Eine Lebertransplantation in zwei Schritten, insbesondere mit einer Lebendspende, ist eine für Spender und Empfänger sichere Therapiemöglichkeit bei nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen. Zu diesem Ergebnis kommen Chirurgen des Universitätsklinikums Jena in ihrer jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ veröffentlichten Auswertung einer Fallserie. Wegen der z.B. bei Lebermetastasen noch normalen Organfunktion und gesetzlichen Vorgaben stehen für diese Patienten nach den Wartelistenkriterien keine Spenderorgane zur Verfügung.
Weit über 1200 Patientinnen und Patienten wurden in Deutschland im Jahr 2021 auf die Warteliste für eine Lebertransplantation gesetzt. Der häufigste Grund dafür war eine Leberzirrhose, bei der das Gewebe des zentralen Stoffwechselorgans durch chronische Entzündungen, Alkoholschädigung oder Vergiftungen seine Funktionsfähigkeit verliert. Aber auch Krebserkrankungen können die Ursache dafür sein, dass Betroffene auf eine neue Leber angewiesen sind. Dazu zählen auch Absiedlungen von Tumoren anderer Organe, die die Leber so durchsetzen, dass sie nicht operiert werden können. Allerdings haben diese Patienten kaum eine Chance auf das Organ eines verstorbenen Spenders, weil ihre Leberfunktion weniger eingeschränkt ist als bei einer Zirrhose und die verbleibende Organfunktion ein zentrales Kriterium für die Vergabe der raren Spenderorgane darstellt.
Neben der Transplantation der Organe Verstorbener betreibt die Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Jena ein erfolgreiches Leberlebendspende-Programm. Nach Prüfung durch eine Ethikkommission können Gesunde für Bezugspersonen ein Teilorgan spenden, das das kranke Organ ersetzt. Wegen der besonderen Regenerationsfähigkeit der Leber übernehmen der transplantierte Teil und das Restorgan jeweils die volle Organfunktion.
Lebendspende im Zwei-Schritt-Verfahren
„Es ist die anhaltende Knappheit an Spenderorganen, die unsere klinische und wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet motiviert und antreibt“, so Prof. Dr. Utz Settmacher, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie. Zusammen mit Kollegen aus Brüssel, Padua, Oslo, München und Tübingen stellten die Jenaer Chirurgen jetzt im Fachjournal „Annals of Surgery“ ihre Transplantationserfahrungen bei Patienten vor, die nicht an einer Zirrhose, sondern zumeist an Darmkrebsmetastasen in der Leber litten. Das Besondere: Die Transplantation erfolgte im Zweischritt-Verfahren. Dabei wurde zur Schonung des Spenders ein möglichst kleiner Leberteil entnommen und verpflanzt. Beim Empfänger verblieb zur Absicherung der Organfunktion zunächst ein Teil der erkrankten Leber. Jedoch verringerten die Transplanteure die Durchblutung dieses Leberteils, um das Transplantat zum Wachsen anzuregen. Nach etwa zwei Wochen kann es die Leberfunktion komplett übernehmen und die kranke Restleber wird entfernt.
Von den 23 in der Studie analysierten Patienten wurden 20 mit einer Leberlebendspende behandelt. Drei erhielten einen Organteil eines verstorbenen Spenders, die jeweils anderen Organteile wurden auch transplantiert. Die meisten Studienpatienten wiesen nicht-operable Metastasen aus einer Darmkrebserkrankung auf. „Wir haben ein umfangreiches Datenmaterial bezüglich der Grunderkrankungen sowie relevanter anatomischer und operationstechnischer Details zusammengetragen und analysiert, um die Ergebnisse bei Empfängern und Spendern zu beurteilen“, betont Letztautor Prof. Dr. Falk Rauchfuß.
Spenderrisiko minimiert und Warteliste entlastet
Fazit: Sowohl die Organempfänger als auch die Lebendspender haben die Eingriffe gut überstanden. Auftretende Komplikationen nach der Operation waren mit denen bei ähnlichen großen Operationen vergleichbar und konnten früh erkannt und behandelt werden. Falk Rauchfuß: „Die zweistufige Lebertransplantation ist eine Behandlungsoption für Patienten mit nicht-zirrhotischen Lebererkrankungen, die das Spenderrisiko minimiert und nicht zu Lasten der Warteliste geht.“
Das Jenaer Transplantationsteam setzt seine Forschung gemeinsam mit Kollegen der Universitätsklinik Tübingen fort. Mit Förderung der Deutsche Krebshilfe führen sie eine prospektive klinische Studie zu Leberlebendtransplantationen bei Lebermetastasen aus einer Darmkrebserkrankung durch. Die erste Patientin konnte bereits in die Studie aufgenommen werden. Utz Settmacher: „Unter kontrollierten Studienbedingungen wollen wir untersuchen, welche Patientenkriterien Einfluss auf die Ergebnisse – zum Beispiel das Kurzzeit- und Langzeitüberleben oder die Tumorfreiheit – haben, um Erkenntnisse über die Dynamik nach der Transplantation zu gewinnen. So wollen wir herausfinden, welchen Patientinnen und Patienten diese Therapie am besten nutzt.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
apl. Prof. Dr. Falk Rauchfuß, Falk.Rauchfuss@med.uni-jena.de Prof. Dr. Utz Settmacher, Utz.Settmacher@med.uni-jena.de Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena
25.01.2023
Kritik aus Regierung
Weniger Organspender: Widerspruch gegen Lauterbachs Widerspruchslösung
Gesundheitsminister Lauterbach tritt erneut für die Widerspruchslösung bei Organspenden ein. Kritik kommt aus den eigenen Reihen: Das geltende Gesetz sei ja noch gar nicht umgesetzt.
Berlin Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erhält wegen seines erneuten Vorstoßes zur Neuregelung der Organspende Widerspruch aus den Reihen der Ampel-Koalition. Zugleich teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit, dass das geplante Online-Organspenderegister voraussichtlich im ersten Quartal 2024 an den Start gehen werde. Es sollte ursprünglich bereits am 1. März 2022 einsatzbereit sein.
Lauterbach hatte sich in der vergangenen Woche mit Blick auf zurückgehende Organspende-Zahlen erneut für die Einführung einer Widerspruchslösung stark gemacht. Danach wäre jeder Bundesbürger ein potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Eine entsprechende Reformforderung war 2020 im Bundestag gescheitert. In Deutschland gilt derzeit, dass nur derjenige Organspender sein kann, der dem zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.
Lauterbach: Zustimmungslösung ist gescheitert
2020 hatte der Bundestag zugleich weitere Maßnahmen beschlossen, die zu mehr Aufklärung und einer höheren Spendenbereitschaft in Deutschland beitragen sollten, darunter mehr Informationen in Bürgerämtern und Führerscheinausgaben sowie das Organspenderegister. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, betonte Lauterbach vergangene Woche.
Die Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, sagte dazu der „Welt“ (Mittwoch): „Ein Gesetz für gescheitert zu erklären, bevor es umgesetzt wurde, ist verfrüht.“ Lauterbachs Aufgabe sei es, im Schulterschluss mit den Ländern die vom Bundestag beschlossenen Maßnahmen zügig und umfassend umzusetzen. „Anzunehmen, dass die Widerspruchsregelung hier den entscheidenden Unterschied macht, ist nicht schlüssig.“
Abgeordnete dringen auf Strukturreformen
Der Organspende-Weltmeister Spanien zeige: Nicht die Einführung einer Widerspruchsregelung, sondern Strukturreformen Jahre später machten den entscheidenden Unterschied, betonte Kappert-Gonther: „Der Bundestag hat mit breiter Mehrheit festgestellt, dass Menschen nicht automatisch zu Spendern erklärt werden sollen. Schweigen darf nicht Zustimmung bedeuten.“
Auch Christine Aschenberg-Dugnus, parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, bemängelte: „Ursächlich für den Rückgang der Bereitschaft zur Organspende ist nicht das Gesetz. Es hakt hier vielmehr an seiner konkreten Umsetzung“, so die Gesundheitsexpertin. „Wir müssen jetzt dringend den Aufbau eines Transplantationsregisters sowie die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voranbringen.“ Auch sei die ärztliche Aufklärung über die Organspende wieder zu intensivieren. (KNA) e
Was, wenn Sie selbst ein Organ brauchen?
Die Zahl der Organspender nimmt weiter ab. Gesundheitsminister Lauterbach fordert erneut eine Widerspruchslösung. Schreiben Sie uns, was Sie zur Organspende denken.
Man liegt im Krankenhaus und nach einem Unfall oder einer Erkrankung wird klar: Die Niere oder Leber funktioniert nicht mehr. Die meisten Menschen würden sich in diesem Fall wohl ohne große Bedenken für eine Organtransplantation entscheiden – also dafür, dass ein funktionstüchtiges Organ eines anderen Menschen bei ihnen eingepflanzt wird.
Auf der Seite der Spendenden ist die Lage aber komplizierter. Das gilt weniger für die Lebendspende, bei der Angehörige oder Freunde Organe spenden, meist eine Niere, als für die Spende nach dem Tod. Denn damit nach dem Hirntod eines Menschen dessen Organe entnommen werden dürfen, bedarf es einer expliziten Einwilligung per Organspendeausweis oder Patientenverfügung oder einer Zustimmung der Angehörigen. 2022 gab es der Deutschen Stiftung Organtransplantation zufolge nur 869 Menschen, die nach ihrem Tod zu Organspendern wurden.
Unabhängig von der individuellen Entscheidung ist die Chance, dass ein Verstorbener als Organspender infrage kommt, relativ gering. Bei den meisten Menschen sind die Organe zum Zeitpunkt des Todes schon so stark geschädigt, dass sie einem Lebenden kaum nützen würden. Außerdem müssen die Organe schnell entnommen werden. In der Statistik von Eurotransplant stehen den 2.900 entnommenen Organen, die im vergangenen Jahr gemeldet wurden, rund 8.500 Menschen gegenüber, die auf ein Spenderorgan warten.
Im Januar 2020 hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Organspende diskutiert. Schon damals ging es um die Einführung einer Widerspruchslösung – dass also jede und jeder automatisch Spender ist, wenn er oder sie sich nicht explizit dagegen entscheidet. Die Widerspruchslösung bekam in der Gewissensentscheidung des Bundestags aber keine Mehrheit. Stattdessen wurde beschlossen, dass Menschen bei Terminen auf Ämtern besser über das Thema informiert werden sollen. Die Zahl der Spendenden ist dadurch aber bislang nicht gestiegen, sondern zuletzt sogar gesunken. Jetzt drängt Gesundheitsminister Karl Lauterbach erneut auf die Widerspruchslösung.
Wir wollen von Ihnen wissen, wie Sie über das Thema Organspende denken – in der Theorie und in der Praxis. Haben Sie einen Organspendeausweis? Welche Überlegungen stecken hinter der Entscheidung? Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie für Angehörige/Freunde oder Ihnen Unbekannte spenden würden? Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie selbst ein Spenderorgan benötigen? Empfinden Sie es als ungerecht, dass Menschen gern Spenderorgane annehmen, selbst aber nicht spenden wollen? Was halten Sie von der Widerspruchslösung, um die Zahl der Organspenderinnen zu erhöhen? Welche Alternativen sehen Sie? Welche Erfahrungen haben Sie als Spenderin oder Empfänger mit der Organspende gemacht?
Mindener Tageblatt 20.01.2023
Zahl der Organspender bricht ein 869 Menschen sind 2022 nach ihrem Tod zu Lebensrettern geworden, 64 weniger als noch 2021. Um diesen Trend umzukehren, fordern Politiker und Ärzte die Einführung der Widerspruchslösung.
Carolin Nieder-Entgelmeier Berlin/Bad
Oeynhausen. Die Zahl der Organspenden ist in Deutschland 2022 deutlich gesunken – im Vergleich zum Vorjahr um 6,9 Prozent. „Das ernüchternde Fazit ist, dass wir weniger Menschen mit einer lebensrettenden
Transplantation helfen konnten“,
erklärt Axel Rahmel, medizinischer Vorstand
der Deutschen
Stiftung Organtransplantation. Für die Patienten auf den Wartelisten ist diese Entwicklung lebensbedrohlich, denn jedes Jahr sterben 1.000 Menschen, während sie auf ein Organ warten. Der
deutliche Rückgang
der Organspenden facht die Debatte über eine Reform der Spenderegeln wieder
an, denn Deutschland ist eines der wenigen EU-Länder
ohne Widerspruchslösung,
bezieht jedoch Organe aus Ländern mit dieser Regel. Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht fest: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“ 869 Menschen
haben 2022 nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als 2021. Das geht aus der Bilanz der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor, der bundesweiten Koordinierungsstelle für
Organspenden. Die
Zahl entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in der EU liegt bei 18,4 Spendern. Aus Sicht der DSO lässt sich der starke Rückgang der Organspendezahlen vor allem pandemiebedingt auf die ersten Monate 2022 zurückführen. Im ersten Quartal brachen die Zahlen um 30 Prozent ein, danach stabilisierten sie sich
auf dem Niveau der Vorjahre. „Die Kernfrage bleibt, warum keine Steigerung der Organspende erzielt werden konnte“, sagt Rahmel. Die Statistiken zeigten, dass von allen
Spendermeldungen 2022 im Vergleich zu den Vorjahren weniger Spenden realisiert werden konnten: „Der häufigste Grund dafür ist fehlende Einwilligung.“ Rahmel fordert, die Organspende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. „Umfragen in der Bevölkerung zeigen, dass acht von zehn Bundesbürgern die Organspende befürworten. Angehörige entscheiden sich aber aus Unsicherheit häufig dagegen, da der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist.“ Hier sei dringend Aufklärung nötig. Zu entscheidenden Verbesserungen haben die Aufklärungskampagnen der
vergangenen Jahrzehnte nach
Einschätzung von Herzchirurg Jan Gummert jedoch nicht geführt. „Eine Wende erreichen wir in Deutschland nur durch die Einführung der Widerspruchslösung“, sagt der ärztlicher Direktor am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen. „Es ist nicht hinzunehmen, dass
Deutschland nach wie vor auf Spenderorgane aus dem Ausland angewiesen ist, um schwerkranken Menschen lebensrettende Therapien anbieten zu können.“ 358 Herztransplantationen sind laut DSO im vergangenen Jahr in Deutschland durchgeführt worden. „46 dieser Herzen kamen von Spendern aus Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt. Deutschland führt diese Organspenderegeln nicht ein, profitiert aber von Ländern, die das längst ge macht haben. Das ist beschämend und lässt sich moralisch nicht rechtfertigen“, moniert Gummert. In Ländern mit der Widerspruchslösung gelten Bürger automatisch als Organspender, es sei denn, sie widersprechen. „In 20 europäischen Ländern hat man sich längst dafür ausgesprochen“, erklärt Gummert. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Ein erster Anlauf für die Einführung der Widerspruchslösung scheiterte vor drei Jahren im Bundestag. Stattdessen beschloss der Bundestag ein Gesetz, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt bleiben. Mehr Aufklärung solle aber mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Organspende zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform, ein Register, in dem man Erklärungen zu seiner
Spendebereitschaft online
speichern kann, wurde bisher allerdings
nicht eingerichtet. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert deshalb den Vorstoß von Lauterbach.
„Der Gesundheitsminister lenkt von seinem eigenen Versagen ab“,
moniert Vorstand Eugen Brysch. Seit Jahren kämen der Aufbau des Registers und eine ebenfalls vorgesehene Informationspflicht
bei Bürgerämtern nicht voran. Auch Gummert kritisiert, dass sich in den vergangenen
drei Jahren kaum etwas getan hat. „Doch auch das Register, sollte es denn jemals eingerichtet werden, wird keine Wende bringen.“ Laut Gummert gibt es noch einen weiteren
Grund dafür, warum die Transplantationszahlen in anderen Ländern höher sind:
„In vielen
europäischen Ländern und auch in den USA, Kanada und Australien dürfen auch nach einem Herztod Organe entnommen und
transplantiert werden. In Deutschland ist das nur bei einem Hirntod zulässig.“ Das führe in der Praxis zu
Problemen bei
der internationalen Zusammenarbeit bei Eurotransplant, sagt Gummert. „Auch hier führt der deutsche Sonderweg zu Problemen im System und für die Menschen auf den Wartelisten, denn Organe von
herztoten Spendern aus dem Ausland dürfen in Deutschland nicht transplantiert werden.“
Kommentar“
Widerspruchslösung muss kommen Thema: Zahl der Organspender in Deutschland sinkt CAROLIN NIEDER-ENTGELMEIER Es könnte jeden von uns treffen: Eine Erkrankung oder ein Unfall schwächt das Herz, die Lunge oder die Leber so stark, dass nur noch eine Organspende das Überleben sichert. Doch würden Sie die Spende annehmen? Ja, oder? Hier wird kaum jemand lange überlegen müssen. Diese Mehrheit, die selbstverständlich das lebensrettendeOrgan in Anspruch nehmen würde, hat sich jedoch selbst nicht für oder gegen eine Spende entschieden. Nur 44 Prozent der Deutschen haben ihren Willen dokumentiert und helfen damit den 8.500 Menschen, die derzeit auf ein Organ warten. Denn die meisten Organspenden scheitern daran, dass die Angehörigen den Willen von Verstorbenen nicht kennen und die Spende aus Unsicherheit ablehnen. Möglich ist das, weil in Deutschland die Entscheidungslösung gilt. Bürger werden nur dann Organspender, wenn sie dem ausdrücklich zustimmen. Doch obwohl die große Mehrheit der Deutschen der Organspende positiv gegenübersteht, treffen die meisten keine Entscheidung. Grund für den Organmangel sind deshalb die, die sich vor einer Entscheidung drücken. Hier setzt die Widerspruchslösung an, denn sie verlangt Bürgern eine Entscheidung ab. Jeder, der nicht widerspricht, ist Organspender. Die Mehrheit des Bundestags traut diese Entscheidung der Bevölkerung jedoch nicht zu, denn bei der letzten Abstimmung wurde die Widerspruchslösung abgelehnt. Am Status quo hat sich seitdem nichts geändert, Deutschland importiert weiter Organe aus Ländern mit Widerspruchslösung. Es ist Zeit, dass sich diese Politiker eingestehen, dass man mündigen Bürgern diese Entscheidung zumuten kann und muss. Denn der freie Wille bleibt erhalten und anders lassen sich die vielen Tausend Menschen auf den Wartelisten nicht retten. carolin.nieder-entgelmeier@ihr-kommentar.de
Westfalen Blatt 18.01.2023
2700 Verpflanzungen in 34 Jahren: Oeynhausener Mediziner haben die größte Erfahrung
Rekordjahr am Herzzentrum: 96 Herzen transplantiert
Von Christian Althoff
Bad Oeynhausen (WB). Am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ) in Bad Oeynhausen sind im vergangenen Jahr 96 Herzen transplantiert worden – 52 Prozent mehr als im Jahr davor und so viele wie in keinem anderen Zentrum in Deutschland. Insgesamt sind im vergangenen Jahr in den 14 entsprechenden deutschen Kliniken 358 Herzen verpflanzt worden. „Mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte war 2022 für uns ein Rekordjahr“, sagte HDZ-Sprecherin Anna Reiss. „Transplantationszahlen in dieser Größenordnung hatten wir zuletzt vor 30 Jahren, als 105 Herzen übertragen wurden.“ Das absolute Rekordjahr war 1991 mit 148 Organ-Übertragungen. Die wenigsten Herzen wurden 2007 im HDZ verpflanzt, nämlich 61.
