der derzeit auch gegen die Widerspruchsregel zu Felde zieht, ist der katholische Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl. Auf die Frage, ob das Widerspruchsmodell bei der Organspende Erfolg versprechend oder gar ethisch gerechtfertigt sei, sagt er zu WELT: „zweimal nein“. 

Und unterschlägt, dass Widerspruchsländer deutlich höhere Zahlen vorweisen als Deutschland. Zieht man in Spanien die Organspenden ab, die nach Herz-Kreislaufstillstand (bei uns nur nach Hirntod) zustande kamen, sind die Zahlen dort immer noch dreimal höher.

Ressentiments gegen Organspende 

Ebenso unverfroren ist Lob-Hüdepohls Behauptung, die Widerspruchslösung sei aus ethischen Gründen abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht sah schon 1999 die Freiwilligkeit der Organspende gegeben, sofern die Möglichkeit zum Widerspruch besteht. Ähnlich hielt es 2005 die katholische österreichische Bischofskonferenz. Oder bei uns der Nationale Ethikrat 2007.

Natürlich werden auch in Ländern mit Widerspruchsregelung ohne ausdrückliches Einverständnis der Betroffenen oder der Angehörigen keine Organe entnommen. Dabei hat ein solcher rechtlicher Systemwechsel aber nachweislich positive Effekte für die Verbindlichkeit der Abläufe in den Kliniken, weil er sie verpflichtet, in jedem Sterbefall, bei dem eine Organspende medizinisch möglich wäre, nach dem Einverständnis zu fragen. 

Dies würde mindestens eine Verdopplung der tatsächlich durchgeführten Organentnahmen bewirken. Das wäre gerade in Deutschland hilfreich. Denn hier liegt die Bereitstellung von Intensivkapazitäten für die Organspende immer noch im Ermessen der mehrheitlich privaten Krankenhausträger. Und Wartepatienten haben in Deutschland leider kaum eine Lobby.

Auch hinter Lob-Hüdepohls vordergründigem Verständnis für „bedürftige Dritte“ treten – nicht untypisch für deutsche Kirchenvertreter – tiefere Ressentiments gegen die Organspende an sich zutage: Die Entscheidung dafür sei „immer auch eine Entscheidung über die Qualität des persönlichen Sterbens“. Ach ja? Seit wann kann ich entscheiden, ob ich bei einem Autounfall umkomme oder im Krankenbett einschlafe? 

Die Unterstellungen gehen weiter: Man müsse wissen, „dass an die Seite der Sorge um mich als sterbenden Menschen auch die vordringlich werdende Sorge um einen transplantationsbedürftigen anonymen Dritten“ trete. Auch hier malt der Moralwächter ein Horrorszenario, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Das Wohl Dritter steht eben nicht in Konkurrenz zum eigenen Überleben. Ärzte, die sich um das Leben des Todkranken bemühen, sind nicht dieselben, die die Interessen eines potenziellen Empfängers im Blick haben. Getrennte Ärzteteams sind zudem in den Entnahmeprozess involviert, DSO und Eurotransplant dazwischengeschaltet.

Etwa 1000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr, während sie auf ein Organ hoffen. 1000 Menschen verschwinden jährlich einsam, still und meist sehr elend. Ein Sterben, das medial verblasst vor der Statistik der Corona-Toten oder der Kriegsopfer in der Ukraine.

Sich in den Chor derer einzureihen, die die schlechten Zahlen beklagen, ist zu wenig für eine solidarische Gesellschaft. Angesichts einer unentschlossenen Politik, die sich beeinflussen lässt von vermeintlich moralisch argumentierenden Bedenkenträgern, bleibt nur der Appell an jeden und jede persönlich, sich eine Meinung zur Organspende zu bilden und diese dann auch zu kommunizieren. Das ist nicht alles, aber es ist ein wichtiger Schritt.

Jutta Falke-Ischinger ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden e. V.“ Sie gibt hier ihre persönliche Meinung wieder.



Weniger Organspender trotz Investitionen 

Stand: 15.03.2023 06:03 Uhr 

In Deutschland sinkt die Zahl der Organspender weiter. Dabei wurde seit 2019 viel Geld investiert, um die Strukturen in den Kliniken zu verbessern. Ein Grundproblem wurde nicht angefasst.

Von Secilia Kloppmann und Matthias Pöls, MDR 

Obwohl viel Geld zur Verbesserung der Strukturen investiert und finanzielle Anreize für Krankenhäuser gesetzt worden sind, sinkt die Zahl der Organspender in Deutschland weiter. 2022 hat es erneut einen Einbruch gegeben - von einem bereits niedrigen Niveau.

Damit sind die Überlebenschancen für schwer Kranke, die ein Spenderorgan benötigen, in der Bundesrepublik schlechter als etwa in Österreich, Spanien oder den USA. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr nur 2662 Organe postmortal gespendet, es stehen aber rund 8500 Schwerkranke auf der Warteliste.

Fallpauschalen deutlich erhöht

Dabei hatte die Bundesregierung 2019 mit der zweiten Novelle des Transplantationsgesetzes die Fallpauschalen für die Entnahmekliniken deutlich erhöht - von zuvor 5310 Euro auf nun 19.752 Euro pro Entnahme-Operation, wie aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf Anfrage von MDR Investigativ hervorgeht. Insgesamt vervierfachte sich auch das Gesamtbudget "Aufwandserstattung Entnahmekrankenhäuser" von 6,3 Millionen Euro im Jahr 2019 auf mittlerweile gut 23 Millionen Euro (2022). 

Des Weiteren wurde die Finanzierung für bessere Strukturen zur Organspende erhöht. Durch Screeningsysteme können nun infrage kommende Patienten besser erfasst werden und eine mögliche Organspende durch Transplantationsbeauftragte an den Kliniken zeitnah mit Angehörigen besprochen werden. Auch eine effektivere Vermittlung der Organe ist so möglich. Im Jahr 2018 hatte es dafür noch pauschal 18 Millionen Euro für alle 1200 Krankenhäuser gegeben. Nun sind jährlich mehr als 40 Millionen Euro eingeplant, wie das BMG mitteilt.  

Widerspruchslösung in fast allen Nachbarländern

Dennoch: Im europäischen Vergleich rangiert Deutschland bei den Organspenden weit hinten. In Spanien spendeten 2021 pro einer Millionen Einwohner gut 40 Menschen. In Kroatien und Portugal waren es fast 30, in Österreich mehr als 20. In Deutschland waren es hingegen nur 11,2. Im Jahr 2022 waren es dann mit 10,3 noch einmal weniger.

Der Unterschied: In vielen Nachbarländern gilt die Widerspruchslösung. Das bedeutet: Jeder ist potenziell Organspender, außer er lehnt explizit ab. In Deutschland hingegen gilt die erweiterte Entscheidungslösung. Hier muss einer Organentnahme aktiv zugestimmt werden.

Viele finden Entscheidung schwierig

Das hat Folgen: So zeigt sich etwa laut einer nicht repräsentativen, aber gewichteten Befragung des Meinungsbarometers MDRfragt unter rund 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, dass sich 51 Prozent der Befragten schwer tun, eine Entscheidung zur Organspende für einen nahen Angehörigen zu treffen. Für sich selbst finden das nur 27 Prozent schwierig.

Ein weiterer Grund: In Deutschland gelten die weltweit strengsten Bedingungen für eine Organentnahme bei der Feststellung des Hirntods, wie die Transplantationsbeauftragte des Leipziger Universitätsklinikums, Svitlana Ziganshyna, erklärt. Hier kann eine Organspende nur im seltenen Fall eines Hirntods, nach zweifacher unabhängiger Bestätigung, erfolgen. In einigen anderen Ländern ist eine Organspende auch bei einem Herz-Kreislauftod möglich - damit wären mehr Organe verfügbar. Seit Jahren schon stirbt in Deutschland etwa jeder zehnte Patient, der auf der Warteliste für ein Spenderorgan steht.

Widerspruchslösung wird erneut debattiert

Neben der Novelle des Transplantationsgesetzes im Jahr 2019 sollte das "Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende" im Jahr 2022 die Zahl der Organspenden erhöhen. Im März des vergangenen Jahres sollte ein Onlineregister für eine freiwillige Registrierung starten. Dieses soll laut Antwort des BMG an MDR Investigativ nun erst 2024 kommen. Kostenpunkt: 16 Millionen Euro. Außerdem soll künftig noch mehr Geld bereitgestellt werden. So sind dann pro Jahr zusätzlich 20 Millionen Euro für Beratungsleistungen der Hausärzte eingeplant. 

Allerdings: Laut Antwort des BMG könnten die schlechten Spenderzahlen seit 2020 auch teilweise auf die Corona-Pandemie und die enorme Belastung der Kliniken zurückzuführen sein. Ebenso nahmen medizinische Kontraindikationen aufgrund des gestiegenen Alters der potenziellen Spender zu. Das Bundesministerium analysiere derzeit sehr gründlich mögliche Ursachen dieser Situation.

Aufgrund der Einbrüche der Organspenden im Jahr 2022 flammt aktuell die Debatte um die Widerspruchslösung wieder auf - unter anderem durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Vor drei Jahren hatte es diese Diskussion quer über alle Parteien schon einmal gegeben. Doch nach intensiven inhaltlichen Auseinandersetzungen fand die Entscheidungslösung eine Mehrheit, und es blieb beim Grundprinzip der freiwilligen Zustimmung. Dafür sollte die Organspende stärker beworben werden, wofür die Budgets erhöht worden waren.




MDRfragt Organspende: Zwei Drittel für Widerspruchslösung

von MDRfragt-Redaktionsteam 

Stand: 15. März 2023, 05:00 Uhr 

Angesichts stark rückläufiger Zahlen bei Organspenden spricht sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für eine Neuregelung aus: Er plädiert für die sogenannte Widerspruchslösung. Beim Großteil der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer stößt das auf ein positives Echo, wie die aktuelle, nicht repräsentative, aber gewichtete Befragung zeigt. Mehr als 24.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dabei ihre Meinung eingebracht. 

Die überwiegende Mehrheit der Befragungsteilnehmenden wünscht sich, dass die Widerspruchslösung eingeführt wird

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland bei den Organspendezahlen weit hinten. Während bei uns auf eine Million Menschen etwa zehn Spenderinnen und Spender kommen, sind es etwa in Frankreich, Italien oder Österreich rund doppelt, in Spanien sogar rund viermal so viele. 

Das könnte unter anderem daran liegen, dass in diesen Ländern die sogenannte Widerspruchslösung gilt: Menschen, die zu Lebzeiten einer Organspende nicht aktiv widersprechen, werden automatisch zu Spenderinnen und Spendern. Die Widerspruchslösung trifft in der MDRfragt-Gemeinschaft auf große Zustimmung: Zwei Drittel würden sie begrüßen, ein Drittel lehnt sie ab. 


Mehrheit hat kein Verständnis für niedrige Spendenbereitschaft

Die Zahl der Organspenderinnen und -spender in Deutschland ist im vergangenen Jahr um fast sieben Prozent zurückgegangen – das hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation jüngst gemeldet. Die Mehrheit der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, hat für die vergleichsweise niedrige Spendenbereitschaft in Deutschland kein Verständnis. 40 Prozent können es verstehen.


Gründe für eine Organspende

"Ich wäre selbst glücklich, bei Bedarf ein Spenderorgan zu erhalten" – das ist der am häufigsten genannte Grund, der in den Augen der MDRfragt-Teilnehmenden für eine Organspende spricht: 65 Prozent haben das angegeben. Auch, dass Organspenden dringend benötigt werden, wurde häufig genannt (55 Prozent). Und für jeden Zweiten ist ein wichtiges Argument, mit einer Organspende anderen helfen zu können. Elf Prozent haben hingegen angegeben, dass für sie kein Grund für eine Organspende spricht. 


Ein Drittel hat Angst vor Missbrauch

Wir wollten von den MDRfragt-Teilnehmenden auch wissen, was in ihren Augen möglicherweise gegen eine Organspende sprechen könnte – unabhängig davon, wie sie für sich selbst entschieden haben. Dabei haben vier von zehn angegeben, dass es ihrer Meinung nach keinen Grund gegen eine Organspende gibt. Bei mehr als jedem Dritten besteht die Sorge vor Missbrauch, jeder Fünfte zweifelt zudem an, dass ein festgestellter Hirntod immer endgültig ist. 13 Prozent empfinden es als negativ, dass sie keinen Einfluss darauf haben, wer das Organ empfängt. 

Großteil hat für sich bereits eine Entscheidung getroffen

70 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, haben bereits für sich persönlich entschieden, ob sie einer Organspende zustimmen oder diese ablehnen. Bei einem Viertel ist diese Entscheidung noch nicht gefallen. 

Ein Viertel hat die Entscheidung bislang nicht schriftlich festgehalten

Drei Viertel derer, die bereits eine Entscheidung zum Thema Organspende getroffen haben, haben diese auch schriftlich festgehalten – die deutliche Mehrheit davon in einem Organspendeausweis (62 Prozent). Rund ein Viertel hat dies hingegen nicht getan. 

Entscheidung fällt bei Angehörigen schwerer als bei sich selbst

Wenn der Wille der verstorbenen Person nicht bekannt ist, müssen oftmals die Angehörigen entscheiden, ob sie einer Organspende zustimmen oder diese ablehnen. Das würde den MDRfragt-Teilnehmenden deutlich schwerer fallen, als für sich selbst zu entscheiden. 



Über diese Befragung Die Befragung vom 

30.01. - 02.02.2023 stand unter der Überschrift: 

Organspende – eine schwere Entscheidung?

Insgesamt sind bei MDRfragt 64.636 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 02.02.2023, 14.30 Uhr).

24.580 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 364 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.648 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 10.128 Teilnehmende
65+: 10.440 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 12.652 (52 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 5.956 (24 Prozent)
Thüringen: 5.972 (24 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 11.964 (49 Prozent)
Männlich: 12.557 (51 Prozent)
Divers: 59 (0,2 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben







Westfalen - Blatt 14.03.2023

Westfalen-Blatt Nr. 63 


Islamabad (dpa). 

In Pakistan haben Behörden eine Gruppe von Organhändlern
in der Millionenstadt Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad festgenommen. Wie Polizei und Gesundheitsbehörde am Dienstag mitteilten, wurden die Verdächtigen bei einer Razzia in einer versteckten Klinik aufgefunden. Unter den mindestens zehn festgenommenen Menschen sollen Ärzte und Krankenschwestern sein, außerdem mutmaßlich Spender und Empfänger der Organe. Die Ermittlungen dauern an.
Das Netzwerk ist den Angaben zufolge in der Provinz Punjab an der Grenze zu Indien aktiv. Dort suchten Mitglieder mögliche Organspender auf, teilten die Behörden mit. Die meisten Käufer würden aus arabischen Staaten, einige aber  auch aus Europa stammen. „Wir versuchen, sie alle zu schnappen“, sagte Hassan Akhtar von der zuständigen Gesundheitsbehörde







17.02.2023 10:30        

CT-Koronarangiografie zur Diagnose von koronarer Herzkrankheit: Vorbericht veröffentlicht    
    Jens Flintrop Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)    
        

Die CCTA bietet klare Vorteile für Betroffene und kann invasive Diagnoseverfahren wie die Koronarangiografie mittels Linksherzkatheter ersetzen. Stellungnahmen bitte bis 17.03.2023.        

    

Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, die Computertomografie-Koronarangiografie (CCTA) bei Verdacht auf eine chronische koronare Herzkrankheit bei Patientinnen und Patienten nach einer Basisdiagnostik zu bewerten. Vorläufiges Ergebnis: Die CCTA bietet klare Vorteile für Betroffene und vor allem erspart sie den Einsatz von wesentlich risikoreicheren und invasiven Diagnoseverfahren wie der Koronarangiografie mittels Linksherzkatheter (ICA).

Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 17.03.2023.

Eindeutige Diagnose ist bei KHK essenziell

Die chronische ischämische Herzkrankheit oder koronare Herzkrankheit (KHK) ist die häufigste Todesursache in Deutschland. Ursache dafür sind Einlagerungen in den Herzkranzgefäßen (Arteriosklerose), die zu einer Minderdurchblutung des Herzens führen können mit Brustschmerz und Engegefühl (Angina Pectoris). Um eine chronische KHK sicher zu erkennen, ist eine eindeutige Diagnosestellung unverzichtbar.

Funktionelle Verfahren wie die Stress-Echokardiografie oder das Belastungs-EKG weisen die Folgen von verengten Blutgefäßen für die Durchblutung des Herzmuskels nach. Dagegen zeigen morphologische Verfahren wie die CCTA und die ICA Stenosen direkt an, wobei die ICA als Goldstandard für die Diagnose einer chronischen KHK gilt. Bei unklarem Ergebnis können die beiden Verfahren um eine funktionelle Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) ergänzt werden – invasiv während der ICA oder mit Computertomografie (CT) nach einer CCTA. Im Falle der CCTA kann ergänzend auch eine funktionelle CT-basierte Messung der Durchflussrate im Herzen (Myocardial Computed Tomography-derived Perfusion = CTP) erfolgen.

Die Nationale VersorgungsLeitlinie „Chronische KHK“ und die entsprechende Leitlinie der European Society of Cardiology zur Diagnose und zum Management der chronischen Koronarsyndrome empfehlen – abgesehen von der CTP – alle bisher genannten nicht invasiven Verfahren, abhängig von vorangegangenen Tests, Alter, Geschlecht und Symptomatik sowie Risiken (z. B. Strahlenexposition) oder auch der Geräteausstattung und Expertise vor Ort. In der aktuellen Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence NICE wird bei neu auftretendem Brustschmerz und Verdacht auf KHK die CCTA als primäres Diagnoseinstrument empfohlen.

Mehr Nutzen und weniger Schaden für Patientinnen und Patienten

Das IQWiG geht für die Nutzenbewertung zwei grundlegenden Fragen für Patientinnen und Patienten nach, bei denen nach der Basisdiagnostik ein Verdacht auf eine chronische KHK besteht:

Ziel 1 ist die Nutzenbewertung von Diagnosestrategien mit einer CCTA im Vergleich zu Diagnoseverfahren mit dem gleichen Ziel, aber ohne Einsatz der CCTA. Das vorläufige Fazit: Grundsätzlich bietet eine Diagnosestrategie mit CCTA klare Vorteile im Vergleich zu funktionellen Verfahren (z. B. Belastungs-EKG oder Stress-Echokardiografie), denn invasive Diagnostik, die nur zum Ausschluss einer chronischen KHK dient, wird danach seltener eingesetzt. Und es gibt Anzeichen, dass auch weniger Herzinfarkte auftreten. Nachteile zeigen sich langfristig nur bei instabiler Angina Pectoris (unregelmäßigem Thoraxschmerz mit Engegefühl).

Studien, die die CCTA als Alternative für Patientinnen und Patienten untersuchen, für die bereits eine ICA vorgesehen war, zeigen den Vorteil des CT-basierten Verfahrens noch deutlicher: Hier sinkt der Umfang an verzichtbarer invasiver Diagnostik stark und ein dadurch reduzierter Schaden lässt sich direkt an der Zahl der Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen im zeitlichen Zusammenhang mit der Diagnostik erkennen.

Ziel 2 umfasst die Nutzenbewertung von Diagnosestrategien mit einer CCTA und mit der Option einer zusätzlichen CT-basierten funktionellen Beurteilung des Blutdurchflusses durch das Herz im Vergleich zu diagnostischen Strategien (ggf. auch CCTA) ohne diese zusätzliche Option. Dazu liegen Studienergebnisse zu zwei unterschiedlichen funktionellen Verfahren als mögliche Ergänzung der CCTA vor: die CT-basierte Messung der fraktionellen Flussreserve (CT-FFR) und die CT-basierte Messung der myokardialen Perfusion (CTP), d. h des Blutdurchflusses durchs Herz.

Sowohl die CT-FFR als auch die CTP tragen als optionale Ergänzung zur CCTA dazu bei, unnötige invasive Diagnostik zu vermeiden. Da die rein softwarebasierte CT-FFR nicht mit zusätzlichen direkten Risiken einhergeht, überwiegen hier in Kombination mit einer CCTA die Vorteile gegenüber einer CCTA allein. Dies gilt nicht für die CTP, die mit einer Kontrastmittelinjektion verbunden ist, also mit zusätzlicher Strahlenbelastung und damit zusätzlichem Schadensrisiko.

Zum Ablauf der Berichterstellung

Den Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im Juli 2022 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 17.03.2023 gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.    

Quelle:

https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_88772.html





Organspende Leben auf der Warteliste 

14.02.2023


Angehörige wissen im Todes­fall oft nicht, ob die oder der Verstorbene Organe spenden wollte. Wie Sie Ihr Ja oder Nein am besten dokumentieren. 

Das Thema Organspende ist wichtig, aber es verunsichert auch. Die Mehr­heit in Deutsch­land hat laut Umfragen eine positive Einstellung dazu. Dennoch gibt es ein Unbe­hagen, sich tatsäch­lich schriftlich fest­zulegen, zum Beispiel mit einem Ja in einem Organspende­ausweis. Die eigene Sterb­lich­keit und die Beschäftigung mit der Weitergabe oder Verwendung der eigenen Organe wird eher verdrängt. Manche zweifeln an der Trans­plantations­medizin. Ihre Sorge: Sie könnten im Falle einer Zustimmung vorzeitig für tot erklärt werden. Andere lehnen eine Organ­entnahme aus religiösen oder ethischen Gründen ab. „Ich hätte nichts dagegen“, sagt dafür Alexander Schulz. „Sollten Ärzte nach meinem Tod mit meinen Organen etwas anfangen können und damit Leben retten: Warum nicht?“

Einen Organspende­ausweis hat der 25-jährige Physio­therapeut aus Berlin jedoch nicht. Genauso wenig wie die 60-jährige Jill Denton, gebürtige Britin und Über­setzerin, die in Deutsch­land lebt und ihre Organe spenden würde. Doch ihren Papier-Organspende­ausweis hat sie kürzlich ins Altpapier gelegt: „Er war locker 15 Jahre alt, kaum noch lesbar und vielleicht sogar nicht mehr gültig. Ich dachte, ich müsste mich neu informieren, kam aber leider noch nicht dazu.” 


Unser Rat

Schriftlich fest­legen. Ärzte benötigen Ihr schriftliches Einverständnis für eine Organ­entnahme oder eine Zustimmung Ihrer Angehörigen. Damit alle Beteiligten wissen, wie Sie zu einer Organ­entnahme stehen, sollten Sie in einem Organspende­ausweis, einer Patienten­verfügung oder auf einem Blatt Papier Ihr Ja oder Nein dokumentieren.

Beraten lassen. Sprechen Sie Ihre Haus­ärztin oder Ihren Haus­arzt auf eine Beratung zur Organ- und Gewe­bespende an. Ein ergebnis­offenes Beratungs­gespräch ist für Versicherte ab 14 Jahren eine Kassen­leistung und alle zwei Jahre möglich.

Angehörige informieren. Ihnen nahe stehende Menschen sollten wissen, wie Sie zu einer Organspende stehen. Reden Sie darüber, damit Angehörige im Todes­fall in Ihrem Sinne entscheiden.


Hohe Zustimmung – wenig Organspende­ausweise

Schulz und Denton gehören zu den rund 84 Prozent der Bevölkerung, die nach Umfragen dazu bereit sind, nach ihrem Tod Organe und Gewebe schwer kranken Menschen zur Verfügung zu stellen, um deren Lebens­qualität zu verbessern und ihnen eine zweite Lebens­chance zu geben. Doch sie haben nichts Schriftliches, weil es umständlich ist oder Informationen fehlen. Nur 44 Prozent haben per Organspende­ausweis, einer Patienten­verfügung oder in beiden Dokumenten Ja gesagt, 13 Prozent sich schriftlich dagegen entschieden.

Ärzte fragen nach der Einwilligung

Ohne ausdrück­liche Einwilligung wird in Deutsch­land niemand Organspenderin oder -spender. Das ist gesetzlich geregelt, die sogenannte Entscheidungs­lösung. Ein zu Lebzeiten erklärtes schriftliches Ja auf einem Organspende­ausweis oder der Patienten­verfügung – unabhängig vom Zeit­punkt der Unter­schrift – reicht aus, damit Ärzte nach der Fest­stellung des Todes Organe entnehmen dürfen. Hat eine Patientin oder ein Patient nichts fest­gelegt, befragen Ärzte auf der Intensiv­station die Angehörigen oder in einer Vorsorgevoll­macht dafür Bevoll­mächtigte, die stell­vertretend für den Patienten entscheiden. Wie Ärzte diese Gespräche mit Angehörigen führen, erklärt Ober­arzt Dr. Farid Salih von der Charité Berlin im Interview.

Angehörige sind oft verunsichert

Das Problem in der Praxis: „Angehörige wissen oft nicht, was die oder der Verstorbene gewollt hätte“, sagt Axel Rahmel, medizi­nischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organ­trans­plantation. Im Jahr 2022 gab es bei der Hälfte der möglichen Organspender keine Zustimmung aus folgenden Gründen:

  •     
  • Knapp 25 Prozent der Verstorbenen     hatte sich zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich gegen eine     Organspende ausgesprochen.     

        
  • Rund 40 Prozent der Angehörigen     lehnten eine Organ­entnahme aufgrund des vermuteten Willens des     Patienten ab.     

        
  • 35 Prozent der Angehörigen lehnten aufgrund eigener     Wert­vorstel­lungen eine Entnahme ab.     

Wer bereit ist, Organe zu spenden, sollte dies schriftlich tun. Auf einem Organspende­ausweis kann die Zustimmung mit einem „Ja“ dokumentiert werden. Ebenso kann dort ein „Nein“ ange­kreuzt werden. Mit Datum und Unter­schrift ist die Entscheidung für Ärzte bindend. Den fest­gelegten Willen des Verstorbenen oder der Verstorbenen müssen Ärzte beachten. Wichtig ist, den Organspende­ausweis immer mit sich zu führen, zum Beispiel im Geldbeutel. Der Ausweis ist im Ernst­fall möglicher­weise der einzige schriftliche Beleg für die Spende­bereitschaft des Verstorbenen.

Zustimmung per Patienten­verfügung

In vielen Patientenverfügungen können Menschen fest­legen, ob sie bereit sind, Organe zu spenden oder nicht. Eine Patienten­verfügung schließt eine Organspende nicht auto­matisch aus. Oft legen Menschen in einer Patienten­verfügung fest, in bestimmten Krank­heits­situationen am Lebens­ende auf intensivmedizi­nische Maßnahmen zu verzichten. Jedoch können Ärzte bei einer eindeutigen Zustimmung zur Organspende ausnahms­weise für den Fall, dass eine Organspende medizi­nisch in Frage kommt, kurz­fristig (Stunden bis höchs­tens wenige Tage) intensivmedizi­nische Maßnahmen durch­führen, um den Hirn­tod zu bestimmen und Organe entnehmen zu können.

Wichtig ist auch, mit Angehörigen und derjenigen Person über die eigene Einstellung zur Organspende zu sprechen, die in einer Vorsorgevollmacht für die Gesund­heits­sorge bestimmt ist. Die bevoll­mächtigte Person und Angehörige können Ärzten im Ernst­fall dann den Wunsch über­mitteln – für den Fall, dass keine schriftliche Aussage vorliegt.

Organ­entnahme nur nach der Diagnose „Hirn­tod“

Der medizi­nisch-recht­liche Rahmen für eine post­mortale Organspende ist in Deutsch­land klar geregelt. Der unumkehr­bare Ausfall der gesamten Hirn­funk­tionen muss eindeutig nachgewiesen sein, so genannter Hirn­tod. Gleich­zeitig muss für eine Organ­entnahme das Herz-Kreis­lauf-System der verstorbenen Person künst­lich aufrecht­erhalten werden, damit die Organe mit Sauer­stoff und Nähr­stoffen versorgt sind. Beide Bedingungen, die Festellung des Hirn­tods und das künst­liche Aufrecht­erhalten des Herz-Kreis­lauf-Systems sind nur auf der Intensiv­station eines Kranken­hauses zu erfüllen. Im Interview erklärt der Experte für Hirn­tod-Diagnostik Dr. Farid Salih, wie der Klinikall­tag auf einer Neuro-Intensiv­station aussieht.






Organspende ohne Alters­grenze

Jede und jeder ab 16 Jahren kann Organe spenden. Ein Höchst­alter gibt es nicht. Auch über 80-Jährige können spenden. Entscheidend sind der Gesund­heits­zustand der verstorbenen Person und der Zustand ihrer Organe. Ob sich Organe für eine Trans­plantation eignen, entscheiden Ärzte nach medizi­nischer Prüfung.