Ein
Soldat aus
Bielefeld war der erste Patient, dem 1989 in Bad Oeynhausen ein fremdes
Herz eingesetzt wurde. Er lebte 13 Jahre mit dem Organ. Seit damals haben Ärztinnen und Ärzte im Herzzentrum mehr als 2700 Herzen übertragen, weshalb sie die größte Erfahrung in Deutschland haben. „Zu
den Besonderheiten
im vergangenen Jahr zählten auch acht Kinderherz-Transplantationen“, sagt Prof. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor und Chef der Klinik für Thorax- und
Kardiovaskularchirurgie, in der 88 Erwachsene ein
neues Herz bekommen hatten. Im Kinderherzzentrum seien erstmals zwei kleine Patienten transplantiert worden,
die eine andere Blutgruppe als das
Spenderorgan gehabt hätten. Außerdem sei Prof. Eugen Sandica, dem Direktor der Kinderherzchirurgie, die
Transplantation bei einem erst wenige Monate alten Baby gelungen. Die aus Bad Oeynhausen gemeldeten, positiven Zahlen spiegeln allerdings keinen Trend bei der Spendebereitschaft für Organe wider. Insgesamt sank die Zahl aller gespendeten Organe bundesweit im vergangenen Jahr um knapp sieben Prozent. Dass Bad Oeynhausen seine Zahlen trotzdem steigern konnte, kann auch daran liegen, dass Chirurgen gelegentlich aus purer Not Organe akzeptieren, die sie vielleicht zu
Zeiten eines größeren Angebots abgelehnt hätten. Und: Es werden zunehmend Organe Verstorbener aus dem Ausland genutzt. Prof. Gummert: „In 20 europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung. Wer sich nicht gegen eine Organentnahme ausspricht, wird nach dem Tod zum Organspender.“ Es sei kaum vermittelbar, sagt Prof. Gummert, das Deutschland von der Widerspruchslösung in anderen Ländern profitiere, sie aber im eigenen Land ablehne. „Das sollte sich ändern und dafür trete ich in Fachgesellschaften und gegenüber Entscheidungsträgern seit langem ein.“ Bundesweit warteten im Moment mehr als 700 Menschen auf ein Herz, im HDZ seien es mehr als 100. Während
die eigentliche Transplantation in Bad Oeynhausen Routine ist, sind die Nachsorge und das Einstellen der
Transplantierten auf Medikamente oft hochkomplex. Durch die Erfahrung des
HDZ lebten heute mehr als 60 Prozent der Patienten
zehn Jahre nach der OP noch mit einer „akzeptablen
Lebensqualität“, sagt
Sprecherin Anna Reiss.
Lauterbach möchte Organspende neu regeln: Daran gibt es Kritik
Karl Lauterbach möchte im Bundestag erneut über die Widerspruchslösung bei Organspenden abstimmen lassen. Diese Lösung sieht vor, dass, wer nicht Organe spenden möchte, aktiv Widerspruch einlegen muss. Die „Stiftung Patientenschutz“ wirft Lauterbach vor, mit diesem erneuten Vorstoß von einem „eigenen Versagen abzulenken“. Es gäbe nicht einmal ein Transplantationsregister.
Lauterbach: Patientenschützer werfen Ablenkungsmanöver vor
„Patientenschützer haben den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scharf kritisiert, angesichts gesunkener Organspendezahlen einen neuen Anlauf für grundlegend neue Spenderegeln zu starten. „Karl Lauterbach lenkt von seinem eigenen Versagen ab“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Dienstagsausgaben).
„Denn nicht das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist gescheitert, sondern die Umsetzung durch den Bundesgesundheitsminister.“ Seit Jahren kämen weder der Aufbau eines Transplantationsregisters noch die Informationspflicht bei den Bürgerämtern voran. „Stattdessen will der Gesundheits-Ressortchef die von ihm favorisierte Widerspruchslösung erzwingen“, so Brysch. Doch damit seien er und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) bereits in der vergangenen Wahlperiode gescheitert.
„Der Bundesgesundheitsminister muss jetzt verbindlich erklären, wann das Transplantationsregister ans Netz geht“, forderte der Verbandschef. Zuvor war bekannt geworden, dass die Zahl der Organspenden im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist. Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Montag mitteilte, gab es 6,9 Prozent weniger Spenden als 2021. Lauterbach erklärte danach: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“
Viele Menschen seien zwar zur Organspende bereit, dokumentierten das aber nicht. „Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen. Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten“, sagte der SPD-Politiker.“
Organspende: Zahlen rückläufig, neue Debatte über Reform
Januar 2023
Berlin – Angesichts eines deutlichen Rückgangs bei lebensrettenden Organspenden in Deutschland kommt die Debatte über eine weitreichende Reform wieder in Gang. Die Zahl der Organspenden sank im vergangenen Jahr deutlich.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach drängte heute auf einen neuen Anlauf für grundlegend andere Spenderegeln. „Das geltende Gesetz ist gescheitert“, sagte der SPD-Politiker. Viele Menschen seien zwar zur Organspende bereit, dokumentierten das aber nicht.
Deswegen sollte der Bundestag einen erneuten Anlauf nehmen, über die Widerspruchslösung abzustimmen.“ Lauterbach sagte zur Begründung für einen neuen Anlauf: „Das sind wir denjenigen schuldig, die vergeblich auf Organspenden warten.“
Widerspruchslösung bedeutet, dass alle Menschen zunächst automatisch als Spender gelten sollen – außer man widerspricht. Ein erster Anlauf dazu war im Januar 2020 gescheitert. Stattdessen beschloss der Bundestag eine Entscheidungslösung – eine Gesetzesregelung, wonach Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt bleiben.
Demnach soll aber eine stärkere Aufklärung mehr Bürger dazu bewegen, konkret über eine Spende nach dem Tod zu entscheiden. Ein Kernstück der Reform, ein neues Register, in dem man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern kann, wurde bisher jedoch gar nicht eingerichtet. Die Umsetzung liegt weit hinter dem Zeitplan.
Zustimmung und Kritik
Lauterbachs Vorstoß stieß heute auf Gegenliebe und Kritik. „Die Einführung der Widerspruchslösung bietet die Chance, dass mehr Organe gespendet werden und dadurch mehr Menschen ein lebensrettendes Spenderorgan bekommen“, sagte zum Beispiel Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).
Unabhängig von der Einführung der Widerspruchslösung dürfe man bei den Anstrengungen nicht nachlassen, die Menschen dazu motivieren, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen und eine Entscheidung zu treffen.
Auch Baden-Württembergs Ressortchef Manne Lucha unterstützte einen neuen Anlauf. „Es sterben Menschen, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen.“ Das dürfe nicht sein, sagte der Grünen-Politiker. Der Bundestag sollte das Thema schnell auf die Tagesordnung bringen. Organspenden gingen bundesweit seit Jahren zurück. „Anders als mit der Widerspruchslösung können wir dieses Problem nicht lösen.“
Kritik kommt hingegen aus der Riege der Abgeordneten, die damals die heute bestehende Entscheidungslösung in den Bundestag eingebracht hatten und sich damit durchsetzen konnten. „Das Gesetz als gescheitert zu erklären, bevor es umfassend umgesetzt und seine Umsetzung evaluiert worden ist, halte ich für verfrüht“, sagte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) dem Deutschen Ärzteblatt.
Die Aufgabe von Karl Lauterbach als Gesundheitsminister sei es, im Schulterschluss mit den Ländern die von Bundestag beschlossenen Maßnahmen zur Stärkung der Organspende – insbesondere auch die Einrichtung des Onlineorganspenderegisters – zügig und umfassend umzusetzen.
„Dass die Zahlen der realisierten Organspenden zwischen den Bundesländern stark schwanken, könnte darauf hinweisen, dass die Strukturverbesserungen noch nicht überall gleich stark greifen“, sagte die Gesundheitspolitikerin der Grünen. Sie halte es für essenziell, die strukturellen Gründe zu identifizieren und zu beheben, damit überall all diejenigen Organspenderinnen und Organspender werden, die das wollten.
Auch der Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger (CSU) hatte sich damals gegen eine Widerspruchslösung gestellt. Er sagte dem Deutschen Ärzteblatt heute, Bundesgesundheitsminister Lauterbach und das ihm unterstehende Bundesgesundheitsministerium hätten es nach mehr als einem Jahr Amtszeit nicht geschafft, das für die Entscheidungslösung maßgeblich notwendige Organspenderegister aufzubauen.
„Auf meine entsprechende Anfrage im letzten Sommer, wann das eigentlich für den 1. März 2022 geplante Register tatsächlich arbeitsfähig sein wird, hieß es vom Bundesgesundheitsministerium, dass sich die Arbeiten wegen der anhaltenden Coronapandemie verzögerten, so dass es ,frühestens Ende 2022' freigeschaltet werden könne. Dies ist bekanntlich noch immer nicht der Fall“, so Pilsinger.
Er rief Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf, „keine politischen Spielchen“ zu spielen, um eine politische Niederlage rückgängig zu machen. Der Minister solle vielmehr „endlich die organisatorischen Voraussetzungen“ für die von einer deutlichen Mehrheit des Bundestages beschlossene Entscheidungslösung schaffen.
„Wie Minister Lauterbach auf die Idee kommen kann, gerade jetzt das Thema Widerspruchslösung bei der Organspende wieder aufzumachen, kann ich in keiner Weise nachvollziehen“, sagte Kathrin Vogler (Linke) dem Deutschen Ärzteblatt. Die Entscheidungslösung, die im Bundestag eine überdeutliche Mehrheit gehabt habe, sei „noch nicht ansatzweise umgesetzt“. „Hier betreibt das Gesundheitsministerium unter Karl Lauterbach ebenso wie unter Jens Spahn schlicht Arbeitsverweigerung.“
Vogler verwies darauf, dass die desaströse Lage in den Krankenhäusern durch eine Widerspruchslösung auch nicht verändert werde. „Wir wissen schon lange, dass das entscheidende Nadelöhr bei der Organentnahme nicht die fehlende Zustimmung der potenziellen Organgeber oder ihrer Angehörigen ist“, sagte sie. Es sei vielmehr die Belastung der Intensivstationen.
„Ich finde, der Minister sollte sich darauf konzentrieren, hier für Verbesserungen zu sorgen und damit die Bedingungen zu schaffen, die für die Organentnahme notwendig sind, anstatt sich mit einem Projekt zu verkämpfen, mit dem er bereits in der letzten Legislaturperiode eine krachende Niederlage eingefahren hat und von dem überhaupt keine Verbesserung für die Versorgung von Patienten auf der Warteliste für Transplantationen zu erwarten ist“, so Vogler.
Einbruch der Zahlen
Wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) heute mitteilte, ist sowohl die Zahl der Spender als auch die Zahl der Transplantationen im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen.
Für 2022 verzeichnet die Stiftung ein Minus von 6,9 Prozent bei der Zahl der Spender. In den vergangenen zwölf Monaten haben 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 64 weniger als im Vorjahreszeitraum und entspricht 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner, wie die DSO mitteilte.
Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.662 (Vorjahreszeitraum: 2.905). Damit ging die Zahl der postmortal entnommenen Organe um 8,4 Prozent im Vergleich zu 2021 zurück.
Zeitgleich konnten in den 46 deutschen Transplantationszentren auch weniger Organe eingesetzt werden: Ihre Zahl sank von 2.979 im Jahr 2021 auf 2.795 Organe (2022). Damit wurde 2.695 schwer kranken Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2021: 2.853). Gleichzeitig stehen in Deutschland derzeit rund 8.500 Menschen auf den Wartelisten für ein Organ.
Aus Sicht der DSO spielen mehrere Gründe für die Entwicklung der Organspendezahlen im vergangenen Jahr eine Rolle. Die Coronapandemie und die daraus resultierenden Krankenstände beim Personal in den Kliniken belasteten Anfang 2022 das gesamte Gesundheitssystem – dies trug wesentlich zu dem starken Einbruch der Organspendezahlen um 30 Prozent im ersten Quartal 2022 bei, wie der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, erklärte.
„Der häufigste Grund, warum eine Organspende nicht erfolgt, ist die fehlende Einwilligung“, so Rahmel. Mit dem zunehmenden Alter der Spender spielten aber auch medizinische Ausschlussgründe eine immer größere Rolle. Im vergangenen Jahr war bei der Hälfte der möglichen Organspenden, die nicht realisiert werden konnten, eine fehlende Einwilligung der Grund.
Gleichzeitig sei auffällig, dass diese Ablehnung der Organspende in weniger als einem Viertel der Fälle auf einem bekannten schriftlichen (7,3 Prozent) oder mündlichen (16,3 Prozent) Willen der Verstorbenen basierte, so Rahmel.
In 42 Prozent sei die Ablehnung aufgrund des vermuteten Willens der Verstorbenen erfolgt, 35 Prozent der Ablehnungen beruhten auf der Einschätzung der Angehörigen nach ihren eigenen Wertvorstellungen, da ihnen nicht bekannt war, was die oder der Verstorbene zum Thema Organspende gewünscht hätte.
Die Entwicklung zeige, so Rahmel, wie sensibel und volatil das System der Organspende auf Störungen reagiere und damit aus dem Takt gerate: „Wir brauchen das volle Engagement der Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in den Kliniken, die Unterstützung der Politik und vor allem auch die Zustimmung der Bevölkerung.“ Rahmel fordert, es sei an der Zeit, die Organspende endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.
Von Martina Feichter , Medizinredakteurin und Biologin
28.11.2023
Immunsuppression und Impfung
Wenn das Immunsystem geschwächt beziehungsweise unterdrückt ist (Immunsuppression), sind Impfungen als Schutz vor Krankheitserregern besonders wichtig – oder aber unwirksam oder sogar gefährlich. Das Thema Immunsuppression und Impfung ist also sehr komplex. Lesen Sie hier, was es hier zu beachten gilt und welche Impfungen bei Immunsuppression ratsam oder verboten sind!
Was muss man bei einer Immunsuppression und Impfung beachten?
Bei Menschen mit einer Immunsuppression (Immundefizienz, Immunschwäche) arbeitet das Immunsystem nicht optimal – es ist in seiner Funktionsfähigkeit mehr oder weniger stark eingeschränkt. Der Grund dafür kann eine angeborene oder erworbene Erkrankung oder eine immunsuppressive Therapie sein.
Im Zusammenhang mit Impfungen ergeben sich mehrere Aspekte, die es zu beachten gilt:
Erhöhte Anfälligkeit für Infekte
Für Menschen mit einer Immunsuppression sind verschiedene Impfungen noch wichtiger als für Immungesunde. Ihre eingeschränkte Körperabwehr kann sich Krankheitserregern nämlich nicht so gut widersetzen. Deshalb sind Immunsupprimierte generell anfälliger für (schwere) Infektionen. Einige Beispiele:
Rheuma-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Grippe und Pneumokokken-Infektionen. Letztere können sich etwa als gefährliche Lungen- oder Hirnhautentzündung manifestieren.
Wer etwa aufgrund von Rheuma oder Morbus Crohn Immunsuppressiva vom Typ TNF-alpha-Blocker erhält, hat ein erhöhtes Risiko für Tuberkulose.
Bei krankheits- oder therapiebedingter Immunsuppression ist es also besonders ratsam, die körpereigene Widerstandskraft gegen Infektionen mit Hilfe von Impfungen zu steigern.
Wie groß die Infektanfälligkeit bei einzelnen Patienten mit Immunsuppression ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Relevant sind etwa Ursache und Schweregrad der Immundefizienz, eventuelle Begleiterkrankungen sowie Alter und Body-Mass-Index (BMI) des Betroffenen.
Impfungen bei Immunsuppression oft weniger wirksam
Menschen mit einem schwachen Immunsystem profitieren also besonders von Impfungen – sofern diese ausreichend wirken. Das ist aber nicht immer der Fall: Die Impfantwort fällt bei Immunsuppression / Immunschwäche oft weniger gut aus als bei einer intakten Körperabwehr.
Denn als Reaktion auf den verabreichten Impfstoff bildet ein beeinträchtigtes Immunsystem weniger Abwehrstoffe (Antikörper) als ein voll funktionsfähiges Abwehrsystem. Im Idealfall kommt so dennoch ein ausreichender Impfschutz zustande.
Es kann aber auch sein, dass die Impfantwort auf eine Impfung nahezu komplett ausbleibt. Das kann zum Beispiel passieren, wenn sich jemand mit einem Totimpfstoff impfen lässt trotz Therapie mit Immunsuppressiva wie Alemtuzumab oder Rituximab. Das sind künstlich hergestellte, therapeutische Antikörper, die gezielt bestimmte Immunzellen (B- bzw. T-Lymphozyten) aus dem Blut entfernen. Sie eignen sich beispielsweise für die Therapie von Multipler Sklerose (Alemtuzumab) und chronisch lymphatischer Leukämie (Alemtuzumab, Rituximab).
Lebendimpfstoffe sind kritisch
Ein wichtiger Punkt ist auch, welcher Impfstoff bei Immunsuppression gegeben werden kann und welcher nicht – nicht nur im Hinblick auf die Effektivität (siehe vorherigen Abschnitt), sondern vor allem auch bezüglich der Sicherheit eines Impfstoffes.
Kritisch sind in dieser Hinsicht oft Lebendimpfstoffe wie der Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps- und Röte (MMR-Impfung). Bei Immunsupprimierten können solche Lebendimpfungen unter Umständen genau jene Erkrankung auslösen, vor der sie eigentlich schützen sollen.
Lebendimpfstoffe enthalten nämlich vermehrungsfähige, wenn auch abgeschwächte (attenuierte) Infektionserreger. Bei immungesunden Menschen rufen diese keine Erkrankung hervor, sondern setzen nur die gewünschte Bildung von Abwehrstoffen in Gang.
Anders bei einer Immunsuppression (Immunschwäche): Es kann sein, dass das beeinträchtigte Immunsystem selbst den abgeschwächten Erregern aus einem Lebendimpfstoff nicht gewachsen ist. Betroffene Menschen entwickeln dann die entsprechende Krankheit, eventuell sogar mit schweren bis lebensbedrohlichen Komplikationen.
Bei einer Immunschwäche sind Impfungen mit Lebendimpfstoffen deshalb oft "verboten" (kontraindiziert). Mehr dazu lesen Sie unten im Abschnitt: "Lebendimpfungen: Masern, Mumps & Co.".
Im Unterschied zu Lebendimpfstoffen sind Totimpfstoffe für Impfungen bei immunsupprimierten Patienten grundsätzlich geeignet. Sie enthalten keine vermehrungsfähigen Erreger und können deshalb keine Erkrankung auslösen. Zudem werden Totimpfstoffe auch bei Störungen des Immunsystems generell gut vertragen.
Impfabstände zu therapiebedingter Immunsuppression
Im Idealfall werden Lebendimpfungen spätestens zwei Wochen vor Beginn einer das Immunsystem beeinflussenden (immunmodulierenden) Therapie abgeschlossen. Bei einer antineoplastischen Therapie – also einer Behandlung gegen (bösartige) Tumore – sollten Mediziner Lebendimpfstoffe nur bis vier Wochen vor Therapiebeginn geben.
Diese Zeitabstände lassen sich aber nicht immer einhalten – manchmal müssen Ärzte eine Therapie schnellstmöglich einleiten, sodass keine Zeit mehr für eventuelle Lebendimpfungen bleibt. Dann muss man auf diese meist verzichten. Nur in ausgewählten Fällen verabreichen Mediziner Lebend-Impfungen unter therapiebedingter Immunsuppression.
Je nach Art einer immunmodulatorischen Therapie kann es auch notwendig sein, nach ihrem Abschluss mit Impfungen noch für eine gewisse Zeit zu warten. Ein Beispiel: Patienten, die etwa aufgrund eines angeborenen Immundefekts Infusionen mit Antikörpern vom Typ Immunglobulin G erhalten haben (mind. 400 mg pro kg Körpergewicht), sollten sich frühestens acht Monate danach gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken impfen lassen.
Impfung von Kontaktpersonen
Da bei Menschen mit Immunsuppression manche Impfungen nicht verabreicht werden dürfen oder nicht ausreichend wirken, ist ein ausreichender Impfschutz bei engen Kontaktpersonen sehr wichtig.
Wenn Sie also beispielsweise im gleichen Haushalt wie ein Immunsupprimierter leben, sollten Sie Ihren Impfstatus von einem Arzt abklären und gegebenenfalls vervollständigen lassen. Damit schützen Sie nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch Ihren immungeschwächten Mitbewohner vor potenziell gefährlichen Infektionen!
Was sind die Impfempfehlungen bei Immunsuppression?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut gibt allgemeine Impfempfehlungen für Menschen mit Immunsuppression. Mediziner berücksichtigen bei Impfentscheidungen im Einzelfall aber immer auch individuelle Faktoren. Dazu zählen etwa das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand eines Patienten, der Grad seiner Immunschwäche und sein Infektionsrisiko. Auch die möglichen Gegenanzeigen (Kontraindikationen) bestimmter Impfungen oder Impfstofftypen fließen in die Entscheidung ein.
Für folgende Impfungen gelten bei Immunschwäche besondere Empfehlungen der STIKO:
Corona-Impfung
Für Menschen mit angeborener oder erworbener Immunschwäche oder therapeutischer Immunsuppression empfehlen Experten ab einem Alter von fünf Jahren eine Grundimmunisierung mit drei Impfstoffdosen sowie zwei Auffrischimpfungen.
Alle zur Verfügung stehende Impfstoffe fallen (im weitesten Sinne) in die Kategorie der Totimpfstoffe.
Die empfohlenen Zeitabstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden Corona-Impfungen hängen von mehreren Faktoren ab. Wichtig ist etwa, welchen Corona-Impfstoff ein Immunsupprimierter erhalten hat oder erhalten soll und um die wievielte Impfung es sich handelt (z.B. zweite Dosis der Grundimmunisierung oder erste Auffrischimpfung).
Eine Rolle spielt auch, ob damit zu rechnen ist, dass die Impfantwort auf die Corona-Impfung relevant eingeschränkt ist. Das ist etwa bei Patienten der Fall, die an einem schweren angeborenen Immundefekt leiden. Auch eine Behandlung mit Cyclophosphamid oder Rituximab (Immunsuppressiva und Krebsmedikamente) kann die Körperabwehr eines Patienten erheblich dämpfen.
Ebenso kann es je nach Altersgruppe unterschiedliche Empfehlungen geben.
Moderna
Gute Daten für Hautkrebs-Impfstoff in Phase II
Eine personalisierte mRNA-Krebsvakzine hat in Kombination mit einem Immuntherapeutikum in einer Phase-IIb-Studie das rezidivfreie Überleben deutlich verlängert. Das gab der US-Hersteller Moderna bekannt.
Christina Hohmann-Jeddi 23.12.2022
Bei dem Impfstoffkandidaten mRNA-4157/V940 von Moderna handelt es sich um einen mRNA-basierten personalisierten Krebsimpfstoff. Dieser enthält eine synthetische mRNA, die für bis zu 34 patientenspezifische Neoantigene codiert. Für die Herstellung des Impfstoffs wird zunächst der Tumor jedes Patienten genetisch analysiert und die mRNA auf die jeweilige Mutationssignatur des Tumors angepasst. Im Körper wird die mRNA in Proteinfragmente übersetzt, die das Immunsystem auf den Tumor ansetzen sollen.
Diesen Impfstoffkandidaten untersuchte Moderna in Kombination mit dem Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab (Keytruda®) von MSD in einer offenen Phase-IIb-Studie mit 157 Patienten mit schwarzem Hautkrebs (Melanom) im Stadium III/IV. Nach vollständiger chirurgischer Entfernung des Tumors erhielten die Patienten entweder mRNA-4157/V940 (neun Dosen mRNA-4157) und Pembrolizumab (200 mg alle drei Wochen für etwa ein Jahr) oder nur Pembrolizumab. Die Ergebnisse stellte das Unternehmen in einer Pressemitteilung am 13. Dezember vor. Demnach senkte die Impfstoff-Immuntherapie-Kombination das Risiko für Rezidive und Tod um 44 Prozent im Vergleich zur alleinigen Pembrolizumab-Therapie.
In der Mitteilung spricht Moderna-Geschäftsführer Stéphane Bancel von ermutigenden Ergebnissen für das Feld der Krebsimpfstoffe. »Mit dem Ziel, Patienten zukünftig individuelle Krebstherapeutika zur Verfügung stellen zu können, werden wir weitere Studien zu Melanom und anderen Krebsarten starten.«
Der Mainzer Impfstoff-Hersteller Biontech arbeitet an einem sehr ähnlichen Ansatz: Seine mRNA-Vakzine BNT122 (Autogenes Cevumeran) enthält mRNA, die für 20 patientenspezifische Neoantigene kodiert. BNT122 wird in Kombination mit dem Anti-PD1-Antikörper Atezolizumab (Tecentriq®) von Roche untersucht. Eine Phase-II-Studie, in die 200 Patienten mit Hochrisiko-Darmkrebs eingeschlossen werden sollen, startete laut Firmenmitteilung im Oktober 2022.
Maribavir
Neues Reservemittel bei CMV-Infektion
Infektionen mit dem Cytomegalievirus (CMV) verlaufen meistens asymptomatisch, bei immungeschwächten Menschen aber potenziell schwer. Für betroffene Patienten gibt es jetzt das neue Virostatikum Maribavir.
Annette Rößler 04.01.2023
CMV gehört zu den Herpesviren und ist weltweit verbreitet. In Deutschland hat laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) etwa jeder zweite Erwachsene eine Infektion mit CMV durchgemacht, häufig werden bereits Babys bei der Geburt von ihrer Mutter angesteckt. CMV kann in Tränenflüssigkeit, Speichel, Urin, Genitalsekret sowie Muttermilch und Blut enthalten sein. Bei Immunkompetenten verläuft eine Infektion zumeist asymptomatisch oder mit unspezifischen, grippeartigen Symptomen. Bei Menschen mit eingeschränkter Immunabwehr kann es zu Komplikationen kommen: Verschiedene Organe können geschädigt werden; ein CMV-Befall der Netzhaut (Retinitis) kann zu Erblindung führen.
Zur Therapie der aktiven CMV-Infektion steht das Nukleosidanalogon Ganciclovir zur Verfügung. Es wird von der viralen Proteinkinase UL97 zu Ganciclovir-Monophosphat phosphoryliert und dadurch aktiviert. Damit hängt die Wirkung von Ganciclovir vom Funktionieren dieser Proteinkinase ab. Das ist im Zusammenhang mit dem neuen Wirkstoff Maribavir wichtig, weil dieser UL97 inhibiert. Dadurch werden die Replikation und Reifung, Enkapsidierung und Kernausschleusung von CMV-DNA gehemmt.
Da Maribavir Ganciclovir antagonisiert, ist die gleichzeitige Anwendung kontraindiziert. Dasselbe gilt für die gleichzeitige Anwendung von Maribavir mit Valganciclovir, dem oral bioverfügbaren Prodrug von Ganciclovir.
Maribavir (Livtencity® 200 mg Filmtabletten, Takeda Pharma)ist indiziert zur Behandlung einer CMV-Infektion und/oder -Erkrankung bei erwachsenen Patienten nach einer Stammzell- oder Organtransplantation, die refraktär gegenüber einer oder mehreren vorhergehenden Therapien ist. Diese müssen Ganciclovir/Valganciclovir, Cidofovir oder Foscarnet eingeschlossen haben.
Die empfohlene Dosis beträgt 400 mg Maribavir (zwei Filmtabletten) zweimal täglich für acht Wochen. Abhängig vom Zustand des Patienten kann die Behandlungsdauer individualisiert werden. Die Tabletten können unabhängig von den Mahlzeiten im Ganzen geschluckt oder auch zerdrückt und über eine Magensonde gegeben werden. Wenn eine Dosis vergessen wurde, soll diese nur dann noch nachgeholt werden, wenn der nächste Einnahmezeitpunkt noch mehr als drei Stunden entfernt ist. Danach soll die vergessene Dosis ausgelassen und die Einnahme zum nächsten Zeitpunkt wie geplant fortgesetzt werden.
Interaktionen mit Immunsuppressiva möglich
Maribavir wird vorrangig über CYP3A metabolisiert. Die gleichzeitige Anwendung mit starken Induktoren dieser Enzyme, etwa Rifampicin, Rifabutin oder Johanniskraut, wird daher nicht empfohlen. Ist die gleichzeitige Anwendung mit anderen starken oder mittelstarken CYP3A-Induktoren wie Carbamazepin, Efavirenz, Phenobarbital oder Phenytoin unumgänglich, sollte die Maribavir-Dosis auf 1200 mg (sechs Filmtabletten) zweimal täglich erhöht werden. Die Kombination mit CYP3A-Inhibitoren erfordert keine Dosisanpassung.
Immunsuppressiva wie Tacrolimus, Cyclosporin, Sirolimus und Everolimus sind CYP3A-/P-gp-Substrate mit enger therapeutischer Breite. Deren Plasmakonzentrationen müssen bei gleichzeitiger Anwendung mit Maribavir engmaschig überwacht werden; gegebenenfalls muss die Dosis angepasst werden. Das ist wichtig, da Maribavir indikationsgemäß ausschließlich bei Patienten nach einer Stammzell- beziehungsweise Organtransplantation angewendet wird, die häufig unter immunsuppressiver Therapie stehen. Welche weiteren potenziellen Interaktionspartner eine Überwachung und/oder Dosisanpassung erforderlich machen, ist in der Fachinformation von Livtencity tabellarisch aufgelistet.
In der Schwangerschaft sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird von der Anwendung von Maribavir abgeraten. Das Stillen sollte während der Behandlung mit Maribavir unterbrochen werden.
In Phase-III-Studie aktiver Kontrolle überlegen
Zulassungsrelevant war eine offene Phase-III-Studie, an der 352 stammzell- oder organtransplantierte Patienten mit CMV-Infektion teilgenommen hatten, die zuvor auf eine Behandlung mit Ganciclovir, Valganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir nicht angesprochen hatten. Die Probanden wurden im Verhältnis 2 : 1 randomisiert und entweder acht Wochen lang mit Maribavir behandelt sowie anschließend zwölf Wochen lang nachbeobachtet oder sie erhielten eine vom Prüfarzt verordnete Vergleichstherapie, die aus Ganciclovir, Valganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir bestand.
Den primären Endpunkt, eine bestätigte vollständige CMV-Virämie-Clearance in Woche 8, erreichten signifikant mehr Patienten in der Maribavir- als in der Kontrollgruppe (56 versus 24 Prozent). Auch im wichtigsten sekundären Endpunkt, der vollständigen CMV-Virämie-Clearance samt Symptomkontrolle in Woche 8 mit anhaltendem Behandlungserfolg bis Woche 16, war Maribavir gegenüber der aktiven Kontrolle überlegen (19 versus 10 Prozent der Patienten). Allerdings kam es in der Follow-up-Phase häufiger bei den mit Maribavir behandelten Patienten als bei den Kontrollen zu einem Rezidiv der CMV-Virämie (39 versus 22 Prozent).
Die häufigsten Nebenwirkungen von Maribavir waren Geschmacksstörungen (46 Prozent der Behandelten), Übelkeit (21 Prozent), Diarrhö (19 Prozent), Erbrechen (14 Prozent) und Ermüdung (12 Prozent). Als schwerwiegende Nebenwirkungen wurden am häufigsten Diarrhö (2 Prozent) sowie Übelkeit, Gewichtsabnahme, Ermüdung, erhöhte Wirkstoffspiegel des Immunsuppressivums und Erbrechen (alle >1 Prozent) genannt.
Vorläufige Bewertung: Sprunginnovation
Das Cytomegalievirus (CMV) ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem, etwa bei transplantierten Patienten, kann eine CMV-Reaktivierung zu schweren, lebensbedrohlichen Krankheitsbildern führen. Für die Behandlung gibt es glücklicherweise bereits einige Arzneistoffe. Dennoch kann man Maribavir vorläufig als Sprunginnovation betrachten. Denn weitere Therapeutika zur Behandlung sind höchst willkommen, insbesondere im Fall von resistenten und refraktären Krankheitssituationen. Maribavir weist ferner ein neues Target auf, was die Einstufung als Sprunginnovation ebenfalls stützt. Es hat zudem den Vorteil, dass es hepatisch metabolisiert wird und eine eingeschränkte Nierenfunktion die Clearance des Wirkstoffs nicht beeinflusst.
Möglich, dass Maribavir sich auch als Mittel in der Erstlinienbehandlung oder auch als Partner für bestimmte andere Substanzen für eine Kombinationstherapie zur CMV-Behandlung eignet. Das sollte man weiter testen. Auch wäre an eine mögliche Prophylaxe mit Maribavir zu denken, obwohl hier nicht alle bisherigen Untersuchungen positiv verliefen.
Das hat sich seit dem Organspendenskandal 2012 getan: „Wir sind noch nicht am Ziel“
Amelie Störk Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Es war ein Schock für das Gesundheitswesen, aber vielleicht ein heilsamer: 2012 wurde im Zuge des sogenannten Organspendenskandals bekannt, dass in vielen Transplantationskliniken in Deutschland getrickst worden war. So kamen Patienten an Spenderorgane, obwohl andere sie dringender gebraucht hätten. Dass sich seitdem viel bei der Kontrolle getan hat, zeigt eine aktuelle Studie der SRH Fernhochschule. Diese zeigt aber leider auch, dass noch viel zerstörtes Vertrauen wieder aufgebaut werden muss.
Wer bekommt ein neues Organ? Und wer muss warten? Rückblick: Vor zehn Jahren waren bundesweit zahlreiche Fälle bekannt geworden, bei denen Patientendaten manipuliert wurden. So kamen manche Patienten aufgrund falscher Angaben zu ihrem Gesundheitszustand schneller an ein Spenderorgan. Die Reihenfolge, wer wann ein Spenderorgan erhält, wird europaweit von der Stiftung Eurotransplant geregelt. Dabei ist der individuelle Gesundheitszustand entscheidend. „Ausschlaggebend sind die Dringlichkeit, aber auch die Erfolgsaussichten einer Transplantation“, erklärt Dr. Semelink-Sedlacek. „Werden hier von der Klinik, in der ein Patient behandelt wird, falsche Angaben gemacht, kommen nicht die dran, die eigentlich an der Reihe wären. Das kann gravierende Folgen haben.“ Genau das war 2012 aufgeflogen. Vertrauen in Vergabeverfahren beschädigt Semelink-Sedlacek studierte, neben ihrer Arbeit als Assistenzärztin in der Kinderheilkunde, Prävention und Gesundheitspsychologie an der SRH Fernhochschule – The Mobile University. Für ihre Masterarbeit hat sie untersucht, was sich seit dem Organspendenskandal 2012 getan hat. „Die Ereignisse damals haben viel Vertrauen bei diesem hochsensiblen Thema zerstört. Lag die Zahl der postmortalen Organspender im Jahr 2012 noch bei 1.045, ging sie sicher auch als Folge des Skandals auf einen Tiefststand von 797 im Jahr 2017 zurück. Ein Minus von 24 Prozent!“ Konsequenzen gab es wohl: Zum Beispiel wurden unabhängige und flächendeckende Kontrollen eingeführt und endlich ein klarer Straftatbestand für Richtlinienverstöße definiert. Aber die Frage, die Semelink-Sedlacek beschäftigte, war: Reicht das?
Die Kontrollen wirken. Aber … Die Antwort lautet: jein. Die Medizinerin hat zahlreiche Experteninterviews im Rahmen ihrer Studie geführt, darunter Fachkollegen, Juristen und Ethiker. Alle sind sich einig, dass die verschärften Kontrollen funktionierten. Auch gäbe es glücklicherweise nur wenige Verdachtsfälle. Dennoch sei es dringend nötig, die Reformprozesse weiter zu optimieren und vor allem transparenter zu machen. „Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass das verlorene Vertrauen nicht zurückgewonnen werden konnte“, so Semelink-Sedlacek. „Bis heute gibt es deutlich weniger Organspender als vor dem Skandal.“ Im Jahr 2021 waren es 933 postmortale Spender, rund 10 Prozent weniger als 2012. Die „Widerspruchslösung“ der Schweizer auch in Deutschland? In der Schweiz haben sich die Bürger am 16. Mai 2022 in einer Volksabstimmung für eine radikale Neuregelung - der „Widerspruchslösung“ – gestimmt. Soweit eine verstorbene Person zu Lebzeiten nicht der Organspende widerspricht, wird diese als potenzieller Spender geführt. Voraussichtlich wird diese Neuregelung in der Schweiz zu Anfang 2024 eingeführt. In Deutschland hingegen ist die Widerspruchslösung vor zwei Jahren im Bundestag gescheitert. „Eine Reevaluation dieser Entscheidung ist sicher sinnvoll, da die Bevölkerung in Umfragen der Organspende grundsätzlich positiv gegenübersteht. Ein wichtiger Aspekt für eine breite Akzeptanz der Widerspruchslösung ist, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das System der Organspende weiter gestärkt wird“, so Semelink-Sedlacek.
Vergabekriterien müssen verbessert werden Das bestätigt auch Prof. Alfons Runde. Er lehrt an der SRH Fernhochschule Gesundheitsökonomie und hat die Abschlussarbeit von Lena Semelink-Sedlacek betreut. „Bislang liegt keine systemische Aufarbeitung zu den Konsequenzen aus dem Organspendenskandal vor. Frau Semelink-Sedlaceks Studie leistet hier einen sehr wichtigen Beitrag. Vor allem macht sie deutlich, dass wir uns die Vergabekriterien noch genauer anschauen müssen.“ Häufig stünden sich gerade die Dringlichkeit einer OP und deren Erfolgsaussichten gegenüber, etwa wenn jemand dringend ein Spenderorgan braucht, die Aussichten, dass die Transplantation ein dauerhafter Erfolg wird, aber gering sind.“
Es fehlt an Forschung und finanziellen Mitteln Hier könnten bessere Prognoseverfahren viel bewirken, da sind sich die Medizinerin und ihr Professor einig. Außerdem müssten die Betroffenen besser über die Abläufe und vor allem die Verbesserungen informiert werden. „Dazu ist viel weitere Forschungsarbeit nötig, außerdem fehlt es an finanziellen Mitteln und Personal“, so Runde. „Spenderorgane sind nach wie vor eine knappe Ressource. Wir befinden uns auf einem guten Weg, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wie immer hängt das System von den Menschen ab, die es gestalten und nicht nur von ordnungspolitischen Regelungen. Jeder einzelne Akteur benötigt zu den orientierenden Regularien ein Repertoire an ethischen Verhaltensregeln, um eine sozial gerechte Verteilung der knappen Ressource "Spenderorgan" sicherzustellen“, erklärt Semelink-Sedlacek abschließend.
Mindedner Tageblatt 2; 12.2022
Zwei neue Herzen in 24 StundenZwei neue Herzen in 24 Stunden
Im Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen haben im Oktober zwei Mädchen an einem Tag Spenderherzen erhalten. Einblicke in diesen außergewöhnlichen Tag gewähren die Ärzte der jungen Patientinnen.
Carolin Nieder-Entgelmeier Bad Oeynhausen.