Euro­trans­plant vermittelt Patienten

Gibt es eine Zustimmung zu einer Organ­entnahme, liegt die weitere Koor­dination in der Hand der Deutschen Stiftung Organ­trans­plantation (DSO). Sie ist bundes­weit für die Zusammen­arbeit aller beteiligten Partner bei einer Organspende zuständig. Die Patienten­daten der Spenderin oder des Spenders über­mittelt die DSO an die Stiftung Euro­trans­plant mit Sitz im nieder­ländischen Leiden. Zum Verbund gehören acht europäische Länder: Deutsch­land, Belgien, Kroatien, Luxemburg, Nieder­lande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Euro­trans­plant verwaltet die Patienten­daten der Menschen, die in diesen Ländern auf Wartelisten für ein Spender­organ stehen. Die Vermitt­lung in Deutsch­land erfolgt nach den Richt­linien der Bundes­ärztekammer. Meldet die DSO eine Organspenderin oder -spender, wird geprüft, zu welcher Person auf der Warteliste das Spender­organ passt.

Vorbereitung für die Trans­plantation

Bei einer Über­einstimmung, wird der Trans­plantations­prozess einge­leitet. Der passende Empfänger auf der Warteliste erhält von seinem Trans­plantations­zentrum das Organ­angebot. In Deutsch­land haben 46 Kliniken die medizi­nisch-tech­nischen Voraus­setzungen für eine Trans­plantation. Nach der Organ­entnahme in der Entnahme­klinik werden die Organe des verstorbenen Spenders oder der Spenderin für den Trans­port vorbereitet. Hierfür werden die Organe in einer konservierenden Lösung auf Eis gelagert und in speziellen Trans­portboxen trans­portiert.

Eine Heraus­forderung bei einer Trans­plantation ist, die Abstoßung des Spender­organs zu verhindern. Das Immun­system des Empfängers erkennt das Organ als körperfremd, es kommt zu Abwehr­reaktionen. Bestimmte Medikamente, sogenannte Immun­suppressiva, helfen, solche Abstoßungs­reaktionen zu unterdrücken. Die Überlebens­chancen mit einem neuen Organ hängen bei jedem Patienten von vielen Faktoren ab. Alter, Art, Schwere und Dauer der Erkrankung spielen dabei eine Rolle. Manche Patienten können zwischen 15 und 20 Jahre und sogar länger mit einem funk­tionierenden Spender­organ leben.

869 Menschen haben post­mortal Organe gespendet

Im Jahr 2022 haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als im Vorjahr. Der Bedarf ist wesentlich höher. Auf den Wartelisten für ein Spender­organ stehen rund 8 500 schwerkranke Menschen, für die ein Organ lebens­rettend ist oder einen Gewinn an Lebens­qualität bedeutet. Rund 6 600 von ihnen warten auf eine neue Niere, das sind viermal mehr, als tatsäch­lich vermittelt werden können.

Bis zu sieben Menschen können dank der Organe eines toten Spenders über­leben. Sind alle Organe gesund, können die Trans­plantations­mediziner Herz, Leber, beide Nieren, die Lunge, Bauch­speicheldrüse und den Dünn­darm trans­plantieren. Zu den Gewe­bespenden gehören etwa Augen­hornhaut, Herz­klappen, Blutgefäße, Haut – daneben auch Knochen.

Auto­matisch Organspenderin oder -spender?

Bundes­gesund­heits­minister Karl Lauterbach plant, in Anbetracht der geringen Spenderzahlen die in Deutsch­land geltende Entscheidungs­lösung auf den Prüf­stand zu stellen. Im Gespräch ist die Wider­spruchs­lösung. Sie bedeutet: Alle Bürgerinnen und Bürger sind auto­matisch Organspende­rinnen oder -spender – es sei denn, sie haben aktiv verneint, also wider­sprochen. Gegen­über der Nach­richten­agentur dpa sagte Lauterbach im Januar 2023: „Viele Menschen sind zwar zur Organspende bereit. Aber sie dokumentieren das nicht. Deswegen sollte der Bundes­tag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Wider­spruchs­lösung abzu­stimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.“ Zuletzt stimmte der Deutsche Bundes­tag im Januar 2020 über eine Einführung der Wider­spruchs­lösung ab. Die Mehr­heit sprach sich dagegen aus. 379 Bundes­tags­abge­ordnete stimmten mit Nein, 292 mit Ja.

Deutsch­land zählt zu den Schluss­lichtern

In vielen europäischen Ländern gilt die Wider­spruchs­lösung, etwa in Frank­reich, Groß­britannien, Italien, Nieder­lande, Österreich, Portugal und Spanien. Manche Experten halten die Wider­spruchs­lösung für einen wichtigen Baustein, um den Zustimmungs­prozess für eine Organspende unbürokratischer zu gestalten. Die Spenderzahlen könnten sich dadurch erhöhen, so die Erwartung. Länder mit Wider­spruchs­lösung haben im Schnitt höhere Spenderzahlen als Deutsch­land.

Spendenrück­gang wegen Corona

„Der aktuelle Einbruch der Organspenderzahlen ist auch auf die Belastung des Gesund­heits­systems durch die Pandemie und den Personal­mangel in den Kliniken zurück­zuführen“, erklärt Axel Rahmel von der DSO. „Der Einbruch war im ersten Quartal 2022 besonders dramatisch mit fast 30 Prozent weniger Organspenden, danach haben sich die Zahlen wieder auf dem üblichen Niveau einge­pendelt. Im europäischen Vergleich ist Deutsch­land eines der Schluss­lichter bei der Organspende.“ Hinzu kommt, dass Patienten mit einem positiven Sars-Cov-2-Test in den ersten zwei Pandemie­jahren nicht als Organspender infrage kamen. Heute belegen interna­tionale wissenschaftliche Studien, dass eine Covid-19-Erkrankung kein Ausschluss­kriterium sein muss. Ärzte prüfen im Einzel­fall, ob eine Entnahme in Betracht kommt.

Mehr Aufklärung und Beratungs­angebote

Um die Organspendesituation zu verbessern, wurden in den vergangenen drei Jahren einige Maßnahmen auf den Weg gebracht:

  •     
  • Aufklärung.    Krankenkassen und private Kranken­versicherer sind verpflichtet,     Versicherte ab einem Alter von 16 Jahren regel­mäßig     anzu­schreiben und über Organspenden zu informieren.     

        
  • Beratung bei Haus­ärzten.    Seit gut einem Jahr ist eine ergebnis­offene Beratung zur     Organspende bei Haus­ärzten für Versicherte ab 14 Jahren eine     Kassen­leistung.     

        
  • Trans­plantations­beauftragte.    In den rund 1  200 für Organspenden vorgesehenen     Entnahme­kliniken, das sind Unikliniken und Krankenhäuser mit     Intensiv­stationen, gibt es Trans­plantations­beauftragte.     Sie arbeiten mit Ärzten zusammen, um mögliche Organspender zu     erkennen und koor­dinieren die Zusammen­arbeit mit der     Deutschen Stiftung Organ­trans­plantation.     

        
  • Organspende­register. In einem     bundes­weiten elektronischen Verzeichnis sollen in Zukunft alle     ihre Entscheidung registrieren können. Der Eintrag ist freiwil­lig     und kostenlos, kann jeder­zeit geändert oder widerrufen werden.     Das Bundes­institut für Arznei­mittel und Medizin­produkte     (BfArM) ist von der Regierung beauftragt, das Online­register zu     entwickeln. Rund um die Uhr sollen auto­risierte Ärzte und     Akteure Zugriff haben. Ein Organspende­ausweis ist dann nicht     mehr nötig. Spätestens Anfang des Jahres 2024 soll das Register an     den Start gehen.


Organspende 

„Angehörige entscheiden mit“

14.02.2023

Ober­arzt Dr. Farid Salih erklärt, wie auf der Intensiv­station Organspende­rinnen und -spender erkannt und Angehörige in eine Entscheidung einbezogen werden. 

Auf der Neuro-Intensiv­station behandeln Sie auch Patienten, die für eine Organspende in Betracht kommen. Wie sieht Ihr Klinikall­tag aus?

Auf unserer Station geht es immer um Leben und Tod. Wir kämpfen um das Über­leben von Patienten etwa mit Hirn­blutungen, Herz-Kreis­lauf-Still­stand oder Schädel-Hirn-Trauma nach einem schweren Unfall. Doch es gibt Fälle, in denen sich der Zustand eines Patienten trotz aller Maßnahmen verschlechtert. Dann müssen wir Ärzte anerkennen, dass unsere Mittel erschöpft sind und das Leben zu Ende geht. Oft ist es ein Prozess, der sich über Stunden oder Tage hinzieht.

Wann geht es um eine mögliche Organspende?

Mit Ausnahme der Lebend­spende, etwa bei Nieren, dürfen wir eine Organ­entnahme laut Gesetz nur in Betracht ziehen, wenn ein Mensch hirntot ist. Das betrifft pro Jahr etwa 10 von 80 bis 100 Todes­fällen auf unserer Station. Die Diagnose Hirn­tod, medizi­nisch als irre­versibler Hirn­funk­tions­ausfall bezeichnet, setzt voraus, dass alle Teile des Gehirns umfassend geschädigt sind. Zu den klinischen Kriterien gehören etwa der Ausfall aller Hirn­stamm­reflexe und der Ausfall der Atmung. Ob ein Mensch wirk­lich tot ist, prüfen zwei Fach­ärzte unabhängig voneinander. Mit der Diagnose Hirn­tod ist eine Rück­kehr ins Leben ausgeschlossen.

Wie gehen Sie nach der Diagnose Hirn­tod vor?

Kurz vor oder nach der Diagnose klären wir, ob die Patientin oder der Patient zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich zum Ausdruck gebracht hat, ob nach dem Tod eine Organspende erlaubt ist. Im Ideal­fall ist die Spenden­bereitschaft in einer Patienten­verfügung fest­gehalten oder es gibt einen Organspende­ausweis. Gibt es ein „Nein“ oder es bestehen Unklarheiten, ziehen wir keine Trans­plantation in Betracht.

Und bei einem „Ja“?

Dann halten wir maschinell den Herz-Kreis­lauf stabil, damit die inneren Organe weiter durch­blutet werden. Wir bereiten die Spenderin oder den Spender für die Organ­entnahme vor und informieren die Deutsche Stiftung Organ­trans­plantation (DSO), die die Organspenden koor­diniert und die medizi­nischen Daten an die Vermitt­lungs­stelle Euro­trans­plant weiterleitet. Dort wird geprüft, zu welchem Menschen auf der Warteliste ein Spender­organ passt.

Wie beziehen Sie die Angehörigen ein?

Ob schriftliches Einverständnis oder nicht: Bei uns ist es Praxis, über die sensible Frage einer Organspende ausführ­lich mit den Angehörigen zu sprechen. Dies bietet die Chance, auf Ungewiss­heiten und Ängste einzugehen. Ist kein eindeutiger Wille des Patienten bekannt, versuchen wir gemein­sam den mutmaß­lichen Willen der Verstorbenen heraus­zufinden. Ohne Zustimmung der Angehörigen wird niemand Spender.

Gibt es Konflikte?

Ein Beispiel: Wir hatten einen Patienten, der in einem Organspende­ausweis ein „Ja“ dokumentiert hatte. Nach dem Tod stimmten die Ehefrau und zwei erwachsene Kinder einer Organspende zu. Doch für die jüngste 20-jährige Tochter war es unvor­stell­bar, dass ihrem Vater Organe entnommen werden sollten. Darauf haben wir nach vielen gemein­samen Gesprächen Rück­sicht genommen. Der Tote wurde nicht zum Organspender.









Ärzteschaft

Herzgesellschaften fordern erneute Diskussion um Widerspruchslösung bei den Organspenden

Montag, 6. Februar 2023

Berlin – Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. Herz­gesellschaften in Deutschland fordern daher, die Widerspruchslösung bei den Organspenden erneut auf die Agenda zu stellen.

Ein erster Anlauf pro Widerspruchslösung war im Januar 2020 gescheitert. Seitdem hat sich die Organ­spen­desituation nicht verbessert, vielmehr ist die Kluft zwischen der Zahl schwerkranker Menschen auf den War­telisten für ein Spenderorgan und den verfügbaren Organen für eine Transplantation gestiegen.

„Die Lage ist hoch dramatisch“, warnt Andreas Böning, Präsident der Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Den 358 Herztransplantationen im Jahr 2022 stünden deutschlandweit mehr als 700 schwer herzkranke Menschen auf den Wartelisten gegenüber, die dringend ein Spenderherz benötigten.

„Wir befürworten den Anlauf des Bundesgesundheitsministers für eine erneute Abstimmung des Bundestags über die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland mit dem Ziel, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen“, betont der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK).

Karl Lauterbach hatte nach der Bekanntgabe der neuen Organspendezahlen gefordert, der Bundestag sollte einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Dies sei man denjenigen schul­dig, die vergeblich auf Organspenden warteten, so der Minister. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, sagte der SPD-Politiker.

Auch die Deutsche Herzstiftung als Patientenvertretung der Herz-Kreislauf-Medizin unterstützt diesen Ansatz. „Nur mit ausreichend verfügbaren Spenderherzen können wir Patientinnen und Patienten mit schwer geschä­digtem Herzen eine Perspektive geben“, sagt dessen Vorstandsvorsitzender Thomas Voigtländer.

Ebenso sieht es die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK). „Es braucht auch für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit schweren Herzmuskelerkrankungen zwingend die Widerspruchslösung“, fordert dessen Präsident Matthias Gorenflo.

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sind die Organspenden im Jahr 2022 um 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Die Zahl der Spenderherzen bewegt sich laut den Gesellschaf­ten auf einem sehr niedrigen Niveau, sie stieg um 0,6 Prozent von 310 postmortal gespendeten Herzen (2021) auf 312 im Jahr 2022 an.

Die Gesellschaften weisen darauf hin, dass die Widerspruchslösung in 20 europäischen Ländern gilt. © hil/aerzteblatt.de









31.01.2023 14:20 

Behandlungsoption bei Lebermetastasen: Zweistufige Transplantation

Dr. Uta von der Gönna Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Jena 

Eine Lebertransplantation in zwei Schritten, insbesondere mit einer Lebendspende, ist eine für Spender und Empfänger sichere Therapiemöglichkeit bei nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen. Zu diesem Ergebnis kommen Chirurgen des Universitätsklinikums Jena in ihrer jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ veröffentlichten Auswertung einer Fallserie. Wegen der z.B. bei Lebermetastasen noch normalen Organfunktion und gesetzlichen Vorgaben stehen für diese Patienten nach den Wartelistenkriterien keine Spenderorgane zur Verfügung. 

Weit über 1200 Patientinnen und Patienten wurden in Deutschland im Jahr 2021 auf die Warteliste für eine Lebertransplantation gesetzt. Der häufigste Grund dafür war eine Leberzirrhose, bei der das Gewebe des zentralen Stoffwechselorgans durch chronische Entzündungen, Alkoholschädigung oder Vergiftungen seine Funktionsfähigkeit verliert. Aber auch Krebserkrankungen können die Ursache dafür sein, dass Betroffene auf eine neue Leber angewiesen sind. Dazu zählen auch Absiedlungen von Tumoren anderer Organe, die die Leber so durchsetzen, dass sie nicht operiert werden können. Allerdings haben diese Patienten kaum eine Chance auf das Organ eines verstorbenen Spenders, weil ihre Leberfunktion weniger eingeschränkt ist als bei einer Zirrhose und die verbleibende Organfunktion ein zentrales Kriterium für die Vergabe der raren Spenderorgane darstellt.

Neben der Transplantation der Organe Verstorbener betreibt die Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Jena ein erfolgreiches Leberlebendspende-Programm. Nach Prüfung durch eine Ethikkommission können Gesunde für Bezugspersonen ein Teilorgan spenden, das das kranke Organ ersetzt. Wegen der besonderen Regenerationsfähigkeit der Leber übernehmen der transplantierte Teil und das Restorgan jeweils die volle Organfunktion.

Lebendspende im Zwei-Schritt-Verfahren

„Es ist die anhaltende Knappheit an Spenderorganen, die unsere klinische und wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet motiviert und antreibt“, so Prof. Dr. Utz Settmacher, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie. Zusammen mit Kollegen aus Brüssel, Padua, Oslo, München und Tübingen stellten die Jenaer Chirurgen jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ ihre Transplantationserfahrungen bei Patienten vor, die nicht an einer Zirrhose, sondern zumeist an Darmkrebsmetastasen in der Leber litten. Das Besondere: Die Transplantation erfolgte im Zweischritt-Verfahren. Dabei wurde zur Schonung des Spenders ein möglichst kleiner Leberteil entnommen und verpflanzt. Beim Empfänger verblieb zur Absicherung der Organfunktion zunächst ein Teil der erkrankten Leber. Jedoch verringerten die Transplanteure die Durchblutung dieses Leberteils, um das Transplantat zum Wachsen anzuregen. Nach etwa zwei Wochen kann es die Leberfunktion komplett übernehmen und die kranke Restleber wird entfernt.

Von den 23 in der Studie analysierten Patienten wurden 20 mit einer Leberlebendspende behandelt. Drei erhielten einen Organteil eines verstorbenen Spenders, die jeweils anderen Organteile wurden auch transplantiert. Die meisten Studienpatienten wiesen nicht-operable Metastasen aus einer Darmkrebserkrankung auf. „Wir haben ein umfangreiches Datenmaterial bezüglich der Grunderkrankungen sowie relevanter anatomischer und operationstechnischer Details zusammengetragen und analysiert, um die Ergebnisse bei Empfängern und Spendern zu beurteilen“, betont Letztautor Prof. Dr. Falk Rauchfuß.

Spenderrisiko minimiert und Warteliste entlastet

Fazit: Sowohl die Organempfänger als auch die Lebendspender haben die Eingriffe gut überstanden. Auftretende Komplikationen nach der Operation waren mit denen bei ähnlichen großen Operationen vergleichbar und konnten früh erkannt und behandelt werden. Falk Rauchfuß: „Die zweistufige Lebertransplantation ist eine Behandlungsoption für Patienten mit nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen, die das Spenderrisiko minimiert und nicht zu Lasten der Warteliste geht.“

Das Jenaer Transplantationsteam setzt seine Forschung gemeinsam mit Kollegen der Universitätsklinik Tübingen fort. Mit Förderung der Deutsche Krebshilfe führen sie eine prospektive klinische Studie zu Leberlebendtransplantationen bei Lebermetastasen aus einer Darmkrebserkrankung durch. Die erste Patientin konnte bereits in die Studie aufgenommen werden. Utz Settmacher: „Unter kontrollierten Studienbedingungen wollen wir untersuchen, welche Patientenkriterien Einfluss auf die Ergebnisse – zum Beispiel das Kurzzeit- und Langzeitüberleben oder die Tumorfreiheit – haben, um Erkenntnisse über die Dynamik nach der Transplantation zu gewinnen. So wollen wir herausfinden, welchen Patientinnen und Patienten diese Therapie am besten nutzt.“ 


Wissenschaftliche Ansprechpartner:

apl. Prof. Dr. Falk Rauchfuß, Falk.Rauchfuss@med.uni-jena.de
Prof. Dr. Utz Settmacher, Utz.Settmacher@med.uni-jena.de
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena










25.01.2023

Kritik aus Regierung

Weniger Organspender: Widerspruch gegen Lauterbachs Widerspruchslösung

Gesundheitsminister Lauterbach tritt erneut für die Widerspruchslösung bei Organspenden ein. Kritik kommt aus den eigenen Reihen: Das geltende Gesetz sei ja noch gar nicht umgesetzt.


Berlin Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erhält wegen seines erneuten Vorstoßes zur Neuregelung der Organspende Widerspruch aus den Reihen der Ampel-Koalition. Zugleich teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit, dass das geplante Online-Organspenderegister voraussichtlich im ersten Quartal 2024 an den Start gehen werde. Es sollte ursprünglich bereits am 1. März 2022 einsatzbereit sein. 

Lauterbach hatte sich in der vergangenen Woche mit Blick auf zurückgehende Organspende-Zahlen erneut für die Einführung einer Widerspruchslösung stark gemacht. Danach wäre jeder Bundesbürger ein potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Eine entsprechende Reformforderung war 2020 im Bundestag gescheitert. In Deutschland gilt derzeit, dass nur derjenige Organspender sein kann, der dem zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.

Lauterbach: Zustimmungslösung ist gescheitert

2020 hatte der Bundestag zugleich weitere Maßnahmen beschlossen, die zu mehr Aufklärung und einer höheren Spendenbereitschaft in Deutschland beitragen sollten, darunter mehr Informationen in Bürgerämtern und Führerscheinausgaben sowie das Organspenderegister. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, betonte Lauterbach vergangene Woche.

Die Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, sagte dazu der „Welt“ (Mittwoch): „Ein Gesetz für gescheitert zu erklären, bevor es umgesetzt wurde, ist verfrüht.“ Lauterbachs Aufgabe sei es, im Schulterschluss mit den Ländern die vom Bundestag beschlossenen Maßnahmen zügig und umfassend umzusetzen. „Anzunehmen, dass die Widerspruchsregelung hier den entscheidenden Unterschied macht, ist nicht schlüssig.“

Abgeordnete dringen auf Strukturreformen

Der Organspende-Weltmeister Spanien zeige: Nicht die Einführung einer Widerspruchsregelung, sondern Strukturreformen Jahre später machten den entscheidenden Unterschied, betonte Kappert-Gonther: „Der Bundestag hat mit breiter Mehrheit festgestellt, dass Menschen nicht automatisch zu Spendern erklärt werden sollen. Schweigen darf nicht Zustimmung bedeuten.“

Auch Christine Aschenberg-Dugnus, parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, bemängelte: „Ursächlich für den Rückgang der Bereitschaft zur Organspende ist nicht das Gesetz. Es hakt hier vielmehr an seiner konkreten Umsetzung“, so die Gesundheitsexpertin. „Wir müssen jetzt dringend den Aufbau eines Transplantationsregisters sowie die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voranbringen.“ Auch sei die ärztliche Aufklärung über die Organspende wieder zu intensivieren. (KNA) e





Was, wenn Sie selbst ein Organ brauchen? 

Die Zahl der Organspender nimmt weiter ab. Gesundheitsminister Lauterbach fordert erneut eine Widerspruchslösung. Schreiben Sie uns, was Sie zur Organspende denken. 

Von Janis Dietz 

  1. Januar 2023

Man liegt im Krankenhaus und nach einem Unfall oder einer Erkrankung wird klar: Die Niere oder Leber funktioniert nicht mehr. Die meisten Menschen würden sich in diesem Fall wohl ohne große Bedenken für eine Organtransplantation entscheiden – also dafür, dass ein funktionstüchtiges Organ eines anderen Menschen bei ihnen eingepflanzt wird. 

Auf der Seite der Spendenden ist die Lage aber komplizierter. Das gilt weniger für die Lebendspende, bei der Angehörige oder Freunde Organe spenden, meist eine Niere, als für die Spende nach dem Tod. Denn damit nach dem Hirntod eines Menschen dessen Organe entnommen werden dürfen, bedarf es einer expliziten Einwilligung per Organspendeausweis oder Patientenverfügung oder einer Zustimmung der Angehörigen. 2022 gab es der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge nur 869 Menschen, die nach ihrem Tod zu Organspendern wurden. 

Unabhängig von der individuellen Entscheidung ist die Chance, dass ein Verstorbener als Organspender infrage kommt, relativ gering. Bei den meisten Menschen sind die Organe zum Zeitpunkt des Todes schon so stark geschädigt, dass sie einem Lebenden kaum nützen würden. Außerdem müssen die Organe schnell entnommen werden. In der Statistik von Eurotransplant stehen den 2.900 entnommenen Organen, die im vergangenen Jahr gemeldet wurden, rund 8.500 Menschen gegenüber, die auf ein Spenderorgan warten.  

Im Januar 2020 hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Organspende diskutiert. Schon damals ging es um die Einführung einer Widerspruchslösung – dass also jede und jeder automatisch Spender ist, wenn er oder sie sich nicht explizit dagegen entscheidet. Die Widerspruchslösung bekam in der Gewissensentscheidung des Bundestags aber keine Mehrheit. Stattdessen wurde beschlossen, dass Menschen bei Terminen auf Ämtern besser über das Thema informiert werden sollen. Die Zahl der Spendenden ist dadurch aber bislang nicht gestiegen, sondern zuletzt sogar gesunken. Jetzt drängt Gesundheitsminister Karl Lauterbach erneut auf die Widerspruchslösung. 

Wir wollen von Ihnen wissen, wie Sie über das Thema Organspende denken – in der Theorie und in der Praxis. Haben Sie einen Organspendeausweis? Welche Überlegungen stecken hinter der Entscheidung? Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie für Angehörige/Freunde oder Ihnen Unbekannte spenden würden? Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie selbst ein Spenderorgan benötigen? Empfinden Sie es als ungerecht, dass Menschen gern Spenderorgane annehmen, selbst aber nicht spenden wollen? Was halten Sie von der Widerspruchslösung, um die Zahl der Organspenderinnen zu erhöhen? Welche Alternativen sehen Sie? Welche Erfahrungen haben Sie als Spenderin oder Empfänger mit der Organspende gemacht?



Mindener Tageblatt 20.01.2023

Zahl der Organspender bricht ein
869 Menschen sind 2022 nach ihrem Tod zu Lebensrettern geworden, 64 weniger als noch 2021.
Um diesen Trend umzukehren, fordern Politiker und Ärzte die Einführung der Widerspruchslösung. 

Carolin Nieder-Entgelmeier
Berlin/Bad Oeynhausen. Die Zahl der Organspenden ist in Deutschland 2022 deutlich gesunken – im Vergleich zum Vorjahr um 6,9 Prozent. „Das ernüchternde Fazit ist, dass wir weniger Menschen mit einer lebensrettenden Transplantation helfen konnten“, erklärt Axel Rahmel, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation.
Für die Patienten auf den Wartelisten ist diese Entwicklung lebensbedrohlich, denn jedes Jahr sterben 1.000 Menschen, während sie auf ein Organ warten.
Der deutliche Rückgang der Organspenden facht die Debatte über eine Reform der Spenderegeln wieder an, denn Deutschland ist eines der wenigen EU-Länder ohne Widerspruchslösung, bezieht jedoch Organe aus Ländern mit dieser Regel. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht fest: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“
869 Menschen haben 2022 nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als 2021. Das geht aus der Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor, der bundesweiten Koordinierungsstelle für Organspenden. Die Zahl entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in der EU liegt bei 18,4 Spendern.
Aus Sicht der DSO lässt sich der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückführen. Im ersten Quartal brachen die Zahlen um 30 Prozent ein, danach stabilisierten sie sich auf dem Niveau der Vorjahre. „Die Kernfrage bleibt, warum keine Steigerung der Organspende erzielt werden konnte“, sagt Rahmel. Die Statistiken zeigten, dass von allen Spendermeldungen 2022 im Vergleich zu den Vorjahren weniger Spenden realisiert werden konnten: „Der häufigste Grund dafür ist fehlende Einwilligung.“ Rahmel fordert, die Organspende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. „Umfragen in der Bevölkerung zeigen, dass acht von zehn Bundesbürgern die Organspende befürworten. Angehörige entscheiden sich aber aus Unsicherheit häufig dagegen, da der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist.“ Hier sei dringend Aufklärung nötig. Zu entscheidenden Verbesserungen haben die Aufklärungskampagnen der vergangenen Jahrzehnte nach Einschätzung von Herzchirurg Jan Gummert jedoch nicht geführt. „Eine Wende erreichen wir in Deutschland nur durch die Einführung der Widerspruchslösung“, sagt der ärztlicher Direktor am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen. „Es ist nicht hinzunehmen, dass Deutschland nach wie vor auf Spenderorgane aus dem Ausland angewiesen ist, um schwerkranken
Menschen lebensrettende Therapien anbieten zu können.“
358 Herztransplantationen sind laut DSO im vergangenen Jahr in Deutschland durchgeführt worden. „46 dieser Herzen kamen von Spendern aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt. Deutschland führt diese Organspenderegeln nicht ein, profitiert aber von Ländern, die das längst ge macht haben. Das ist beschämend und lässt sich moralisch nicht rechtfertigen“, moniert Gummert. In Ländern mit der Widerspruchslösung gelten Bürger automatisch als Organspender, es sei denn, sie widersprechen. „In 20 europäischen Ländern hat man sich längst dafür ausgesprochen“, erklärt Gummert. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Ein erster Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung scheiterte vor drei Jahren im Bundestag. Stattdessen beschloss der Bundestag ein Gesetz, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung
erlaubt bleiben. Mehr Aufklärung solle aber mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Organspende zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform, ein Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern kann, wurde bisher allerdings nicht eingerichtet. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert deshalb den Vorstoß von Lauterbach. „Der Gesundheitsminister lenkt von seinem eigenen Versagen ab“, moniert Vorstand Eugen Brysch. Seit Jahren kämen der Aufbau des Registers und eine ebenfalls vorgesehene Informationspflicht bei Bürgerämtern nicht voran. Auch Gummert kritisiert, dass sich in den vergangenen drei Jahren kaum etwas getan hat. „Doch auch das Register, sollte es denn jemals eingerichtet werden, wird keine Wende bringen.“ Laut Gummert gibt es noch einen weiteren Grund dafür, warum die Transplantationszahlen in anderen Ländern höher sind: „In vielen europäischen Ländern und auch in den USA, Kanada und Australien dürfen auch nach einem Herztod Organe entnommen und transplantiert werden. In Deutschland ist das nur bei einem Hirntod zulässig.“ Das führe in der Praxis zu Problemen bei der internationalen Zusammenarbeit bei Eurotransplant, sagt Gummert. „Auch hier führt der deutsche Sonderweg zu Problemen im System und für die Menschen auf den Wartelisten, denn Organe von herztoten Spendern aus dem Ausland dürfen in Deutschland nicht transplantiert werden.“ Kommentar“


Widerspruchslösung muss kommen
Thema: Zahl der Organspender in Deutschland sinkt
CAROLIN NIEDER-ENTGELMEIER
Es könnte jeden von uns treffen: Eine Erkrankung oder ein Unfall schwächt das Herz, die Lunge oder die Leber so stark, dass nur noch eine Organspende das Überleben sichert. Doch würden Sie die Spende annehmen? Ja, oder? Hier wird kaum jemand lange überlegen müssen. Diese Mehrheit, die selbstverständlich das lebensrettendeOrgan in Anspruch nehmen würde, hat sich jedoch selbst nicht für oder gegen eine Spende entschieden. Nur 44 Prozent der Deutschen haben ihren Willen dokumentiert und helfen damit den 8.500 Menschen, die derzeit auf ein Organ warten. Denn die meisten Organspenden scheitern daran, dass die Angehörigen den Willen von Verstorbenen nicht kennen und die Spende aus Unsicherheit ablehnen.
Möglich ist das, weil in Deutschland die Entscheidungslösung gilt. Bürger werden nur dann Organspender, wenn sie dem ausdrücklich zustimmen. Doch obwohl die große Mehrheit der Deutschen der Organspende positiv gegenübersteht, treffen die meisten keine Entscheidung. Grund für den Organmangel sind deshalb die, die sich vor einer Entscheidung drücken.
Hier setzt die Widerspruchslösung an, denn sie verlangt Bürgern eine Entscheidung ab. Jeder, der nicht widerspricht, ist Organspender. Die Mehrheit des Bundestags traut diese Entscheidung der Bevölkerung jedoch nicht zu, denn bei der letzten Abstimmung wurde die Widerspruchslösung abgelehnt. Am Status quo hat sich seitdem nichts geändert,
Deutschland importiert weiter Organe aus Ländern mit Widerspruchslösung.
Es ist Zeit, dass sich diese Politiker eingestehen, dass man mündigen Bürgern diese Entscheidung zumuten kann und muss.
Denn der freie Wille bleibt erhalten und anders lassen sich die vielen Tausend Menschen auf den Wartelisten nicht retten.
carolin.nieder-entgelmeier@ihr-kommentar.de









Westfalen Blatt 18.01.2023


2700 Verpflanzungen in 34 Jahren: Oeynhausener Mediziner haben die größte Erfahrung 

Rekordjahr am Herzzentrum: 96 Herzen transplantiert 


Von Christian Althoff

Bad Oeynhausen (WB). Am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ) in Bad Oeynhausen sind im vergangenen Jahr 96 Herzen transplantiert worden – 52 Prozent mehr als im Jahr davor und so viele wie in keinem anderen Zentrum in Deutschland. Insgesamt sind im vergangenen Jahr in den 14 entsprechenden
deutschen Kliniken 358 Herzen verpflanzt worden.
„Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte war 2022 für uns ein Rekordjahr“, sagte HDZ-Sprecherin Anna Reiss. „Transplantationszahlen in dieser Größenordnung hatten wir zuletzt vor 30 Jahren, als 105 Herzen übertragen wurden.“ Das absolute Rekordjahr war 1991 mit 148 Organ-Übertragungen. Die wenigsten Herzen wurden 2007 im HDZ verpflanzt, nämlich 61.

Ein Soldat aus Bielefeld war der erste Patient, dem 1989 in Bad Oeynhausen ein fremdes Herz eingesetzt wurde. Er lebte 13 Jahre mit dem Organ. Seit damals haben Ärztinnen und Ärzte im Herzzentrum mehr als 2700 Herzen übertragen, weshalb sie die größte Erfahrung in Deutschland haben. „Zu den Besonderheiten im vergangenen Jahr zählten auch acht Kinderherz-Transplantationen“, sagt Prof. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor und Chef der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, in der 88 Erwachsene ein neues Herz bekommen hatten. Im Kinderherzzentrum seien erstmals zwei kleine Patienten transplantiert worden, die eine andere Blutgruppe als das Spenderorgan gehabt hätten. Außerdem sei Prof. Eugen Sandica, dem Direktor der Kinderherzchirurgie,
die Transplantation bei einem erst wenige Monate alten Baby gelungen.
Die aus Bad Oeynhausen gemeldeten, positiven Zahlen spiegeln allerdings keinen Trend bei der Spendebereitschaft für Organe wider. Insgesamt sank die Zahl aller gespendeten Organe bundesweit im vergangenen Jahr um knapp sieben Prozent. Dass Bad Oeynhausen seine Zahlen trotzdem steigern konnte, kann auch daran liegen, dass Chirurgen gelegentlich aus purer Not Organe akzeptieren, die sie vielleicht zu Zeiten eines größeren Angebots abgelehnt hätten. Und: Es werden zunehmend Organe Verstorbener aus dem Ausland genutzt. Prof. Gummert: „In 20 europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung. Wer sich nicht gegen eine Organentnahme ausspricht, wird nach dem Tod zum Organspender.“ Es sei kaum vermittelbar, sagt Prof. Gummert, das Deutschland von der Widerspruchslösung in anderen Ländern profitiere, sie aber im eigenen Land ablehne. „Das sollte sich ändern und dafür trete ich in Fachgesellschaften und gegenüber Entscheidungsträgern seit langem ein.“ Bundesweit warteten im Moment mehr als 700 Menschen auf ein Herz, im HDZ seien es mehr als 100.
Während die eigentliche Transplantation in Bad Oeynhausen Routine ist, sind die Nachsorge und das Einstellen der Transplantierten auf Medikamente oft hochkomplex. Durch die Erfahrung des HDZ lebten heute mehr als 60 Prozent der Patienten zehn Jahre
nach der OP noch mit einer „akzeptablen Lebensqualität“, sagt Sprecherin Anna Reiss. 








Lauterbach möchte Organspende neu regeln: Daran gibt es Kritik 

Von: NEOPresse 17. Januar 2023 

Karl Lauterbach möchte im Bundestag erneut über die Widerspruchslösung bei Organspenden abstimmen lassen. Diese Lösung sieht vor, dass, wer nicht Organe spenden möchte, aktiv Widerspruch einlegen muss. Die „Stiftung Patientenschutz“ wirft Lauterbach vor, mit diesem erneuten Vorstoß von einem „eigenen Versagen abzulenken“. Es gäbe nicht einmal ein Transplantationsregister.

Lauterbach: Patientenschützer werfen Ablenkungsmanöver vor

„Patientenschützer haben den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scharf kritisiert, angesichts gesunkener Organspendezahlen einen neuen Anlauf für grundlegend neue Spenderegeln zu starten. „Karl Lauterbach lenkt von seinem eigenen Versagen ab“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Dienstagsausgaben).

„Denn nicht das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist gescheitert, sondern die Umsetzung durch den Bundesgesundheitsminister.“ Seit Jahren kämen weder der Aufbau eines Transplantationsregisters noch die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voran. „Stattdessen will der Gesundheits-Ressortchef die von ihm favorisierte Widerspruchslösung erzwingen“, so Brysch. Doch damit seien er und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) bereits in der vergangenen Wahlperiode gescheitert.

„Der Bundesgesundheitsminister muss jetzt verbindlich erklären, wann das Transplantationsregister ans Netz geht“, forderte der Verbandschef. Zuvor war bekannt geworden, dass die Zahl der Organspenden im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Montag mitteilte, gab es 6,9 Prozent weniger Spenden als 2021. Lauterbach erklärte danach: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“

Viele Menschen seien zwar zur Organspende bereit, dokumentierten das aber nicht. „Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten“, sagte der SPD-Politiker.“





Organspende: Zahlen rückläufig, neue Debatte über Reform

  1.  Januar 2023


Berlin – Angesichts eines deutlichen Rückgangs bei lebensrettenden Organspenden in Deutschland kommt die Debatte über eine weitreichende Reform wieder in Gang. Die Zahl der Organspenden sank im vergan­genen Jahr deutlich.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach drängte heute auf einen neuen Anlauf für grundlegend andere Spendere­geln. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, sagte der SPD-Politiker. Viele Menschen seien zwar zur Organ­spende bereit, dokumentierten das aber nicht.

Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen.“ Lauterbach sagte zur Be­gründung für einen neuen Anlauf: „Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.“

Widerspruchslösung bedeutet, dass alle Menschen zunächst automatisch als Spender gelten sollen – außer man widerspricht. Ein erster Anlauf dazu war im Januar 2020 gescheitert. Stattdessen beschloss der Bundes­tag eine Entscheidungslösung – eine Gesetzesregelung, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt bleiben.

Demnach soll aber eine stärkere Aufklärung mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Spende nach dem Tod zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform, ein neues Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spende­bereitschaft online speichern kann, wurde bisher jedoch gar nicht eingerichtet. Die Umsetzung liegt weit hinter dem Zeitplan.

Zustimmung und Kritik

Lauterbachs Vorstoß stieß heute auf Gegenliebe und Kritik. „Die Einführung der Widerspruchslösung bietet die Chan­ce, dass mehr Organe gespendet werden und dadurch mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderor­gan be­kommen“, sagte zum Beispiel Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

Unabhängig von der Einführung der Widerspruchslösung dürfe man bei den Anstrengungen nicht nachlassen, die Menschen dazu motivieren, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen und eine Entscheidung zu treffen.

Auch Baden-Württembergs Ressortchef Manne Lucha unterstützte einen neuen Anlauf. „Es sterben Menschen, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen.“ Das dürfe nicht sein, sagte der Grünen-Politiker. Der Bundes­tag sollte das Thema schnell auf die Tagesordnung bringen. Organspenden gingen bundesweit seit Jahren zu­rück. „Anders als mit der Widerspruchslösung können wir dieses Problem nicht lösen.“

Kritik kommt hingegen aus der Riege der Abgeordneten, die damals die heute bestehende Entscheidungs­lösung in den Bundestag eingebracht hatten und sich damit durchsetzen konnten. „Das Gesetz als gescheitert zu erklä­ren, bevor es umfassend umgesetzt und seine Umsetzung evaluiert worden ist, halte ich für verfrüht“, sagte Kirs­ten Kappert-Gonther (Grüne) dem Deutschen Ärzteblatt.

Die Aufgabe von Karl Lauterbach als Gesundheitsminister sei es, im Schulterschluss mit den Ländern die von Bundestag beschlossenen Maßnahmen zur Stärkung der Organspende – insbesondere auch die Einrichtung des Onlineorganspenderegisters – zügig und umfassend umzusetzen.

„Dass die Zahlen der realisierten Organspenden zwischen den Bundesländern stark schwanken, könnte darauf hinweisen, dass die Strukturverbesserungen noch nicht überall gleich stark greifen“, sagte die Gesundheits­poli­ti­kerin der Grünen. Sie halte es für essenziell, die strukturellen Gründe zu identifizieren und zu beheben, damit überall all diejenigen Organspenderinnen und Organspender werden, die das wollten.

Auch der Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger (CSU) hatte sich damals gegen eine Widerspruchslösung ge­stellt. Er sagte dem Deutschen Ärzteblatt heute, Bundesgesundheitsminister Lauterbach und das ihm unter­ste­hende Bundesgesundheitsministerium hätten es nach mehr als einem Jahr Amtszeit nicht geschafft, das für die Ent­scheidungslösung maßgeblich notwendige Organspenderegister aufzubauen.

„Auf meine entsprechende Anfrage im letzten Sommer, wann das eigentlich für den 1. März 2022 geplante Re­gister tatsächlich arbeitsfähig sein wird, hieß es vom Bundesgesundheitsministerium, dass sich die Arbeiten wegen der anhaltenden Coronapandemie verzögerten, so dass es ,frühestens Ende 2022' freigeschaltet werden könne. Dies ist bekanntlich noch immer nicht der Fall“, so Pilsinger.

Er rief Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf, „keine politischen Spielchen“ zu spielen, um eine politische Niederlage rückgängig zu machen. Der Minister solle vielmehr „endlich die organisatorischen Voraussetzungen“ für die von einer deutlichen Mehrheit des Bundestages beschlossene Entscheidungslösung schaffen.

„Wie Minister Lauterbach auf die Idee kommen kann, gerade jetzt das Thema Widerspruchslösung bei der Organ­spende wieder aufzumachen, kann ich in keiner Weise nachvollziehen“, sagte Kathrin Vogler (Linke) dem Deutschen Ärzteblatt. Die Entscheidungslösung, die im Bundestag eine überdeutliche Mehrheit gehabt habe, sei „noch nicht ansatzweise umgesetzt“. „Hier betreibt das Gesundheitsministerium unter Karl Lauterbach ebenso wie unter Jens Spahn schlicht Arbeitsverweigerung.“

Vogler verwies darauf, dass die desaströse Lage in den Krankenhäusern durch eine Widerspruchslösung auch nicht verändert werde. „Wir wissen schon lange, dass das entscheidende Nadelöhr bei der Organentnahme nicht die fehlende Zustimmung der potenziellen Organgeber oder ihrer Angehörigen ist“, sagte sie. Es sei vielmehr die Belastung der Intensivstationen.

„Ich finde, der Minister sollte sich darauf konzentrieren, hier für Verbesserungen zu sorgen und damit die Bedin­gungen zu schaffen, die für die Organentnahme notwendig sind, anstatt sich mit einem Projekt zu verkämpfen, mit dem er bereits in der letzten Legislaturperiode eine krachende Niederlage eingefahren hat und von dem überhaupt keine Verbesserung für die Versorgung von Patienten auf der Warteliste für Transplantationen zu erwarten ist“, so Vogler.

Einbruch der Zahlen

Wie die Deutsche Stiftung Organtransplanta­tion (DSO) heute mitteilte, ist sowohl die Zahl der Spender als auch die Zahl der Transplantationen im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen.

Für 2022 verzeichnet die Stiftung ein Minus von 6,9 Prozent bei der Zahl der Spender. In den vergangenen zwölf Monaten haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 64 weni­ger als im Vorjahreszeitraum und entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner, wie die DSO mitteilte.

Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungs­stelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.662 (Vorjahreszeitraum: 2.905). Damit ging die Zahl der postmortal entnommenen Organe um 8,4 Prozent im Vergleich zu 2021 zurück.

Zeitgleich konnten in den 46 deutschen Transplantationszentren auch weniger Organe eingesetzt werden: Ihre Zahl sank von 2.979 im Jahr 2021 auf 2.795 Organe (2022). Damit wurde 2.695 schwer kranken Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2021: 2.853). Gleichzeitig stehen in Deutschland derzeit rund 8.500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ.

Aus Sicht der DSO spielen mehrere Gründe für die Entwicklung der Organspendezahlen im vergangenen Jahr eine Rolle. Die Coronapandemie und die daraus resultierenden Krankenstände beim Personal in den Kliniken belasteten Anfang 2022 das gesamte Gesundheitssystem – dies trug wesentlich zu dem starken Einbruch der Organspendezahlen um 30 Prozent im ersten Quartal 2022 bei, wie der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, erklärte.

„Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist die fehlende Einwilligung“, so Rahmel. Mit dem zunehmenden Alter der Spender spielten aber auch medizinische Ausschlussgründe eine immer größere Rolle. Im vergangenen Jahr war bei der Hälfte der möglichen Organspenden, die nicht realisiert werden konnten, eine fehlende Einwilligung der Grund.

Gleichzeitig sei auffällig, dass diese Ablehnung der Organspende in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen (7,3 Prozent) oder mündlichen (16,3 Prozent) Willen der Verstorbenen basierte, so Rahmel.

In 42 Prozent sei die Ablehnung aufgrund des vermuteten Willens der Verstorbenen erfolgt, 35 Prozent der Ablehnungen beruhten auf der Einschätzung der Angehörigen nach ihren eigenen Wertvorstellungen, da ihnen nicht bekannt war, was die oder der Verstorbene zum Thema Organspende gewünscht hätte.

Die Entwicklung zeige, so Rahmel, wie sensibel und volatil das System der Organspende auf Störungen rea­giere und damit aus dem Takt gerate: „Wir brauchen das volle Engagement der Ärztinnen, Ärzte und Pflege­kräfte in den Kliniken, die Unterstützung der Politik und vor allem auch die Zustimmung der Bevölkerung.“ Rahmel fordert, es sei an der Zeit, die Organspende endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.

Die Umfragen in der Bevölkerung zeigten immer wieder, dass acht von zehn Bundesbürgern die Organspende befürworten. „Angehörige entscheiden sich aus Unsicherheit aber häufig dagegen, da der Wille des Verstor­benen nicht bekannt ist“, so Rahmel. Etwas ändern könnten nur Aufklärung und möglicherweise auch der An­stoß über eine Widerspruchsregelung, wie von Bundesgesundheitsminister Lauterbach im vergangenen Jahr vorgeschlagen. © dpa/kna/may/aerzteblatt.de





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Von Martina Feichter , Medizinredakteurin und Biologin

28.11.2023

Immunsuppression und Impfung

Wenn das Immunsystem geschwächt beziehungsweise unterdrückt ist (Immunsuppression), sind Impfungen als Schutz vor Krankheitserregern besonders wichtig – oder aber unwirksam oder sogar gefährlich. Das Thema Immunsuppression und Impfung ist also sehr komplex. Lesen Sie hier, was es hier zu beachten gilt und welche Impfungen bei Immunsuppression ratsam oder verboten sind!

Was muss man bei einer Immunsuppression und Impfung beachten?

Bei Menschen mit einer Immunsuppression (Immundefizienz, Immunschwäche) arbeitet das Immunsystem nicht optimal – es ist in seiner Funktionsfähigkeit mehr oder weniger stark eingeschränkt. Der Grund dafür kann eine angeborene oder erworbene Erkrankung oder eine immunsuppressive Therapie sein.



Im Zusammenhang mit Impfungen ergeben sich mehrere Aspekte, die es zu beachten gilt:

Erhöhte Anfälligkeit für Infekte

Für Menschen mit einer Immunsuppression sind verschiedene Impfungen noch wichtiger als für Immungesunde. Ihre eingeschränkte Körperabwehr kann sich Krankheitserregern nämlich nicht so gut widersetzen. Deshalb sind Immunsupprimierte generell anfälliger für (schwere) Infektionen. Einige Beispiele:   

  • Rheuma-Patienten haben ein     erhöhtes Risiko für Grippe und Pneumokokken-Infektionen. Letztere können sich etwa als     gefährliche Lungen- oder Hirnhautentzündung    manifestieren.

        
  • Systemischer Lupus erythematodes macht anfälliger für Gürtelrose. Diese entsteht durch die Reaktivierung von im Körper schlummernden Windpocken-Erregern.

        
  • Wer etwa aufgrund von Rheuma oder Morbus Crohn Immunsuppressiva vom Typ TNF-alpha-Blocker erhält, hat     ein erhöhtes Risiko für Tuberkulose.

Bei krankheits- oder therapiebedingter Immunsuppression ist es also besonders ratsam, die körpereigene Widerstandskraft gegen Infektionen mit Hilfe von Impfungen zu steigern.

Wie groß die Infektanfälligkeit bei einzelnen Patienten mit Immunsuppression ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Relevant sind etwa Ursache und Schweregrad der Immundefizienz, eventuelle Begleiterkrankungen sowie Alter und Body-Mass-Index (BMI) des Betroffenen.

Impfungen bei Immunsuppression oft weniger wirksam

Menschen mit einem schwachen Immunsystem profitieren also besonders von Impfungen – sofern diese ausreichend wirken. Das ist aber nicht immer der Fall: Die Impfantwort fällt bei Immunsuppression / Immunschwäche oft weniger gut aus als bei einer intakten Körperabwehr.

Denn als Reaktion auf den verabreichten Impfstoff bildet ein beeinträchtigtes Immunsystem weniger Abwehrstoffe (Antikörper) als ein voll funktionsfähiges Abwehrsystem. Im Idealfall kommt so dennoch ein ausreichender Impfschutz zustande.

Es kann aber auch sein, dass die Impfantwort auf eine Impfung nahezu komplett ausbleibt. Das kann zum Beispiel passieren, wenn sich jemand mit einem Totimpfstoff impfen lässt trotz Therapie mit Immunsuppressiva wie Alemtuzumab oder Rituximab. Das sind künstlich hergestellte, therapeutische Antikörper, die gezielt bestimmte Immunzellen (B- bzw. T-Lymphozyten) aus dem Blut entfernen. Sie eignen sich beispielsweise für die Therapie von Multipler Sklerose (Alemtuzumab) und chronisch lymphatischer Leukämie (Alemtuzumab, Rituximab).

Lebendimpfstoffe sind kritisch

Ein wichtiger Punkt ist auch, welcher Impfstoff bei Immunsuppression gegeben werden kann und welcher nicht – nicht nur im Hinblick auf die Effektivität (siehe vorherigen Abschnitt), sondern vor allem auch bezüglich der Sicherheit eines Impfstoffes.

Kritisch sind in dieser Hinsicht oft Lebendimpfstoffe wie der Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps- und Röte (MMR-Impfung). Bei Immunsupprimierten können solche Lebendimpfungen unter Umständen genau jene Erkrankung auslösen, vor der sie eigentlich schützen sollen.

Lebendimpfstoffe enthalten nämlich vermehrungsfähige, wenn auch abgeschwächte (attenuierte) Infektionserreger. Bei immungesunden Menschen rufen diese keine Erkrankung hervor, sondern setzen nur die gewünschte Bildung von Abwehrstoffen in Gang.

Anders bei einer Immunsuppression (Immunschwäche): Es kann sein, dass das beeinträchtigte Immunsystem selbst den abgeschwächten Erregern aus einem Lebendimpfstoff nicht gewachsen ist. Betroffene Menschen entwickeln dann die entsprechende Krankheit, eventuell sogar mit schweren bis lebensbedrohlichen Komplikationen.

Bei einer Immunschwäche sind Impfungen mit Lebendimpfstoffen deshalb oft "verboten" (kontraindiziert). Mehr dazu lesen Sie unten im Abschnitt: "Lebendimpfungen: Masern, Mumps & Co.".




Im Unterschied zu Lebendimpfstoffen sind Totimpfstoffe für Impfungen bei immunsupprimierten Patienten grundsätzlich geeignet. Sie enthalten keine vermehrungsfähigen Erreger und können deshalb keine Erkrankung auslösen. Zudem werden Totimpfstoffe auch bei Störungen des Immunsystems generell gut vertragen.


Impfabstände zu therapiebedingter Immunsuppression

Im Idealfall werden Lebendimpfungen spätestens zwei Wochen vor Beginn einer das Immunsystem beeinflussenden (immunmodulierenden) Therapie abgeschlossen. Bei einer antineoplastischen Therapie – also einer Behandlung gegen (bösartige) Tumore – sollten Mediziner Lebendimpfstoffe nur bis vier Wochen vor Therapiebeginn geben.

Diese Zeitabstände lassen sich aber nicht immer einhalten – manchmal müssen Ärzte eine Therapie schnellstmöglich einleiten, sodass keine Zeit mehr für eventuelle Lebendimpfungen bleibt. Dann muss man auf diese meist verzichten. Nur in ausgewählten Fällen verabreichen Mediziner Lebend-Impfungen unter therapiebedingter Immunsuppression.

Je nach Art einer immunmodulatorischen Therapie kann es auch notwendig sein, nach ihrem Abschluss mit Impfungen noch für eine gewisse Zeit zu warten. Ein Beispiel: Patienten, die etwa aufgrund eines angeborenen Immundefekts Infusionen mit Antikörpern vom Typ Immunglobulin G erhalten haben (mind. 400 mg pro kg Körpergewicht), sollten sich frühestens acht Monate danach gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken impfen lassen.

Impfung von Kontaktpersonen

Da bei Menschen mit Immunsuppression manche Impfungen nicht verabreicht werden dürfen oder nicht ausreichend wirken, ist ein ausreichender Impfschutz bei engen Kontaktpersonen sehr wichtig.

Wenn Sie also beispielsweise im gleichen Haushalt wie ein Immunsupprimierter leben, sollten Sie Ihren Impfstatus von einem Arzt abklären und gegebenenfalls vervollständigen lassen. Damit schützen Sie nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch Ihren immungeschwächten Mitbewohner vor potenziell gefährlichen Infektionen!

Was sind die Impfempfehlungen bei Immunsuppression?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut gibt allgemeine Impfempfehlungen für Menschen mit Immunsuppression. Mediziner berücksichtigen bei Impfentscheidungen im Einzelfall aber immer auch individuelle Faktoren. Dazu zählen etwa das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand eines Patienten, der Grad seiner Immunschwäche und sein Infektionsrisiko. Auch die möglichen Gegenanzeigen (Kontraindikationen) bestimmter Impfungen oder Impfstofftypen fließen in die Entscheidung ein.

Für folgende Impfungen gelten bei Immunschwäche besondere Empfehlungen der STIKO:

Corona-Impfung

Für Menschen mit angeborener oder erworbener Immunschwäche oder therapeutischer Immunsuppression empfehlen Experten ab einem Alter von fünf Jahren eine Grundimmunisierung mit drei Impfstoffdosen sowie zwei Auffrischimpfungen.

Alle zur Verfügung stehende Impfstoffe fallen (im weitesten Sinne) in die Kategorie der Totimpfstoffe.

Die empfohlenen Zeitabstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden Corona-Impfungen hängen von mehreren Faktoren ab. Wichtig ist etwa, welchen Corona-Impfstoff ein Immunsupprimierter erhalten hat oder erhalten soll und um die wievielte Impfung es sich handelt (z.B. zweite Dosis der Grundimmunisierung oder erste Auffrischimpfung).

Eine Rolle spielt auch, ob damit zu rechnen ist, dass die Impfantwort auf die Corona-Impfung relevant eingeschränkt ist. Das ist etwa bei Patienten der Fall, die an einem schweren angeborenen Immundefekt leiden. Auch eine Behandlung mit Cyclophosphamid oder Rituximab (Immunsuppressiva und Krebsmedikamente) kann die Körperabwehr eines Patienten erheblich dämpfen.

Ebenso kann es je nach Altersgruppe unterschiedliche Empfehlungen geben.


Moderna

Gute Daten für Hautkrebs-Impfstoff in Phase II

Eine personalisierte mRNA-Krebsvakzine hat in Kombination mit einem Immuntherapeutikum in einer Phase-IIb-Studie das rezidivfreie Überleben deutlich verlängert. Das gab der US-Hersteller Moderna bekannt. 

Christina Hohmann-Jeddi    23.12.2022

Bei dem Impfstoffkandidaten mRNA-4157/V940 von Moderna handelt es sich um einen mRNA-basierten personalisierten Krebsimpfstoff. Dieser enthält eine synthetische mRNA, die für bis zu 34 patientenspezifische Neoantigene codiert. Für die Herstellung des Impfstoffs wird zunächst der Tumor jedes Patienten genetisch analysiert und die mRNA auf die jeweilige Mutationssignatur des Tumors angepasst. Im Körper wird die mRNA in Proteinfragmente übersetzt, die das Immunsystem auf den Tumor ansetzen sollen.

Diesen Impfstoffkandidaten untersuchte Moderna in Kombination mit dem Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab (Keytruda®) von MSD in einer offenen Phase-IIb-Studie mit 157 Patienten mit schwarzem Hautkrebs (Melanom) im Stadium III/IV. Nach vollständiger chirurgischer Entfernung des Tumors erhielten die Patienten entweder mRNA-4157/V940 (neun Dosen mRNA-4157) und Pembrolizumab (200 mg alle drei Wochen für etwa ein Jahr) oder nur Pembrolizumab. Die Ergebnisse stellte das Unternehmen in einer Pressemitteilung am 13. Dezember vor. Demnach senkte die   Impfstoff-Immuntherapie-Kombination das Risiko für Rezidive und Tod um 44 Prozent im Vergleich zur alleinigen Pembrolizumab-Therapie.
    
In der Mitteilung spricht Moderna-Geschäftsführer Stéphane     Bancel von ermutigenden Ergebnissen für das Feld der     Krebsimpfstoffe. »Mit dem Ziel, Patienten zukünftig individuelle     Krebstherapeutika zur Verfügung stellen zu können, werden wir     weitere Studien zu Melanom und anderen Krebsarten starten.«
    

Das Unternehmen plant, die vollständigen Daten bei einer     Fachkonferenz zu präsentieren und sie den Aufsichtsbehörden zur     Verfügung zu stellen. Moderna hat noch eine weitere personalisierte Krebsvakzine und zwei Immunonkologika in Phase I der klinischen Prüfung.