In DeutschlandherrschteineklatanterOrganmangel, weil sich vieleMenschen gegen eine Spendeentscheiden oder sich gar nichterst mit dem Thema befassen. Etwa 10.000 Menschen wartenalleine in Deutschland auf einneues Organ. Darunter auch Kinder, die während der mitunter sehr langen Wartezeit oftmit ihren Eltern in Kranken- häusern leben müssen. So wiezwei Familien in Bad Oeynhausen, die im Herz- und Dia- beteszentrum (HDZ) NRW inden vergangenen Monaten aufneue Herzen für ihre Töchter gewartet und diese am selbenTag bekommen haben. Einblicke in diesen besonderen Tag mitzweiKinder-Herztransplantationen in nur 24 Stunden gewährt Kinderkardiologe Stephan Schubert.Seit Jahrzehnten werden imHDZHerzentransplantiert,doch dieser besondere Tag imOktober ist auch für die erfahrenen Mitarbeiter kein norma- ler Tag. „Dass wir zwei AngebotefürSpenderherzenaneinemTagerhalten,kommt schon mal vor. Aber nicht fürzwei Kinder, das ist außergewöhnlich“, sagt Schubert, Direktor der Klinik für KinderkardiologieundangeboreneHerzfehler am HDZ. Doch andiesem außergewöhnlichen Tagpassiert genau das, obwohl dieTransplantationszentrenin Deutschland insgesamt nur 20bis30Kinder-Herztransplantationen pro Jahr durchführen. Die Stiftung Eurotransplant,die in acht Ländern für die ZuteilungvonSpenderorganen verantwortlich ist, meldet sichim HDZ mit einem Angebot fürdie zweijährige Lea (Name von der Redaktion geändert). Als derentscheidendeAnrufkommt,wartet Lea bereits seit 552 Tagen mit einem Kunstherz aufein Spenderherz. „Aufgrundeinesangeborenen Herzfehlers war das Herzvon Lea nicht mehr in der Lage, den Körperkreislauf ausreichend aufrechtzuerhalten. Deswegen mussten wir sie bereits im April 2021 an ein Kreislaufunterstützungssystemanschließen,dasaußerhalbdesKörpers die Arbeit ihres Herzensübernommenhat“,erklärt Schubert. Dieses Kunstherz schränkt die Lebensqualität und den Bewegungsradiusvon Betroffenen jedoch massivein und Kinder dürfen die Klinik damit nicht verlassen. Das Besondere an dem Angebot von Eurotransplant ist, dassdie Blutgruppe des Organspen- ders nicht mit der von Lea übereinstimmt. Bei Jugendlichen undErwachsenensindHerztrans- plantationen in solchen Fällenausgeschlossen, doch bei Kindern bis zu zwei Jahren erlaubt esdasdeutscheTransplantationsgesetz, weil ihr Immunsystem noch nicht voll ausgereift ist. „Da Lea aber während derWartezeit älter als zwei Jahre altgeworden ist, haben wir für sie eine Sondergenehmigung beantragt und auch erhalten, sodasssie trotz Überschreitung der Altersgrenze ein Herz mit einerfremdenBlutgruppeerhaltenkonnte“, erklärt Schubert. Der Kinderkardiologe ist frohüber die relativ neue Möglichkeitderblutgruppenfremden Transplantationen in Deutschland. „Das erhöht das Angebot,denn Kinder warten bis zu zwei Jahre auf ein Spenderherz. DieDauer der Wartezeit ist leidervöllig ungewiss, das gilt auch für Kinder wie Lea, die mit höchster Dringlichkeit gelistet war.“ Wenige Stunden nach demAngebot für Lea folgt an diesem Tag der zweite Anruf von Eurotransplant imHDZmiteinem Angebot für die erst dreiMonate alte Harleen. Sie ist ebenfalls wegen eines angeborenenHerzfehlersaufeineTransplantationangewiesen, konnte jedoch dank medikamentöser Therapie so stabil gehalten werden, dass sie die War- tezeit ohne künstliche Herzunterstützungüberbrückenkonnte.DochHarleenhatGlück: Schon nach 30 Tagenauf der Warteliste kommt dasAngebot für ein Spenderherzvon einem Spender mit derselben Blutgruppe.Nach jedem Anruf von EurotransplantsetzendieTransplantationskoordinatorendesHDZ einen Prozess in Gang, von dem Lea, Harleen und ihreFamilien nur wenig mitbekommen. „Im ersten Schritt prüfen wir die Angaben der Spenderklinik, um zu entscheiden,ob das Organ passt“, erklärt Schubert. Die Angebote für Leaund Harleen sagen die beidenChefärzte im Kinderherzzentrum, Kinderherzchirurg EugenSandicaundKinderkardiologe Stephan Schubert, direkt zu. Im nächsten Schrittfliegt das Entnahmeteam ausBad Oeynhausen zur Spenderklinik, um das Herz aus demOrganspenderzuoperierenund nach Bad Oeynhausen zubringen. Spenderherz mussnach vier Stundentransplantiert sein „Danachmussesdannschnell gehen, denn das Spenderherz sollte nach drei bis vier Stundentransplantiertwerden“, erklärt Sandica. Um daszuermöglichen,bereitetder KinderherzchirurgseinePatienten bereits lange vor derAnkunft der Spenderherzen in BadOeynhausenimOperationssaalvor,denndasalteHerz muss vor der Transplantation entfernt werden.Diesmal sind die Koordinatoren, Mediziner, Pfleger undTechnikerjedochimDauerdienstTagundNachtgefordert, da zwischen den EntnahmenbeidenSpendernundTransplantationen bei Lea undHarleen nur wenige Stunden liegen. Für das Entnahmeteam sowie für Chirurg Sandica und seinTeam bedeutet das nur wenigeStundenSchlafzwischendenbeidenherausfordernden Eingriffen. „DaswareinegroßartigeLeistung aller Beteiligten unddas macht mich stolz. Nur dank einer solchen Mannschaftsleistung konnten wir gleich zwei lebensrettendeOperationenin nur 24 Stunden ermöglichen“,sagt Schubert. AlsMedizinerineinemTransplantationszentrum sindwir es zwar gewohnt, immer zur Stelle zu sein, weil wir nie wissen, wann ein Angebot kommt. Doch dieser Einsatz war auchfür uns ein sehr besonderer,denn natürlich fiebern wir mit unseren Patienten und ihrenEltern mit.“
Über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten zwei Tage lang auf der 18. Jahrestagung der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) über aktuelle Entwicklungen im Bereich Organspende und Transplantation. Erneut waren mehr als die Hälfte von ihnen Transplantationsbeauftragte, die sich in den Kliniken unter anderem um die wichtige Aufgabe kümmern, mögliche Organspender zu erkennen. Das große Interesse an der Fortbildungsveranstaltung sieht der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel, als Bestätigung dafür, dass der Kongress eine wichtige Plattform darstellt, um sich gemeinsam über medizinische Fortschritte und politische Neuerungen auszutauschen und den Wissenstransfer im Organspendeprozess zu fördern. In Zeiten des anhaltenden Organmangels stand dabei insbesondere die Frage im Fokus, mit welchen Maßnahmen sowohl die Spendererkennung als auch die Organqualität verbessert werden können, um möglichst viele Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten mit einem passenden Organ zu versorgen, das langfristig seine Funktion behält.
Mit Blick auf die wachsende Zahl der chronischen Nierenerkrankungen sei dies mehr als dringlich, betonte Prof. Dr. med. Herrmann-Joseph Pavenstädt, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, in seinem Vortrag. 100.000 Menschen in Deutschland sind demzufolge an der Dialyse, über 10 Millionen leben mit chronischer oder akuter Nierenschädigung, was zukünftig zu mehr nierenkranken Patienten mit einer schlechten Prognose führe. Die Hoffnung der Experten richtet sich dabei zum einen darauf, den Bedarf an Transplantationen durch eine verbesserte medikamentöse Therapie der Nierenerkrankungen zu reduzieren. Zum anderen wird von der Maschinenperfusion, deren Einführung im nächsten Jahr geplant ist, erwartet, dass die Zahl der für eine Transplantation geeigneten Spendernieren steigen wird. Auch die DSO verspricht sich von der Maschinenperfusion eine verbesserte Organqualität. Sie reduziere die Ischämieschäden, man könne die Qualität der Organe besser beurteilen und sie teils auch behandeln, um die Funktion zu verbessern.
Wie die Qualität der Spenderorgane beurteilt und optimiert werden kann, war Thema zweier Vorträge zu thorakalen und viszeralen Organen. Auch hier gilt, dass möglichst kein geeignetes Organ verloren gehen soll und dass zudem auch eine geeignete Empfängerauswahl entscheidend dazu beiträgt, damit die Transplantation ein Erfolg wird. PD Dr. med. Wiebke Sommer vom Uniklinikum Heidelberg referierte dabei zu Lunge und Herz, beides Organe, die von dem massiven Spendermangel hierzulande betroffen sind. Ihr Kollege vom Uniklinikum Tübingen, Dr. med. Markus Quante, sieht ähnlichen Bedarf bei Leber, Pankreas und Nieren und verwies zudem auf die Richtlinie zum Empfängerschutz der Bundesärztekammer, der zufolge insbesondere die Sonografie die Hauptrolle spielt bei der Beurteilung der Spenderorgane. Wichtig war zudem sein Hinweis auf die hilfreichen Unterstützungsangebote der DSO, zum einen auf die Befundbögen zum Ultraschall Abdomen, zum anderen auf das etablierte Spenderinformationssystem DSO.isys web, das alle entsprechenden Informationen und Daten bündelt und so eine Abfrage aller medizinischen Daten und Untersuchungen im Organspendeprozess ermöglicht. Der Arzt wies zudem auf ein Szenario hin, dass sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch verstärken wird und Auswirkungen auf die Qualität von Spenderorganen, aber auch auf den Bedarf an Organen sowie die Transplantierfähigkeit von Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten habe - die zunehmende Prävalenz der Adipositas in Deutschland. So nehme beispielsweise mit steigender Zahl von nicht-alkoholischen Fettlebern auch das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom zu.
Um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten, kommen oftmals histologische Untersuchungen zum Einsatz. Hier präsentierte Prof. Dr. med. Peter J. Wild, Universitätsklinikum Frankfurt MVZ GmbH, eine neue Methode zur Beurteilung der Spendereignung in der Pathologie. Das VivaScope, ein spezielles Mikroskop, ermöglicht eine zeiteffiziente Unterscheidung zwischen pathologischem und gesundem Gewebe in Echtzeit. Diese Digitalisierung der Transplantatbeurteilung sei ein enormer Fortschritt, da unter Umständen selbst noch im OP eine Beurteilung stattfinden könne und eine längere Wartezeit damit entfalle. Die ersten Anwendungen bei Lebern seien vielversprechend, was die Ergebnisse im Vergleich zu histologischen Auswertungen betreffe - hier scheine die künstliche Intelligenz in den meisten Diagnosen überlegen zu sein.
Auch zwei andere technische Errungenschaften, die in den letzten Jahren vorgestellt wurden bzw. sich bereits etabliert haben, standen erneut im Rampenlicht: Das schon erwähnte DSO.isys web gehört zu den vielen Unterstützungsangeboten, die die DSO den Kliniken zur Verfügung stellt, um die Abläufe während einer Organspende zu erleichtern und zudem schnell und effizient an Daten zu gelangen. Der DSO-Koordinator Stefan Stölting stellte dem Publikum die neuesten Funktionen und Merkmale des Systems vor, das einen langen Weg genommen hat von handschriftlichen Bögen bis hin zu einer effizienten Software, die insbesondere den Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekliniken die Arbeit erleichtert.
Dr. med. Anne Trabitzsch von der Uniklinik Dresden und der DSO-Koordinator Konrad Pleul informierten die Besucher an einem Infostand über das Screeningtool DETECT, das eine frühe und systematische Spendererkennung ermöglicht. An der Entwicklung war auch die DSO beteiligt. DETECT filtert die regelhaft erhobenen Daten der Patienten und Patientinnen, die aktuell auf den Intensivstationen behandelt werden. Hierbei sucht es anhand definierter Parameter, die als Indikatoren für einen potenziell eintretenden irreversiblen Hirnfunktionsausfall gelten, die relevanten Fälle heraus.
"Allerdings können all diese Bemühungen um eine verbesserte Gewährleistung der Organqualität, die von der DSO initiiert oder mit unterstützt werden, nichts daran ändern, dass wir immer noch einen eklatanten Mangel an Spenderorganen haben", zieht der Medizinische DSO-Vorstand Rahmel am Ende des 18. Jahreskongresses sein Fazit. Hier sei auch die Politik gefordert, einen Paradigmenwechsel hin zu einer Kultur der Organspende zu unterstützen, dabei könne beispielsweise die Diskussion um eine Widerspruchsregelung einen Beitrag leisten.
Pressekontakt:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsche Stiftung Organtransplantation Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413, Fax: +49 69 677 328 9409,
Keine guten Aussichten: Weniger Organspender als im Vorjahr
Donnerstag, 3. November 2022
Frankfurt am Main − Verglichen mit 2021 ist die Zahl der postmortalen Organspender in Deutschland im Zeitraum von Januar bis Oktober dieses Jahres um 8,4 Prozent zurückgegangen. Das gab Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), heute bekannt.
Insgesamt sei die Situation sehr besorgniserregend, sagte er. Im Rahmen der 18. Jahrestagung der DSO gab Rahmel einen Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland. In den Monaten Januar bis Oktober habe es 710 postmortale Organspender gegeben, 2021 waren es 775.
„Nach einem unerwarteten Einbruch der Organspendezahlen um beinahe 30 Prozent im ersten Quartal 2022 haben wir in den letzten Monaten zwar eine gewisse Erholung und Stabilisierung der Organspende erreicht, insgesamt bleibt die Situation allerdings insbesondere für die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten und ihre Angehörigen im höchsten Maße bedrückend“, bewertete Rahmel die aktuellen Zahlen.
Insgesamt kommen auf eine Million Einwohner 10,1 Organspender in Deutschland. Dabei zeigen sich deutliche regionale Unterschiede mit den höchsten Zahlen in der Region Ost (13,71) und den niedrigsten in der Region Mitte (8,86). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland damit nach wie vor im unteren Mittelfeld.
Einhergehend mit den sinkenden Zahlen an Organspendern nimmt auch die Zahl der postmortal gespendeten Organe ab: gegenüber 2021 bislang um zehn Prozent (von 2.420 auf 2.178). Das betrifft Organe wie Leber, Lunge, Niere und Pankreas, nur die Zahl der Spenderherzen bleibt gleich.
Etwas weniger stark ist mit acht Prozent die Zahl der Transplantationen gesunken (von 2.492 auf 2.293). Das liegt daran, dass mehr Organe über Eurotransplant importiert als aus Deutschland exportiert worden sind, wie Rahmel erläuterte. So haben Patienten in Deutschland in diesem Jahr bisher 390 Organe aus dem Ausland erhalten, aber nur 274 Organe wurden von Spendern in Deutschland im Ausland transplantiert.
Besonders in der ersten vier Monaten dieses Jahres sind die Zahlen der Organspenden deutlich eingebrochen. Eine Ursache sei, wie Rahmel ausführte, die anhaltende Coronapandemie und die hohen Inzidenzen Anfang des Jahres.
Laut einer von Rahmel vorgestellten Umfrage, die die Angaben von 96 Transplantationsbeauftragten in Deutschland einschloss, spielen jedoch der pflegerische und ärztliche Personalmangel sowie fehlende Intensivbetten in den Kliniken die weitaus größere Rolle.
Zu weiteren Ursachen gehören demnach frühzeitige Therapielimitierungen und ablehnende Entscheidungen der Angehörigen. SARS-CoV-2-Infektionen beziehungsweise COVID-19 bei potenziellen Spendern sind dagegen von geringerer Bedeutung.
Basierend auf Erfahrungen aus anderen Ländern werden ab Ende Februar 2022 auch Spender mit SAR-CoV-2-Infektionen nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken in Betracht gezogen.
Zum heutigen Auftakt ihres Kongresses bilanzierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) die aktuellen Organspendezahlen und deren Entwicklung im laufenden Jahr. Derzeit zeichnet sich ein Rückgang bei den Organspenden ab, gegenwärtig liegt die Zahl der Organspender um 8,4 Prozent niedriger gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres.
Die DSO blickt mit großer Sorge auf die momentane Situation: Bis Ende Oktober gab es bundesweit 710 Organspender in den rund 1.200 Entnahmekrankenhäusern. Dies sind 65 weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch die Summe der entnommenen Organe, die für eine Transplantation an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet werden konnten, sank auf 2.178 (Vorjahreszeitraum 2.420). Der Organmangel hat sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal weiter verschärft. Insgesamt konnten bisher 2.293 Organe aus dem Eurotransplant-Verbund in Deutschland transplantiert werden, im Vergleichszeitraum 2021 waren es 2.492.
"Nach einem unerwarteten Einbruch der Organspendezahlen um beinahe 30 Prozent im ersten Quartal 2022 haben wir in den letzten Monaten zwar eine gewisse Erholung und Stabilisierung der Organspende erreicht, insgesamt bleibt die Situation allerdings insbesondere für die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten und ihre Angehörigen im höchsten Maße bedrückend", kommentiert Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, die Statistiken der letzten 10 Monate.
Die anhaltendende Coronavirus-Pandemie und besonders hohe Inzidenzen hatten zu Jahresbeginn zu einem deutlichen Rückgang der Organspenden geführt. Zum einen wurden SARS-CoV-2 positive Spender bis Ende Februar dieses Jahres von einer möglichen Spende ausgeschlossen. Im Zuge internationaler Erfahrungen und des im Mai veröffentlichten Positionspapiers der Bundesärztekammer zum Umgang mit
SARS-CoV-2 positiven Spendern konnten nach sorgfältiger Abwägung der Risiken und Chancen auch Organe von diesen Verstorbenen vermittelt werden. Zum anderen gab es gerade während der Omikronwelle hohe Personalausfälle in den Kliniken. Nachdem die Organspenden in den Sommermonaten leicht gestiegen sind, verzeichnete die Koordinierungsstelle in den vergangenen Wochen eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau. Die Kontaktaufnahmen der Kliniken zur DSO haben sich im Vergleich zum Vorjahr zwar erhöht, aber nicht zu mehr Spenden geführt.
Multiple Gründe bremsen Entwicklung der Organspende
Aus Sicht der DSO wird die Realisierung möglicher Organspenden an verschiedenen Stellen ausgebremst. Die Pandemie belastet noch immer das gesamte Gesundheitssystem. Auch die gesetzlichen Initiativen zur Förderung der Organspende konnten dadurch nicht in dem Maße umgesetzt werden wie geplant. Hinzu kommt der eklatante Personalmangel in vielen Kliniken. "Die Organspende ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die nicht nur intensivmedizinische Expertise, sondern auch Zeit und Ressourcen braucht", betont Rahmel. Gerade für kleinere Häuser sei sie ein eher seltenes Ereignis und damit eine zusätzliche Herausforderung.
Entsprechende Hinweise zu den rückläufigen Organspenden liefert auch eine aktuelle Online-Umfrage* unter Transplantationsbeauftragten. Ihrer Einschätzung nach sind es vor allem der pflegerische und der ärztliche Personalmangel sowie die fehlende Kapazität an Intensivbetten, die im ersten Quartal 2022 zum Rückgang der Organspenden geführt haben. Auch frühzeitige Therapielimitierungen und Ablehnungen durch Angehörige werden als weitere Faktoren genannt. Infektionen potenzieller Organspenderinnen und Organspender mit SARS-CoV-2 haben laut Umfrage hingegen eine viel geringere Relevanz.
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bewertet die personellen Engpässe innerhalb der Kliniken als problematisch. "Durch die anhaltenden Belastungen der Coronavirus-Pandemie kommen die bereits vorhandenen Herausforderungen durch den Fachkräftemangel im Gesundheitssystem nun noch stärker zum Tragen und erschweren so wichtige Aufgaben wie die Förderung der Organspende in den Kliniken", erklärt DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß. "Um der derzeitigen Personalknappheit in den Kliniken entgegenwirken zu können, brauchen wir mehr nachhaltige Verbesserungen im Finanzierungssystem und einen Bürokratieabbau", so Gaß.
DSO steht für Sicherheit im Organspendeprozess
Im Rahmen des Organspendeprozesses setzt sich die DSO dafür ein, dass die Organe in bestmöglichem Zustand an die Empfänger weitergegeben werden. Gerade in Zeiten eines eklatanten Organmangels zählt nicht nur jede Spende, sondern jedes einzelne Organ. Die Koordinatorinnen und Koordinatoren der DSO unterstützen die etwa 1.200 Entnahmekrankenhäuser über den gesamten Organspendeprozess und stehen rund um die Uhr beratend zur Seite. Dazu zählt auch die Entwicklung umfangreicher digitaler Unterstützungsprogramme für die Aufgaben der Transplantationsbeauftragten und die Unterstützung neuer Verfahren im Organspendeprozess. Für das nächste Jahr ist die Einführung der Maschinenperfusion für den Transport von Nieren vorgesehen. Die Methode mindert Ischämieschäden und erhöht die Funktionalität der Organe. Die DSO sieht in diesem Verfahren erhebliche Potenziale zur Verbesserung der Organqualität.
Ein vielversprechendes Tool für die frühzeitige Spendererkennung ist das DETECT-Programm. Es wurde von der Hochschulmedizin Dresden in Kooperation mit der DSO entwickelt und steht allen Kliniken kostenlos zur Verfügung. Retrospektive Todesfallanalysen in Entnahmekrankenhäusern mit DSO-TransplantCheck haben gezeigt, dass durch rechtzeitiges Erkennen mehr Spenden realisiert werden könnten. Hier leistet das automatisierte elektronische Screeningtool DETECT auf den Intensivstationen einen wertvollen Beitrag und unterstützt die Arbeit der Transplantationsbeauftragten.
Widerspruchsregelung fördert Kulturwandel
Nicht nur innerhalb der Fachgesellschaften, auch in der Politik sorgt die immer noch dramatische Situation für Diskussionen über mögliche weitere Maßnahmen. Sabine Dittmar MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, erklärte im Vorfeld des Kongresses: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen echten Paradigmenwechsel benötigen. Die Auseinandersetzung mit der Organspende muss in unserer Gesellschaft und in unseren Krankenhäusern zu einer Selbstverständlichkeit werden."
Mit Blick auf die rund 8.500 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten bekräftigt Rahmel, es sei an der Zeit, über weitere Maßnahmen nachzudenken. "Andere Länder machen es uns vor. Alle dem Eurotransplant-Verbund angeschlossenen Mitgliedsstaaten haben inzwischen die Widerspruchsregelung eingeführt. Umfragen in der Bevölkerung bestätigen immer wieder eine hohe Bereitschaft zur Organspende. Eine Widerspruchsregelung würde den Gedanken an die Organspende innerhalb der Gesellschaft und in den Kliniken weiter fördern und selbstverständlich machen und so die Voraussetzungen für einen Kulturwandel bei der Organspende schaffen", betont der Medizinische DSO-Vorstand.