Der Mainzer Impfstoff-Hersteller Biontech arbeitet an einem sehr     ähnlichen Ansatz: Seine mRNA-Vakzine BNT122 (Autogenes Cevumeran) enthält mRNA, die für 20 patientenspezifische Neoantigene kodiert. BNT122 wird in Kombination mit dem Anti-PD1-Antikörper Atezolizumab (Tecentriq®) von Roche untersucht. Eine Phase-II-Studie, in die 200 Patienten mit Hochrisiko-Darmkrebs eingeschlossen werden sollen, startete laut Firmenmitteilung im Oktober 2022.



Maribavir

Neues Reservemittel bei CMV-Infektion

Infektionen mit dem Cytomegalievirus (CMV) verlaufen meistens asymptomatisch, bei immungeschwächten Menschen aber potenziell schwer. Für betroffene Patienten gibt es jetzt das neue Virostatikum Maribavir.

Annette Rößler   04.01.2023

CMV gehört zu den Herpesviren und ist weltweit verbreitet. In Deutschland hat laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) etwa jeder zweite Erwachsene eine Infektion mit CMV durchgemacht, häufig werden bereits Babys bei der Geburt von ihrer Mutter angesteckt. CMV kann in Tränenflüssigkeit, Speichel, Urin, Genitalsekret sowie Muttermilch und Blut enthalten sein. Bei Immunkompetenten verläuft eine Infektion zumeist asymptomatisch oder mit unspezifischen, grippeartigen Symptomen. Bei Menschen mit eingeschränkter Immunabwehr kann es zu Komplikationen kommen: Verschiedene Organe können geschädigt werden; ein CMV-Befall der Netzhaut (Retinitis) kann zu Erblindung führen.

Zur Therapie der aktiven CMV-Infektion steht das     Nukleosidanalogon Ganciclovir zur Verfügung. Es wird von der     viralen Proteinkinase UL97 zu Ganciclovir-Monophosphat     phosphoryliert und dadurch aktiviert. Damit hängt die Wirkung von   Ganciclovir vom Funktionieren dieser Proteinkinase ab. Das ist im     Zusammenhang mit dem neuen Wirkstoff Maribavir wichtig, weil dieser UL97 inhibiert. Dadurch werden die Replikation und Reifung,   Enkapsidierung und Kernausschleusung von CMV-DNA gehemmt.
    

Da Maribavir Ganciclovir antagonisiert, ist die gleichzeitige     Anwendung kontraindiziert. Dasselbe gilt für die gleichzeitige     Anwendung von Maribavir mit Valganciclovir, dem oral bioverfügbaren Prodrug von Ganciclovir.

Maribavir (Livtencity® 200 mg Filmtabletten, Takeda Pharma)ist indiziert zur Behandlung einer CMV-Infektion und/oder     -Erkrankung bei erwachsenen Patienten nach einer Stammzell- oder Organtransplantation, die refraktär gegenüber einer oder mehreren vorhergehenden Therapien ist. Diese müssen     Ganciclovir/Valganciclovir, Cidofovir oder Foscarnet eingeschlossen   haben.

Die empfohlene Dosis beträgt 400 mg Maribavir (zwei Filmtabletten) zweimal täglich für acht Wochen. Abhängig vom Zustand des Patienten kann die Behandlungsdauer individualisiert werden. Die Tabletten können unabhängig von den Mahlzeiten im Ganzen geschluckt oder auch zerdrückt und über eine Magensonde gegeben werden. Wenn eine Dosis vergessen wurde, soll diese nur dann noch nachgeholt werden, wenn der nächste Einnahmezeitpunkt noch mehr als drei Stunden entfernt ist. Danach soll die vergessene Dosis ausgelassen und die Einnahme zum nächsten Zeitpunkt wie geplant fortgesetzt werden.

Interaktionen mit Immunsuppressiva möglich

Maribavir wird vorrangig über CYP3A metabolisiert. Die     gleichzeitige Anwendung mit starken Induktoren dieser Enzyme, etwa Rifampicin, Rifabutin oder Johanniskraut, wird daher nicht     empfohlen. Ist die gleichzeitige Anwendung mit anderen starken oder mittelstarken CYP3A-Induktoren wie Carbamazepin, Efavirenz, Phenobarbital oder Phenytoin unumgänglich, sollte die     Maribavir-Dosis auf 1200 mg (sechs Filmtabletten) zweimal täglich erhöht werden. Die Kombination mit CYP3A-Inhibitoren erfordert keine Dosisanpassung.
    

Immunsuppressiva wie Tacrolimus, Cyclosporin, Sirolimus und     Everolimus sind CYP3A-/P-gp-Substrate mit enger therapeutischer   Breite. Deren Plasmakonzentrationen müssen bei gleichzeitiger     Anwendung mit Maribavir engmaschig überwacht werden; gegebenenfalls muss die Dosis angepasst werden. Das ist wichtig, da Maribavir indikationsgemäß ausschließlich bei Patienten nach einer     Stammzell- beziehungsweise Organtransplantation angewendet wird, die häufig unter immunsuppressiver Therapie stehen. Welche weiteren potenziellen Interaktionspartner eine Überwachung und/oder Dosisanpassung erforderlich machen, ist in der Fachinformation von Livtencity tabellarisch aufgelistet.

In der Schwangerschaft sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter,     die nicht verhüten, wird von der Anwendung von Maribavir abgeraten. Das Stillen sollte während der Behandlung mit Maribavir unterbrochen werden.
    

In Phase-III-Studie aktiver Kontrolle überlegen         

Zulassungsrelevant war eine offene Phase-III-Studie, an der 352     stammzell- oder organtransplantierte Patienten mit CMV-Infektion   teilgenommen hatten, die zuvor auf eine Behandlung mit Ganciclovir, Valganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir nicht angesprochen hatten. Die Probanden wurden im Verhältnis 2 : 1 randomisiert und entweder acht Wochen lang mit Maribavir behandelt sowie anschließend zwölf Wochen lang nachbeobachtet oder sie erhielten eine vom Prüfarzt verordnete Vergleichstherapie, die aus Ganciclovir, Valganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir bestand.
    

Den primären Endpunkt, eine bestätigte vollständige CMV-Virämie-Clearance in Woche 8, erreichten signifikant mehr Patienten in der Maribavir- als in der Kontrollgruppe (56 versus 24 Prozent). Auch im wichtigsten sekundären Endpunkt, der vollständigen CMV-Virämie-Clearance samt Symptomkontrolle in Woche 8 mit anhaltendem Behandlungserfolg bis Woche 16, war Maribavir gegenüber der aktiven Kontrolle überlegen (19 versus 10 Prozent der Patienten). Allerdings kam es in der Follow-up-Phase häufiger bei den mit Maribavir behandelten Patienten als bei den Kontrollen zu einem Rezidiv der CMV-Virämie (39 versus 22 Prozent).

Die häufigsten Nebenwirkungen von Maribavir waren     Geschmacksstörungen (46 Prozent der Behandelten), Übelkeit (21   Prozent), Diarrhö (19 Prozent), Erbrechen (14 Prozent) und Ermüdung (12 Prozent). Als schwerwiegende Nebenwirkungen wurden am häufigsten Diarrhö (2 Prozent) sowie Übelkeit, Gewichtsabnahme, Ermüdung, erhöhte Wirkstoffspiegel des Immunsuppressivums und Erbrechen (alle >1 Prozent) genannt.

Vorläufige Bewertung: Sprunginnovation

Das Cytomegalie­virus (CMV) ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem, etwa bei transplantierten Patienten, kann eine CMV-Reaktivierung zu schweren, lebensbedrohlichen Krankheitsbildern führen. Für die Behandlung gibt es glücklicherweise bereits einige Arzneistoffe. Dennoch kann man Maribavir vorläufig als Sprunginnovation betrachten. Denn weitere Therapeutika zur Behandlung sind höchst willkommen, insbesondere im Fall von resistenten und refraktären Krankheitssituationen. Maribavir weist ferner ein neues Target auf, was die Einstufung als Sprunginnovation ebenfalls stützt. Es hat zudem den Vorteil, dass es hepatisch metabolisiert wird und eine eingeschränkte Nierenfunktion die Clearance des Wirkstoffs nicht beeinflusst. 

Möglich, dass Maribavir sich auch als Mittel in der Erstlinienbehandlung oder auch als Partner für bestimmte andere Substanzen für eine Kombinationstherapie zur CMV-Behandlung eignet. Das sollte man weiter testen. Auch wäre an eine mögliche Prophylaxe mit Maribavir zu denken, obwohl hier nicht alle bisherigen Untersuchungen positiv verliefen.

Sven Siebenand, Chefredakteur




SRH Fernhochschule

06.12.2022 08:30        

Das hat sich seit dem Organspendenskandal 2012 getan: „Wir sind noch nicht am Ziel“

Amelie Störk Presse- und Öffentlichkeitsarbeit        


Es war ein Schock für das Gesundheitswesen, aber vielleicht ein heilsamer: 2012 wurde im Zuge des sogenannten Organspendenskandals bekannt, dass in vielen Transplantationskliniken in Deutschland getrickst worden war. So kamen Patienten an Spenderorgane, obwohl andere sie dringender gebraucht hätten. Dass sich seitdem viel bei der Kontrolle getan hat, zeigt eine aktuelle Studie der SRH Fernhochschule. Diese zeigt aber leider auch, dass noch viel zerstörtes Vertrauen wieder aufgebaut werden muss.        

    

Wer bekommt ein neues Organ? Und wer muss warten?
Rückblick: Vor zehn Jahren waren bundesweit zahlreiche Fälle bekannt geworden, bei denen Patientendaten manipuliert wurden. So kamen manche Patienten aufgrund falscher Angaben zu ihrem Gesundheitszustand schneller an ein Spenderorgan. Die Reihenfolge, wer wann ein Spenderorgan erhält, wird europaweit von der Stiftung Eurotransplant geregelt. Dabei ist der individuelle Gesundheitszustand entscheidend. „Ausschlaggebend sind die Dringlichkeit, aber auch die Erfolgsaussichten einer Transplantation“, erklärt Dr. Semelink-Sedlacek. „Werden hier von der Klinik, in der ein Patient behandelt wird, falsche Angaben gemacht, kommen nicht die dran, die eigentlich an der Reihe wären. Das kann gravierende Folgen haben.“ Genau das war 2012 aufgeflogen.

Vertrauen in Vergabeverfahren beschädigt

Semelink-Sedlacek studierte, neben ihrer Arbeit als Assistenzärztin in der Kinderheilkunde, Prävention und Gesundheitspsychologie an der SRH Fernhochschule – The Mobile University. Für ihre Masterarbeit hat sie untersucht, was sich seit dem Organspendenskandal 2012 getan hat. „Die Ereignisse damals haben viel Vertrauen bei diesem hochsensiblen Thema zerstört. Lag die Zahl der postmortalen Organspender im Jahr 2012 noch bei 1.045, ging sie sicher auch als Folge des Skandals auf einen Tiefststand von 797 im Jahr 2017 zurück. Ein Minus von 24 Prozent!“ Konsequenzen gab es wohl: Zum Beispiel wurden unabhängige und flächendeckende Kontrollen eingeführt und endlich ein klarer Straftatbestand für Richtlinienverstöße definiert. Aber die Frage, die Semelink-Sedlacek beschäftigte, war: Reicht das?

Die Kontrollen wirken. Aber …
Die Antwort lautet: jein. Die Medizinerin hat zahlreiche Experteninterviews im Rahmen ihrer Studie geführt, darunter Fachkollegen, Juristen und Ethiker. Alle sind sich einig, dass die verschärften Kontrollen funktionierten. Auch gäbe es glücklicherweise nur wenige Verdachtsfälle. Dennoch sei es dringend nötig, die Reformprozesse weiter zu optimieren und vor allem transparenter zu machen. „Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass das verlorene Vertrauen nicht zurückgewonnen werden konnte“, so Semelink-Sedlacek. „Bis heute gibt es deutlich weniger Organspender als vor dem Skandal.“ Im Jahr 2021 waren es 933 postmortale Spender, rund 10 Prozent weniger als 2012.
Die „Widerspruchslösung“ der Schweizer auch in Deutschland?
In der Schweiz haben sich die Bürger am 16. Mai 2022 in einer Volksabstimmung für eine radikale Neuregelung - der „Widerspruchslösung“ – gestimmt. Soweit eine verstorbene Person zu Lebzeiten nicht der Organspende widerspricht, wird diese als potenzieller Spender geführt. Voraussichtlich wird diese Neuregelung in der Schweiz zu Anfang 2024 eingeführt. In Deutschland hingegen ist die Widerspruchslösung vor zwei Jahren im Bundestag gescheitert. „Eine Reevaluation dieser Entscheidung ist sicher sinnvoll, da die Bevölkerung in Umfragen der Organspende grundsätzlich positiv gegenübersteht. Ein wichtiger Aspekt für eine breite Akzeptanz der Widerspruchslösung ist, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das System der Organspende weiter gestärkt wird“, so Semelink-Sedlacek.

Vergabekriterien müssen verbessert werden
Das bestätigt auch Prof. Alfons Runde. Er lehrt an der SRH Fernhochschule Gesundheitsökonomie und hat die Abschlussarbeit von Lena Semelink-Sedlacek betreut. „Bislang liegt keine systemische Aufarbeitung zu den Konsequenzen aus dem Organspendenskandal vor. Frau Semelink-Sedlaceks Studie leistet hier einen sehr wichtigen Beitrag. Vor allem macht sie deutlich, dass wir uns die Vergabekriterien noch genauer anschauen müssen.“ Häufig stünden sich gerade die Dringlichkeit einer OP und deren Erfolgsaussichten gegenüber, etwa wenn jemand dringend ein Spenderorgan braucht, die Aussichten, dass die Transplantation ein dauerhafter Erfolg wird, aber gering sind.“

Es fehlt an Forschung und finanziellen Mitteln
Hier könnten bessere Prognoseverfahren viel bewirken, da sind sich die Medizinerin und ihr Professor einig. Außerdem müssten die Betroffenen besser über die Abläufe und vor allem die Verbesserungen informiert werden. „Dazu ist viel weitere Forschungsarbeit nötig, außerdem fehlt es an finanziellen Mitteln und Personal“, so Runde. „Spenderorgane sind nach wie vor eine knappe Ressource. Wir befinden uns auf einem guten Weg, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wie immer hängt das System von den Menschen ab, die es gestalten und nicht nur von ordnungspolitischen Regelungen. Jeder einzelne Akteur benötigt zu den orientierenden Regularien ein Repertoire an ethischen Verhaltensregeln, um eine sozial gerechte Verteilung der knappen Ressource "Spenderorgan" sicherzustellen“, erklärt Semelink-Sedlacek abschließend.    



Mindedner Tageblatt 2; 12.2022


Zwei neue Herzen in 24 Stunden Zwei neue Herzen in 24 Stunden

Im Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen haben im Oktober zwei Mädchen an einem Tag
Spenderherzen erhalten. Einblicke in diesen außergewöhnlichen Tag gewähren die Ärzte der jungen Patientinnen.

Carolin Nieder-Entgelmeier
Bad Oeynhausen

In Deutschland herrscht ein eklatanter Organmangel, weil sich viele Menschen gegen eine Spende entscheiden oder sich gar nicht erst mit dem Thema befassen.
Etwa 10.000 Menschen warten alleine in Deutschland auf ein neues Organ. Darunter auch
Kinder, die während der mitunter sehr langen Wartezeit oft mit ihren Eltern in Kranken-
häusern leben müssen. So wie zwei Familien in Bad Oeynhausen, die im Herz- und Dia-
beteszentrum (HDZ) NRW in den vergangenen Monaten auf neue Herzen für ihre Töchter
gewartet und diese am selben Tag bekommen haben. Einblicke in diesen besonderen Tag
mit zwei Kinder-Herztransplantationen in nur 24 Stunden gewährt Kinderkardiologe
Stephan Schubert. Seit Jahrzehnten werden im HDZ Herzen transplantiert, doch dieser besondere Tag im Oktober ist auch für die erfahrenen Mitarbeiter kein norma-
ler Tag. „Dass wir zwei Angebote für Spenderherzen an einem Tag erhalten, kommt
schon mal vor. Aber nicht für zwei Kinder, das ist außergewöhnlich“, sagt Schubert, Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler am HDZ. Doch an diesem außergewöhnlichen Tag passiert genau das, obwohl die Transplantationszentren in
Deutschland insgesamt nur 20 bis 30 Kinder-Herztransplantationen pro Jahr durchführen.
Die Stiftung Eurotransplant, die in acht Ländern für die Zuteilung von Spenderorganen
verantwortlich ist, meldet sich im HDZ mit einem Angebot für die zweijährige Lea (Name von
der Redaktion geändert). Als der entscheidende Anruf kommt, wartet Lea bereits seit 552 Tagen mit einem Kunstherz auf ein Spenderherz.
„Aufgrund eines angeborenen Herzfehlers war das Herz von Lea nicht mehr in der Lage, den Körperkreislauf ausreichend aufrechtzuerhalten. Deswegen mussten wir sie bereits
im April 2021 an ein Kreislaufunterstützungssystem anschließen, das außerhalb des Körpers die Arbeit ihres Herzens übernommen hat“, erklärt Schubert. Dieses Kunstherz schränkt die Lebensqualität und den Bewegungsradius von Betroffenen jedoch massiv ein und Kinder dürfen die Klinik damit nicht verlassen.
Das Besondere an dem Angebot von Eurotransplant ist, dass die Blutgruppe des Organspen-
ders nicht mit der von Lea übereinstimmt. Bei Jugendlichen und Erwachsenen sind Herztrans-
plantationen in solchen Fällen ausgeschlossen, doch bei Kindern bis zu zwei Jahren erlaubt
es das deutsche Transplantationsgesetz, weil ihr Immunsystem noch nicht voll ausgereift
ist. „Da Lea aber während der Wartezeit älter als zwei Jahre alt geworden ist, haben wir für sie
eine Sondergenehmigung beantragt und auch erhalten, sodass sie trotz Überschreitung der Altersgrenze ein Herz mit einer fremden Blutgruppe erhalten konnte“, erklärt Schubert.
Der Kinderkardiologe ist froh über die relativ neue Möglichkeit der blutgruppenfremden
Transplantationen in Deutschland. „Das erhöht das Angebot, denn Kinder warten bis zu zwei
Jahre auf ein Spenderherz. Die Dauer der Wartezeit ist leider völlig ungewiss, das gilt auch für
Kinder wie Lea, die mit höchster Dringlichkeit gelistet war.“
Wenige Stunden nach dem Angebot für Lea folgt an diesem Tag der zweite Anruf von
Eurotransplant im HDZ mit einem Angebot für die erst drei Monate alte Harleen. Sie ist
ebenfalls wegen eines angeborenen Herzfehlers auf eine Transplantation angewiesen,
konnte jedoch dank medikamentöser Therapie so stabil gehalten werden, dass sie die War-
tezeit ohne künstliche Herzunterstützung überbrücken konnte. Doch Harleen hat Glück: Schon nach 30 Tagen auf der Warteliste kommt das Angebot für ein Spenderherz von einem Spender mit derselben Blutgruppe. Nach jedem Anruf von Eurotransplant setzen die Transplantationskoordinatoren des HDZ einen Prozess in Gang,
von dem Lea, Harleen und ihre Familien nur wenig mitbekommen. „Im ersten Schritt prüfen wir die Angaben der Spenderklinik, um zu entscheiden, ob das Organ passt“, erklärt
Schubert. Die Angebote für Lea und Harleen sagen die beiden Chefärzte im Kinderherzzentrum, Kinderherzchirurg Eugen Sandica und Kinderkardiologe Stephan Schubert, direkt zu. Im nächsten Schritt fliegt das Entnahmeteam aus Bad Oeynhausen zur Spenderklinik, um das Herz aus dem Organspender zu operieren und nach Bad Oeynhausen zu bringen.
Spenderherz muss nach vier Stunden transplantiert sein
„Danach muss es dann schnell gehen, denn das Spenderherz sollte nach drei bis vier
Stunden transplantiert werden“, erklärt Sandica. Um das zu ermöglichen, bereitet der
Kinderherzchirurg seine Patienten bereits lange vor der Ankunft der Spenderherzen in
Bad Oeynhausen im Operationssaal vor, denn das alte Herz muss vor der Transplantation entfernt werden. Diesmal sind die Koordinatoren, Mediziner, Pfleger und Techniker jedoch im Dauerdienst Tag und Nacht gefordert, da zwischen den Entnahmen bei den Spendern und Transplantationen bei Lea und Harleen nur wenige Stunden liegen. Für das Entnahmeteam sowie für Chirurg Sandica und sein Team bedeutet das nur wenige Stunden Schlaf zwischen den beiden herausfordernden Eingriffen.
„Das war eine großartige Leistung aller Beteiligten und das macht mich stolz. Nur dank
einer solchen Mannschaftsleistung konnten wir gleich zwei lebensrettende Operationen in
nur 24 Stunden ermöglichen“, sagt Schubert.
Als Mediziner in einem Transplantationszentrum sind wir es zwar gewohnt, immer zur
Stelle zu sein, weil wir nie wissen, wann ein Angebot kommt.
Doch dieser Einsatz war auch für uns ein sehr besonderer, denn natürlich fiebern wir mit
unseren Patienten und ihren Eltern mit.“




                    

                        DSO Deutsche Stiftung Organtransplantation                    

                    

Praxisnaher Austausch auf dem 18. DSO-Jahreskongress
Im Mittelpunkt stehen Empfängersicherheit und Qualität der Spenderorgane

Frankfurt am Main (ots)

 

 Über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten zwei Tage lang auf der 18. Jahrestagung der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) über aktuelle Entwicklungen im Bereich Organspende und Transplantation. Erneut waren mehr als die Hälfte von ihnen Transplantationsbeauftragte, die sich in den Kliniken unter anderem um die wichtige Aufgabe kümmern, mögliche Organspender zu erkennen. Das große Interesse an der Fortbildungsveranstaltung sieht der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel, als Bestätigung dafür, dass der Kongress eine wichtige Plattform darstellt, um sich gemeinsam über medizinische Fortschritte und politische Neuerungen auszutauschen und den Wissenstransfer im Organspendeprozess zu fördern. In Zeiten des anhaltenden Organmangels stand dabei insbesondere die Frage im Fokus, mit welchen Maßnahmen sowohl die Spendererkennung als auch die Organqualität verbessert werden können, um möglichst viele Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten mit einem passenden Organ zu versorgen, das langfristig seine Funktion behält. 

 Mit Blick auf die wachsende Zahl der chronischen Nierenerkrankungen sei dies mehr als dringlich, betonte Prof. Dr. med. Herrmann-Joseph Pavenstädt, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, in seinem Vortrag. 100.000 Menschen in Deutschland sind demzufolge an der Dialyse, über 10 Millionen leben mit chronischer oder akuter Nierenschädigung, was zukünftig zu mehr nierenkranken Patienten mit einer schlechten Prognose führe. Die Hoffnung der Experten richtet sich dabei zum einen darauf, den Bedarf an Transplantationen durch eine verbesserte medikamentöse Therapie der Nierenerkrankungen zu reduzieren. Zum anderen wird von der Maschinenperfusion, deren Einführung im nächsten Jahr geplant ist, erwartet, dass die Zahl der für eine Transplantation geeigneten Spendernieren steigen wird. Auch die DSO verspricht sich von der Maschinenperfusion eine verbesserte Organqualität. Sie reduziere die Ischämieschäden, man könne die Qualität der Organe besser beurteilen und sie teils auch behandeln, um die Funktion zu verbessern. 

 Wie die Qualität der Spenderorgane beurteilt und optimiert werden kann, war Thema zweier Vorträge zu thorakalen und viszeralen Organen. Auch hier gilt, dass möglichst kein geeignetes Organ verloren gehen soll und dass zudem auch eine geeignete Empfängerauswahl entscheidend dazu beiträgt, damit die Transplantation ein Erfolg wird. PD Dr. med. Wiebke Sommer vom Uniklinikum Heidelberg referierte dabei zu Lunge und Herz, beides Organe, die von dem massiven Spendermangel hierzulande betroffen sind. Ihr Kollege vom Uniklinikum Tübingen, Dr. med. Markus Quante, sieht ähnlichen Bedarf bei Leber, Pankreas und Nieren und verwies zudem auf die Richtlinie zum Empfängerschutz der Bundesärztekammer, der zufolge insbesondere die Sonografie die Hauptrolle spielt bei der Beurteilung der Spenderorgane. Wichtig war zudem sein Hinweis auf die hilfreichen Unterstützungsangebote der DSO, zum einen auf die Befundbögen zum Ultraschall Abdomen, zum anderen auf das etablierte Spenderinformationssystem DSO.isys web, das alle entsprechenden Informationen und Daten bündelt und so eine Abfrage aller medizinischen Daten und Untersuchungen im Organspendeprozess ermöglicht. Der Arzt wies zudem auf ein Szenario hin, dass sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch verstärken wird und Auswirkungen auf die Qualität von Spenderorganen, aber auch auf den Bedarf an Organen sowie die Transplantierfähigkeit von Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten habe - die zunehmende Prävalenz der Adipositas in Deutschland. So nehme beispielsweise mit steigender Zahl von nicht-alkoholischen Fettlebern auch das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom zu. 

 Um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten, kommen oftmals histologische Untersuchungen zum Einsatz. Hier präsentierte Prof. Dr. med. Peter J. Wild, Universitätsklinikum Frankfurt MVZ GmbH, eine neue Methode zur Beurteilung der Spendereignung in der Pathologie. Das VivaScope, ein spezielles Mikroskop, ermöglicht eine zeiteffiziente Unterscheidung zwischen pathologischem und gesundem Gewebe in Echtzeit. Diese Digitalisierung der Transplantatbeurteilung sei ein enormer Fortschritt, da unter Umständen selbst noch im OP eine Beurteilung stattfinden könne und eine längere Wartezeit damit entfalle. Die ersten Anwendungen bei Lebern seien vielversprechend, was die Ergebnisse im Vergleich zu histologischen Auswertungen betreffe - hier scheine die künstliche Intelligenz in den meisten Diagnosen überlegen zu sein. 

 Auch zwei andere technische Errungenschaften, die in den letzten Jahren vorgestellt wurden bzw. sich bereits etabliert haben, standen erneut im Rampenlicht: Das schon erwähnte DSO.isys web gehört zu den vielen Unterstützungsangeboten, die die DSO den Kliniken zur Verfügung stellt, um die Abläufe während einer Organspende zu erleichtern und zudem schnell und effizient an Daten zu gelangen. Der DSO-Koordinator Stefan Stölting stellte dem Publikum die neuesten Funktionen und Merkmale des Systems vor, das einen langen Weg genommen hat von handschriftlichen Bögen bis hin zu einer effizienten Software, die insbesondere den Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekliniken die Arbeit erleichtert. 

 Dr. med. Anne Trabitzsch von der Uniklinik Dresden und der DSO-Koordinator Konrad Pleul informierten die Besucher an einem Infostand über das Screeningtool DETECT, das eine frühe und systematische Spendererkennung ermöglicht. An der Entwicklung war auch die DSO beteiligt. DETECT filtert die regelhaft erhobenen Daten der Patienten und Patientinnen, die aktuell auf den Intensivstationen behandelt werden. Hierbei sucht es anhand definierter Parameter, die als Indikatoren für einen potenziell eintretenden irreversiblen Hirnfunktionsausfall gelten, die relevanten Fälle heraus. 

 "Allerdings können all diese Bemühungen um eine verbesserte Gewährleistung der Organqualität, die von der DSO initiiert oder mit unterstützt werden, nichts daran ändern, dass wir immer noch einen eklatanten Mangel an Spenderorganen haben", zieht der Medizinische DSO-Vorstand Rahmel am Ende des 18. Jahreskongresses sein Fazit. Hier sei auch die Politik gefordert, einen Paradigmenwechsel hin zu einer Kultur der Organspende zu unterstützen, dabei könne beispielsweise die Diskussion um eine Widerspruchsregelung einen Beitrag leisten. 

Pressekontakt:

Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation
Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Stiftung Organtransplantation
Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413, Fax: +49 69 677 328 9409,







Keine guten Aussichten: Weniger Organspender als im Vorjahr

Donnerstag, 3. November 2022

Frankfurt am Main − Verglichen mit 2021 ist die Zahl der postmortalen Organspender in Deutschland im Zeit­raum von Januar bis Oktober dieses Jahres um 8,4 Prozent zurückgegangen. Das gab Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), heute bekannt.

Insgesamt sei die Situation sehr besorgniserregend, sagte er. Im Rahmen der 18. Jahrestagung der DSO gab Rah­mel einen Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland. In den Monaten Januar bis Oktober habe es 710 postmortale Organspender gegeben, 2021 waren es 775.

„Nach einem unerwarteten Einbruch der Organspendezahlen um beinahe 30 Prozent im ersten Quartal 2022 haben wir in den letzten Monaten zwar eine gewisse Erholung und Stabilisierung der Organspende erreicht, insgesamt bleibt die Situation allerdings insbesondere für die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten und ihre Angehörigen im höchsten Maße bedrückend“, bewertete Rahmel die aktuellen Zahlen.

Insgesamt kommen auf eine Million Einwohner 10,1 Organspender in Deutschland. Dabei zeigen sich deutliche regionale Unterschiede mit den höchsten Zahlen in der Region Ost (13,71) und den niedrigsten in der Region Mitte (8,86). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit nach wie vor im unteren Mittelfeld.

Einhergehend mit den sinkenden Zahlen an Organspendern nimmt auch die Zahl der postmortal gespendeten Organe ab: gegenüber 2021 bislang um zehn Prozent (von 2.420 auf 2.178). Das betrifft Organe wie Leber, Lunge, Niere und Pankreas, nur die Zahl der Spenderherzen bleibt gleich.

Etwas weniger stark ist mit acht Prozent die Zahl der Transplantationen gesunken (von 2.492 auf 2.293). Das liegt daran, dass mehr Organe über Eurotransplant importiert als aus Deutschland exportiert worden sind, wie Rahmel erläuterte. So haben Patienten in Deutschland in diesem Jahr bisher 390 Organe aus dem Ausland erhalten, aber nur 274 Organe wurden von Spendern in Deutschland im Ausland transplantiert.

Besonders in der ersten vier Monaten dieses Jahres sind die Zahlen der Organspenden deutlich eingebrochen. Eine Ursache sei, wie Rahmel ausführte, die anhaltende Coronapandemie und die hohen Inzidenzen Anfang des Jahres.

Laut einer von Rahmel vorgestellten Umfrage, die die Angaben von 96 Transplantationsbeauftragten in Deutsc­hland einschloss, spielen jedoch der pflegerische und ärztliche Personalmangel sowie fehlende Intensivbetten in den Kliniken die weitaus größere Rolle.

Zu weiteren Ursachen gehören demnach frühzeitige Therapielimitierungen und ablehnende Entscheidungen der Angehörigen. SARS-CoV-2-Infektionen beziehungsweise COVID-19 bei potenziellen Spendern sind dagegen von geringerer Bedeutung.

Basierend auf Erfahrungen aus anderen Ländern werden ab Ende Februar 2022 auch Spender mit SAR-CoV-2-Infektionen nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken in Betracht gezogen.

Mittlerweile gibt es 41 SARS-CoV-2-positive Spender und 120 Empfänger hierzulande, wie Rahmel berichtete. Eine Übertragung des Virus vom Spender auf den Empfänger wurde bisher nicht berichtet. Der Anteil dieser Spender an der Gesamtzahl der Spender sei jedoch gering. © aks/aerzteblatt.de



                    

                        DSO Deutsche Stiftung Organtransplantation                    

                    

DSO-Jahreskongress: Organspendezahlen entwickeln sich nicht wie erhofft
Reformen zeigen kaum Effekte

Frankfurt am Main (ots)

 

 Zum heutigen Auftakt ihres Kongresses bilanzierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) die aktuellen Organspendezahlen und deren Entwicklung im laufenden Jahr. Derzeit zeichnet sich ein Rückgang bei den Organspenden ab, gegenwärtig liegt die Zahl der Organspender um 8,4 Prozent niedriger gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. 

 Die DSO blickt mit großer Sorge auf die momentane Situation: Bis Ende Oktober gab es bundesweit 710 Organspender in den rund 1.200 Entnahmekrankenhäusern. Dies sind 65 weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.178 (Vorjahreszeitraum 2.420). Der Organmangel hat sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal weiter verschärft. Insgesamt konnten bisher 2.293 Organe aus dem Eurotransplant-Verbund in Deutschland transplantiert werden, im Vergleichszeitraum 2021 waren es 2.492. 

 "Nach einem unerwarteten Einbruch der Organspendezahlen um beinahe 30 Prozent im ersten Quartal 2022 haben wir in den letzten Monaten zwar eine gewisse Erholung und Stabilisierung der Organspende erreicht, insgesamt bleibt die Situation allerdings insbesondere für die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten und ihre Angehörigen im höchsten Maße bedrückend", kommentiert Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, die Statistiken der letzten 10 Monate. 

 Die anhaltendende Coronavirus-Pandemie und besonders hohe Inzidenzen hatten zu Jahresbeginn zu einem deutlichen Rückgang der Organspenden geführt. Zum einen wurden SARS-CoV-2 positive Spender bis Ende Februar dieses Jahres von einer möglichen Spende ausgeschlossen. Im Zuge internationaler Erfahrungen und des im Mai veröffentlichten Positionspapiers der Bundesärztekammer zum Umgang mit 

 SARS-CoV-2 positiven Spendern konnten nach sorgfältiger Abwägung der Risiken und Chancen auch Organe von diesen Verstorbenen vermittelt werden. Zum anderen gab es gerade während der Omikronwelle hohe Personalausfälle in den Kliniken. Nachdem die Organspenden in den Sommermonaten leicht gestiegen sind, verzeichnete die Koordinierungsstelle in den vergangenen Wochen eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau. Die Kontaktaufnahmen der Kliniken zur DSO haben sich im Vergleich zum Vorjahr zwar erhöht, aber nicht zu mehr Spenden geführt. 

Multiple Gründe bremsen Entwicklung der Organspende

 Aus Sicht der DSO wird die Realisierung möglicher Organspenden an verschiedenen Stellen ausgebremst. Die Pandemie belastet noch immer das gesamte Gesundheitssystem. Auch die gesetzlichen Initiativen zur Förderung der Organspende konnten dadurch nicht in dem Maße umgesetzt werden wie geplant. Hinzu kommt der eklatante Personalmangel in vielen Kliniken. "Die Organspende ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die nicht nur intensivmedizinische Expertise, sondern auch Zeit und Ressourcen braucht", betont Rahmel. Gerade für kleinere Häuser sei sie ein eher seltenes Ereignis und damit eine zusätzliche Herausforderung. 

 Entsprechende Hinweise zu den rückläufigen Organspenden liefert auch eine aktuelle Online-Umfrage* unter Transplantationsbeauftragten. Ihrer Einschätzung nach sind es vor allem der pflegerische und der ärztliche Personalmangel sowie die fehlende Kapazität an Intensivbetten, die im ersten Quartal 2022 zum Rückgang der Organspenden geführt haben. Auch frühzeitige Therapielimitierungen und Ablehnungen durch Angehörige werden als weitere Faktoren genannt. Infektionen potenzieller Organspenderinnen und Organspender mit SARS-CoV-2 haben laut Umfrage hingegen eine viel geringere Relevanz. 

 Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bewertet die personellen Engpässe innerhalb der Kliniken als problematisch. "Durch die anhaltenden Belastungen der Coronavirus-Pandemie kommen die bereits vorhandenen Herausforderungen durch den Fachkräftemangel im Gesundheitssystem nun noch stärker zum Tragen und erschweren so wichtige Aufgaben wie die Förderung der Organspende in den Kliniken", erklärt DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß. "Um der derzeitigen Personalknappheit in den Kliniken entgegenwirken zu können, brauchen wir mehr nachhaltige Verbesserungen im Finanzierungssystem und einen Bürokratieabbau", so Gaß. 

DSO steht für Sicherheit im Organspendeprozess 

 Im Rahmen des Organspendeprozesses setzt sich die DSO dafür ein, dass die Organe in bestmöglichem Zustand an die Empfänger weitergegeben werden. Gerade in Zeiten eines eklatanten Organmangels zählt nicht nur jede Spende, sondern jedes einzelne Organ. Die Koordinatorinnen und Koordinatoren der DSO unterstützen die etwa 1.200 Entnahmekrankenhäuser über den gesamten Organspendeprozess und stehen rund um die Uhr beratend zur Seite. Dazu zählt auch die Entwicklung umfangreicher digitaler Unterstützungsprogramme für die Aufgaben der Transplantationsbeauftragten und die Unterstützung neuer Verfahren im Organspendeprozess. Für das nächste Jahr ist die Einführung der Maschinenperfusion für den Transport von Nieren vorgesehen. Die Methode mindert Ischämieschäden und erhöht die Funktionalität der Organe. Die DSO sieht in diesem Verfahren erhebliche Potenziale zur Verbesserung der Organqualität. 

 Ein vielversprechendes Tool für die frühzeitige Spendererkennung ist das DETECT-Programm. Es wurde von der Hochschulmedizin Dresden in Kooperation mit der DSO entwickelt und steht allen Kliniken kostenlos zur Verfügung. Retrospektive Todesfallanalysen in Entnahmekrankenhäusern mit DSO-TransplantCheck haben gezeigt, dass durch rechtzeitiges Erkennen mehr Spenden realisiert werden könnten. Hier leistet das automatisierte elektronische Screeningtool DETECT auf den Intensivstationen einen wertvollen Beitrag und unterstützt die Arbeit der Transplantationsbeauftragten. 

Widerspruchsregelung fördert Kulturwandel 

 Nicht nur innerhalb der Fachgesellschaften, auch in der Politik sorgt die immer noch dramatische Situation für Diskussionen über mögliche weitere Maßnahmen. Sabine Dittmar MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, erklärte im Vorfeld des Kongresses: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen echten Paradigmenwechsel benötigen. Die Auseinandersetzung mit der Organspende muss in unserer Gesellschaft und in unseren Krankenhäusern zu einer Selbstverständlichkeit werden." 

 Mit Blick auf die rund 8.500 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten bekräftigt Rahmel, es sei an der Zeit, über weitere Maßnahmen nachzudenken. "Andere Länder machen es uns vor. Alle dem Eurotransplant-Verbund angeschlossenen Mitgliedsstaaten haben inzwischen die Widerspruchsregelung eingeführt. Umfragen in der Bevölkerung bestätigen immer wieder eine hohe Bereitschaft zur Organspende. Eine Widerspruchsregelung würde den Gedanken an die Organspende innerhalb der Gesellschaft und in den Kliniken weiter fördern und selbstverständlich machen und so die Voraussetzungen für einen Kulturwandel bei der Organspende schaffen", betont der Medizinische DSO-Vorstand. 

 Stefan Mroncz, stellvertretender Vorsitzender im Bundesverband Niere e.V., lebt seit 19 Jahren mit einer Spenderniere. Im Alter von 15 Jahren musste er an die Dialyse und wurde vier Jahre später transplantiert. Er weiß, was es bedeutet, als Patient auf der Warteliste zu stehen und er durfte auch erfahren, wie sich das Leben nach einer Transplantation grundlegend verändert. Dafür ist er seinem Spender oder seiner Spenderin zutiefst dankbar. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Organmangels und der immer längeren Wartezeit auf ein Spenderorgan fordert er, dass die bestehenden Gesetzesänderungen endlich konsequent umgesetzt werden. Zudem sei ein beherzter Strukturwandel zu forcieren, der neben der weiteren Optimierung der Prozesse insbesondere auch die Einführung der Widerspruchsregelung beinhaltet. "Die Widerspruchsregelung ist ein wichtiger Baustein, um die Organspende in Deutschland voranzubringen. Die Entscheidung jedes Einzelnen wird angestoßen und die Patientenautonomie gestärkt. Wir dürfen die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten nicht mit ihrem Schicksal alleine lassen", unterstreicht Mroncz. 

Pressekontakt:

Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation
Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Stiftung Organtransplantation
Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413, Fax: +49 69 677 328 9409,
E-Mail: presse@dso.de
Internet: www.dso.de




COVID-19: Infizierte sind sichere Organspender für Herztrans­plantationen

Dienstag, 1. November 2022

Los Angeles – Angesichts eines in der Pandemie verschärften Organmangels haben einige US-Zentren begon­nen, mit SARS-CoV-2 infizierte Spender für Herztransplantationen zu akzeptieren. Nach den Ergebnissen, die am kommenden Wochenende auf der Jahrestagung der American Heart Association vorgestellt werden, waren die Ergebnisse bisher ausgezeichnet.

Die Datenbank des „United Network for Organ Sharing“ registrierte zwischen Februar 2021 und März 2022 insgesamt 3.289 Herztransplantationen. Darunter waren 84 Operationen, bei denen das Herz eines mit SARS-CoV-2 infizierten Spenders verwendet wurde. Bei den Spendern war in den letzten 7 Tagen vor dem Tod ent­weder ein PCR-Test oder ein Antigentest positiv ausgefallen oder die Erkrankung war auf andere Weise bestätigt worden.

Ob die Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme virämisch waren, was die Gefahr einer Übertragung be­deutet hätte, geht aus den Angaben von Samuel Kim von der David Geffen School of Medicine in Los Angeles und Mitarbeitern nicht hervor. Unklar bleibt auch, ob die Organe nach einer kalten Ischämiezeit von 3,7 Stunden getestet wurden. In der Kontrollgruppe der nicht infizierten Spender betrug die kalte Ischämiezeit 3,5 Stunden.

Die Transplantationen selbst verliefen komplikationslos. Die Patienten konnten nach 15 Tagen (versus 17 Tagen in der Kontrollgruppe) die Klinik verlassen. Die Häufigkeit eines unmittelbaren Transplantatversagens war mit 2,4 % versus 1,0 % leicht, aber statistisch nicht signifikant erhöht.

Der P-Wert betrug 0,22; signifikant wäre ein Wert von unter 0,05 gewesen. Kein Patient erlitt einen postoperativen Schlaganfall versus 3,0 % in der Vergleichsgruppe (P = 0,18). Bei 15,5 % versus 13,4 % (P = 0,52) der Patienten war eine postoperative Dialyse notwendig.

Das Transplantatüberleben nach 30 Tagen betrug 96,1 % versus 97,0 % (P = 0,63). Bei keinem der 4 verstorbe­nen Organempfänger konnte eine pulmonale oder infektiöse Todesursache nachgewiesen werden. Die guten Ergebnisse haben den Mut der Zentren erhöht. Die Verwendung von Organen von COVID-19-positiven Spendern hat während des gesamten Studienzeitraums zugenommen.

Die Forscher waren von den guten Ergebnissen selbst überrascht. Sie hatten erwartet, dass sich die schweren Lungenschäden der COVID-19-Patienten negativ auf die Qualität der Spenderor­gane auswirken würden. Bisher hätten die Organe jedoch dieselbe Qualität gehabt wie von Spendern, die aus anderen Gründen verstorben waren.

 © rme/aerzteblatt.de


 

BZgA veröffentlicht Entscheidungshilfe für Organspende

Mittwoch, 19. Oktober 2022

Berlin/Köln – Die bewusste Entscheidung für eine Organspende fällt vielen Menschen nicht leicht. Wer un­si­cher ist, ob er nach seinem Tod seine Organe für andere Menschen zur Verfügung stellen will, für den hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nun eine neue Entscheidungshilfe veröffentlicht.

Die Broschüre Entscheidungshilfe Organ- und Gewebespende soll helfen, die eigenen Bedürfnisse und Ein­stellungen zur Organ- und Gewebespende zu erkennen und für sich zu bewerten, wie die BZgA heute mitteil­te.

„Meist stellt sich die Frage nach einer Organ- und Gewebespende sehr plötzlich“, sagte der Kommissarischer Direktor der BZgA, Martin Dietrich. „Ohne eine zuvor getroffene Entscheidung müssen Angehörige über eine mögliche Spende entscheiden – eine belastende und oftmals überfordernde Situation.“ Wenn die Entschei­dung jedoch schon zu Lebzeiten getroffen werde, würden dadurch die Angehörigen erheblich entlastet.

Aktuelle BZgA-Studiendaten zeigten, dass 36 Prozent der Befragten zwischen 14 und 75 Jahren noch keine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende getroffen haben. Hauptgrund für die fehlende Entscheidung ist demnach, dass sich die Menschen bisher nicht oder nur wenig mit dem Thema auseinandersetzten. Oftmals seien auch nicht alle Entscheidungsmöglichkeiten zur Organ- und Gewebespende hinlänglich bekannt.

Bei der Entscheidung gebe es „kein Richtig oder Falsch“, betonte Dietrich. Er riet: „Informieren Sie sich, um herauszufinden, was Ihnen persönlich wichtig ist. Besprechen Sie sich mit Familie und Freunden und treffen Sie Ihre persönliche Entscheidung.“

Stefan Schwartze, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, sagte, vielen Menschen fehle trotz positiver Einstellung oft nur „ein wenig Motivation und leichtzugängliche In­formationen“, um sich mit der eigenen Bereitschaft zur Organspende auseinanderzusetzen. Hier setze die neue Broschüre an und informiere niedrigschwellig. © kna/aha/aerzteblatt.de



Erschütternde Zahlen: Thema Organspende muss in der Gesellschaft präsent bleiben

Kommentar Von Stephanie Sartor

15.09.2022

In den vergangenen Jahren gab es genügend Bedrückendes. Dennoch darf das Problem, dass es viel zu wenige Spenderorgane gibt, nicht aufs Abstellgleis geschoben werden. 

Die Zahlen, die die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vorgelegt hat, sind erschütternd. 176 Organspenderinnen und -spender wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 gezählt – im gleichen Zeitraum des Vorjahrs waren es noch 249. Das ist ein Rückgang von 29 Prozent. Für die vielen Menschen, die dringend auf eine lebensrettende Transplantation warten, ist diese Entwicklung eine Katastrophe.

Zustimmung zur Organspende ist gesunken

Der DSO zufolge ist die Zustimmung zur Organspende generell gesunken. Aber es gibt noch ein anderes Problem: Durch die Pandemie und die daraus resultierenden Personalausfälle hat sich die Arbeitsüberlastung in vielen Kliniken so drastisch verschärft, dass deshalb „eine hohe Wahrscheinlichkeit“ bestehe, dass weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären. Abermals zeigt sich, wie weitreichend die Folgen der Pandemie sind. Und wie wenig dagegen getan wird.

Hinzu kommt: Viele Menschen wollen sich mit dem Thema nicht beschäftigen. Freilich, in den vergangenen beiden Jahren gab es genügend Bedrückendes. Dennoch darf nicht ein anderes Problem, nämlich dass es viel zu wenige Spenderorgane gibt, aufs Abstellgleis geschoben werden, nur weil aktueller erscheinende Krisen in den Vordergrund drängen. Es ist wichtig, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Wer zu Lebzeiten eine Entscheidung dafür oder dagegen trifft, schafft Klarheit. Für sich und für die Angehörigen, die dann im Ernstfall wissen, was zu tun ist.



Mindener Tageblatt; 14.07.2020

Radioaktive Paste soll weißen Hautkrebs heilen

Rostocker Wissenschaftler haben eine Paste entwickelt. Sie wollen ihre Studie bald veröffentlichen

Rostock (dpa). Rostocker Wissenschaftler haben weißen Hautkrebs nach eigenen Angaben erfolgreich mit radioaktiver Paste behandelt. Im Rahmen der deutschlandweit einmaligen Studie seien 22 Patienten behandelt worden, teilte die Universitätsmedizin Rostock (UMR) diese Woche mit.
„Alle teilnehmenden Patienten zeigten ein Ansprechen, und die meisten waren langfristig geheilt“, wird der Dermatologe Steffen Emmert zitiert. Ralf Gutzmer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie, sagte, es handele sich um ein neues Verfahren, das weiter evaluiert werden müsse. Weißer Hautkrebs ist ein Oberbegriff für bestimmte Hauttumore, die sich vom schwarzen Hautkrebs (dem Melanom) unterscheiden. Sonne beziehungsweise UV-Strahlung ist der wichtigste Risikofaktor. Die Untersuchung ist noch nicht in einem von Experten begutachteten Fachmagazin veröffentlicht. Im Rahmen der Behandlung werde der UMR zufolge eine gräuliche, unscheinbar wirkende Paste mit einem speziellen Gerät aufgetragen. Umliegendes Gewebe wird den Angaben zufolge mit einer Folie abgeklebt, um es vor radioaktiver Strahlung zu schützen. Die lokale Bestrahlung töte die Tumorzellen.
Demnach genügt eine einmalige ambulante Behandlung, bei der die Paste ein bis zwei Stunden einwirken muss. In den folgenden Wochen komme es zu Entzündungen, Juckreiz und Brennen. Mit dem Abklingen normalisiere sich das Hautbild jedoch wieder und der Hautkrebs sei weg. Die Behandlung sei allerdings nur erfolgreich, wenn der Krebs frühzeitig erkannt werde und noch nicht zu tief eingedrungen sei. 




Organmangel in Deutschland: 

Patientenbeirat des Transplantationszentrums der MHH dringt auf Umsetzung von sechs Maßnahmen

Quelle: BDO.e.V




39 geschenkte Lebensjahre!  Dr. Ullrich ist der Mensch in Deutschland, der am längsten mit einem einzigen Spenderherz lebt.

von Sandra Zumpfe

17. Mai 1983, Dienstagmorgen – Kinder werden in die Schule oder den Kindergarten gebracht, der ein oder die andere steht im morgendlichen Verkehrsstau auf dem Weg zur Arbeit. Die Nachrichten berichten davon, dass die USA und die Sowjetunion die Gespräche über die Reduzierung der Mittelstreckenraketen in Europa in Genf wieder aufnehmen, im Radio läuft der Nummer 1 Hit „Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug. Ich selbst bin zu diesem Zeitpunkt 4 Jahre alt, lebe wie auch jetzt in Haar bei München und ahne noch nicht, dass ich irgendwann einmal auf die Organspende eines anderen Menschen angewiesen sein werden.

Nur 30 km weiter liegt Dr. Bernd Ullrich, zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alt, im OP und erhält das Herz eines 20-jährigen Motorradfahrers, der bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Ein Stückchen Papier weist ihn als Organspender aus.

Aber lassen Sie mich von vorne anfangen.

Herr Dr. Ullrich, Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in Landsberg am Lech, steht mitten im Leben. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, treibt gerne Sport, wie Tennis oder Skifahren, geht in die Berge oder segeln. Vorrübergehende Atemnot und Leistungsschwäche begründet er mit seinem Übergewicht und dem erheblichen Zigarettenkonsum. An eine ernsthafte Erkrankung hat er selbst nie geglaubt.

Erst als seine körperlichen Beschwerden immer größer werden, sucht er einen Arzt auf – Diagnose dilatative Kardiomyopathie, vermutlich entstanden infolge einer Herzmuskelentzündung. Seine Leistungsfähigkeit nimmt in den nächsten Monaten rapide ab, die Lunge füllt sich mit Wasser, er kann nur noch im Sitzen schlafen, da er Angst hat, zu ersticken. Als er eines Tages gar nicht mehr aufstehen kann, bestellt seine Frau in Absprache mit den Ärzten ein Klinikbett in der Stiftsklinik Augustinum in München. Dort muss er die bittere Wahrheit erkennen – einziger Ausweg ist eine Herztransplantation. Er wird ins Klinikum Großhadern verlegt, Prof. Dr. Bruno Reichhart übernimmt seine Betreuung und auch die Transplantation. Am 17. Mai ist es so weit, das rettende Herz ist da.

Die erste Zeit nach der Herztransplantation ist sehr schwer. Anders als heute, muss Ullrich die ersten 2 Wochen in eine Sterileinheit. Später beschreibt er die Einheit wie eine „kleine Wohnung“ mit Fernseher, Nasszelle und Teeküche, die gleichzeitig Aufenthaltsraum für die anwesenden Schwestern und Ärzte ist. Diese sind in 12-Stunden-Schichten eingeteilt und rund um die Uhr anwesend. Wer zu Ullrich hinein möchte, muss sich duschen und sterile Baumwollkleidung, Clogs, Gummihandschuhe und Mundschutz anziehen, auch für Ärzte und Professoren gibt es keine Ausnahmen. Sogar sein Essen wird in einer Schleuse auf ca. 180 Grad erhitzt und erst dann durchgereicht und auch die morgendliche Zeitung wird tropfnass, in Desinfektionsmittel getaucht, geliefert.

Nach dieser Zeit kam Bernd Ullrich auf die eigentliche Intensivstation, wird aber auch hier in einer Box mit geschlossenen Glaswänden separiert. Die ständige Isolation fordert mit der Zeit seinen Tribut. Ullrich verliert die Nerven, glaubt an einer offenen Tuberkulose zu leiden, weil niemand zu ihm in die Box kommt. Er ist außerdem fest davon überzeugt, dass die Ärzte und Schwestern hinter seinem Rücken über ihn sprechen würden. Er steigert sich in diese Vorstellungen hinein und heult stundenlang vor sich hin. Gutes Zureden, alle Erklärungen sind wirkungslos, erst schwere Beruhigungsmittel beenden seine inneren Dämonen. Nach 4 Wochen kommt er auf die Normalstation und darf endlich seine Kinder wiedersehen und auch Freunde dürfen ihn wieder besuchen. Den Klinikalltag vertreibt er sich mit Kreuzworträtsel, lesen und dem Auffrischen seiner Englischkenntnisse.

In den nächsten Monaten wechselt sein gesundheitlicher Zustand immer wieder. Wenn es zwei Schritte nach vorne geht, geht es einen wieder zurück. Er leidet an Ödemen, Fieberschüben, einem Perikarderguss (Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel) und schließlich auch an diversen Abstoßungen. Mehrmals muss er eine Cortison-Stoßtherapie über sich ergehen lassen, die jedes Mal Depressionen bei ihm auslösen. Mittlerweile ist er 8 Monate in der Klinik.

Am 15. Januar bekommt er endlich die freudige Nachricht, dass die Abstoßungen im Griff sind. Ein paar Tage danach wird er nach Hause entlassen. Im Alltag angekommen beginnt er sich eine neue Aufgabe zu suchen, als Hausarzt kann er aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr praktizieren. Er schreibt einige Artikel für Fachzeitschriften, probiert verschiedene Dinge aus. Am 15.6. nimmt er an einer 24-Stunden Segelregatta auf dem Ammersee teil. Das Ganze strengt ihn sehr an, macht ihn aber unheimlich glücklich. Voller Stolz fährt er mit dem Aufkleber der Regatta im Rückfenster seines Autos nach Hause, genießt sein Leben. Schließlich entscheidet er sich dazu, eine Fortbildung zum Psychotherapeuten zu machen und erneut eine Praxis zu eröffnen.

Aber nicht nur in dieser neuen Aufgabe findet er Erfüllung. Dr. Ullrich bereist außerdem die Welt. Er macht Europa unsicher, fliegt mehrmals nach Ägypten und Afrika. Aber auch Nepal, Thailand und Tibet stattet er einen Besuch ab. Er lebt bewusster und ist in Gedanken oft bei seinem Spender. Er fühlt sich verbunden mit ihm und ist sehr dankbar über sein neues Leben.  Er lässt auch keine Gelegenheit aus, anderen gegenüber für die Organspende zu werben. Er fühlt sich dazu verpflichtet. „Weil noch immer viel zu wenigen Menschen klar ist, wie viel Glück sie mit einer Organspende schenken können.“ so Ullrich. Wenn man ihn heute fragen würde, ob er sich wieder für eine Transplantation entscheiden würde, jetzt, da er weiß, was das bedeutet, müsste er keinen Augenblick überlegen: Er würde es wieder tun.

Anfang der 1980er überlebten die meisten Herztransplantierten ein bis zwei Jahre. Bernd Ullrichs großes Glück war die Entdeckung des Medikaments Cyclosporin, das damals die Erfolgschancen einer Transplantation enorm anhebt. Am 17. Mai 2022 hatte er seinen 39 Herzgeburtstag. Eine Zahl an geschenkten Lebensjahren, die mir Mut macht. Und wenn Dr. Ullrich dann noch bei unseren Gruppentreffen in München von seinen Erfahrungen erzählt, kann ich nur hoffen, dass mein geschenktes Herz auch einmal so „alt“ wird.

Quelle: Rundschreiben Bundesverband der Organtransplantierten e. V.  Vom 01.07.2022


28.06.2022 09:58 

Patientensicherheit im Fokus: Herzpatienten sollten ärztliche Zweitmeinung für planbare Operationen einholen

Regina Iglauer-Sander Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands hat mit seinem aktuellen Beschluss die Patientensicherheit von Herzpatienten gestärkt: Das Recht auf eine fachärztliche Zweitmeinung für planbare Herzeingriffe wurde erweitert. Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) unterstützt die Entscheidung. 

Bei planbaren Operationen haben gesetzlich Versicherte gemäß §27b Sozialgesetzbuch V einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung. Auch Herzpatienten sollten nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. von diesem Recht Gebrauch machen.

Das „Mehr-Augen-Prinzip“ diene nach Angaben der herzmedizinischen Fachgesellschaft vor allem der Patientensicherheit und trage entscheidend dazu bei, die bestmögliche Therapieentscheidung für den Patienten zu treffen. Der G-BA ergänzte mit seiner Beschlussfassung vom 19.05.2022 die bereits bestehende Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren um planbare Implantation von Defibrillatoren und Herzschrittmachern. Bereits zuvor waren in der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren Herzkatheteruntersuchungen und die Verödung von Herzgewebe (Ablationen) inkludiert. Ziel der Richtlinie ist es, dass sich Patienten mit Herzrhythmusstörungen von Ärzten:innen mit besonderen Fachkenntnissen über die Notwendigkeit der Durchführung des Eingriffs oder alternative Behandlungsverfahren beraten lassen können. Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen in Deutschland an erster Stelle der Todesursachen-Statistik.