Stefan Mroncz, stellvertretender Vorsitzender im Bundesverband Niere e.V., lebt seit 19 Jahren mit einer Spenderniere. Im Alter von 15 Jahren musste er an die Dialyse und wurde vier Jahre später transplantiert. Er weiß, was es bedeutet, als Patient auf der Warteliste zu stehen und er durfte auch erfahren, wie sich das Leben nach einer Transplantation grundlegend verändert. Dafür ist er seinem Spender oder seiner Spenderin zutiefst dankbar. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Organmangels und der immer längeren Wartezeit auf ein Spenderorgan fordert er, dass die bestehenden Gesetzesänderungen endlich konsequent umgesetzt werden. Zudem sei ein beherzter Strukturwandel zu forcieren, der neben der weiteren Optimierung der Prozesse insbesondere auch die Einführung der Widerspruchsregelung beinhaltet. "Die Widerspruchsregelung ist ein wichtiger Baustein, um die Organspende in Deutschland voranzubringen. Die Entscheidung jedes Einzelnen wird angestoßen und die Patientenautonomie gestärkt. Wir dürfen die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten nicht mit ihrem Schicksal alleine lassen", unterstreicht Mroncz.
Pressekontakt:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsche Stiftung Organtransplantation Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413, Fax: +49 69 677 328 9409, E-Mail: presse@dso.de Internet: www.dso.de
COVID-19: Infizierte sind sichere Organspender für Herztransplantationen
Dienstag, 1. November 2022
Los Angeles – Angesichts eines in der Pandemie verschärften Organmangels haben einige US-Zentren begonnen, mit SARS-CoV-2 infizierte Spender für Herztransplantationen zu akzeptieren. Nach den Ergebnissen, die am kommenden Wochenende auf der Jahrestagung der American Heart Association vorgestellt werden, waren die Ergebnisse bisher ausgezeichnet.
Die Datenbank des „United Network for Organ Sharing“ registrierte zwischen Februar 2021 und März 2022 insgesamt 3.289 Herztransplantationen. Darunter waren 84 Operationen, bei denen das Herz eines mit SARS-CoV-2 infizierten Spenders verwendet wurde. Bei den Spendern war in den letzten 7 Tagen vor dem Tod entweder ein PCR-Test oder ein Antigentest positiv ausgefallen oder die Erkrankung war auf andere Weise bestätigt worden.
Ob die Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme virämisch waren, was die Gefahr einer Übertragung bedeutet hätte, geht aus den Angaben von Samuel Kim von der David Geffen School of Medicine in Los Angeles und Mitarbeitern nicht hervor. Unklar bleibt auch, ob die Organe nach einer kalten Ischämiezeit von 3,7 Stunden getestet wurden. In der Kontrollgruppe der nicht infizierten Spender betrug die kalte Ischämiezeit 3,5 Stunden.
Die Transplantationen selbst verliefen komplikationslos. Die Patienten konnten nach 15 Tagen (versus 17 Tagen in der Kontrollgruppe) die Klinik verlassen. Die Häufigkeit eines unmittelbaren Transplantatversagens war mit 2,4 % versus 1,0 % leicht, aber statistisch nicht signifikant erhöht.
Der P-Wert betrug 0,22; signifikant wäre ein Wert von unter 0,05 gewesen. Kein Patient erlitt einen postoperativen Schlaganfall versus 3,0 % in der Vergleichsgruppe (P = 0,18). Bei 15,5 % versus 13,4 % (P = 0,52) der Patienten war eine postoperative Dialyse notwendig.
Das Transplantatüberleben nach 30 Tagen betrug 96,1 % versus 97,0 % (P = 0,63). Bei keinem der 4 verstorbenen Organempfänger konnte eine pulmonale oder infektiöse Todesursache nachgewiesen werden. Die guten Ergebnisse haben den Mut der Zentren erhöht. Die Verwendung von Organen von COVID-19-positiven Spendern hat während des gesamten Studienzeitraums zugenommen.
Die Forscher waren von den guten Ergebnissen selbst überrascht. Sie hatten erwartet, dass sich die schweren Lungenschäden der COVID-19-Patienten negativ auf die Qualität der Spenderorgane auswirken würden. Bisher hätten die Organe jedoch dieselbe Qualität gehabt wie von Spendern, die aus anderen Gründen verstorben waren.
BZgA veröffentlicht Entscheidungshilfe für Organspende
Mittwoch, 19. Oktober 2022
Berlin/Köln – Die bewusste Entscheidung für eine Organspende fällt vielen Menschen nicht leicht. Wer unsicher ist, ob er nach seinem Tod seine Organe für andere Menschen zur Verfügung stellen will, für den hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nun eine neue Entscheidungshilfe veröffentlicht.
Die Broschüre Entscheidungshilfe Organ- und Gewebespende soll helfen, die eigenen Bedürfnisse und Einstellungen zur Organ- und Gewebespende zu erkennen und für sich zu bewerten, wie die BZgA heute mitteilte.
„Meist stellt sich die Frage nach einer Organ- und Gewebespende sehr plötzlich“, sagte der Kommissarischer Direktor der BZgA, Martin Dietrich. „Ohne eine zuvor getroffene Entscheidung müssen Angehörige über eine mögliche Spende entscheiden – eine belastende und oftmals überfordernde Situation.“ Wenn die Entscheidung jedoch schon zu Lebzeiten getroffen werde, würden dadurch die Angehörigen erheblich entlastet.
Aktuelle BZgA-Studiendaten zeigten, dass 36 Prozent der Befragten zwischen 14 und 75 Jahren noch keine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende getroffen haben. Hauptgrund für die fehlende Entscheidung ist demnach, dass sich die Menschen bisher nicht oder nur wenig mit dem Thema auseinandersetzten. Oftmals seien auch nicht alle Entscheidungsmöglichkeiten zur Organ- und Gewebespende hinlänglich bekannt.
Bei der Entscheidung gebe es „kein Richtig oder Falsch“, betonte Dietrich. Er riet: „Informieren Sie sich, um herauszufinden, was Ihnen persönlich wichtig ist. Besprechen Sie sich mit Familie und Freunden und treffen Sie Ihre persönliche Entscheidung.“
In den vergangenen Jahren gab es genügend Bedrückendes. Dennoch darf das Problem, dass es viel zu wenige Spenderorgane gibt, nicht aufs Abstellgleis geschoben werden.
Die Zahlen, die die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vorgelegt hat, sind erschütternd. 176 Organspenderinnen und -spender wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 gezählt – im gleichen Zeitraum des Vorjahrs waren es noch 249. Das ist ein Rückgang von 29 Prozent. Für die vielen Menschen, die dringend auf eine lebensrettende Transplantation warten, ist diese Entwicklung eine Katastrophe.
Zustimmung zur Organspende ist gesunken
Der DSO zufolge ist die Zustimmung zur Organspende generell gesunken. Aber es gibt noch ein anderes Problem: Durch die Pandemie und die daraus resultierenden Personalausfälle hat sich die Arbeitsüberlastung in vielen Kliniken so drastisch verschärft, dass deshalb „eine hohe Wahrscheinlichkeit“ bestehe, dass weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären. Abermals zeigt sich, wie weitreichend die Folgen der Pandemie sind. Und wie wenig dagegen getan wird.
Hinzu kommt: Viele Menschen wollen sich mit dem Thema nicht beschäftigen. Freilich, in den vergangenen beiden Jahren gab es genügend Bedrückendes. Dennoch darf nicht ein anderes Problem, nämlich dass es viel zu wenige Spenderorgane gibt, aufs Abstellgleis geschoben werden, nur weil aktueller erscheinende Krisen in den Vordergrund drängen. Es ist wichtig, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Wer zu Lebzeiten eine Entscheidung dafür oder dagegen trifft, schafft Klarheit. Für sich und für die Angehörigen, die dann im Ernstfall wissen, was zu tun ist.
Mindener Tageblatt; 14.07.2020
Radioaktive Paste soll weißen Hautkrebs heilen
Rostocker Wissenschaftler haben eine Paste entwickelt. Sie wollen ihre Studie bald veröffentlichen
Rostock
(dpa). Rostocker Wissenschaftler haben weißen Hautkrebs nach eigenen Angaben erfolgreich mit radioaktiver Paste behandelt.
Im
Rahmen
der deutschlandweit einmaligen Studie seien 22 Patienten behandelt worden, teilte die Universitätsmedizin Rostock (UMR) diese Woche mit. „Alle
teilnehmenden
Patienten zeigten ein Ansprechen, und die meisten waren langfristig geheilt“,
wird
der
Dermatologe Steffen Emmert zitiert. Ralf Gutzmer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie, sagte, es handele sich um ein neues Verfahren, das weiter evaluiert werden müsse. Weißer Hautkrebs ist ein Oberbegriff für bestimmte Hauttumore, die sich vom schwarzen Hautkrebs
(dem
Melanom)
unterscheiden. Sonne beziehungsweise UV-Strahlung ist der wichtigste Risikofaktor. Die Untersuchung ist noch nicht in einem von Experten
begutachteten Fachmagazin veröffentlicht. Im Rahmen der Behandlung werde
der
UMR zufolge eine gräuliche, unscheinbar wirkende Paste mit einem speziellen Gerät
aufgetragen.
Umliegendes Gewebe wird den Angaben zufolge mit einer Folie abgeklebt, um es vor radioaktiver Strahlung zu schützen. Die lokale Bestrahlung töte die Tumorzellen. Demnach genügt eine einmalige ambulante Behandlung, bei der die Paste ein bis zwei Stunden einwirken muss. In den folgenden Wochen komme es zu Entzündungen, Juckreiz und Brennen. Mit dem Abklingen normalisiere sich das Hautbild jedoch wieder und der Hautkrebs sei weg. Die Behandlung sei allerdings nur erfolgreich, wenn der Krebs frühzeitig erkannt werde und noch nicht zu tief eingedrungen sei.
Organmangel in Deutschland:
Patientenbeirat des Transplantationszentrums der MHH dringt auf Umsetzung von sechs Maßnahmen
Quelle: BDO.e.V
39 geschenkte Lebensjahre! Dr. Ullrich ist der Mensch in Deutschland, der am längsten mit einem einzigen Spenderherz lebt.
von Sandra Zumpfe
17. Mai 1983, Dienstagmorgen – Kinder werden in die Schule oder den Kindergarten gebracht, der ein oder die andere steht im morgendlichen Verkehrsstau auf dem Weg zur Arbeit. Die Nachrichten berichten davon, dass die USA und die Sowjetunion die Gespräche über die Reduzierung der Mittelstreckenraketen in Europa in Genf wieder aufnehmen, im Radio läuft der Nummer 1 Hit „Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug. Ich selbst bin zu diesem Zeitpunkt 4 Jahre alt, lebe wie auch jetzt in Haar bei München und ahne noch nicht, dass ich irgendwann einmal auf die Organspende eines anderen Menschen angewiesen sein werden.
Nur 30 km weiter liegt Dr. Bernd Ullrich, zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alt, im OP und erhält das Herz eines 20-jährigen Motorradfahrers, der bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Ein Stückchen Papier weist ihn als Organspender aus.
Aber lassen Sie mich von vorne anfangen.
Herr Dr. Ullrich, Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in Landsberg am Lech, steht mitten im Leben. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, treibt gerne Sport, wie Tennis oder Skifahren, geht in die Berge oder segeln. Vorrübergehende Atemnot und Leistungsschwäche begründet er mit seinem Übergewicht und dem erheblichen Zigarettenkonsum. An eine ernsthafte Erkrankung hat er selbst nie geglaubt.
Erst als seine körperlichen Beschwerden immer größer werden, sucht er einen Arzt auf – Diagnose dilatative Kardiomyopathie, vermutlich entstanden infolge einer Herzmuskelentzündung. Seine Leistungsfähigkeit nimmt in den nächsten Monaten rapide ab, die Lunge füllt sich mit Wasser, er kann nur noch im Sitzen schlafen, da er Angst hat, zu ersticken. Als er eines Tages gar nicht mehr aufstehen kann, bestellt seine Frau in Absprache mit den Ärzten ein Klinikbett in der Stiftsklinik Augustinum in München. Dort muss er die bittere Wahrheit erkennen – einziger Ausweg ist eine Herztransplantation. Er wird ins Klinikum Großhadern verlegt, Prof. Dr. Bruno Reichhart übernimmt seine Betreuung und auch die Transplantation. Am 17. Mai ist es so weit, das rettende Herz ist da.
Die erste Zeit nach der Herztransplantation ist sehr schwer. Anders als heute, muss Ullrich die ersten 2 Wochen in eine Sterileinheit. Später beschreibt er die Einheit wie eine „kleine Wohnung“ mit Fernseher, Nasszelle und Teeküche, die gleichzeitig Aufenthaltsraum für die anwesenden Schwestern und Ärzte ist. Diese sind in 12-Stunden-Schichten eingeteilt und rund um die Uhr anwesend. Wer zu Ullrich hinein möchte, muss sich duschen und sterile Baumwollkleidung, Clogs, Gummihandschuhe und Mundschutz anziehen, auch für Ärzte und Professoren gibt es keine Ausnahmen. Sogar sein Essen wird in einer Schleuse auf ca. 180 Grad erhitzt und erst dann durchgereicht und auch die morgendliche Zeitung wird tropfnass, in Desinfektionsmittel getaucht, geliefert.
Nach dieser Zeit kam Bernd Ullrich auf die eigentliche Intensivstation, wird aber auch hier in einer Box mit geschlossenen Glaswänden separiert. Die ständige Isolation fordert mit der Zeit seinen Tribut. Ullrich verliert die Nerven, glaubt an einer offenen Tuberkulose zu leiden, weil niemand zu ihm in die Box kommt. Er ist außerdem fest davon überzeugt, dass die Ärzte und Schwestern hinter seinem Rücken über ihn sprechen würden. Er steigert sich in diese Vorstellungen hinein und heult stundenlang vor sich hin. Gutes Zureden, alle Erklärungen sind wirkungslos, erst schwere Beruhigungsmittel beenden seine inneren Dämonen. Nach 4 Wochen kommt er auf die Normalstation und darf endlich seine Kinder wiedersehen und auch Freunde dürfen ihn wieder besuchen. Den Klinikalltag vertreibt er sich mit Kreuzworträtsel, lesen und dem Auffrischen seiner Englischkenntnisse.
In den nächsten Monaten wechselt sein gesundheitlicher Zustand immer wieder. Wenn es zwei Schritte nach vorne geht, geht es einen wieder zurück. Er leidet an Ödemen, Fieberschüben, einem Perikarderguss (Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel) und schließlich auch an diversen Abstoßungen. Mehrmals muss er eine Cortison-Stoßtherapie über sich ergehen lassen, die jedes Mal Depressionen bei ihm auslösen. Mittlerweile ist er 8 Monate in der Klinik.
Am 15. Januar bekommt er endlich die freudige Nachricht, dass die Abstoßungen im Griff sind. Ein paar Tage danach wird er nach Hause entlassen. Im Alltag angekommen beginnt er sich eine neue Aufgabe zu suchen, als Hausarzt kann er aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr praktizieren. Er schreibt einige Artikel für Fachzeitschriften, probiert verschiedene Dinge aus. Am 15.6. nimmt er an einer 24-Stunden Segelregatta auf dem Ammersee teil. Das Ganze strengt ihn sehr an, macht ihn aber unheimlich glücklich. Voller Stolz fährt er mit dem Aufkleber der Regatta im Rückfenster seines Autos nach Hause, genießt sein Leben. Schließlich entscheidet er sich dazu, eine Fortbildung zum Psychotherapeuten zu machen und erneut eine Praxis zu eröffnen.
Aber nicht nur in dieser neuen Aufgabe findet er Erfüllung. Dr. Ullrich bereist außerdem die Welt. Er macht Europa unsicher, fliegt mehrmals nach Ägypten und Afrika. Aber auch Nepal, Thailand und Tibet stattet er einen Besuch ab. Er lebt bewusster und ist in Gedanken oft bei seinem Spender. Er fühlt sich verbunden mit ihm und ist sehr dankbar über sein neues Leben. Er lässt auch keine Gelegenheit aus, anderen gegenüber für die Organspende zu werben. Er fühlt sich dazu verpflichtet. „Weil noch immer viel zu wenigen Menschen klar ist, wie viel Glück sie mit einer Organspende schenken können.“ so Ullrich. Wenn man ihn heute fragen würde, ob er sich wieder für eine Transplantation entscheiden würde, jetzt, da er weiß, was das bedeutet, müsste er keinen Augenblick überlegen: Er würde es wieder tun.
Anfang der 1980er überlebten die meisten Herztransplantierten ein bis zwei Jahre. Bernd Ullrichs großes Glück war die Entdeckung des Medikaments Cyclosporin, das damals die Erfolgschancen einer Transplantation enorm anhebt. Am 17. Mai 2022 hatte er seinen 39 Herzgeburtstag. Eine Zahl an geschenkten Lebensjahren, die mir Mut macht. Und wenn Dr. Ullrich dann noch bei unseren Gruppentreffen in München von seinen Erfahrungen erzählt, kann ich nur hoffen, dass mein geschenktes Herz auch einmal so „alt“ wird.
Quelle: Rundschreiben Bundesverband der Organtransplantierten e. V. Vom 01.07.2022
28.06.2022 09:58
Patientensicherheit im Fokus: Herzpatienten sollten ärztliche Zweitmeinung für planbare Operationen einholen
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als höchstes Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands hat mit seinem aktuellen Beschluss die Patientensicherheit von Herzpatienten gestärkt: Das Recht auf eine fachärztliche Zweitmeinung für planbare Herzeingriffe wurde erweitert. Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) unterstützt die Entscheidung.
Bei planbaren Operationen haben gesetzlich Versicherte gemäß §27b Sozialgesetzbuch V einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung. Auch Herzpatienten sollten nach Meinung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. von diesem Recht Gebrauch machen.
Das „Mehr-Augen-Prinzip“ diene nach Angaben der herzmedizinischen Fachgesellschaft vor allem der Patientensicherheit und trage entscheidend dazu bei, die bestmögliche Therapieentscheidung für den Patienten zu treffen. Der G-BA ergänzte mit seiner Beschlussfassung vom 19.05.2022 die bereits bestehende Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren um planbare Implantation von Defibrillatoren und Herzschrittmachern. Bereits zuvor waren in der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren Herzkatheteruntersuchungen und die Verödung von Herzgewebe (Ablationen) inkludiert. Ziel der Richtlinie ist es, dass sich Patienten mit Herzrhythmusstörungen von Ärzten:innen mit besonderen Fachkenntnissen über die Notwendigkeit der Durchführung des Eingriffs oder alternative Behandlungsverfahren beraten lassen können. Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen in Deutschland an erster Stelle der Todesursachen-Statistik.
Um allen Herzpatienten eine optimale Behandlung zukommen zu lassen, plädiert die DGTHG für eine grundsätzliche Entscheidungsfindung in interdisziplinären Herz-Teams, mindestens bestehend aus Vertretern der Fachgebiete Herzchirurgie und Kardiologie. Für bestimmte herzmedizinische Eingriffe sind Herzteamstrukturen bereits durch Richtlinien festgelegt; die Einbeziehung der Patienten ist hier verpflichtend. Vor planbaren Eingriffen sollten Herzkranke daher auf Entscheidungen im Herzteam achten bzw. diese einfordern.
Bundesweit gibt es 78 herzchirurgische Fachabteilungen, die Herzteamprozesse fest verankert haben. „Wir sprechen mit unseren Patientinnen und Patienten auf Augenhöhe. Deren Einbindung ist genauso entscheidend für den Behandlungserfolg wie die konsentierte, individuelle Therapieempfehlung auf strukturierter Grundlage“, bestätigt Prof. Dr. Andreas Böning, Präsident der DGTHG.
«Man kann den Angehörigen nicht zwischen Tür und Angel die Frage stellen, ob man ihrem Liebsten die Organe entnehmen darf», sagt die oberste Ärztin der Schweiz
Yvonne Gilli, Präsidentin der Ärztevereinigung FMH, glaubt nicht, dass das Widerspruchsmodell allein zu mehr Organspenden führen wird. Existenzielle Fragen liessen sich nicht per Gesetz beantworten. Für Gilli ist es kein Zufall, dass Deutschland bei der Organspende viel zurückhaltender ist als die Schweiz.