Um allen Herzpatienten eine optimale Behandlung zukommen zu lassen, plädiert die DGTHG für eine grundsätzliche Entscheidungsfindung in interdisziplinären Herz-Teams, mindestens bestehend aus Vertretern der Fachgebiete Herzchirurgie und Kardiologie. Für bestimmte herzmedizinische Eingriffe sind Herzteamstrukturen bereits durch Richtlinien festgelegt; die Einbeziehung der Patienten ist hier verpflichtend. Vor planbaren Eingriffen sollten Herzkranke daher auf Entscheidungen im Herzteam achten bzw. diese einfordern.

Bundesweit gibt es 78 herzchirurgische Fachabteilungen, die Herzteamprozesse fest verankert haben. „Wir sprechen mit unseren Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe. Deren Einbindung ist genauso entscheidend für den Behandlungserfolg wie die konsentierte, individuelle Therapieempfehlung auf strukturierter Grundlage“, bestätigt Prof. Dr. Andreas Böning, Präsident der DGTHG.

In diesen Kliniken finden Sie ein Herzteam:


https://www.dgthg.de/de/kliniken_herzzentren

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26.04.2022

«Man kann den Angehörigen nicht zwischen Tür und Angel die Frage stellen, ob man ihrem Liebsten die Organe entnehmen darf», sagt die oberste Ärztin der Schweiz

Yvonne Gilli, Präsidentin der Ärztevereinigung FMH, glaubt nicht, dass das Widerspruchsmodell allein zu mehr Organspenden führen wird. Existenzielle Fragen liessen sich nicht per Gesetz beantworten. Für Gilli ist es kein Zufall, dass Deutschland bei der Organspende viel zurückhaltender ist als die Schweiz.

Darf man davon ausgehen, dass ein Patient am Lebensende zur Organspende bereit ist, auch wenn er nicht eingewilligt hat? Vor wenigen Jahren noch erachtete man dies als ausgeschlossen, die Schweizer Bevölkerung werde eine solche Regelung nie akzeptieren, hiess es. Inzwischen hat der Wind in der Politik gedreht. Geht es nach Bundesrat und Parlament, soll künftig jeder Mensch ein potenzieller Organspender sein, wenn er im Spital stirbt und nicht zu Lebzeiten Widerspruch gegen die Entnahme seiner Organe erhoben hat. Ist kein Wille bekannt, entscheiden die Angehörigen. Ein überparteiliches Komitee, angeführt von einem Arzt und einer Hebamme, hat das Referendum gegen das sogenannte Widerspruchsmodell ergriffen. Am 15. Mai wird darüber abgestimmt. Yvonne Gilli ist die Präsidentin der FMH, der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Die Entscheidungsgremien der FMH stehen laut Gilli geschlossen hinter der erweiterten Widerspruchsregelung. Zentral sei, dass die Angehörigen in den Entscheid einbezogen würden, sagt sie. In der Ärzteschaft ist das Bild dagegen uneinheitlich. «Die rund 43 000 Ärztinnen und Ärzte sind ein Abbild der Gesellschaft. Man findet bei ihnen das ganze Spektrum an Meinungen: von jenen, welche die Organentnahme grundsätzlich ablehnen, bis zu den anderen, die eine strenge Widerspruchsregelung ohne Einbezug der Angehörigen favorisieren.»

Grauzone zwischen Leben und Tod

Wird über die Organspende geredet, liegt der Fokus meist auf den Patienten, die mit einer Transplantation gerettet werden können, selten auf den Spendern. Und so wird auch wenig darüber gesprochen, dass Organspender keine Leichen sind, sondern hirntote Menschen mit lebendigem Körper – andernfalls wäre eine Transplantation von funktionsfähigen Organen gar nicht möglich. Es sind Menschen, deren Hirn irreversibel geschädigt ist, die aber maschinell unterstützt atmen, rosige Haut haben und über Reflexe verfügen. Während der Organentnahme im Operationssaal erhält der Spender eine Vollnarkose, um zu verhindern, dass sein Blutdruck und sein Puls nach oben schnellen und er sich bewegt.

Ende der 1960er Jahre setzte sich das Hirntodkonzept zwar weltweit durch, doch Kritik daran gibt es bis heute, von ethischer, juristischer, mitunter auch medizinischer Seite. Hirntote Menschen befänden sich in einer Grauzone zwischen Leben und Tod, wird eingewandt. «Für Laien ist das tatsächlich schwer zu verstehen», sagt Yvonne Gilli. Wenn jemand auf der Intensivstation vor seinem Angehörigen stehe, bei dem der Hirntod eingetreten sei und dessen Kreislauf und Atmung medikamentös und maschinell aufrechterhalten würden, dann wirke dieser Mensch nicht tot. «Doch der Hirntod, der in der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin seit Jahrzehnten gilt, ist ein klar messbares wissenschaftliches Kriterium. Es bedeutet, dass der Sterbeprozess noch läuft, aber irreversibel ist. Es gibt kein Zurück mehr. Wenn man die lebenserhaltenden Massnahmen wie die künstliche Beatmung aufhebt – und auch diese Massnahmen sind nicht unbeschränkt –, dann stirbt der Patient, sein Körper verfällt. Die Schwelle der Unumkehrbarkeit muss überschritten sein, damit Organe entnommen werden dürfen.»

Deutschland legt ein anderes Mass an

Das Verständnis von Sterben und Todesbeginn ist religiös und kulturell geprägt, und so gehen die einzelnen Länder denn auch unterschiedlich mit der Organspende um. Die Schweiz lässt die Organentnahme auch bei Herztoten zu; fünf Minuten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand wird der Patient für hirntot erklärt.

In etlichen Ländern wird diese Methode indes gar nicht angewandt und werden Herztoten keine Organe entnommen, in Deutschland etwa. Für die FMH-Präsidentin Gilli ist es kein Zufall, dass Deutschland hier viel zurückhaltender ist. Sie führt das auf die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg zurück, als die Medizin missbräuchlich instrumentalisiert und gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen eingesetzt wurde. «Deutschland legt hier ein anderes Mass an, auch wenn dies naturwissenschaftlich nicht begründbar ist. Das zeigt, wie schwere Traumatisierungen der Gesellschaft über mehrere Generationen nachwirken.» Yvonne Gilli ist Fachärztin für allgemeine innere Medizin und besitzt eine komplementärmedizinische Ausbildung. In ihrer Berufslaufbahn hat sie beide Seiten kennengelernt, jene der Organempfänger und jene der Spender. Mehrere Jahre arbeitete sie auf einer Station mit Nierenkranken, die fast alle auf eine neue Niere warteten. Zuvor war sie auf chirurgischen Intensivstationen tätig und betreute Patienten, von denen einige nach ihrem Tod Organe spendeten.

Kann man auf natürliche Weise sterben, wenn einem die Organe entnommen werden? «Was ist ein natürlicher Tod? Ich denke, dass man das letzte Geheimnis von Sterben und Tod mit einer Schicksalshaftigkeit verbinden könnte. Wenn man ganz am Ende des Lebens, also kurz nach Eintreten des medizinisch definierten Todes, mit dem Körper noch etwas macht und ihm Organe entnimmt, muss dieser Akt mit der Wertehaltung des betreffenden Menschen beziehungsweise jener seiner Angehörigen übereinstimmen. Nur so kann die Menschenwürde über den ganzen Sterbeprozess hinweg erhalten bleiben.»

Gilli betont, dass es nicht nur um den Spender selber gehe, sondern auch um die Angehörigen, die den endgültigen Abschied bewältigen müssten. Wenn sie diesen existenziellen Schritt nicht mit Würde machen könnten, wenn ihr Verständnis vom Tod nicht respektiert werde, könne sie das gesundheitlich enorm belasten.

Moralismus wie in der Covid-Debatte

Die FMH-Präsidentin sass von 2007 bis 2015 im Nationalrat, als Vertreterin der St. Galler Grünen. Dass eine Mehrheit im heutigen Parlament die Organspende von einem altruistischen Akt zum gesetzlich statuierten Regelfall machen möchte, überrascht sie nicht. «Die gesellschaftliche Entwicklung scheint in diese Richtung zu gehen. Gleichzeitig muss man sich bewusst sein, dass wir mit dem Widerspruchsmodell eine Schwelle überschreiten und ein neues Verständnis gegenüber Organentnahmen statuieren. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die Bevölkerung an der Urne sagen kann, ob sie diesen Paradigmenwechsel gutheisst oder nicht.»

Gilli hofft denn auch, dass möglichst viele Stimmberechtigte die Gelegenheit nutzen und am 15. Mai ihre Meinung äussern. Moralistische Argumente – nach dem Motto «Wer ein solidarischer Mensch ist, der spendet» – hätten dabei keinen Platz. «Die Organspende zählt zu jenen Themen, bei denen es wichtig ist, zu differenzieren und nicht zu polarisieren. Doch leider wird heute zusehends moralisiert; man hat das gesehen bei der Covid-Debatte, wo tatsächlich die Frage aufgekommen ist, ob Ungeimpfte Anspruch auf intensivmedizinische Behandlung haben sollen.»

Die Befürworter der Widerspruchsregelung versichern, dass niemandem Organe entnommen würden, der dies nicht wolle. Das setzt allerdings voraus, dass jeder Mensch informiert ist und versteht, dass und wie er zu Lebzeiten sein Veto einlegen muss, wenn er nicht dereinst als Organspender gelten will. Wie soll das gelingen? Man könne das Thema Organspende den jungen Männern beispielsweise beim Eintritt in den Militärdienst vorlegen, sagt Gilli.

Auch die Ärzte müssten ihre Patienten künftig sehr aktiv darauf ansprechen. «Die Widerspruchslösung geht einher mit der gesellschaftlichen Verantwortung, sehr viel mehr über Sterben und Tod zu reden. Wir sollten auch wieder mehr Rituale haben, die uns beim Tod begleiten. Früher zum Beispiel war es selbstverständlich, dass Kinder an Beerdigungen dabei waren und sie auf dem Friedhof vom Verstorbenen Abschied nahmen. Mir scheint, dass man die Kinder heute weniger mitnimmt.»

Schutz vor Missbrauch

Eines der Hauptargumente der Pro-Seite lautet, das Widerspruchsmodell entlaste die Angehörigen. «Es ist eine Hilfe, wenn die Nächsten wissen, wie sich ihr Angehöriger entschieden hat. Dann kann man ihm helfen, diesen Wunsch zu erfüllen», sagt Gilli. Doch was, wenn kein dokumentierter Wille vorliegt und man in der Familie zu Lebzeiten nicht über die Organspende gesprochen hat? «Dann ist man als Angehöriger in derselben Lage wie heute, und viele werden sich weiterhin gegen die Entnahme aussprechen», meint die FMH-Präsidentin.

Das zeige sich auch in den Ländern, welche die Widerspruchsregelung heute schon kennten: Oft heisse es, dass dieses Modell für höhere Spendequoten sorge. «Doch wir wissen, dass die Widerspruchslösung allein nicht genügt», sagt Gilli. «Dazu braucht es flankierende Massnahmen, es braucht Vertrauen in die Medizin und klare Prozesse, die vor Missbrauch schützen. Und es braucht die Begleitung der Angehörigen. Man kann nicht im grossen Gehetze einer Intensivstation den Angehörigen zwischen Tür und Angel die Frage stellen, ob man ihrem Liebsten die Organe entnehmen darf. Nur eine Kombination von Massnahmen führt dazu, dass am Ende tatsächlich mehr Organe gespendet werden. Eine Gesetzesänderung allein reicht nicht. Existenzielle Fragen lassen sich nicht etatistisch lösen.»




Thoraxchirurgen starten neue Kampagne für die Organspende

Mittwoch, 13. April 2022

Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) startet eine neue bundesweite Kampagne für die Organspende. „Gebraucht, sehr gut erhalten, in liebevolle Hände abzu­geben“ lautet das Motto der Kampagne. Als Motiv dient ein Motor in Herzform.

„Unser Herz ist der leistungsstarke Lebensmotor, der pausenlos funktionieren und ununterbrochen schla­gen muss“, erläutert Andreas Böning, Präsident der DGTHG. Schwere erworbene Herzerkrankungen und angeborene Herzfehler könnten den „Lebensmotor“ so nachhaltig schädigen, dass eine Herztrans­plantation die einzige Überlebenschance für diese schwerst herzkranke Patienten sei, so Böning.

In Deutschland wurden im Jahr 2021 laut der Fachgesellschaft 329 Herzen transplantiert. Auf der Warte­liste für die lebensrettende Herztransplantation standen im letzten Jahr 714 Menschen – also mehr als doppelt so viele. Gleichzeitig sei die Organspende im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Prozent gesunken. 

„Wir sehen daher den dringenden Bedarf, weiter aktiv Aufklärungsarbeit zu leisten und die Öffentlichkeit erneut für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren“, betont Böning. Aber nicht nur Spenderherzen seien knapp, bundesweit warteten in diesem Jahr rund 8.458 Menschen auf ein geeignetes Spenderorgan.

„Gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl von etwa 83.155.00 Bürgern, ist die Anzahl der Organspen­den verschwindend gering, obschon die Mehrheit einer Organspende positiv gegenübersteht“, kritisiert der DGTHG-Präsident. © hil/aerzteblatt.de



Nierentrans­plantationen: Wenig Aussicht auf Verbesserung der Lage

Mittwoch, 13. April 2022

Berlin – Deutschland hat durch eine falsche Politik seinen Spitzenplatz in der Nierentrans­plantationsmedizin eingebüßt und ist selbstverschuldet auf dem Weg zu einer der schlechtesten Nationen in diesem Bereich. Das kritisiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in ihrem jüngst veröffentlichten Jahresbericht. Allzu viel Hoffnung auf eine baldige Besserung der Situation verbreitet sie nicht.

1.992 Nierentransplantationen wurden 2021 in Deutschland durchgeführt, 1.517 postmortale und 475 Lebendnierentransplantationen. „Eine Zahl von 1.992 Nierentransplantationen auf circa 100.000 Dialysepatienten hat zur Folge, dass aktuell in Deutschland geschätzt fünfmal so viele Patienten chronisch dialysiert werden wie nierentransplantiert sind“, erklärt Bernard Banas, Leiter der Abteilung für Nephrologie und des Universitären Transplantationszentrums des Universitätsklinikums Regensburg sowie Vizepräsident der Deutschen Akademie für Transplantationsmedizin.

„Dass das nicht so sein müsste, machen unsere Nachbarn vor.“ Denn in immer mehr Ländern würden mehr Nierentransplantierte leben als es Dialysepatienten gibt.

Für zehntausende von Patienten mache das einen entscheidenden Unterschied, schließlich würden Daten des Europäischen Dialyse- und Transplantationsregisters die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Dialysepatienten und Nierentransplantierten klar aufzeigen. „Die niedrige Rate an Transplantationen führt dazu, dass Patienten mittleren Lebensalters in Deutschland so lange auf eine Transplantatniere warten, dass sie rein statistisch ihre Transplantation gar nicht mehr erleben können“, schreibt Banas.

Die Folge: Aufgrund dieses Drucks auf Patienten und Angehörige würden sich viele für eine Lebenstransplantation entscheiden. „Dabei würde man diese ärztlich am besten gar nicht vornehmen wollen“, wendet Banas ein. Denn nicht nur sollten an gesunden Menschen eigentlich keine Operationen erfolgen, auch die rechtlichen Rahmenbedingungen machten es die rechtlichen Rahmenbedingungen Patienten, Angehörigen und Ärzten nicht leicht, Lebendnierentransplantationen durchzuführen.

Banas zeigt wenig Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert: „Lösungen scheinen derzeit nicht in Sicht.“ Zwar bekenne sich die Gesellschaft klar zu Organspende und Transplantation, eine politische, juristische und ethische Diskussion über dringend notwendige Änderungen gebe es aber nicht.

Die Diskussion um die Widerspruchsregelung 2019 und 2020 habe das Dilemma beispielhaft aufgezeigt: „Wir sehen uns nicht in der Lage, Bürgerinnen und Bürgern vorzugeben, zu Lebzeiten eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen. Wir lassen jedoch ein Transplantationsgesetz in Kraft, das Angehörigen zumutet, postmortal über die Organspende entscheiden zu müssen.“

Noch bemerkenswerter sei aber, dass in Deutschland jeden Tag Organe aus den anderen sieben Ländern des Eurotransplant-Verbundes transplantiert werden – Organe also, die ohne explizite Zustimmung der Verstorbenen oder deren Angehörigen entnommen wurden, was in Deutschland eindeutig illegal wäre.

Es sei mehr denn je an der Zeit, über Auswege und Alternativen zur klassischen Organtransplantation nachzudenken, mahnt Banas. Das müsse schon bei der Prävention beginnen und auch neue Ansätze wie die Xenotransplantation umfassen, also die Übertragung eines Tierorgans in einen lebenden Patienten. Zwar gebe es da erstaunliche wissenschaftliche Fortschritte, aber für Deutschland gelte auch dabei: „In der Forschung top, eine Anwendung am Patienten noch in weiter Ferne.“ © lau/aerzteblatt.de



Drastischer Einbruch bei Organspende

Freitag, 8. April 2022

Frankfurt am Main – Die Zahl der Organspender ist im ersten Quartal des Jahres massiv ein­gebrochen. Das hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) heute bekannt gegeben. Demnach gab es von Januar bis März 176 Spender (2021: 249). Das ist ein Rückgang um 29 Prozent. Gleichzeitig sank die An­zahl der in Deutschland postmortal entnommenen Organe um 28 Prozent auf 562 Organe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Insgesamt konnten in deutschen Transplantati­ons­zentren im ersten Quartal 600 Organe übertragen werden, die über Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt wurden. Das sind 194 Transplantationen weniger gegenüber dem Vorjah­reszeitraum, was einem Rückgang von 24 Prozent entspricht.

Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, zeigte sich zutiefst besorgt über die aktuell vorliegenden Organspendezahlen. „Vor dem Hintergrund, dass jedes einzelne Organ zählt und Leben retten kann, ste­hen wir vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8.500 Patienten auf den Wartelisten.“

Für die DSO kam der Einbruch nach eigenen Aussagen „völlig unerwartet“. Vor allem, weil Deutschland bisher im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ohne größere Einbußen durch die Pandemie ge­kommen sei.

Nach Ansicht der DSO ist der Rückgang unter anderem auf die zunehmende Arbeitsüberlastung in den Kliniken in der Pandemie zurückzuführen. Grund dafür sei, ein erhöhter Personalausfall auf den Intensiv­stationen. „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären“, so Rahmel.

Insgesamt sind laut DSO die Ablehnungen gegenüber einer Organspende in der Akutsituation auf den Intensivstationen um elf Prozent gestiegen. Auch in den Angehörigengesprächen wird eine Organspende demnach derzeit häufiger abgelehnt als noch im vergangenen Jahr. Lediglich in rund 15 Prozent der Fälle liegt den Statistiken der DSO zufolge eine schriftliche Willensbekundung des potenziellen Spenders vor.

Ein Problem sind auch die medizinische Kontraindikationen durch SARS-CoV-2. Diese haben laut DSO um elf Prozent zugenommen. Die Zunahme steht der DSO zufolge „in direkter Relation zu der gestiegenen SARS-CoV-2-Infektionsrate“. Im Falle eines positiven Befundes sind demnach mögliche Spender noch bis vor kurzem von einer Organentnahme ausgeschlossen worden, weil diese in der Regel als Folge einer schweren COVID-19-Erkrankung verstorben waren.

Die Organspendeorganisation weist aber auch darauf hin, dass die Zahl potenzieller Organspender, bei denen das SARS-CoV-2-Virus nur als Zufallsbefund nachgewiesen worden ist, ohne dass die möglichen Spender diesbezüglich symptomatisch gewesen wären, deutlich zugenommen hat. Die Folge sei, dass sich die Zahl der Fälle, bei denen der Organspendeprozess wegen dieser Infektion abgebrochen worden ist, im ersten Quartal 2022 gegenüber dem letzten Quartal 2021 nahezu verdoppelt habe.

„Internationale Erfahrungen zeigen, dass gerade in diesen Situationen auch bei positivem SARS-CoV-2-Befund eine Organspende unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist“, schreibt die DSO. Entspre­chend würden seit März im Einzelfall auch Organe von solchen Spendern im Eurotransplant-Verbund angeboten. Die Entscheidung über die Transplantation erfolge im Transplantationszentrum wie immer unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für die entsprechend aufgeklärten Empfänger.

Vorzeitiges Herz-Kreislaufversagen verhindert Organspende

Laut statistischer Auswertung der DSO gibt es noch einen weiteren „wesentlicher Grund“ für den Rück­gang der Organspenden in diesem Quartal.

Die Analye habe eine Häufung von organspendebezogenen Kontakten ergeben, bei denen es vor einer möglichen Feststellung des Todes durch Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls („Hirntod“) zu einem Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion bei den Patienten gekommen sei (+ 44 Prozent).

Die Organe der verstorbenen Spender müssen laut DSO bis zur Entnahmeoperation künstlich durch in­tensivmedizinische Maßnahmen funktionsfähig gehalten werden. Versagt das Herz-Kreislaufsystem des Spenders vorzeitig, ist keine Organspende mehr möglich.

Auch nahm die Zahl der Fälle um 20 Prozent zu, bei denen es nach einer Kontaktaufnahme des Kranken­hauses zur DSO als Koordinierungsstelle zu keiner Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls kam.

Angesichts dieser schwierigen Situation ruft der Medizinische DSO-Vorstand alle Partner im Prozess der Organspende dazu auf, die Patienten auf den Wartelisten nicht aus dem Blick zu verlieren und sich ge­meinsam weiter engagiert dafür einzusetzen, die Organspendezahlen in Deutschland trotz widriger Umstände wieder auf einen besseren Weg zu bringen.

„Jeder von uns trägt hier eine große Verantwortung gegenüber den schwer kranken Menschen auf den Wartelisten“, sagte Rahmel. Aber auch ohne den Rückhalt, das Vertrauen und die aktive Zustimmung aus der Bevölkerung seien keine Organspenden möglich. „Die Gemeinschaftsaufgabe Organspende gelingt nur, wenn alle mitmachen.“ © may/EB/aerzteblatt.de


Zahl der Organspenden bricht ein - Corona möglicher Grund

Erstellt: 08.04.2022Aktualisiert: 09.04.2022, 00:13 Uhr

Anfang dieses Jahres gab es mehr als ein Viertel weniger Transplantationen als zu Beginn des Vorjahres. Die zuständige Koordinierungsstelle ist überrascht - und besorgt.

Frankfurt/Main - Die Zahl der Organspenden ist Anfang dieses Jahres massiv zurückgegangen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtete am Freitag in Frankfurt von einem Einbruch um 29 Prozent im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die Anzahl der Organspender sank in den ersten drei Monaten 2022 auf 176, im Vergleichszeitraum waren es 249. Die Anzahl der nach dem Tod entnommenen Organe sank um 28 Prozent auf 562 Organe. Insgesamt konnten in deutschen Transplantationszentren im ersten Quartal 600 Organe übertragen werden. Sie wurden über Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt. Das waren 194 Transplantationen weniger als im Vorjahreszeitraum.

„Dramatische Entwicklung“

Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, äußerte sich „zutiefst besorgt“: „Wir stehen vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8500 Patienten auf den Wartelisten.“ Der Einbruch komme „völlig unerwartet“: Deutschland sei bisher ohne größere Einbußen durch die Pandemie gekommen.

Die DSO vermutet, dass die Arbeitsüberlastung in den Kliniken ein Grund sein könnte: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären.“ Auch die Zahl der Nein-Voten nach den Beratungsgesprächen nahm zu. Ein weiterer Grund ist, dass Verstorbene mit einer Corona-Infektion von der Organspende ausgeschlossen waren.

Der Medizinische DSO-Vorstand rief „alle Partner im Prozess der Organspende“ dazu auf, sich trotz widriger Umstände weiter zu engagieren. „Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Jeder von uns trägt hier eine große Verantwortung gegenüber den schwer kranken Menschen auf den Wartelisten“, sagte Rahmel. dpa 







Fachgesellschaft fordert Nachbesserung an neuem Organspendegesetz

Freitag, 4. März 2022

Hannover – Die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) hat dringend angemahnt, das neue Gesetz zur Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende nachzubessern. Konkret geht es darum, Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen als auskunftsberechtigte Personen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ernannt werden, zu berücksichtigen.

Das neue Gesetz zur Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist am 1. März in Kraft getreten. Es soll die Situation in der Organspende verbessern und dem Mangel an Transplantaten entgegenwirken. Mit eingeschlossen ist dabei auch die Gewebespende. Entsprechend umfasst das mit dem Gesetz verbun­dene Onlineregister, welches das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zurzeit einrichtet, sowohl die Dokumentation der Entscheidung zur Organspende als auch zur Gewebespende.

Das Bundesinstitut verteilt für den Zugriff auf dieses Register sogenannte Verordnungsermächtigungen an ausgewählte Personen, um im Einzelfall die Entscheidung des potentiellen Spenders zu überprüfen. Dabei völlig außer Acht gelassen und im Gesetz nicht mit berücksichtigt sind laut DGFG Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen.

„Ändert sich an dem bereits in Kraft getretenen Gesetz bis zum Registerstart nichts mehr, besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl an Gewebespenden nicht mehr realisiert werden kann und sich damit die Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten in Deutschland erheblich verschlechtert“, heißt es dazu aus der Gesellschaft.

Denn das neue Gesetze sehe vor, dass die Auskunft aus dem Online-Register nur an einen Arzt oder Transplantationsbeauftragten erfolgen darf, der 1. „von einem Krankenhaus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auskunftsberechtigt benannt wurde“ und 2. „weder an der Ent­nahme noch an der Übertragung der Organe und Gewebe des möglichen Organ- oder Gewebe­spenders beteiligt ist und auch nicht Weisungen eines Arztes untersteht, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist“ (TPG § 2a Absatz 4).

Somit dürften Mitarbeiter der DGFG selbst keine Auskunft aus dem Register erhalten. Der Arzt oder Transplantationsbeauftragte dürfe zwar die Information an eine Gewebespendeeinrichtung weitergeben. Die DGFG befürchtet an dieser Stelle jedoch, dass die Bereitschaft zur Auskunft über die im Register hinterlegten Informationen zur Gewebespende bei den Ärzten schwindet.

„Ist der Prozess jedes Mal an die Verfügbarkeit eines Arztes oder Transplantationsbeauftragten zusätzlich gebunden, kostet dies Zeit und vermutlich auch den Erfolg der Gewebespende“, warnte die DGFG. © hil/sb/aerzteblatt.de





Neues Bürgerregister zu Organspenden verzögert sich

Dienstag, 15. Februar 2022

Berlin – Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland verzögert sich der Start eines neuen Bürgerregisters. Der ursprünglich vorgesehene Termin 1. März wird nicht erreicht werden können, wie das Bundesgesund­heitsministerium (BMG) mitteilte.

Den Betrieb aufnehmen soll das Register nun frühestens Ende des Jahres. Hintergrund sei, in der Corona­pandemie eine weitere Belas­tung der Krankenhäuser durch nötige technisch-organisatorische Vorarbei­ten aktuell zu vermeiden, die mit ihrer Anbindung an das Register einhergehen würden.

Das zentrale Register ist ein Kernelement einer Organspendereform, die der Bundestag Anfang 2020 be­schlossen hatte. Darin soll man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern können.

Generell sollen künftig alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema angesprochen wer­den. Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis oder einen Pass beantragt, soll auf dem Amt Informationsmaterial zu Organspenden bekommen. Schon auf dem Amt soll man sich dann mit Ja oder Nein ins Register eintragen können – aber auch später etwa online von zu Hause.

Die Reform geht auf die Initiative einer Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die damalige Linke-Chefin Katja Kipping zurück. Sie zielt darauf ab, mehr Men­schen dazu zu bewegen, konkret über eine Spende nach dem Tod zu entscheiden. Organspenden bleiben aber nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Das Gesetz tritt zum 1. März in Kraft.

Ziel ist, angesichts von gut 8.400 Menschen auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Im vergangenen Jahr gaben 933 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe – 2,2 Prozent mehr als 2020, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Die Zahl der entnommenen Organe ging jedoch um 1,2 Prozent auf 2.905 zurück.

Wie es vom Ministerium weiter hieß, will die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Län­der und Kommunale Spitzenverbände rechtzeitig vor dem 1. März über ihr kostenloses Informations­an­ge­bot unterrichten.

Die Kommunen könnten dann für Pass- und Meldeämter sowie Ausländerbehörden Infomaterial kosten­frei bestellen. Zudem liefen noch Beratungen dazu, inwieweit die Länder ihre gesetz­liche Verpflichtung umsetzen, das Abgeben von Erklärungen auch direkt in den Ämtern zu ermöglichen.

Vorgesehen ist auch, dass Hausärzte Patienten künftig auf Wunsch alle zwei Jahre über Organspenden informieren und – ergebnisoffen – zum Eintragen ins Register ermuntern. Grundwissen soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor Führerscheinprüfungen werden. Im Register soll man Erklärungen jederzeit ändern können. Eingerichtet werden soll es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Die Organspendereform hatte sich bei der Abstimmung im Bundestag gegen einen Vorstoß einer ande­ren Abgeordnetengruppe um den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) durchgesetzt. Dem­nach sollten alle zunächst automatisch als Spender gelten – außer man widerspricht. © dpa/aerzteblatt.de


Harzkurier Mittwoch, 9. Februar 2022

Brauche ich eine Betreuungsverfügung?
Den Alltag organisieren lassen, wenn man es selbst nicht mehr kann – diese Vorsorge schafft Klarheit 

Von Hans Peter Seitel
Berlin. So leben, wie man es für richtig hält – das wünschen sich alle.
Aber was ist, wenn die eigenen Fähigkeiten nicht mehr reichen, das Leben nach den persönlichen Vorstellungen zu gestalten? Mit einer Betreuungsverfügung lässt sich vorsorgen für den Fall der Fälle. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wozu dient die Verfügung?
Eine psychische oder körperliche Erkrankung, ein plötzlicher Unfall, eine Behinderung: Jeder kann in die Lage geraten, dass er seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht allein regeln kann – und sei es im Alter aufgrund von Demenz.

In der Betreuungsverfügung kann man in guten Zeiten festlegen, wer dann als rechtlicher Betreuer unterstützend tätig werden soll. Außerdem können die persönlichen Erwartungen an die Betreuung in der Verfügung festgehalten werden. „Man gibt einem künftigen Betreuer eine Art Gebrauchsanleitung an die Hand“, erläutert Peter Rudel, Jurist beim Cura Betreuungsverein in Berlin.

Worum kümmert sich ein Betreuer?
Die Aufgaben können je nach den Fähigkeiten der betreuten Person,
Dinge noch selbst zu erledigen, mehr oder weniger umfassend sein.
Mögliche Felder sind die Organisation der Pflege und einer Haushaltshilfe, die Vertretung gegenüber Behörden, Wohnungsfragen, das Bezahlen von Rechnungen oder etwa die Gesundheitssorge. „Es geht immer um Wunsch und Wille der Person. Durch die Betreuung soll sichergestellt werden, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen kann“, sagt Barbara Dannhäuser, die für die Fachverbände SKM und SkF sowie den Caritasverband tätig ist. Die Leiterin der Arbeitsstelle Rechtliche Betreuung nennt als Beispiel, dass manche Betroffene Ängste entwickeln, Behörden zu kontaktieren oder Entscheidungen zu treffen: „Der Rentenantrag wird nicht gestellt und soziale Hilfen werden nicht in Anspruch genommen. Der Betreuer kann die Sache dann in die Hand nehmen“, erläutert Dannhäuser.


Was macht der Betreuer nicht?
Viele verwechseln die rechtliche mit einer sozialen Betreuung. „Die Aufgabe des Betreuers besteht nicht darin, für die betreute Person einzukaufen, sie zu pflegen, die Wohnung aufzuräumen oder ihr zum Beispiel Gesellschaft zu leisten. Er stellt aber die Versorgung und soziale Betreuung organisatorisch sicher“, sagt Jurist Rudel, der beim Cura Betreuungsverein unter anderem ehrenamtliche Betreuer ausbildet.


Wann wird eine Betreuung eingerichtet?
Ob und für welche Aufgaben ein Betreuer bestellt wird, entscheidet das
Betreuungsgericht. Das geschieht auf Wunsch des Betroffenen selbst
oder nach Hinweisen von Angehörigen, Nachbarn oder etwa auch
einer Bank, der auffällt, dass jemand offenkundig verwirrt ist und
dreimal am Tag Geld abhebt. „Es ist wichtig, dass sich diese Leute bei
der Betreuungsbehörde oder dem Gericht melden, damit der Person
geholfen wird“, sagt Fachfrau Dannhäuser. Bei der Wahl des Betreuers ist das Gericht an die Betreuungsverfügung grundsätzlich gebunden. Eine
Ausnahme macht es laut Bundesjustizministerium (BMJ) nur dann,
wenn die Bestellung der darin benannten Person dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde. Mit der Vormundschaft von früher (bis 1992) hat die Betreuung übrigens nichts zu tun. „Die Bestellung eines Betreuers ist keine Entrechtung. Sie hat nicht zur Folge, dass die betreute Person geschäftsunfähig wird“, heißt es beim BMJ.
Laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft können auch Menschen mit Demenz Wünsche für ihre spätere Lebensgestaltung in einer Betreuungsverfügung niederlegen, solange sie in der Lage sind, ihren Willen zu äußern.

Und wenn es keine Verfügung gibt? 

Das Gericht prüft dann mithilfe der Betreuungsbehörde, ob jemand aus dem Familien- und Bekanntenkreis zur Übernahme der Betreuung geeignet und bereit ist.
Wird das Gericht im privaten Umfeld nicht fündig, kann es einen ehrenamtlichen oder auch einen berufsmäßigen Betreuer bestellen.
Wichtig ist: Wer auf eine Verfügung nur deshalb verzichtet, weil er
niemanden hat, dem er die Aufgabe überantworten möchte, sollte wissen, dass er auch bestimmte Personen ausschließen kann. „Die Verfügung ist auch dazu da, dem Gericht gegenüber klarzumachen, dass beispielsweise der missliebige Neffe auf keinen Fall in Betracht gezogen werden soll“, erläutert Expertin Dannhäuser.


Wie sollte mir ein fremder Mensch  helfen können?
Je genauer in der Betreuungsverfügung steht, welche Wünsche man
hat, desto eher können sie umgesetzt werden. „Wenn der Betreuer
beispielsweise weiß, welche Lebens- und Essgewohnheiten die betreute Person hat, ob sie sich gern etwas gönnt oder sehr sparsam leben
möchte und ob sie im Pflegefall möglichst lange zu Hause oder lieber im Heim leben möchte, ist das sehr hilfreich“, sagt Peter Rudel. Aufschreiben könne man etwa auch, was einen freut oder ängstigt, was man im Leben gemacht hat und welche persönlichen Dinge bei einem Umzug ins Heim unbedingt mitgenommen werden sollen.


Wird ein Betreuer kontrolliert?
Betreuer müssen einmal jährlich dem Gericht einen Bericht über ihre Tätigkeit mit genauer Rechnungslegung vorlegen. Außerdem müssen sie sich wichtige Entscheidungen vom Gericht genehmigen lassen. „Das Gericht bemerkt es, wenn ein Betreuer in die eigene Tasche wirtschaften sollte“, sagt Jurist Rudel. Er betont: „Schwarze Schafe gibt es zwar überall, aber bei der Betreuung fallen sie schnell auf.“


Wer hilft mir bei der Verfügung?
Informationen und Beratungen bieten die Betreuungsvereine an. Zu finden sind die Adressen im Internet und auf den Webseiten von Trägerorganisationen, darunter Wohlfahrtsverbände wie AWO, ASB, Caritas, Diakonie, DRK oder Paritätische. Die örtlichen Betreuungsbehörden geben ebenfalls Auskunft.
Ein Verfügungsformular zum Ausfüllen stellt beispielsweise das BMJ bereit.


Verfügung oder Vollmacht – oder beides
Die Vorsorgevollmacht ist bekannter als die Betreuungsverfügung. Dabei können sich beide Vorsorge-Instrumente sinnvoll ergänzen – oder die Verfügung ersetzt die Vollmacht. Erteilt man einer absoluten Vertrauensperson eine Vollmacht, bleibt das Risiko, dass diese nicht alle am Tag X anstehenden Entscheidungen abdeckt oder die Vollmacht aufgrund von Formfehlern nicht gilt.
Daher diese Person besser in eine Betreuungsverfügung aufnehmen.
Noch ratsamer ist eine Verfügung, wenn die Person, die sich kümmern würde, nur ein Bekannter ist, dem man aber etwa Geldsachen nicht anvertrauen will. Und ohne Vertraute bleibt eine Betreuungsverfügung sogar die einzige Möglichkeit. shp 



Frankfurt; 02.02.2022

Erfahrungen im Umgang mit der BÄK-Richtlinie Spendererkennung Eine Umfrage innerhalb des Netzwerkes der Transplantationsbeauftragten NORD e.V. zeigt die positiven Impulse, aber auch einige Problempunkte auf.

Birgit Blome BereichsleiterinBereich Kommunikation 

Von rund 140 Mitgliedern des Netzwerkes in Norddeutschland haben 29 an der internen Befragung teilgenommen. Für vier Wochen stand im Sommer 2021 dazu ein Online-Fragebogen zum anonymen Ausfüllen bereit.

„Erfreulich ist, dass die neue Richtlinie Spendererkennung vor allem die Handlungssicherheit auf den Intensivstationen erhöht“, kommentiert Dr. med. Frank Logemann, Vorstand des Netzwerkes, eines der Ergebnisse. Ebenso stärkt sie nach Ansicht der Befragten das Bewusstsein für die Organspende, sie sorgt für Rechtssicherheit und schafft Transparenz. Zudem geben einige der Transplantationsbeauftragten an, dass die Therapiezielfindung sowie die klinische Spendererkennung für sie leichter umsetzbar sind. 

Daneben nennen die Mitglieder jedoch auch einige Herausforderungen, die sich mit der Implementierung der geänderten Vorgaben ergeben. So ist es beispielsweise erforderlich, das Personal auf den Intensivstationen erneut zu schulen und Prozessabläufe anzupassen. Um diese Aufgaben aktiv angehen zu können, brauchen die Transplantationsbeauftragten jedoch Zeit und Ressourcen. Reicht die gesetzlich finanzierte Freistellung dafür überhaupt aus? Immerhin wünscht sich etwa die Hälfte der Befragten Unterstützung bei der Umsetzung der Richtlinie. „Dass es einen grundsätzlichen Bedarf an Hilfsangeboten gibt, bestätigt sich hiermit erneut“, erklärt Logemann. Interessant ist jedoch: Die Transplantationsbeauftragten erhoffen sich diese Hilfe vor allem von ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kliniken in der Nähe. 

Die überarbeitete Fassung der Richtlinie Spendererkennung gilt seit September 2020. Einer ihrer Kernpunkte: Der mögliche Wille zur Organspende muss rechtzeitig erkundet werden, spätestens dann, wenn bei einem Patienten ein irreversibler Hirnfunktionsausfall vermutet wird oder dessen Eintritt unmittelbar bevorsteht.  

Fachliche Schulung des Intensivpersonals erforderlich
Damit die Spendererkennung vorausschauend erfolgen kann, sind aus Sicht der Teilnehmer der Umfrage eine hohe fachliche Expertise und Erfahrung unabdingbar. Innerhalb des Intensivpersonals sind solche Kenntnisse jedoch nicht immer vorhanden. So kann es beispielsweise Unklarheiten darüber geben, wie ein unmittelbar bevorstehender Hirnfunktionsausfall definiert ist und erkannt werden kann. Dies sind jedoch die Voraussetzungen, damit das „unverzügliche“ Erkennen und Melden eines möglichen Spenders an den Transplantationsbeauftragten stattfinden kann – und zwar vor dem Gespräch mit den Angehörigen. Bei der Umfrage wurde auch die fehlende IT-Automatisierung beim Screening möglicher Spender als Problempunkt genannt. Solche Tools befinden sich derzeit noch in der Erprobung und Weiterentwicklung und sind bislang nur für wenige Kliniken verfügbar.  

Umgang mit der Therapieeskalation bei unklarem Patientenwillen.
Deutlich gezeigt hat sich bei der Befragung auch, dass die rechtzeitige Ermittlung des Patientenwillens bei festgelegter Therapiebegrenzung oftmals Probleme aufwirft. Eine Fortführung der intensivmedizinischen Maßnahmen trotz infauster Prognose hat laut Logemann offenbar hohes Potenzial, moralische Konflikte beim Personal der Intensivstationen hervorzurufen. „Es ist nun genauer definiert, wann laut Transplantationsgesetz bei Patienten ohne Kontraindikationen eine Organspende in Betracht kommt. Die Geräte dürfen nicht abgestellt werden, solange der Patientenwille zur Organspende nicht bekannt ist“, informiert Logemann. Er vermutet, dass zur Umsetzung dieser Vorgehensweise Medizinern und Pflegenden noch bessere ethische Unterstützung im jeweiligen Einzelfall angeboten werden muss, insbesondere, weil es hierbei ja darum gehe, der Patientenautonomie gerecht zu werden.

Nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls muss zunächst die DSO darüber informiert werden und anschließend soll das abschließende Gespräch mit den Angehörigen zur Frage der Organspende geführt werden. Dies Vorgehen werde von einem Teil der befragten Transplantationsbeauftragten, so Logemann, als belastend empfunden. 

Rückenstärkung im Angehörigengespräch 
Bestärkt sehen sich die Transplantationsbeauftragten in der Möglichkeit, die Angehörigen eines Patienten schon vor der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ansprechen zu können. „Dies erleichtert die ohnehin schon äußerst belastende Situation“, erläutert Logemann. Gerade in diesen Momenten kann immer mal wieder die Angst entstehen, dass die Frage zur Organspende von den Angehörigen als viel zu früh empfunden wird. „Gerade dann, wenn ein scheinbarer Widerspruch entsteht, weil man zuvor noch versprochen hat, alles medizinisch Mögliche für den Patienten zu tun“, so der Mediziner. Die neue Richtlinie mache diese möglichst frühe Nachfrage zu einer Pflicht. Dies gebe im Zweifelsfall die nötige Sicherheit, das Gespräch zu diesem Thema gezielt aufzunehmen.  

In puncto Handlungssicherheit sind sich die Teilnehmer der Umfrage auch weitgehend einig: Mehr als 90 Prozent geben an, dass die neue Richtlinie diese gesteigert hat. 

Unterstützung von erfahrenen Medizinern erwünscht
Besonders klar äußern die Befragten auch den Wunsch nach Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Richtlinie, den 50 Prozent von ihnen mit einem klaren „JA“ angeben.  Von wem könnte diese Hilfe kommen? Hierbei werden an erster Stelle andere Transplantationsbeauftragte genannt (60 Prozent), dann das Intensivpersonal (20 Prozent) sowie an dritter Stelle die Seelsorge (10 Prozent).

Konkretere Nachweispflicht für Kliniken wäre hilfreich
„Die gesamte Umfrage zeigt uns im Grunde erneut, wie wichtig das Thema Freistellung für die Arbeit der Transplantationsbeauftragten ist. Die meisten von ihnen sind sehr engagiert und sie sollten ihren Aufgaben uneingeschränkt nachkommen können,“ betont Logemann. Dazu wünsche er sich genauere gesetzliche Regelungen für Kliniken, durch die sie einen Nachweis darüber erbringen müssten, wie die Freistellung und Finanzierung der Transplantationsbeauftragten stattgefunden hat.  

Weiterführende Links auf der DSO-Website

Unterstützungsangebote der DSO 
Dienstleistungen, die bei der DSO für Entnahmekrankenhäuser rund um die Uhr abrufbar sind. Dazu zählen u.a. 

  • Klärung der medizinischen und     juristischen Voraussetzungen einer Organspende

        
  • Vermittlung neurologischer     Konsiliarärzte für die Feststellung des endgültigen, nicht     behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des     Kleinhirns und des Hirnstamms

        
  • Unterstützung beim Angehörigengespräch und bei der     Angehörigenbetreuung    

    Die gesamte Übersicht:


    Leitfaden für die Organspende: Thema Spenderidentifizierung
    Im Kapitel 2.1. sind die klinischen Zeichen aufgelistet, die auf die Entwicklung oder den Eintritt des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls hinweisen können.

Mit dem Link geht es direkt in das Kapitel 2.


https://www.dso.de/organspende/fachinformationen/organspendeprozess/leitfaden-f%C3%BCr-die-organspende/02-spenderidentifizierung

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MT 29.01.2022

Patient mit Schweineherz „bemerkenswert wach“

Ärzte nach Sensations-Organtransplantation optimistisch: „Keine Zeichen der Abstoßung.“

Baltimore (dpa). Der Patient, dem weltweit erstmals ein
Schweineherz als Ersatzorgan eingesetzt wurde, macht seinen Ärzten zufolge weiter gute Fortschritte. „Es geht ihm besser, als wir erwartet hatten“, sagte Muhammad Mohiuddin, zuständiger Chirurg am University of Maryland Medical Center in Baltimore. „Seinem Herzen
geht es gut, es gibt kein Zeichen der Abstoßung.“

In einem Meilenstein auf dem Gebiet der Organtransplantation war dem an einer lebensgefährlichen Herzkrankheit leidenden 57-Jährigen Anfang Januar das genetisch veränderte Organ eingesetzt worden. Die
Operation dauerte laut US-Medien rund acht Stunden. Es handele sich um einen Mann, der wohl wegen Verletzung der Vorgaben nicht mehr auf der Warteliste für ein Spenderherz gestanden habe und für den das tierische Organ die letzte Alternative zum Tod gewesen sei, hatte
der Veterinärmediziner Heiner Niemann von der Medizinischen Hochschule Hannover gesagt. Nach der Operation war der Patient noch einige Tage an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen gewesen.

Der Mann sei „bemerkenswert wach“, sagte der zuständige Chirurg Bartley Griffith. „Wenn ich an das Fenster von
seinem Zimmer komme, merkt er das normalerweise und weiß, was los ist. Er winkt mich dann zu sich und fragt mich, wann er nach Hause gehen kann – und solange er mich das fragt, hat er –glaube ich – die richtige Einstellung.“ Der Patient bekomme Physiotherapie. „Wir müssen seine Beine stark genug machen, dass sie ihn wieder tragen können. Bislang geht das noch nicht.“ Bis der Patient entlassen
werden könne, werde es wohl noch eine ganze Weile dauern, sagte Mohiuddin. „Wir schauen uns das Tag für Tag an.“ Aber man sei optimistisch. „Hoffentlich kann er eines Tages wieder nach Hause und mit seinem Hund spazieren gehen, so wie er es sich wünscht.“

Die sogenannte Xenotransplantation wird seit den 1980er
Jahren erforscht. Schweine sind als Spender besonders geeignet,  weil ihr Stoffwechsel dem von Menschen ähnelt. 


27.02.2022

Berlin. Hausarztpraxen erhalten Unterstützung bei der Beratung zur Organspende. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat ein Infopaket mit Patienten-Broschüren sowie Organspendeausweisen geschnürt. Wie die KBV berichtet, habe der Versand der Infopakete an die Praxen bereits begonnen und soll bis Ende Februar abgeschlossen sein.

Denn ab März sollen Hausärzte – so sieht es das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ vor – ihre Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre zur Organ- und Gewebespende beraten. Noch wissen aber auch nur weniger Patienten, dass sie diese Beratung in Anspruch nehmen können: In einer repräsentativen Umfrage der BZgA im vergangenen Jahr gaben nur 20 Prozent der über 4000 befragten Bürger an, dass sie die Beratungsmöglichkeit beim Hausarzt kennen.                Das Standardinformationspaket enthält laut KBV je zehn Exemplare der beiden Broschüren „Antworten auf wichtige Fragen“ und „Wie erkläre ich meine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende? Drei Wege: kurz und knapp“ für Patienten sowie 100 Organspendeausweise. Die Unterlagen könnten kostenfrei bei der BZgA nachbestellt werden.           

Zusätzlich könne über die Website der Bundeszentrale ein Manual für das Arzt-Patienten-Gespräch sowie Materialien für Patienten in leichter Sprache geordert werden (https://shop.bzga.de/materialien-fuer-die-hausaerzteschaft-gruppe-420/).

Abrechnen können Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte die Beratung zur Organspende ab März über die neue Gebührenordnungsposition (GOP) 01480. Sie ist mit 65 Punkten (7,32 Euro) bewertet und kann bei Patienten ab 14 Jahren alle zwei Jahre angesetzt werden. (reh)



Organspende: „Mein neues Leben hat begonnen“

14.01.2022

Von Ursula Rüssmann

Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die mithilfe einer privaten Initiative durch eine Überkreuz-Lebendspende neue Nieren bekommen haben. Doch sie mussten hohe Hürden nehmen.

An der Berliner Universitätsklinik Charité ist im vergangenen Oktober etwas gelungen, was in Deutschland ausgesprochenen Seltenheitswert hat: eine sogenannte Crossover- oder Überkreuz-Lebendspende, also eine Art Nierentausch zwischen zwei Paaren aus Biberach an der Riß und Köln.

Elisabeth Woitzik aus Köln erhielt nach sechs Jahren an der Dialyse eine Spenderniere von Lothar Merk aus Biberach. Merks Ehefrau Maria bekam eine Niere von Woitziks Jugendfreund Franz Bergen. Beide Frauen leiden an Zystennieren, einer erblichen Erkrankung. Allen vier Beteiligten geht es nach den Eingriffen gut. Es sei erst die zweite Crossover-Transplantation an der Charité überhaupt gewesen, sagt Professor Klemens Budde, Schwerpunktleiter Transplantation an der Klinik. Die erste liegt 14 Jahre zurück. Grund: Die derzeit strenge Rechtslage sorge für große Unsicherheit. Budde ist jedoch entschlossen: „Wir wollen das jetzt ausbauen.“

Organspende in Deutschland: Der Organmangel hält an

Bei einer Lebendspende stellen Spender:innen die eigenen Organe zur Verfügung - vor allem Nieren. Die spendende Person kann mit der verbleibenden Niere weiterhin ein normales Leben führen. Die Überkreuz-Lebendspende ist nicht das Allheilmittel gegen den anhaltenden Organmangel in Deutschland, der etwa für Nierenkranke immer längere Wartezeiten bedeutet. Budde sieht darin aber ein wichtiges Verfahren. Sie kommt für Nierenkranke in Frage, die einen potenziellen Organspender oder eine -spenderin in ihrem Umfeld haben, bei denen aber eine direkte Lebendspende nicht möglich ist, weil es etwa Gewebeunverträglichkeiten gibt. 

Eine Überkreuz-Lebendspende ist für Menschen sinnvoll, die ein Organ einer ihnen nahestehenden Person bekommen könnten, es aber nicht vertragen. 

© FR

So war es bei Merk und Woitzik, bei der neben dem Jugendfreund auch der Ehemann aus medizinischen Gründen nicht direkt spenden konnte. Und so ist es laut Budde bei etwa fünf bis zehn Prozent aller Spender-Empfänger-Paare: „Wenn wir hier Crossover-Programme breiter einsetzen könnten, würde das die Wartelisten tatsächlich relevant entlasten.“ Auch der Ärztetag hat im vergangenen November gefordert, die Crossover-Spende zu erleichtern. 

Wie steinig der Weg derzeit ist, zeigt der Berliner Fall. Er wurde überhaupt erst möglich durch eine Privatinitiative: Die Wolfsburgerin Susanne Reitmaier hat aufgrund der Erfahrungen mit ihrer nierenkranken Tochter vor Jahren die Initiative „Crossover-Nierenspenderliste“ aufgebaut. Auf einer geschützten Website können sich Spender-Empfänger-Paare eintragen und ihre Daten verschlüsselt hinterlegen. Computergesteuert werden aus dem Pool zwei immunologisch passende Paare ermittelt. Reitmaier macht diese dann miteinander bekannt und begleitet den vom deutschen Transplantationsgesetz (TPG) vorgeschriebenen Kennenlernprozess. Das TPG schreibt in Paragraf 8 nämlich vor, dass Lebendspenden nur zwischen engen Verwandten oder Menschen möglich sind, die sich „in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“.

Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die durch dieses ehrenamtliche Projekt neue Nieren bekommen haben. „Mein neues Leben hat begonnen“, sagt Merk heute, deren Mutter und Bruder nach vielen Jahren an der Dialyse verstorben sind. Auch Woitzik ist dankbar über die neue Chance: „Mir ging es in den letzten Jahren der Dialyse immer schlechter. Jetzt habe ich wieder jede Menge Kraft und Energie.“

Organspende: Überkreuz-Lebendspende nur bei „persönlicher Verbundenheit“

Bis es soweit war, mussten sie aber hohe Hürden nehmen – vor allem die des vom Gesetz verlangten Kennenlernens. Beim ersten Treffen in Wolfsburg im Sommer 2020, erinnert sich Woitzik, „war gleich Sympathie da. Es gab viel Verbindendes, wir sind zum Beispiel alle um die 60, wir beiden Frauen Grundschullehrerinnen.“ Es folgten mehrere gemeinsame Aufenthalte in der Charité für Untersuchungen. Wegen der Pandemie habe man aber zunächst darauf verzichtet, sich privat in Biberach und Köln zu besuchen. Im Februar 2021 dann der Termin vor der Berliner Lebendspendekommission, die laut Gesetz begutachten muss, ob die Lebendspende freiwillig und ohne finanzielle Interessen erfolge.

Doch die Kommission lehnte ab, sie sah die erforderliche „persönliche Verbundenheit“ noch nicht ausreichend gegeben. Die Enttäuschung war riesig, so Maria Merk: „Eigentlich hat man ja gar keine Kraft, noch weiter zu kämpfen.“ Immerhin bekamen die Paare eine zweite Chance: Im Juli durften sie erneut antreten und hatten in der Zwischenzeit gemeinsame Wochenenden verbracht, mehrfach wöchentlich telefoniert, Videocalls gemacht. Längst waren die Paare zu Freunden geworden. Das reichte der Kommission. Im Oktober wurde endlich transplantiert – beide Paare gleichzeitig in den Kliniken Berlin-Mitte und Virchow. Vorher hatten alle sich geeinigt: Wenn bei der einen Transplantation etwas schief gehen sollte, solle die andere trotzdem stattfinden.

Für Transplantationsmediziner Budde zeigt der Fall exemplarisch die Schwachstelle des Gesetzes. Das Verbundenheits-Kriterium sollte wegfallen, fordert er: „Aus ihm spricht Misstrauen gegenüber dem Bürger, und es geht an der Realität vorbei.“ Denn auch beim Überkreuz-Programm gebe ein Spender eine Niere doch letztlich zum Wohl seines Partners oder seiner Partnerin, auch wenn jemand anderes das Organ bekomme. Dass die deutsche Regelung nicht zwingend ist, zeigt der Blick nach Frankreich: Dort ist genau das Gegenteil vorgeschrieben, nämlich, dass die beiden Spender-Empfänger-Paare sich nicht kennen.

Organspende: Mediziner fordert, altruistische Spenden zu erlauben

Die Charité hofft denn auch auf eine Änderung des Transplantationsgesetzes, die Crossover leichter macht. Aber auch unabhängig davon will die Klinik ihr Überkreuzspenden-Programm wachsen lassen. Sie verfügt neuerdings über ein Computerprogramm, das aus dem Patient:innenpool immunologisch passende Paare für Crossover-Transplantationen herausfiltern kann. Rund 120 nierenkranke Menschen werden da eingespeist, um passende Kombinationen zu ermitteln. „Dann gehen wir nach und nach voran“, sagt Budde.

Mittelfristig plädiert er dafür, in Deutschland die Lebendspende noch weiter zu öffnen und auch anonyme altruistische Lebendspenden zu erlauben, wie etwa in Spanien, den Niederlanden und Großbritannien. Dort existieren große Nierenaustauschprogramme mit klaren gesetzlichen Regelungen. So würden etwa sogenannte Transplantations-Ketten möglich, bei denen am Anfang eine altruistische Spende steht und in der Folge mehrere Spender-Empfänger-Paare beteiligt sind. Aber, so der Mediziner: „In Deutschland brauchen wir erst mal den ersten Schritt.“ Wann der kommt, ist allerdings offen: Aktuelle Planungen, das Transplantationsgesetz zu ändern, gibt es laut Bundesgesundheitsministerium derzeit nicht.


MT Donnerstag, 13. Januar 2022 · Nr. 10 

Trotz Pandemie mehr Organspender

933 Menschen haben 2021 in Deutschland nach ihrem Tod Leben gerettet, davon elf im Evangelischen Klinikum Bethel. Insgesamt stagniert die Zahl der Spender in Deutschland aber auf einem niedrigen Niveau

Carolin Nieder-Entgelmeier
Bielefeld/Berlin.

Entgegen erster Befürchtungen und der Entwicklung in vielen anderen Ländern ist die Zahl der Organspender in Deutschland während der Corona-Pandemie nicht eingebrochen, sondern stabil auf dem Niveau von 2019 geblieben. 2021 haben 933 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. In einigen Kliniken ist die Zahl der Organspender sogar gestiegen, so auch im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB). Doch im Vergleich zu anderen Ländern stagniert die Zahl in Deutschland weiter auf
einem sehr geringen Niveau. Während es in Deutschland pro einer Million Einwohner elf Organspender gibt, sind es in
Spanien 40.

Trotzdem bewertet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) als bundesweite Koordinierungsstelle für Organspenden die Stabilität als Erfolg, da die Pandemie Kliniken seit fast  zwei Jahren belastet. Zu verdanken ist das laut DSO-Vorstand
Axel Rahmel dem Engagement der Teams auf den Intensivstationen. Einen Zusammenhang mit der hohen Zahl an verstorbenen Covid-19-Patienten bestehe nicht, da eine Infektion zum Ausschluss einer Organspende in
Deutschland führt. Während die Zahl der Organspender 2021 im Vergleich zu 2020 um 2,2 Prozent stieg, sank die Zahl der postmortal entnommenen Organe mit 2.905 jedoch um 1,2 Prozent. Die Vermittlung der Organe übernimmt die internationale Stiftung Eurotransplant, zu dren Verbund neben Deutschland auch Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Kroatien, Slowenien und Ungarn
gehören.