Darf man davon ausgehen, dass ein Patient am Lebensende zur Organspende bereit ist, auch wenn er nicht eingewilligt hat? Vor wenigen Jahren noch erachtete man dies als ausgeschlossen, die Schweizer Bevölkerung werde eine solche Regelung nie akzeptieren, hiess es. Inzwischen hat der Wind in der Politik gedreht. Geht es nach Bundesrat und Parlament, soll künftig jeder Mensch ein potenzieller Organspender sein, wenn er im Spital stirbt und nicht zu Lebzeiten Widerspruch gegen die Entnahme seiner Organe erhoben hat. Ist kein Wille bekannt, entscheiden die Angehörigen. Ein überparteiliches Komitee, angeführt von einem Arzt und einer Hebamme, hat das Referendum gegen das sogenannte Widerspruchsmodell ergriffen. Am 15. Mai wird darüber abgestimmt. Yvonne Gilli ist die Präsidentin der FMH, der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Die Entscheidungsgremien der FMH stehen laut Gilli geschlossen hinter der erweiterten Widerspruchsregelung. Zentral sei, dass die Angehörigen in den Entscheid einbezogen würden, sagt sie. In der Ärzteschaft ist das Bild dagegen uneinheitlich. «Die rund 43 000 Ärztinnen und Ärzte sind ein Abbild der Gesellschaft. Man findet bei ihnen das ganze Spektrum an Meinungen: von jenen, welche die Organentnahme grundsätzlich ablehnen, bis zu den anderen, die eine strenge Widerspruchsregelung ohne Einbezug der Angehörigen favorisieren.»
Grauzone zwischen Leben und Tod
Wird über die Organspende geredet, liegt der Fokus meist auf den Patienten, die mit einer Transplantation gerettet werden können, selten auf den Spendern. Und so wird auch wenig darüber gesprochen, dass Organspender keine Leichen sind, sondern hirntote Menschen mit lebendigem Körper – andernfalls wäre eine Transplantation von funktionsfähigen Organen gar nicht möglich. Es sind Menschen, deren Hirn irreversibel geschädigt ist, die aber maschinell unterstützt atmen, rosige Haut haben und über Reflexe verfügen. Während der Organentnahme im Operationssaal erhält der Spender eine Vollnarkose, um zu verhindern, dass sein Blutdruck und sein Puls nach oben schnellen und er sich bewegt.
Ende der 1960er Jahre setzte sich das Hirntodkonzept zwar weltweit durch, doch Kritik daran gibt es bis heute, von ethischer, juristischer, mitunter auch medizinischer Seite. Hirntote Menschen befänden sich in einer Grauzone zwischen Leben und Tod, wird eingewandt. «Für Laien ist das tatsächlich schwer zu verstehen», sagt Yvonne Gilli. Wenn jemand auf der Intensivstation vor seinem Angehörigen stehe, bei dem der Hirntod eingetreten sei und dessen Kreislauf und Atmung medikamentös und maschinell aufrechterhalten würden, dann wirke dieser Mensch nicht tot. «Doch der Hirntod, der in der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin seit Jahrzehnten gilt, ist ein klar messbares wissenschaftliches Kriterium. Es bedeutet, dass der Sterbeprozess noch läuft, aber irreversibel ist. Es gibt kein Zurück mehr. Wenn man die lebenserhaltenden Massnahmen wie die künstliche Beatmung aufhebt – und auch diese Massnahmen sind nicht unbeschränkt –, dann stirbt der Patient, sein Körper verfällt. Die Schwelle der Unumkehrbarkeit muss überschritten sein, damit Organe entnommen werden dürfen.»
Deutschland legt ein anderes Mass an
Das Verständnis von Sterben und Todesbeginn ist religiös und kulturell geprägt, und so gehen die einzelnen Länder denn auch unterschiedlich mit der Organspende um. Die Schweiz lässt die Organentnahme auch bei Herztoten zu; fünf Minuten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand wird der Patient für hirntot erklärt.
In etlichen Ländern wird diese Methode indes gar nicht angewandt und werden Herztoten keine Organe entnommen, in Deutschland etwa. Für die FMH-Präsidentin Gilli ist es kein Zufall, dass Deutschland hier viel zurückhaltender ist. Sie führt das auf die Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg zurück, als die Medizin missbräuchlich instrumentalisiert und gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen eingesetzt wurde. «Deutschland legt hier ein anderes Mass an, auch wenn dies naturwissenschaftlich nicht begründbar ist. Das zeigt, wie schwere Traumatisierungen der Gesellschaft über mehrere Generationen nachwirken.» Yvonne Gilli ist Fachärztin für allgemeine innere Medizin und besitzt eine komplementärmedizinische Ausbildung. In ihrer Berufslaufbahn hat sie beide Seiten kennengelernt, jene der Organempfänger und jene der Spender. Mehrere Jahre arbeitete sie auf einer Station mit Nierenkranken, die fast alle auf eine neue Niere warteten. Zuvor war sie auf chirurgischen Intensivstationen tätig und betreute Patienten, von denen einige nach ihrem Tod Organe spendeten.
Kann man auf natürliche Weise sterben, wenn einem die Organe entnommen werden? «Was ist ein natürlicher Tod? Ich denke, dass man das letzte Geheimnis von Sterben und Tod mit einer Schicksalshaftigkeit verbinden könnte. Wenn man ganz am Ende des Lebens, also kurz nach Eintreten des medizinisch definierten Todes, mit dem Körper noch etwas macht und ihm Organe entnimmt, muss dieser Akt mit der Wertehaltung des betreffenden Menschen beziehungsweise jener seiner Angehörigen übereinstimmen. Nur so kann die Menschenwürde über den ganzen Sterbeprozess hinweg erhalten bleiben.»
Gilli betont, dass es nicht nur um den Spender selber gehe, sondern auch um die Angehörigen, die den endgültigen Abschied bewältigen müssten. Wenn sie diesen existenziellen Schritt nicht mit Würde machen könnten, wenn ihr Verständnis vom Tod nicht respektiert werde, könne sie das gesundheitlich enorm belasten.
Moralismus wie in der Covid-Debatte
Die FMH-Präsidentin sass von 2007 bis 2015 im Nationalrat, als Vertreterin der St. Galler Grünen. Dass eine Mehrheit im heutigen Parlament die Organspende von einem altruistischen Akt zum gesetzlich statuierten Regelfall machen möchte, überrascht sie nicht. «Die gesellschaftliche Entwicklung scheint in diese Richtung zu gehen. Gleichzeitig muss man sich bewusst sein, dass wir mit dem Widerspruchsmodell eine Schwelle überschreiten und ein neues Verständnis gegenüber Organentnahmen statuieren. Es ist deshalb sehr wichtig, dass die Bevölkerung an der Urne sagen kann, ob sie diesen Paradigmenwechsel gutheisst oder nicht.»
Gilli hofft denn auch, dass möglichst viele Stimmberechtigte die Gelegenheit nutzen und am 15. Mai ihre Meinung äussern. Moralistische Argumente – nach dem Motto «Wer ein solidarischer Mensch ist, der spendet» – hätten dabei keinen Platz. «Die Organspende zählt zu jenen Themen, bei denen es wichtig ist, zu differenzieren und nicht zu polarisieren. Doch leider wird heute zusehends moralisiert; man hat das gesehen bei der Covid-Debatte, wo tatsächlich die Frage aufgekommen ist, ob Ungeimpfte Anspruch auf intensivmedizinische Behandlung haben sollen.»
Die Befürworter der Widerspruchsregelung versichern, dass niemandem Organe entnommen würden, der dies nicht wolle. Das setzt allerdings voraus, dass jeder Mensch informiert ist und versteht, dass und wie er zu Lebzeiten sein Veto einlegen muss, wenn er nicht dereinst als Organspender gelten will. Wie soll das gelingen? Man könne das Thema Organspende den jungen Männern beispielsweise beim Eintritt in den Militärdienst vorlegen, sagt Gilli.
Auch die Ärzte müssten ihre Patienten künftig sehr aktiv darauf ansprechen. «Die Widerspruchslösung geht einher mit der gesellschaftlichen Verantwortung, sehr viel mehr über Sterben und Tod zu reden. Wir sollten auch wieder mehr Rituale haben, die uns beim Tod begleiten. Früher zum Beispiel war es selbstverständlich, dass Kinder an Beerdigungen dabei waren und sie auf dem Friedhof vom Verstorbenen Abschied nahmen. Mir scheint, dass man die Kinder heute weniger mitnimmt.»
Schutz vor Missbrauch
Eines der Hauptargumente der Pro-Seite lautet, das Widerspruchsmodell entlaste die Angehörigen. «Es ist eine Hilfe, wenn die Nächsten wissen, wie sich ihr Angehöriger entschieden hat. Dann kann man ihm helfen, diesen Wunsch zu erfüllen», sagt Gilli. Doch was, wenn kein dokumentierter Wille vorliegt und man in der Familie zu Lebzeiten nicht über die Organspende gesprochen hat? «Dann ist man als Angehöriger in derselben Lage wie heute, und viele werden sich weiterhin gegen die Entnahme aussprechen», meint die FMH-Präsidentin.
Das zeige sich auch in den Ländern, welche die Widerspruchsregelung heute schon kennten: Oft heisse es, dass dieses Modell für höhere Spendequoten sorge. «Doch wir wissen, dass die Widerspruchslösung allein nicht genügt», sagt Gilli. «Dazu braucht es flankierende Massnahmen, es braucht Vertrauen in die Medizin und klare Prozesse, die vor Missbrauch schützen. Und es braucht die Begleitung der Angehörigen. Man kann nicht im grossen Gehetze einer Intensivstation den Angehörigen zwischen Tür und Angel die Frage stellen, ob man ihrem Liebsten die Organe entnehmen darf. Nur eine Kombination von Massnahmen führt dazu, dass am Ende tatsächlich mehr Organe gespendet werden. Eine Gesetzesänderung allein reicht nicht. Existenzielle Fragen lassen sich nicht etatistisch lösen.»
Thoraxchirurgen starten neue Kampagne für die Organspende
Mittwoch, 13. April 2022
Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) startet eine neue bundesweite Kampagne für die Organspende. „Gebraucht, sehr gut erhalten, in liebevolle Hände abzugeben“ lautet das Motto der Kampagne. Als Motiv dient ein Motor in Herzform.
„Unser Herz ist der leistungsstarke Lebensmotor, der pausenlos funktionieren und ununterbrochen schlagen muss“, erläutert Andreas Böning, Präsident der DGTHG. Schwere erworbene Herzerkrankungen und angeborene Herzfehler könnten den „Lebensmotor“ so nachhaltig schädigen, dass eine Herztransplantation die einzige Überlebenschance für diese schwerst herzkranke Patienten sei, so Böning.
In Deutschland wurden im Jahr 2021 laut der Fachgesellschaft 329 Herzen transplantiert. Auf der Warteliste für die lebensrettende Herztransplantation standen im letzten Jahr 714 Menschen – also mehr als doppelt so viele. Gleichzeitig sei die Organspende im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Prozent gesunken.
„Wir sehen daher den dringenden Bedarf, weiter aktiv Aufklärungsarbeit zu leisten und die Öffentlichkeit erneut für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren“, betont Böning. Aber nicht nur Spenderherzen seien knapp, bundesweit warteten in diesem Jahr rund 8.458 Menschen auf ein geeignetes Spenderorgan.
Nierentransplantationen: Wenig Aussicht auf Verbesserung der Lage
Mittwoch, 13. April 2022
Berlin – Deutschland hat durch eine falsche Politik seinen Spitzenplatz in der Nierentransplantationsmedizin eingebüßt und ist selbstverschuldet auf dem Weg zu einer der schlechtesten Nationen in diesem Bereich. Das kritisiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in ihrem jüngst veröffentlichten Jahresbericht. Allzu viel Hoffnung auf eine baldige Besserung der Situation verbreitet sie nicht.
1.992 Nierentransplantationen wurden 2021 in Deutschland durchgeführt, 1.517 postmortale und 475 Lebendnierentransplantationen. „Eine Zahl von 1.992 Nierentransplantationen auf circa 100.000 Dialysepatienten hat zur Folge, dass aktuell in Deutschland geschätzt fünfmal so viele Patienten chronisch dialysiert werden wie nierentransplantiert sind“, erklärt Bernard Banas, Leiter der Abteilung für Nephrologie und des Universitären Transplantationszentrums des Universitätsklinikums Regensburg sowie Vizepräsident der Deutschen Akademie für Transplantationsmedizin.
„Dass das nicht so sein müsste, machen unsere Nachbarn vor.“ Denn in immer mehr Ländern würden mehr Nierentransplantierte leben als es Dialysepatienten gibt.
Für zehntausende von Patienten mache das einen entscheidenden Unterschied, schließlich würden Daten des Europäischen Dialyse- und Transplantationsregisters die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Dialysepatienten und Nierentransplantierten klar aufzeigen. „Die niedrige Rate an Transplantationen führt dazu, dass Patienten mittleren Lebensalters in Deutschland so lange auf eine Transplantatniere warten, dass sie rein statistisch ihre Transplantation gar nicht mehr erleben können“, schreibt Banas.
Die Folge: Aufgrund dieses Drucks auf Patienten und Angehörige würden sich viele für eine Lebenstransplantation entscheiden. „Dabei würde man diese ärztlich am besten gar nicht vornehmen wollen“, wendet Banas ein. Denn nicht nur sollten an gesunden Menschen eigentlich keine Operationen erfolgen, auch die rechtlichen Rahmenbedingungen machten es die rechtlichen Rahmenbedingungen Patienten, Angehörigen und Ärzten nicht leicht, Lebendnierentransplantationen durchzuführen.
Banas zeigt wenig Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert: „Lösungen scheinen derzeit nicht in Sicht.“ Zwar bekenne sich die Gesellschaft klar zu Organspende und Transplantation, eine politische, juristische und ethische Diskussion über dringend notwendige Änderungen gebe es aber nicht.
Die Diskussion um die Widerspruchsregelung 2019 und 2020 habe das Dilemma beispielhaft aufgezeigt: „Wir sehen uns nicht in der Lage, Bürgerinnen und Bürgern vorzugeben, zu Lebzeiten eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen. Wir lassen jedoch ein Transplantationsgesetz in Kraft, das Angehörigen zumutet, postmortal über die Organspende entscheiden zu müssen.“
Noch bemerkenswerter sei aber, dass in Deutschland jeden Tag Organe aus den anderen sieben Ländern des Eurotransplant-Verbundes transplantiert werden – Organe also, die ohne explizite Zustimmung der Verstorbenen oder deren Angehörigen entnommen wurden, was in Deutschland eindeutig illegal wäre.
Frankfurt am Main – Die Zahl der Organspender ist im ersten Quartal des Jahres massiv eingebrochen. Das hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) heute bekannt gegeben. Demnach gab es von Januar bis März 176 Spender (2021: 249). Das ist ein Rückgang um 29 Prozent. Gleichzeitig sank die Anzahl der in Deutschland postmortal entnommenen Organe um 28 Prozent auf 562 Organe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Insgesamt konnten in deutschen Transplantationszentren im ersten Quartal 600 Organe übertragen werden, die über Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt wurden. Das sind 194 Transplantationen weniger gegenüber dem Vorjahreszeitraum, was einem Rückgang von 24 Prozent entspricht.
Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, zeigte sich zutiefst besorgt über die aktuell vorliegenden Organspendezahlen. „Vor dem Hintergrund, dass jedes einzelne Organ zählt und Leben retten kann, stehen wir vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8.500 Patienten auf den Wartelisten.“
Für die DSO kam der Einbruch nach eigenen Aussagen „völlig unerwartet“. Vor allem, weil Deutschland bisher im Vergleich zu den meisten anderen Ländern ohne größere Einbußen durch die Pandemie gekommen sei.
Nach Ansicht der DSO ist der Rückgang unter anderem auf die zunehmende Arbeitsüberlastung in den Kliniken in der Pandemie zurückzuführen. Grund dafür sei, ein erhöhter Personalausfall auf den Intensivstationen. „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären“, so Rahmel.
Insgesamt sind laut DSO die Ablehnungen gegenüber einer Organspende in der Akutsituation auf den Intensivstationen um elf Prozent gestiegen. Auch in den Angehörigengesprächen wird eine Organspende demnach derzeit häufiger abgelehnt als noch im vergangenen Jahr. Lediglich in rund 15 Prozent der Fälle liegt den Statistiken der DSO zufolge eine schriftliche Willensbekundung des potenziellen Spenders vor.
Ein Problem sind auch die medizinische Kontraindikationen durch SARS-CoV-2. Diese haben laut DSO um elf Prozent zugenommen. Die Zunahme steht der DSO zufolge „in direkter Relation zu der gestiegenen SARS-CoV-2-Infektionsrate“. Im Falle eines positiven Befundes sind demnach mögliche Spender noch bis vor kurzem von einer Organentnahme ausgeschlossen worden, weil diese in der Regel als Folge einer schweren COVID-19-Erkrankung verstorben waren.
Die Organspendeorganisation weist aber auch darauf hin, dass die Zahl potenzieller Organspender, bei denen das SARS-CoV-2-Virus nur als Zufallsbefund nachgewiesen worden ist, ohne dass die möglichen Spender diesbezüglich symptomatisch gewesen wären, deutlich zugenommen hat. Die Folge sei, dass sich die Zahl der Fälle, bei denen der Organspendeprozess wegen dieser Infektion abgebrochen worden ist, im ersten Quartal 2022 gegenüber dem letzten Quartal 2021 nahezu verdoppelt habe.
„Internationale Erfahrungen zeigen, dass gerade in diesen Situationen auch bei positivem SARS-CoV-2-Befund eine Organspende unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist“, schreibt die DSO. Entsprechend würden seit März im Einzelfall auch Organe von solchen Spendern im Eurotransplant-Verbund angeboten. Die Entscheidung über die Transplantation erfolge im Transplantationszentrum wie immer unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für die entsprechend aufgeklärten Empfänger.
Laut statistischer Auswertung der DSO gibt es noch einen weiteren „wesentlicher Grund“ für den Rückgang der Organspenden in diesem Quartal.
Die Analye habe eine Häufung von organspendebezogenen Kontakten ergeben, bei denen es vor einer möglichen Feststellung des Todes durch Nachweis des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls („Hirntod“) zu einem Zusammenbruch der Herz-Kreislauf-Funktion bei den Patienten gekommen sei (+ 44 Prozent).
Die Organe der verstorbenen Spender müssen laut DSO bis zur Entnahmeoperation künstlich durch intensivmedizinische Maßnahmen funktionsfähig gehalten werden. Versagt das Herz-Kreislaufsystem des Spenders vorzeitig, ist keine Organspende mehr möglich.
Auch nahm die Zahl der Fälle um 20 Prozent zu, bei denen es nach einer Kontaktaufnahme des Krankenhauses zur DSO als Koordinierungsstelle zu keiner Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls kam.
Angesichts dieser schwierigen Situation ruft der Medizinische DSO-Vorstand alle Partner im Prozess der Organspende dazu auf, die Patienten auf den Wartelisten nicht aus dem Blick zu verlieren und sich gemeinsam weiter engagiert dafür einzusetzen, die Organspendezahlen in Deutschland trotz widriger Umstände wieder auf einen besseren Weg zu bringen.
Anfang dieses Jahres gab es mehr als ein Viertel weniger Transplantationen als zu Beginn des Vorjahres. Die zuständige Koordinierungsstelle ist überrascht - und besorgt.
Frankfurt/Main - Die Zahl der Organspenden ist Anfang dieses Jahres massiv zurückgegangen. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtete am Freitag in Frankfurt von einem Einbruch um 29 Prozent im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Die Anzahl der Organspender sank in den ersten drei Monaten 2022 auf 176, im Vergleichszeitraum waren es 249. Die Anzahl der nach dem Tod entnommenen Organe sank um 28 Prozent auf 562 Organe. Insgesamt konnten in deutschen Transplantationszentren im ersten Quartal 600 Organe übertragen werden. Sie wurden über Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt. Das waren 194 Transplantationen weniger als im Vorjahreszeitraum.
„Dramatische Entwicklung“
Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, äußerte sich „zutiefst besorgt“: „Wir stehen vor einer dramatischen Entwicklung für die rund 8500 Patienten auf den Wartelisten.“ Der Einbruch komme „völlig unerwartet“: Deutschland sei bisher ohne größere Einbußen durch die Pandemie gekommen.
Die DSO vermutet, dass die Arbeitsüberlastung in den Kliniken ein Grund sein könnte: „Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch weniger Organspenden realisiert werden konnten, als unter normalen Umständen möglich gewesen wären.“ Auch die Zahl der Nein-Voten nach den Beratungsgesprächen nahm zu. Ein weiterer Grund ist, dass Verstorbene mit einer Corona-Infektion von der Organspende ausgeschlossen waren.
Der Medizinische DSO-Vorstand rief „alle Partner im Prozess der Organspende“ dazu auf, sich trotz widriger Umstände weiter zu engagieren. „Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Jeder von uns trägt hier eine große Verantwortung gegenüber den schwer kranken Menschen auf den Wartelisten“, sagte Rahmel. dpa
Fachgesellschaft fordert Nachbesserung an neuem Organspendegesetz
Freitag, 4. März 2022
Hannover – Die Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) hat dringend angemahnt, das neue Gesetz zur Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende nachzubessern. Konkret geht es darum, Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen als auskunftsberechtigte Personen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ernannt werden, zu berücksichtigen.
Das neue Gesetz zur Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende ist am 1. März in Kraft getreten. Es soll die Situation in der Organspende verbessern und dem Mangel an Transplantaten entgegenwirken. Mit eingeschlossen ist dabei auch die Gewebespende. Entsprechend umfasst das mit dem Gesetz verbundene Onlineregister, welches das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zurzeit einrichtet, sowohl die Dokumentation der Entscheidung zur Organspende als auch zur Gewebespende.
Das Bundesinstitut verteilt für den Zugriff auf dieses Register sogenannte Verordnungsermächtigungen an ausgewählte Personen, um im Einzelfall die Entscheidung des potentiellen Spenders zu überprüfen. Dabei völlig außer Acht gelassen und im Gesetz nicht mit berücksichtigt sind laut DGFG Mitarbeiter von Gewebespendeeinrichtungen.
„Ändert sich an dem bereits in Kraft getretenen Gesetz bis zum Registerstart nichts mehr, besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl an Gewebespenden nicht mehr realisiert werden kann und sich damit die Patientenversorgung mit Gewebetransplantaten in Deutschland erheblich verschlechtert“, heißt es dazu aus der Gesellschaft.
Denn das neue Gesetze sehe vor, dass die Auskunft aus dem Online-Register nur an einen Arzt oder Transplantationsbeauftragten erfolgen darf, der 1. „von einem Krankenhaus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als auskunftsberechtigt benannt wurde“ und 2. „weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe und Gewebe des möglichen Organ- oder Gewebespenders beteiligt ist und auch nicht Weisungen eines Arztes untersteht, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist“ (TPG § 2a Absatz 4).
Somit dürften Mitarbeiter der DGFG selbst keine Auskunft aus dem Register erhalten. Der Arzt oder Transplantationsbeauftragte dürfe zwar die Information an eine Gewebespendeeinrichtung weitergeben. Die DGFG befürchtet an dieser Stelle jedoch, dass die Bereitschaft zur Auskunft über die im Register hinterlegten Informationen zur Gewebespende bei den Ärzten schwindet.
Neues Bürgerregister zu Organspenden verzögert sich
Dienstag, 15. Februar 2022
Berlin – Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland verzögert sich der Start eines neuen Bürgerregisters. Der ursprünglich vorgesehene Termin 1. März wird nicht erreicht werden können, wie das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mitteilte.
Den Betrieb aufnehmen soll das Register nun frühestens Ende des Jahres. Hintergrund sei, in der Coronapandemie eine weitere Belastung der Krankenhäuser durch nötige technisch-organisatorische Vorarbeiten aktuell zu vermeiden, die mit ihrer Anbindung an das Register einhergehen würden.
Das zentrale Register ist ein Kernelement einer Organspendereform, die der Bundestag Anfang 2020 beschlossen hatte. Darin soll man Erklärungen zu seiner Spendebereitschaft online speichern können.
Generell sollen künftig alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema angesprochen werden. Wer ab dem Alter von 16 Jahren einen Personalausweis oder einen Pass beantragt, soll auf dem Amt Informationsmaterial zu Organspenden bekommen. Schon auf dem Amt soll man sich dann mit Ja oder Nein ins Register eintragen können – aber auch später etwa online von zu Hause.
Die Reform geht auf die Initiative einer Abgeordnetengruppe um die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und die damalige Linke-Chefin Katja Kipping zurück. Sie zielt darauf ab, mehr Menschen dazu zu bewegen, konkret über eine Spende nach dem Tod zu entscheiden. Organspenden bleiben aber nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Das Gesetz tritt zum 1. März in Kraft.
Ziel ist, angesichts von gut 8.400 Menschen auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Im vergangenen Jahr gaben 933 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe – 2,2 Prozent mehr als 2020, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Die Zahl der entnommenen Organe ging jedoch um 1,2 Prozent auf 2.905 zurück.
Wie es vom Ministerium weiter hieß, will die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Länder und Kommunale Spitzenverbände rechtzeitig vor dem 1. März über ihr kostenloses Informationsangebot unterrichten.
Die Kommunen könnten dann für Pass- und Meldeämter sowie Ausländerbehörden Infomaterial kostenfrei bestellen. Zudem liefen noch Beratungen dazu, inwieweit die Länder ihre gesetzliche Verpflichtung umsetzen, das Abgeben von Erklärungen auch direkt in den Ämtern zu ermöglichen.
Vorgesehen ist auch, dass Hausärzte Patienten künftig auf Wunsch alle zwei Jahre über Organspenden informieren und – ergebnisoffen – zum Eintragen ins Register ermuntern. Grundwissen soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor Führerscheinprüfungen werden. Im Register soll man Erklärungen jederzeit ändern können. Eingerichtet werden soll es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Brauche ich eine Betreuungsverfügung? Den Alltag organisieren lassen, wenn man es selbst nicht mehr kann – diese Vorsorge schafft Klarheit
Von Hans Peter Seitel Berlin.
So leben, wie man es für richtig hält – das wünschen sich alle. Aber was ist, wenn die eigenen Fähigkeiten nicht mehr reichen, das Leben nach den persönlichen Vorstellungen zu gestalten? Mit einer Betreuungsverfügung lässt sich vorsorgen für den Fall der Fälle. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wozu dient die Verfügung? Eine psychische oder körperliche Erkrankung, ein plötzlicher Unfall, eine Behinderung: Jeder kann in die Lage geraten, dass er seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht allein regeln kann – und sei es im Alter aufgrund von Demenz.
In der Betreuungsverfügung kann man in guten Zeiten festlegen, wer dann als rechtlicher Betreuer unterstützend tätig werden soll. Außerdem können die persönlichen Erwartungen an die Betreuung in der Verfügung festgehalten werden. „Man gibt einem künftigen Betreuer eine Art Gebrauchsanleitung an die Hand“, erläutert Peter Rudel, Jurist beim Cura Betreuungsverein in Berlin.
Worum kümmert sich ein Betreuer? Die Aufgaben können je nach den Fähigkeiten der betreuten Person, Dinge
noch
selbst
zu
erledigen, mehr oder weniger umfassend sein. Mögliche Felder sind die Organisation der Pflege und einer Haushaltshilfe, die Vertretung gegenüber Behörden, Wohnungsfragen, das Bezahlen von Rechnungen oder etwa die Gesundheitssorge. „Es geht immer um Wunsch und Wille der Person. Durch die Betreuung soll sichergestellt werden, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen kann“, sagt Barbara Dannhäuser, die für die Fachverbände SKM und SkF sowie den Caritasverband tätig ist. Die Leiterin der Arbeitsstelle Rechtliche Betreuung nennt als Beispiel, dass manche Betroffene Ängste entwickeln,
Behörden
zu kontaktieren oder Entscheidungen zu treffen: „Der Rentenantrag wird nicht gestellt
und
soziale
Hilfen werden nicht in Anspruch genommen. Der Betreuer kann die Sache dann in die Hand nehmen“, erläutert Dannhäuser.
Was macht der Betreuer nicht? Viele verwechseln die rechtliche mit einer sozialen Betreuung. „Die Aufgabe des Betreuers besteht nicht darin, für die betreute Person einzukaufen, sie zu pflegen, die Wohnung aufzuräumen oder ihr zum Beispiel Gesellschaft zu leisten. Er stellt aber die Versorgung und soziale Betreuung organisatorisch sicher“, sagt Jurist Rudel, der beim Cura Betreuungsverein unter anderem ehrenamtliche Betreuer ausbildet.
Wann wird eine Betreuung eingerichtet? Ob und für welche Aufgaben ein Betreuer bestellt wird, entscheidet das Betreuungsgericht. Das geschieht auf Wunsch des Betroffenen selbst oder nach Hinweisen von Angehörigen, Nachbarn oder etwa auch einer Bank, der auffällt, dass jemand offenkundig verwirrt ist und dreimal am Tag Geld abhebt. „Es ist wichtig, dass sich diese Leute bei der Betreuungsbehörde oder dem Gericht melden, damit der Person geholfen wird“, sagt Fachfrau Dannhäuser. Bei der Wahl des Betreuers ist das Gericht an die Betreuungsverfügung grundsätzlich gebunden. Eine Ausnahme macht es laut Bundesjustizministerium (BMJ) nur dann, wenn die Bestellung der darin benannten Person dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde. Mit der Vormundschaft von früher (bis 1992) hat die Betreuung übrigens nichts zu tun. „Die Bestellung eines Betreuers ist keine Entrechtung. Sie hat nicht zur Folge, dass die betreute Person geschäftsunfähig wird“, heißt es beim BMJ. Laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft können auch Menschen mit Demenz Wünsche für ihre spätere Lebensgestaltung in einer Betreuungsverfügung niederlegen, solange sie in der Lage sind, ihren Willen zu äußern.
Und wenn es keine Verfügung gibt?
Das Gericht prüft dann mithilfe der Betreuungsbehörde, ob jemand aus dem Familien- und Bekanntenkreis zur Übernahme der Betreuung geeignet und bereit ist. Wird das Gericht im privaten Umfeld nicht fündig, kann es einen ehrenamtlichen oder auch einen berufsmäßigen Betreuer bestellen. Wichtig ist: Wer auf eine Verfügung nur deshalb verzichtet, weil er niemanden hat, dem er die Aufgabe überantworten möchte, sollte wissen, dass er auch bestimmte Personen ausschließen kann. „Die Verfügung ist auch dazu da, dem Gericht gegenüber klarzumachen, dass beispielsweise der missliebige Neffe auf keinen Fall in Betracht gezogen werden soll“, erläutert Expertin Dannhäuser.
Wie sollte mir ein fremder Mensch helfen können? Je genauer in der Betreuungsverfügung steht, welche Wünsche man hat, desto eher können sie umgesetzt werden. „Wenn der Betreuer beispielsweise weiß, welche Lebens- und Essgewohnheiten die betreute Person hat, ob sie sich gern etwas gönnt oder sehr sparsam leben möchte und ob sie im Pflegefall möglichst lange zu Hause oder lieber im Heim leben möchte, ist das sehr hilfreich“, sagt Peter Rudel. Aufschreiben könne man etwa auch, was einen freut oder ängstigt, was man im Leben gemacht hat und welche persönlichen Dinge bei einem Umzug ins Heim unbedingt mitgenommen werden sollen.
Wird ein Betreuer kontrolliert? Betreuer müssen einmal jährlich dem Gericht einen Bericht über ihre Tätigkeit mit genauer Rechnungslegung vorlegen. Außerdem müssen sie sich wichtige Entscheidungen vom Gericht genehmigen lassen. „Das Gericht bemerkt es, wenn ein Betreuer in die eigene Tasche wirtschaften sollte“, sagt Jurist Rudel. Er betont: „Schwarze Schafe gibt es zwar überall, aber bei der Betreuung fallen sie schnell auf.“
Wer hilft mir bei der Verfügung? Informationen und Beratungen bieten die Betreuungsvereine an. Zu finden sind die Adressen im Internet und auf den Webseiten von Trägerorganisationen, darunter Wohlfahrtsverbände wie AWO, ASB, Caritas, Diakonie, DRK oder Paritätische. Die örtlichen Betreuungsbehörden geben ebenfalls Auskunft. Ein Verfügungsformular zum Ausfüllen stellt beispielsweise das BMJ bereit.
Verfügung oder Vollmacht – oder beides Die Vorsorgevollmacht ist bekannter als die Betreuungsverfügung. Dabei können sich beide
Vorsorge-Instrumente
sinnvoll ergänzen – oder die Verfügung ersetzt die Vollmacht. Erteilt man
einer absoluten Vertrauensperson
eine Vollmacht, bleibt das Risiko,
dass diese nicht alle am Tag X anstehenden Entscheidungen abdeckt oder die Vollmacht aufgrund von Formfehlern nicht gilt. Daher diese Person besser in eine
Betreuungsverfügung aufnehmen. Noch ratsamer ist eine Verfügung, wenn die Person, die sich kümmern würde, nur ein Bekannter ist, dem man aber etwa Geldsachen nicht anvertrauen will. Und ohne Vertraute bleibt eine Betreuungsverfügung sogar die einzige Möglichkeit. shp
Frankfurt; 02.02.2022
Erfahrungen im Umgang mit der BÄK-Richtlinie Spendererkennung Eine Umfrage innerhalb des Netzwerkes der Transplantationsbeauftragten NORD e.V. zeigt die positiven Impulse, aber auch einige Problempunkte auf.
Von rund 140 Mitgliedern des Netzwerkes in Norddeutschland haben 29 an der internen Befragung teilgenommen. Für vier Wochen stand im Sommer 2021 dazu ein Online-Fragebogen zum anonymen Ausfüllen bereit.
„Erfreulich ist, dass die neue Richtlinie Spendererkennung vor allem die Handlungssicherheit auf den Intensivstationen erhöht“, kommentiert Dr. med. Frank Logemann, Vorstand des Netzwerkes, eines der Ergebnisse. Ebenso stärkt sie nach Ansicht der Befragten das Bewusstsein für die Organspende, sie sorgt für Rechtssicherheit und schafft Transparenz. Zudem geben einige der Transplantationsbeauftragten an, dass die Therapiezielfindung sowie die klinische Spendererkennung für sie leichter umsetzbar sind.
Daneben nennen die Mitglieder jedoch auch einige Herausforderungen, die sich mit der Implementierung der geänderten Vorgaben ergeben. So ist es beispielsweise erforderlich, das Personal auf den Intensivstationen erneut zu schulen und Prozessabläufe anzupassen. Um diese Aufgaben aktiv angehen zu können, brauchen die Transplantationsbeauftragten jedoch Zeit und Ressourcen. Reicht die gesetzlich finanzierte Freistellung dafür überhaupt aus? Immerhin wünscht sich etwa die Hälfte der Befragten Unterstützung bei der Umsetzung der Richtlinie. „Dass es einen grundsätzlichen Bedarf an Hilfsangeboten gibt, bestätigt sich hiermit erneut“, erklärt Logemann. Interessant ist jedoch: Die Transplantationsbeauftragten erhoffen sich diese Hilfe vor allem von ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Kliniken in der Nähe.
Die überarbeitete Fassung der Richtlinie Spendererkennung gilt seit September 2020. Einer ihrer Kernpunkte: Der mögliche Wille zur Organspende muss rechtzeitig erkundet werden, spätestens dann, wenn bei einem Patienten ein irreversibler Hirnfunktionsausfall vermutet wird oder dessen Eintritt unmittelbar bevorsteht.
Fachliche Schulung des Intensivpersonals erforderlich Damit die Spendererkennung vorausschauend erfolgen kann, sind aus Sicht der Teilnehmer der Umfrage eine hohe fachliche Expertise und Erfahrung unabdingbar. Innerhalb des Intensivpersonals sind solche Kenntnisse jedoch nicht immer vorhanden. So kann es beispielsweise Unklarheiten darüber geben, wie ein unmittelbar bevorstehender Hirnfunktionsausfall definiert ist und erkannt werden kann. Dies sind jedoch die Voraussetzungen, damit das „unverzügliche“ Erkennen und Melden eines möglichen Spenders an den Transplantationsbeauftragten stattfinden kann – und zwar vor dem Gespräch mit den Angehörigen. Bei der Umfrage wurde auch die fehlende IT-Automatisierung beim Screening möglicher Spender als Problempunkt genannt. Solche Tools befinden sich derzeit noch in der Erprobung und Weiterentwicklung und sind bislang nur für wenige Kliniken verfügbar.
Umgang mit der Therapieeskalation bei unklarem Patientenwillen. Deutlich gezeigt hat sich bei der Befragung auch, dass die rechtzeitige Ermittlung des Patientenwillens bei festgelegter Therapiebegrenzung oftmals Probleme aufwirft. Eine Fortführung der intensivmedizinischen Maßnahmen trotz infauster Prognose hat laut Logemann offenbar hohes Potenzial, moralische Konflikte beim Personal der Intensivstationen hervorzurufen. „Es ist nun genauer definiert, wann laut Transplantationsgesetz bei Patienten ohne Kontraindikationen eine Organspende in Betracht kommt. Die Geräte dürfen nicht abgestellt werden, solange der Patientenwille zur Organspende nicht bekannt ist“, informiert Logemann. Er vermutet, dass zur Umsetzung dieser Vorgehensweise Medizinern und Pflegenden noch bessere ethische Unterstützung im jeweiligen Einzelfall angeboten werden muss, insbesondere, weil es hierbei ja darum gehe, der Patientenautonomie gerecht zu werden.
Nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls muss zunächst die DSO darüber informiert werden und anschließend soll das abschließende Gespräch mit den Angehörigen zur Frage der Organspende geführt werden. Dies Vorgehen werde von einem Teil der befragten Transplantationsbeauftragten, so Logemann, als belastend empfunden.
Rückenstärkung im Angehörigengespräch Bestärkt sehen sich die Transplantationsbeauftragten in der Möglichkeit, die Angehörigen eines Patienten schon vor der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ansprechen zu können. „Dies erleichtert die ohnehin schon äußerst belastende Situation“, erläutert Logemann. Gerade in diesen Momenten kann immer mal wieder die Angst entstehen, dass die Frage zur Organspende von den Angehörigen als viel zu früh empfunden wird. „Gerade dann, wenn ein scheinbarer Widerspruch entsteht, weil man zuvor noch versprochen hat, alles medizinisch Mögliche für den Patienten zu tun“, so der Mediziner. Die neue Richtlinie mache diese möglichst frühe Nachfrage zu einer Pflicht. Dies gebe im Zweifelsfall die nötige Sicherheit, das Gespräch zu diesem Thema gezielt aufzunehmen.
In puncto Handlungssicherheit sind sich die Teilnehmer der Umfrage auch weitgehend einig: Mehr als 90 Prozent geben an, dass die neue Richtlinie diese gesteigert hat.
Unterstützung von erfahrenen Medizinern erwünscht Besonders klar äußern die Befragten auch den Wunsch nach Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Richtlinie, den 50 Prozent von ihnen mit einem klaren „JA“ angeben. Von wem könnte diese Hilfe kommen? Hierbei werden an erster Stelle andere Transplantationsbeauftragte genannt (60 Prozent), dann das Intensivpersonal (20 Prozent) sowie an dritter Stelle die Seelsorge (10 Prozent).
Konkretere Nachweispflicht für Kliniken wäre hilfreich „Die gesamte Umfrage zeigt uns im Grunde erneut, wie wichtig das Thema Freistellung für die Arbeit der Transplantationsbeauftragten ist. Die meisten von ihnen sind sehr engagiert und sie sollten ihren Aufgaben uneingeschränkt nachkommen können,“ betont Logemann. Dazu wünsche er sich genauere gesetzliche Regelungen für Kliniken, durch die sie einen Nachweis darüber erbringen müssten, wie die Freistellung und Finanzierung der Transplantationsbeauftragten stattgefunden hat.
Weiterführende Links auf der DSO-Website
Unterstützungsangebote der DSO Dienstleistungen, die bei der DSO für Entnahmekrankenhäuser rund um die Uhr abrufbar sind. Dazu zählen u.a.