Über den Verbund konnten 2021 in den 46 deutschen Transplantationszentren 2.979 Organe nach postmortaler Spende übertragen werden. Damit lag die Zahl der in Deutschland transplantierten Organe laut
DSO um 74 höher als die Zahl der hierzulande gespendeten Organe. Zurückzuführen sei das aufden internationalen Verbund. Die Stabilität der Organspender-Zahlen in Deutschland trotz Pandemie führen Experten auch
auf gesetzliche Neuerungen zur Förderung der Organspende zurück, die seit 2019 nach und nach
umgesetzt werden. „Die Stärkung der Transplantationsbeauftragten in Kliniken hilft uns
dabei, mögliche Organspender zu identifizieren und mit den
Angehörigen zu sprechen“, erklärt Intensivmediziner Friedhelm Bach, der im EvKB neben Ina Vedder als Transplantationsbeauftragter tätig ist.

Im EvKB haben 2021 laut Bach elf Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. „2020 waren es zehn Menschen, in den Jahren davor deutlich weniger, da Kliniken zu der Zeit noch deutlich weniger Möglichkeiten hatten, um ihre Transplantationsbeauftragten freizustellen.“
Auch neue Richtlinien der Bundesärztekammer helfen laut
Bach, weil Angehörige deutlich früher in den Prozess eingebunden werden. „Wir sprechen bereits vor der Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls mit den Angehörigen über die Folgen und über eine mögliche Organspende. Auch, um herauszufinden, ob der Patientenwille für oder gegen eine Organspende vorliegt oder zumindest bekannt ist.“

Denn entscheidend für eine Organspende ist nach Angaben
Bachs der Wille des Patienten. „In der Praxis erleben wir, dass nicht einmal zehn Prozent der Patienten ihren Willen in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung festgehalten haben.“ Deshalb müssen in den meisten Fällen die Angehörigen im Sinne des Patienten entscheiden und ein Großteil entscheidet sich laut Bach gegen eine Spende. „Häufig nennen Angehörige keine Gründe, aber wir
wissen aus Untersuchungen, dass nach wie vor Informationsdefizite bestehen und Ängste vorherrschen.“

Aus diesem Grund fordert Bach eine Ausweitung der Aufklärungskampagnen, allerdings nicht nur mit Einbeziehung der niedergelassenen Ärzteschaft,
sondern auch mit Schulen. „Die Transplantationsbeauftragten der Unikliniken in NRW und die Ärztekammern bereiten deshalb gerade Schulungen für niedergelassene Ärzte vor, die als vertraute Ansprechpartner im Gesundheitssystem viel bewegen können“, erklärt Bach. „Wichtig ist aber ebenso, dass wir Jugendliche aufklären, auch, damit sie das Thema in die Familien tragen.“ Bach hat bereits mit Schülern gearbeitet und erlebt, dass Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen deutlich offener für das Thema sind.
Hilfreich ist nach Einschätzung Bachs auch mehr Transparenz: „Angehörige möchten wissen, was mit den Spenderorganen passiert. Aktuell ist Kontakt zu Organempfängern nicht möglich, aber vielleicht sind hier Erleichterungen möglich, wenn beide Seiten einverstanden sind.“

Abhängig ist der Erfolg neuer Gesetzte laut Bach aber immer von der Umsetzung. „Wir müssen sie mit Leben füllen. In Deutschland wurde lange nicht über das Thema Organspende gesprochen, sondern lediglich über die Transplantationsmedizin. Doch die eine Seite funktioniert nicht ohne die andere.“ Zudem appelliert der Mediziner an die Bevölkerung, sich zumindest einmal im Leben mit
dem Thema Organspende zu befassen und seine Entscheidung festzuhalten. „Damit entlastet man auch seine Angehörigen, die in der Ausnahmesituation dann
wissen, dass sie richtig handeln.“ Außerdem könne den
9.192 Menschen, die in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan warten, nur mit mehr Organspenden geholfen werden, sagt Bach. „Hier sollte sich jeder bewusst machen, dass die Wahrscheinlichkeit, einmal selbst auf der Warteliste zu stehen größer ist, als selbst zum Organspender zu werden.“
■ Informationen zum Organspendeausweis:
www.organspende-info.de 



MT 12.01.2022

Mensch lebt mit Schweineherz
An der Verwendung tierischer Organe im Menschen forschen Experten schon lange.
Nun wird einem Schwerkranken erstmals eines implantiert.

Dirk Hautkapp
Baltimore.

Als David Bennett von seinem Operateur eröffnet
wurde, dass seiner Erkrankung im Endstadium nur durch die Transplantation eines Schweine-Herzens beizukommen sei, reagierte der Handwerker aus Maryland mit Galgenhumor:
„Werde ich dann grunzen?“. Seit wenigen Tagen kann der 57-Jährige beruhigt sagen: Nein.

Bennett hat als erster Mensch auf der Welt die Transplantation eines gentechnisch modifizierten Schweine-Herzens erfolgreich überstanden. Fünf
Tage nach dem neunstündigen Eingriff des Chirurgen-Teams um Bartley Griffith und
Muhammad Mohiuddin an der Universitätsklinik in Baltimore geht es dem mehrfachen Großvater nach Angaben der Mediziner „gut“. Die Aufsichtsbehörde FDA hatte zuvor eine Sondergenehmigung für die Operation erteilt.

Die Pioniertat nährt für Zigtausende final herzkranker Patienten die Hoffnung auf eine neue Lebensperspektive.
Applaus für die Ärzte in Baltimore kam von vielen Kollegen. Darunter Robert Montgomery. Der Arzt aus New York, selber Träger eines (menschlichen) Spenderherzen, hatte es im Herbst geschafft, dass der Körper einer hirntoten Frau über 50 Stunden mit einer externen Schweine-Niere verbunden werden konnte. Griffith habe die Sache „auf eine ganze neue Ebene“ gebracht, sagte Montgomery. 

Bruno Reichart, emeritierter Professor aus München und Chef der Firma XTransplant, die Schweine-Organe perspektivisch häufig einsetzen will, hält es für möglich, dass Bennett bis ins hohe Alter mit der Tier-Spende leben kann. Reichart gelang 1983 die erste Herz-Lungentransplantation in Deutschland. 2018 transplantierte er gentechnisch veränderte Schweine-Herzen in Paviane.
Einige Tiere lebten eine halbes Jahr mit den neuen Organen.

In Deutschland sei in den nächsten ein bis drei Jahren mit solchen Eingriffen zu rechnen, sagte Eckhard Wolf vom Gene Center der Uni München. Transplantationsexperten wie
Konrad Fischer (München) und Joachim Denner (Berlin) sprachen ebenfalls von einem „großartigen Erfolg“ und einem „Riesenfortschritt“. Für eine abschließende Bewertung sei es jedoch noch zu früh. Ob ein langfristiges Überleben des Transplantats im Körper des Empfängers gewährleistet werden kann, müsse sich noch zeigen.

„Es ist zu hoffen, dass das Überleben nicht nur für wenige Tage oder Wochen, sondern sogar ür mehrere Monate bis Jahre ermöglicht wird“, sagte Fischer.
Das Schwein, das Bennett das Leben gerettet hat, kommt von der Biotech-Firma Revivicor in
Blacksburg/Virginia. Es wurde bewusst klein gezüchtet (110 kg), damit das Herz nicht zu groß werden kann. Um das Tier-Organ mit dem menschlichen Organismus kompatibel zu machen und Abstoßungsreaktionen zu vermeiden, kam die 2020 mit dem Nobelpreis belohnte Präzisionstechnik der Gen-Schere Crispr/Cas9 zum Einsatz. Vier Gene wurden im Zuchtschwein neutralisiert und sechs menschliche Gene eingebaut. Ethiker haben Probleme damit, dass Schweine zu Ersatzteillagern für den Menschen werden könnten. 

Praktiker halten dem entgegen, dass etwa in Deutschland pro Jahr um die 50 Millionen Schweine zum Verzehr geschlachtet werden. Die Züchtung von einigen tausend
Spezialschweinen zum Transplantationszweck sei vertretbar. 





Gleichzeitig ist die Zahl der organspendebezogenen Kontakte der DSO mit den Entnahmekliniken leicht gestiegen. 2019 waren es 3023 Kontakte, ein Jahr später mit 3099 Kontakten 2,5 Prozent mehr (siehe nachfolgende Grafik). Laut DSO ein Zeichen für das hohe Engagement der Häuser für die Organspende.



Im Septmber 2020 ist zudem die neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer in Kraft getreten. Sie sei eine wichtige praxisorientierte Ergänzung zum Transplantationsgesetz, so die Stiftung.

Die Richtlinie gebe vor, dass im Krankenhaus bereits zu dem Zeitpunkt, an dem der irreversible Hirnfunktionsausfall unmittelbar bevorsteht oder als bereits eingetreten vermutet wird, der Wunsch nach einer Organspende ermittelt werden soll. (reh)









Die Niederlande sind wählerisch bei der Einwanderung, aber nicht so sehr bei der Organspende

Wer sich in dem Land niederlässt, wird gebeten, sich im Spenderegister eintragen zu lassen. Die Bitte erfolgt in zahlreichen Sprachen.

23.02.2021


Die Leber spielt in der Transplantationsmedizin eine wichtige Rolle. Sie kann bis ins hohe Alter entnommen werden. Anatomisches Modell einer menschlichen Leber.

Annick Ramp / NZZ

Ich trinke nicht viel Alkohol. Das macht mich in gewisser Weise attraktiv, jedenfalls meine Leber. Was soll ich damit machen, wenn ich tot bin? Das ist eine Frage, die ich mir nicht gern stelle; aber ich komme nicht darum herum. In der Post war ein Brief, persönlich an mich adressiert, der mich auffordert, ja zwingt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Der Brief kommt von der niederländischen Ministerin für Volksgesundheit, Wohlfahrt und Sport, Tamara van Ark. Ort der Handlung: Den Haag. Ganz oben, rot und fett gedruckt, steht: «Geben Sie noch heute Ihre eigene Entscheidung an». Nächste Zeile in kleinerem Druck: «betreffend Organ- und Gewebespende».

Wie andere Länder auch, haben die Niederlande ein Organspenderegister. Im Juli vorigen Jahres trat das neue Organspendegesetz in Kraft. Es bestimmt, dass alle Einwohner über 18 Jahre als Spendewillige in das Register aufgenommen werden, es sei denn, sie äussern sich explizit ablehnend. Der Brief der Ministerin soll dazu dienen, mir diese Möglichkeit zu bieten. Er lässt mir vier Optionen: 1. Ich will Spender werden; 2. Nein, ich will kein Spender werden; 3. Ich benenne eine Person, die nach meinem Ableben entscheidet; 4. Mein Partner oder meine Familie entscheidet nach meinem Ableben.

Dualismus von Leib und Seele

Weshalb die erste Option aufgeführt wird, ist nicht ganz ersichtlich, da man ja sowieso als potenzieller Spender ins Register aufgenommen wird, wenn man keinen Einspruch erhebt. Mehr als diese vier Optionen gibt es jedenfalls nicht. Was mich daran etwas irritiert, ist das Alles oder Nichts. Eine bedingte oder teilweise Spendenbereitschaft etwa kommt nicht infrage. Leber, ja, weil ich wenig trinke, aber Herz, nein, denn das ist ja nur für die Erwählte.

So absurd, wie das vielleicht klingt, ist es gar nicht. Mein Herzblut, das Herz aller Dinge, sich etwas zu Herzen nehmen oder es ausschütten und so viele andere Metaphern, die bis unlängst noch etwas bedeuteten: Sind sie auf dem Müllhaufen der Sprachgeschichte gelandet? Ist der eigene Körper in Gänze zum Ersatzteillager geworden? Das ist die wahre Verkörperung des westlichen Dualismus von Leib und Seele, den nicht jeder als Lebensphilosophie akzeptieren mag. Nun, man kann ja die Rückantwort ausfüllen und ablehnen. Wenn man das jedoch nicht tut, ist die Standardoption in jedem Fall die stillschweigende Zustimmung zur Organspende im Fall der Fälle. Daran zeigt sich, dass die niederländische Regierung in dieser Sache keine neutrale Stellung einnimmt, sondern dezidiert um Organspenden wirbt.

Organtransplantation ist das Ergebnis eines eindrucksvollen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts; aber nicht nur. Eine bestimmte, in einer kulturellen Tradition verwurzelte Geisteshaltung gehört auch dazu. Sie besagt, dass der Mensch lebt und auch stirbt mit seinem Gehirn, und dass der Körper nur ein Accessoire ist. Das ist zweifellos ein kulturelles Spezifikum.

Während ich darüber nachdenke, lässt der Brief der Gesundheitsministerin noch andere Überlegungen in meinem Kopf hochkommen. Spende bedeutet auch, dass ich dafür nicht entschädigt werde, weder für meine Leber noch für mein Herz (ausser vielleicht im Himmel). Die Niederlande sind so ziemlich das am meisten kommerziell ausgerichtete Land, das ich kenne. Alles hat einen materiellen Wert, und seine Haut kann, ja muss jeder zu Markte tragen, nicht aber Leber und Herz. Dass diese nur gespendet werden können, muss uneingeschränkt gut finden, wer schon einmal etwas von Organhandel und internationalem Transplantationstourismus gehört hat. Davon hält sich die niederländische Regierung glücklicherweise fern.

Ein Brief in vielen Sprachen

Eine internationale Dimension hat die Aktion des Gesundheitsministeriums in Den Haag freilich dennoch. Der Brief spricht mich persönlich an. Darin ist nicht von «Niederländerinnen und Niederländern» die Rede, sondern von «Menschen in den Niederlanden». Er richtet sich also an die Wohnbevölkerung, die somit auch in dem staatlichen Organspenderegister erfasst wird.

Das gilt nicht nur für EU-Bürger, die Niederlassungsfreiheit geniessen, sondern für alle «Menschen in den Niederlanden». Dass all diese Menschen die niederländische Sprache beherrschen, wird nicht erwartet. Der Brief der Ministerin klärt mich auf der Rückseite darüber auf, dass ich, falls ich ihn nicht lesen kann, eine Übersetzung unter www.donorregister.nl/deutsch finde oder /english oder /español oder /français oder /polski oder /turk oder /chinees. Auf diesen Webseiten findet man in der Tat die relevanten Informationen aus dem Brief in all diesen Sprachen. Warum nicht Maghrebinisch-Arabisch, Italienisch oder Griechisch, frage ich mich. Wie werden die Sprachen ausgewählt?

Da hierzulande Effizienz und Pragmatismus hohe Tugenden sind, darf man annehmen, dass sich das Ministerium die Mühe kaum nur aus symbolischen Gründen gemacht hat oder damit sich chinesisch- und polnischsprachige «Menschen in den Niederlanden» nicht diskriminiert fühlen. Die Chance, dass eine chinesischsprachige Leber gespendet wird, kann nicht so gering sein, dass sich der Aufwand nicht lohnt.

Die Mehrsprachigkeit des Aufrufs zur Spendenbereitschaft entspricht der Mehrsprachigkeit der Bevölkerung. Den Haag ist mehrheitlich eine Minderheitenstadt. So nennt man heute die immer zahlreicher werdenden Städte, in denen die einst einheimische Bevölkerung durch Zuwanderung in die Minderheit geraten ist. Jetzt sind eben auch andere einheimisch.

Der Anteil der gebürtigen Niederländer an der Bevölkerung Den Haags von rund 700 000 ist unter 50 Prozent gerutscht, während die Zahl der nichtwestlichen Zuwanderer stetig zugenommen hat. Sie kommen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien Surinam und Indonesien wie auch aus anderen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas. Als Sitz der niederländischen Regierung ist Den Haag zudem eine weltoffene Stadt mit Botschaften und vielen internationalen Organisationen. Auf der Strasse hört man die unterschiedlichsten Sprachen. Restaurants, Gotteshäuser und Geschäfte verschiedener Provenienz sowie Menschen, deren Kleidung auf nichtniederländische Herkunft hindeutet, prägen das Stadtbild.

Einbürgerung einer Leber

Wer allerdings aus einem Land ausserhalb der EU in die Niederlande einwandern will, steht nach wie vor zunächst einmal vor einem administrativen Hürdenlauf, der bereits vor dem Grenzübertritt beginnt. In den letzten Jahren ist die Regulierung der Zuwanderung immer strenger geworden. Sie sieht einen Integrationstest vor, mit dem Kenntnisse der niederländischen Sprache und Gesellschaft geprüft werden. Material für das Selbststudium wird in den Botschaften zur Verfügung gestellt, aber die Kosten von 150 Euro müssen die Bewerber tragen.

Es ist beschwerlich, die niederländische Staatsangehörigkeit zu erwerben, das gilt auch für eine permanente Aufenthaltsgenehmigung. Demgegenüber haben es Lebern, Herzen und so weiter leicht. Mit anderen Worten, Organspender sind willkommen, einerlei, woher sie kommen, ob sie niederländisch sprechen und gegebenenfalls wie gut oder ob sie sich mit den Sitten und Konventionen der niederländischen Gesellschaft auskennen.

Es zeugt vom Pragmatismus der Behörden, wenn sie die Wohnbevölkerung in zahlreichen Sprachen dazu auffordern, sich im Spenderegister erfassen zu lassen. Sie wissen, dass sie auf Niederländisch nicht alle Menschen in den Niederlanden erreichen. Der Inhalt des Aufrufs zeugt jedoch davon, dass der Staat kulturelle Präferenzen, nämlich die Annahme der Zustimmung zur Organspende als Normalfall, trotz sprachlicher, ethnischer und kultureller Diversifizierung der Bevölkerung aufrechterhält.





14.02.2021




Anästhesist Jörg Hahnenkamp erklärt, warum das Online-Register Organspenden erschweren könnte, statt sie zu fördern.

Herr Hahnenkamp, was stört Sie an den Plänen für ein Online-Register? 

So ein Register könnte wirklich helfen, mehr potenzielle Organspender zu identifizieren. Aber wie es im Gesetz steht, wird das nicht gehen. Denn danach dürften Klinikärzte erst Daten aus dem Register abfragen, wenn die vorgeschriebene Hirntoddiagnostik abgeschlossen ist. Das funktioniert in der Praxis nicht.

Wieso nicht? 

Ziel muss immer sein, dem Willen des Patienten zu folgen, der auf der Intensivstation im Sterben liegt. Das ist der Auftrag des Patientenrechtegesetzes, und darum geht es uns Intensivmedizinern. Der Einblick in das Spenderregister kann uns genau diese Antwort geben: Will der Patient im Todesfall Organe spenden, oder will er nicht? Aber wir brauchen die Antwort schon vor Eintritt des Todes, nämlich dann, wenn wir sehen, dass medizinisch nichts mehr zu machen ist, dass der Mensch unabänderlich sterben wird. Denn zu diesem Zeitpunkt erfolgen Weichenstellungen für die weitere Therapie.

Zur Person

Klaus Hahnenkamp ist Anästhesist und Chef der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik Greifswald. Er ist Sprecher der Sektion Organtransplantation der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Die neue Richtlinie zur Spendererkennung der Bundesärztekammer hat er federführend mitentworfen.

Inwiefern? 

Ein Beispiel: Ein junger Mensch liegt nach einem Unfall mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation. Dabei kommt es oft zu einem gefährlichen Anstieg des Hirndrucks, das Gehirn schwillt an, wir haben vielleicht schon Teile des Schädelknochens entfernt und alles versucht, um den Druck zu senken, können aber den Prozess nicht mehr stoppen. Wenn wir das erleben, wissen wir: Das ist unumkehrbar, der Mensch hat bereits schwere, bleibende Hirnschäden erlitten. Er stirbt. Das ist – ganz unabhängig von einer möglichen Organspende – der Zeitpunkt, wo man als Arzt fragt: Würde der Patient jetzt wollen, dass wir trotzdem weitermachen mit allem? Oder will er das nicht?

Den Patienten können Sie aber nicht mehr fragen

Deshalb suchen wir das Gespräch mit den Patientenvertretern, in der Regel den Angehörigen. Wir informieren sie über die Aussichten, über die Therapieoptionen. Wir fragen sie, ob es eine Patientenverfügung gibt, einen Organspenderausweis. Das sind sehr schwere Fragen, das können Sie mir glauben, in einer sehr belasteten Situation. Und das wäre natürlich auch der Zeitpunkt, in das Spenderregister zu schauen. Damit könnten wir auch die Angehörigen entlasten. Aber das Gesetz verbietet uns das derzeit.

Was passiert, wenn es so bleibt? 

In den meisten Fällen wissen die Angehörigen leider nicht, wie der sterbende Mensch zur Organspende dachte. Denn wir alle sprechen im Alltag einfach noch zu wenig über das Thema. Wenn wir als Ärzte und Ärztinnen also künftig nicht im Register nachschauen dürfen, müssen weiterhin die Angehörigen entscheiden. Das ist die eine Möglichkeit …

Das wäre ja genau wie jetzt. 

Nicht ganz. Denn künftig wird man ja dann zu einem späteren Zeitpunkt in das neue Register schauen. Was, wenn die Angehörigen einer Organentnahme zugestimmt haben, weil sie dachten, ihr Sohn, ihre Tochter hätte es so gewollt – und im Register findet sich dann ein Widerspruch? Oder sie haben abgelehnt und erfahren dann: Der geliebte Verstorbene hätte eine Organspende gewollt? Wie sollen die Angehörigen damit leben, dass sie den Willen ihres Angehörigen nicht erfüllt haben? Das kann für sie eine lebenslange Last werden. Der Druck, der auf ihnen lastet, wird durch die jetzige Regelung noch größer als er ohnehin schon ist. Die Angehörigen sind ja in einer Grenzsituation, wenn so plötzlich ein nahestehender Mensch aus dem Leben gerissen wird.

Was wäre die zweite Möglichkeit, der neuen Bestimmung gerecht zu werden? 

Womöglich sagen Intensivmediziner künftig häufiger: Das Risiko ist zu hoch, dass Angehörige jetzt etwas entscheiden, das sich später durch das Register als falsch herausstellen könnte. Ich fürchte, dass damit künftig häufiger als derzeit gegen die Option Organspende entschieden und die lebenserhaltende Behandlung eingestellt wird.

Also weniger Organspenden statt mehr, obwohl das ja eigentlich das Ziel der Reform war? 

Die Gefahr sehe ich. Es gäbe aber, medizinisch gesehen, einen dritten Weg, wenn die Chance erhalten werden soll, einen möglicherweise im Register hinterlegten Spenderwillen auch zu erfüllen: Man müsste bei allen Patientinnen und Patienten, die im Sterben liegen und für eine Organspende möglicherweise in Frage kommen, lebenserhaltende Maßnahmen fortsetzen und sie durch die für eine Organentnahme vorgeschriebene Hirntoddiagnostik führen. Nur so könnte man die Organe erhalten, bis man das Register konsultieren darf.

Das wäre eine Art Lebenserhaltung „auf Verdacht“, da man zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ob der Sterbende überhaupt seine Organe spenden will. 

Richtig, das ist der Punkt. Ein solches Vorgehen ist theoretisch möglich, praktisch wird es aber nicht dazu kommen. Es ist auch unklar, ob das überhaupt durch das Gesetz gedeckt wäre. So etwas dürfte dann die Gerichte beschäftigen.

Ihr Fazit? 

Unser aller Aufgabe ist es doch, dem Willen des Menschen, der seine Organe spenden will, gerecht zu werden. Die ganz breite Mehrheit der Bevölkerung will ja spenden, das wissen wir seit langem aus Umfragen. Das Spenderregister soll gerade sicherstellen, dass dieser Spenderwille künftig häufiger auch umgesetzt wird. Das geht aber nur, wenn wir das schon im Sterbeprozess und nicht erst danach erfahren. Ich kann nur hoffen, dass wir da noch zu einer Änderung kommen.

Interview: Ursula Rüssmann




MT 13.06.2020


Spenderlunge für Corona-Patientin

Die Pandemie bremst die Transplantationsmedizin weltweit aus. Doch wie ist die Situation in Deutschland? Herzchirurg Jan Gummert aus Bad Oeynhausen klärt auf.

Carolin Nieder-Entgelmeier

Berlin/Bad Oeynhausen.

Die Ausbreitung des Coronavirus stellt die Transplantationsmedizin

weltweit vor gewaltige Herausforderungen. Vielerorts kann nur noch eingeschränkt gearbeitet werden. In Italien und Spanien sind die Zahlen der Organspenden massiv eingebrochen und in China wurden Transplantationen zeitweise sogar komplett ausgesetzt.

Gleichzeitig machen erste Erfolge bei Transplantationen bei Covid-19-Patienten Hoffnung. Doch wie ist die Situation in Deutschland?

„Da die Pandemie in Deutschland bislang sehr glimpflich verlaufen ist, konnte die Transplantationsmedizin ungehindert weiterarbeiten“, erklärt der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen, Jan Gummert. „Mir ist kein Fall bekannt, dass eine Transplantation aufgrund der Krise abgesagt werden musste.“ Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) belegen die Einschätzung: „Im März und April ist es im Vergleich zum Vorjahr nicht zu einem deutlichen Rückgang der Organspende in Deutschland gekommen.“ Patienten müssen laut DSO nicht länger warten als vor der Krise. Insgesamt haben zwischen Januar und Mai 410 Menschen in Deutschland ein oder mehrere Organe gespendet. Im Vergleichszeitraum 2019 waren es 379 und 2018 396. Ein leichter Rückgang der Zahlen im April kann laut Gummert auch auf eine normale Schwankung zurückzuführen sein. „Bei den leider noch immer geringen Spenderzahlen in Deutschland lässt sich nicht sicher sagen, ob der leichte Rückgang im Vergleich zum Vorjahr auf die Pandemie zurückzuführen ist“, ergänzt Gummert. Auf eine Million Einwohner kommen in Deutschland etwa 11,5 Organtransplantationen.

Zum Vergleich: In Spanien sind es 48 auf eine Million Einwohner. In anderen Ländern sind die einbrechenden Zahlen der Organspenden hingegen eine deutlich sichtbare Folge der Pandemie. In Italien und Spanien sind die Zahlen mitunter um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. „Das ist eine Folge der überlasteten Krankenhäuser. Die Krise hat die Gesundheitswesen der Länder so stark überfordert, dass nicht mehr alle Patienten, die auf eine intensivmedizinische Behandlung angewiesen waren, auch auf einer Intensivstation behandelt werden konnten“, erklärt Gummert. „In solchen Krisensituationen ist keine Zeit für Hirntod-Diagnostik, mit der Folge, dass mögliche Organspender nicht identifiziert werden.“ Da das Gesundheitswesen in Deutschland nach Angaben Gummerts zu keinem Zeitpunkt überlastet war, ist auch die Zahl der Organspenden stabil geblieben. „In Deutschland konnten alle Patienten, die auf intensivmedizinische Behandlung angewiesen waren, auch betreut werden. Es war also weiter Zeit für die Hirntod-Diagnostik, die mitunter mehrere Tage dauert.“ Trotz der stabilen Lage belastet die Pandemie auch die Transplantationsmedizin in Deutschland. Risikominimierung ist hier das wichtigste Stichwort. Organspender und -empfänger werden auf das Coronavirus getestet. Zudem wird bei beiden Gruppen auch nach Aufenthalten in Corona-Risikogebieten und Kontakt zu Infizierten oder Verdachtsfällen gefragt. Laut Gummert kann eine Infektion mit dem Coronavirus durch eine Organtransplantation unvorhersehbare Folgen für den Empfänger haben. „Eine aktive Infektion schließt Spende und Transplantation deshalb aus.“ Möglich sind aber offenbar auch Transplantationen bei Covid-19-Patienten, wenn diese nicht mehr infektiös sind. Im Allgemeinen Krankenhaus Wien gelang Ärzten im Mai die erste Lungentransplantation bei einer Covid-19-Patientin in Europa. Nach Angaben der Klinikleitung wäre die 45-jährige Patientin ohne Transplantation aufgrund eines schweren Lungenversagens gestorben. Grundsätzlich gilt laut DSO auch in der Corona- Krise für alle Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, der Grundsatz, dass die Entscheidung über die Transplantation nur unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für den Empfänger erfolgt. Spätestens seit der Transplantation bei der Covid-19-Patientin in Wien stellen sich Experten die Frage, ob das Coronavirus den Bedarf an Transplantationen erhöhen wird. Trotz der noch vielen offenen Fragen zum Virus beobachten Intensivmediziner, dass Covid-19 nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe wie das Herz oder die Nieren schwer schädigen kann. „Trotzdem kann aktuell niemand seriös abschätzen, ob der Bedarf an Transplantationen steigen wird“, sagt Gummert. Doch auch wer ein dringend benötigtes Organ erhalten hat, ist durch das Coronavirus weiterhin in Gefahr,weil Transplantierte zur Hochrisikogruppe zählen. Insbesondere in Ländern, in denen das Gesundheitssystem überfordert wurde, lag die Mortalität transplantierter Patienten laut der Deutschen Transplantationsgesellschaft nochmals höher.