Klärung der medizinischen und juristischen Voraussetzungen einer Organspende
Vermittlung neurologischer Konsiliarärzte für die Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms
Unterstützung beim Angehörigengespräch und bei der Angehörigenbetreuung
Die gesamte Übersicht:
Leitfaden für die Organspende: Thema Spenderidentifizierung Im Kapitel 2.1. sind die klinischen Zeichen aufgelistet, die auf die Entwicklung oder den Eintritt des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls hinweisen können.
Ärzte nach Sensations-Organtransplantation optimistisch: „Keine Zeichen der Abstoßung.“
Baltimore
(dpa). Der Patient, dem weltweit
erstmals ein Schweineherz
als Ersatzorgan eingesetzt wurde, macht
seinen Ärzten zufolge weiter gute Fortschritte. „Es geht ihm besser, als wir erwartet hatten“, sagte Muhammad Mohiuddin, zuständiger Chirurg am University of Maryland Medical Center in Baltimore. „Seinem Herzen geht es gut, es gibt kein Zeichen der Abstoßung.“
In einem Meilenstein auf dem Gebiet der
Organtransplantation war dem an einer lebensgefährlichen Herzkrankheit leidenden 57-Jährigen Anfang Januar das genetisch veränderte Organ eingesetzt worden. Die Operation dauerte laut US-Medien rund acht Stunden. Es handele sich um einen Mann, der wohl wegen Verletzung der Vorgaben nicht mehr auf der Warteliste für ein Spenderherz gestanden habe und für den das tierische Organ die letzte Alternative zum Tod gewesen sei, hatte der Veterinärmediziner Heiner Niemann von
der Medizinischen Hochschule Hannover gesagt. Nach der Operation war der Patient noch einige Tage an eine Herz-Lungen-Maschine
angeschlossen gewesen.
Der Mann sei „bemerkenswert wach“, sagte der zuständige
Chirurg Bartley
Griffith. „Wenn ich an das Fenster von seinem Zimmer komme, merkt er das normalerweise und weiß, was los ist. Er winkt mich dann zu sich und fragt mich, wann er nach Hause gehen kann – und solange er mich das fragt, hat er –glaube ich – die richtige Einstellung.“ Der Patient bekomme Physiotherapie. „Wir müssen seine Beine stark genug machen, dass sie ihn wieder tragen
können. Bislang geht das noch nicht.“ Bis der Patient entlassen werden könne, werde es wohl noch eine ganze Weile dauern, sagte Mohiuddin. „Wir schauen uns das Tag für Tag an.“ Aber man sei optimistisch. „Hoffentlich kann er eines Tages wieder nach Hause
und mit
seinem Hund spazieren gehen, so wie er es sich wünscht.“
Die
sogenannte Xenotransplantation wird seit den 1980er Jahren erforscht. Schweine sind als Spender besonders geeignet, weil ihr Stoffwechsel dem von Menschen ähnelt.
27.02.2022
Berlin. Hausarztpraxen erhalten Unterstützung bei der Beratung zur Organspende. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat ein Infopaket mit Patienten-Broschüren sowie Organspendeausweisen geschnürt. Wie die KBV berichtet, habe der Versand der Infopakete an die Praxen bereits begonnen und soll bis Ende Februar abgeschlossen sein.
Denn ab März sollen Hausärzte – so sieht es das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ vor – ihre Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre zur Organ- und Gewebespende beraten. Noch wissen aber auch nur weniger Patienten, dass sie diese Beratung in Anspruch nehmen können: In einer repräsentativen Umfrage der BZgA im vergangenen Jahr gaben nur 20 Prozent der über 4000 befragten Bürger an, dass sie die Beratungsmöglichkeit beim Hausarzt kennen. Das Standardinformationspaket enthält laut KBV je zehn Exemplare der beiden Broschüren „Antworten auf wichtige Fragen“ und „Wie erkläre ich meine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende? Drei Wege: kurz und knapp“ für Patienten sowie 100 Organspendeausweise. Die Unterlagen könnten kostenfrei bei der BZgA nachbestellt werden.
Abrechnen können Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte die Beratung zur Organspende ab März über die neue Gebührenordnungsposition (GOP) 01480. Sie ist mit 65 Punkten (7,32 Euro) bewertet und kann bei Patienten ab 14 Jahren alle zwei Jahre angesetzt werden. (reh)
Organspende: „Mein neues Leben hat begonnen“
14.01.2022
Von Ursula Rüssmann
Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die mithilfe einer privaten Initiative durch eine Überkreuz-Lebendspende neue Nieren bekommen haben. Doch sie mussten hohe Hürden nehmen.
An der Berliner Universitätsklinik Charité ist im vergangenen Oktober etwas gelungen, was in Deutschland ausgesprochenen Seltenheitswert hat: eine sogenannte Crossover- oder Überkreuz-Lebendspende, also eine Art Nierentausch zwischen zwei Paaren aus Biberach an der Riß und Köln.
Elisabeth Woitzik aus Köln erhielt nach sechs Jahren an der Dialyse eine Spenderniere von Lothar Merk aus Biberach. Merks Ehefrau Maria bekam eine Niere von Woitziks Jugendfreund Franz Bergen. Beide Frauen leiden an Zystennieren, einer erblichen Erkrankung. Allen vier Beteiligten geht es nach den Eingriffen gut. Es sei erst die zweite Crossover-Transplantation an der Charité überhaupt gewesen, sagt Professor Klemens Budde, Schwerpunktleiter Transplantation an der Klinik. Die erste liegt 14 Jahre zurück. Grund: Die derzeit strenge Rechtslage sorge für große Unsicherheit. Budde ist jedoch entschlossen: „Wir wollen das jetzt ausbauen.“
Organspende in Deutschland: Der Organmangel hält an
Bei einer Lebendspende stellen Spender:innen die eigenen Organe zur Verfügung - vor allem Nieren. Die spendende Person kann mit der verbleibenden Niere weiterhin ein normales Leben führen. Die Überkreuz-Lebendspende ist nicht das Allheilmittel gegen den anhaltenden Organmangel in Deutschland, der etwa für Nierenkranke immer längere Wartezeiten bedeutet. Budde sieht darin aber ein wichtiges Verfahren. Sie kommt für Nierenkranke in Frage, die einen potenziellen Organspender oder eine -spenderin in ihrem Umfeld haben, bei denen aber eine direkte Lebendspende nicht möglich ist, weil es etwa Gewebeunverträglichkeiten gibt.
Eine Überkreuz-Lebendspende ist für Menschen sinnvoll, die ein Organ einer ihnen nahestehenden Person bekommen könnten, es aber nicht vertragen.
So war es bei Merk und Woitzik, bei der neben dem Jugendfreund auch der Ehemann aus medizinischen Gründen nicht direkt spenden konnte. Und so ist es laut Budde bei etwa fünf bis zehn Prozent aller Spender-Empfänger-Paare: „Wenn wir hier Crossover-Programme breiter einsetzen könnten, würde das die Wartelisten tatsächlich relevant entlasten.“ Auch der Ärztetag hat im vergangenen November gefordert, die Crossover-Spende zu erleichtern.
Wie steinig der Weg derzeit ist, zeigt der Berliner Fall. Er wurde überhaupt erst möglich durch eine Privatinitiative: Die Wolfsburgerin Susanne Reitmaier hat aufgrund der Erfahrungen mit ihrer nierenkranken Tochter vor Jahren die Initiative „Crossover-Nierenspenderliste“ aufgebaut. Auf einer geschützten Website können sich Spender-Empfänger-Paare eintragen und ihre Daten verschlüsselt hinterlegen. Computergesteuert werden aus dem Pool zwei immunologisch passende Paare ermittelt. Reitmaier macht diese dann miteinander bekannt und begleitet den vom deutschen Transplantationsgesetz (TPG) vorgeschriebenen Kennenlernprozess. Das TPG schreibt in Paragraf 8 nämlich vor, dass Lebendspenden nur zwischen engen Verwandten oder Menschen möglich sind, die sich „in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“.
Maria Merk und Elisabeth Woitzik sind die ersten, die durch dieses ehrenamtliche Projekt neue Nieren bekommen haben. „Mein neues Leben hat begonnen“, sagt Merk heute, deren Mutter und Bruder nach vielen Jahren an der Dialyse verstorben sind. Auch Woitzik ist dankbar über die neue Chance: „Mir ging es in den letzten Jahren der Dialyse immer schlechter. Jetzt habe ich wieder jede Menge Kraft und Energie.“
Organspende: Überkreuz-Lebendspende nur bei „persönlicher Verbundenheit“
Bis es soweit war, mussten sie aber hohe Hürden nehmen – vor allem die des vom Gesetz verlangten Kennenlernens. Beim ersten Treffen in Wolfsburg im Sommer 2020, erinnert sich Woitzik, „war gleich Sympathie da. Es gab viel Verbindendes, wir sind zum Beispiel alle um die 60, wir beiden Frauen Grundschullehrerinnen.“ Es folgten mehrere gemeinsame Aufenthalte in der Charité für Untersuchungen. Wegen der Pandemie habe man aber zunächst darauf verzichtet, sich privat in Biberach und Köln zu besuchen. Im Februar 2021 dann der Termin vor der Berliner Lebendspendekommission, die laut Gesetz begutachten muss, ob die Lebendspende freiwillig und ohne finanzielle Interessen erfolge.
Doch die Kommission lehnte ab, sie sah die erforderliche „persönliche Verbundenheit“ noch nicht ausreichend gegeben. Die Enttäuschung war riesig, so Maria Merk: „Eigentlich hat man ja gar keine Kraft, noch weiter zu kämpfen.“ Immerhin bekamen die Paare eine zweite Chance: Im Juli durften sie erneut antreten und hatten in der Zwischenzeit gemeinsame Wochenenden verbracht, mehrfach wöchentlich telefoniert, Videocalls gemacht. Längst waren die Paare zu Freunden geworden. Das reichte der Kommission. Im Oktober wurde endlich transplantiert – beide Paare gleichzeitig in den Kliniken Berlin-Mitte und Virchow. Vorher hatten alle sich geeinigt: Wenn bei der einen Transplantation etwas schief gehen sollte, solle die andere trotzdem stattfinden.
Für Transplantationsmediziner Budde zeigt der Fall exemplarisch die Schwachstelle des Gesetzes. Das Verbundenheits-Kriterium sollte wegfallen, fordert er: „Aus ihm spricht Misstrauen gegenüber dem Bürger, und es geht an der Realität vorbei.“ Denn auch beim Überkreuz-Programm gebe ein Spender eine Niere doch letztlich zum Wohl seines Partners oder seiner Partnerin, auch wenn jemand anderes das Organ bekomme. Dass die deutsche Regelung nicht zwingend ist, zeigt der Blick nach Frankreich: Dort ist genau das Gegenteil vorgeschrieben, nämlich, dass die beiden Spender-Empfänger-Paare sich nicht kennen.
Organspende: Mediziner fordert, altruistische Spenden zu erlauben
Die Charité hofft denn auch auf eine Änderung des Transplantationsgesetzes, die Crossover leichter macht. Aber auch unabhängig davon will die Klinik ihr Überkreuzspenden-Programm wachsen lassen. Sie verfügt neuerdings über ein Computerprogramm, das aus dem Patient:innenpool immunologisch passende Paare für Crossover-Transplantationen herausfiltern kann. Rund 120 nierenkranke Menschen werden da eingespeist, um passende Kombinationen zu ermitteln. „Dann gehen wir nach und nach voran“, sagt Budde.
Mittelfristig plädiert er dafür, in Deutschland die Lebendspende noch weiter zu öffnen und auch anonyme altruistische Lebendspenden zu erlauben, wie etwa in Spanien, den Niederlanden und Großbritannien. Dort existieren große Nierenaustauschprogramme mit klaren gesetzlichen Regelungen. So würden etwa sogenannte Transplantations-Ketten möglich, bei denen am Anfang eine altruistische Spende steht und in der Folge mehrere Spender-Empfänger-Paare beteiligt sind. Aber, so der Mediziner: „In Deutschland brauchen wir erst mal den ersten Schritt.“ Wann der kommt, ist allerdings offen: Aktuelle Planungen, das Transplantationsgesetz zu ändern, gibt es laut Bundesgesundheitsministerium derzeit nicht.
MT Donnerstag, 13. Januar 2022 · Nr. 10
Trotz Pandemie mehr Organspender
933 Menschen haben 2021 in Deutschland nach ihrem Tod Leben gerettet, davon elf im Evangelischen Klinikum Bethel. Insgesamt stagniert die Zahl der Spender in Deutschland aber auf einem niedrigen Niveau
Carolin Nieder-Entgelmeier Bielefeld/Berlin.
Entgegen erster Befürchtungen und der Entwicklung in vielen anderen Ländern ist die Zahl der Organspender in Deutschland während der
Corona-Pandemie nicht eingebrochen, sondern stabil auf dem Niveau von 2019 geblieben. 2021 haben 933 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. In einigen Kliniken ist die Zahl der Organspender sogar gestiegen, so auch im Evangelischen
Klinikum Bethel (EvKB). Doch im Vergleich zu anderen Ländern stagniert die Zahl in Deutschland weiter auf einem
sehr geringen
Niveau. Während es in Deutschland pro einer
Million Einwohner
elf Organspender gibt, sind es in Spanien 40.
Trotzdem bewertet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) als bundesweite Koordinierungsstelle für
Organspenden die Stabilität als Erfolg, da die Pandemie Kliniken seit fast zwei Jahren belastet. Zu verdanken ist das laut DSO-Vorstand Axel Rahmel dem Engagement der Teams auf den Intensivstationen.
Einen Zusammenhang mit der hohen Zahl an verstorbenen Covid-19-Patienten bestehe nicht, da eine Infektion zum Ausschluss einer Organspende in Deutschland führt. Während die Zahl der Organspender 2021 im Vergleich zu 2020 um 2,2 Prozent stieg, sank die Zahl der postmortal entnommenen
Organe mit 2.905 jedoch um 1,2 Prozent. Die Vermittlung der Organe übernimmt die internationale Stiftung Eurotransplant, zu dren Verbund
neben Deutschland auch Belgien, Luxemburg, die Niederlande,
Österreich, Kroatien, Slowenien und Ungarn gehören.
Über den Verbund konnten 2021 in den 46 deutschen Transplantationszentren 2.979 Organe nach postmortaler Spende übertragen werden. Damit lag die Zahl der
in Deutschland transplantierten Organe
laut DSO um 74 höher als die Zahl der hierzulande gespendeten Organe. Zurückzuführen sei das aufden internationalen Verbund. Die Stabilität der Organspender-Zahlen in Deutschland trotz Pandemie führen Experten auch auf gesetzliche Neuerungen zur Förderung der Organspende zurück, die seit 2019 nach und nach umgesetzt werden. „Die Stärkung der
Transplantationsbeauftragten in Kliniken hilft uns dabei, mögliche Organspender zu identifizieren und mit den Angehörigen zu sprechen“, erklärt Intensivmediziner Friedhelm Bach, der im EvKB neben Ina Vedder als Transplantationsbeauftragter tätig ist.
Im EvKB haben 2021 laut Bach elf Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. „2020 waren es zehn Menschen, in den Jahren davor deutlich weniger, da Kliniken zu der Zeit noch deutlich weniger Möglichkeiten hatten, um ihre Transplantationsbeauftragten
freizustellen.“ Auch neue Richtlinien der Bundesärztekammer helfen
laut Bach, weil Angehörige deutlich früher in den Prozess eingebunden werden. „Wir sprechen bereits vor der Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls mit den Angehörigen über die Folgen und über eine mögliche Organspende. Auch, um herauszufinden, ob der Patientenwille für oder gegen eine Organspende vorliegt oder zumindest bekannt ist.“
Denn entscheidend für eine Organspende ist nach Angaben Bachs der Wille des Patienten. „In der Praxis erleben wir, dass nicht einmal zehn Prozent der Patienten ihren Willen in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung festgehalten haben.“ Deshalb müssen in den meisten Fällen die Angehörigen im Sinne des Patienten entscheiden und ein Großteil entscheidet sich laut Bach gegen eine Spende. „Häufig nennen Angehörige keine Gründe, aber wir wissen aus Untersuchungen, dass nach wie vor Informationsdefizite bestehen und Ängste vorherrschen.“
Aus
diesem Grund
fordert Bach eine Ausweitung der Aufklärungskampagnen, allerdings nicht nur mit Einbeziehung der niedergelassenen Ärzteschaft, sondern auch mit Schulen. „Die Transplantationsbeauftragten der Unikliniken in NRW und die Ärztekammern bereiten
deshalb gerade Schulungen für niedergelassene Ärzte vor, die als vertraute Ansprechpartner
im Gesundheitssystem viel
bewegen können“,
erklärt Bach.
„Wichtig ist aber ebenso, dass wir Jugendliche aufklären, auch, damit sie das Thema in die Familien tragen.“ Bach hat bereits mit Schülern gearbeitet und erlebt, dass Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen deutlich offener für das Thema sind. Hilfreich ist nach Einschätzung Bachs auch mehr Transparenz: „Angehörige möchten wissen, was mit den Spenderorganen passiert. Aktuell ist Kontakt zu Organempfängern nicht möglich, aber vielleicht sind hier Erleichterungen möglich, wenn beide Seiten einverstanden sind.“
Abhängig ist der Erfolg neuer Gesetzte laut Bach aber immer von der Umsetzung. „Wir müssen sie mit
Leben füllen.
In Deutschland wurde lange nicht über das Thema Organspende gesprochen, sondern
lediglich über die Transplantationsmedizin. Doch die eine Seite funktioniert nicht ohne die andere.“ Zudem appelliert der Mediziner an die Bevölkerung, sich zumindest einmal im Leben mit dem Thema Organspende zu befassen und seine Entscheidung festzuhalten. „Damit
entlastet man auch seine Angehörigen, die in der Ausnahmesituation dann wissen,
dass sie
richtig handeln.“
Außerdem könne
den 9.192 Menschen, die in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan
warten, nur
mit mehr Organspenden geholfen werden, sagt Bach. „Hier sollte sich jeder bewusst machen, dass die Wahrscheinlichkeit, einmal selbst auf der Warteliste zu stehen größer ist, als selbst zum Organspender zu werden.“ ■ Informationen zum Organspendeausweis: www.organspende-info.de
MT 12.01.2022
Mensch lebt mit Schweineherz An der Verwendung tierischer Organe im Menschen forschen Experten schon lange. Nun wird einem Schwerkranken erstmals eines implantiert.
Dirk Hautkapp Baltimore.
Als David Bennett von seinem Operateur eröffnet wurde, dass seiner Erkrankung im Endstadium nur durch die Transplantation eines Schweine-Herzens beizukommen sei, reagierte der Handwerker aus Maryland mit
Galgenhumor: „Werde ich dann grunzen?“. Seit wenigen Tagen kann der 57-Jährige beruhigt sagen: Nein.
Bennett hat als erster Mensch auf der Welt die Transplantation eines gentechnisch modifizierten Schweine-Herzens erfolgreich überstanden.
Fünf Tage
nach dem
neunstündigen Eingriff
des Chirurgen-Teams um Bartley Griffith und Muhammad Mohiuddin an der Universitätsklinik in
Baltimore geht es dem mehrfachen Großvater nach Angaben der Mediziner „gut“.
Die Aufsichtsbehörde FDA hatte zuvor eine Sondergenehmigung für die Operation erteilt.
Die Pioniertat nährt für Zigtausende final herzkranker Patienten die Hoffnung auf eine neue Lebensperspektive. Applaus für die Ärzte in Baltimore kam von vielen Kollegen. Darunter Robert Montgomery. Der Arzt aus New York, selber Träger eines (menschlichen) Spenderherzen, hatte es im Herbst geschafft, dass der Körper einer hirntoten Frau über 50 Stunden mit einer externen Schweine-Niere verbunden werden konnte. Griffith habe die Sache „auf eine ganze neue Ebene“ gebracht, sagte Montgomery.
Bruno Reichart, emeritierter Professor aus München und Chef der Firma XTransplant, die Schweine-Organe perspektivisch häufig einsetzen will, hält es für möglich, dass Bennett bis ins hohe Alter mit der Tier-Spende leben kann. Reichart gelang 1983 die erste Herz-Lungentransplantation in Deutschland. 2018 transplantierte er gentechnisch veränderte Schweine-Herzen in Paviane. Einige Tiere lebten eine halbes Jahr mit den neuen Organen.
In Deutschland sei in den nächsten ein bis drei Jahren mit solchen Eingriffen zu rechnen, sagte Eckhard Wolf vom Gene Center der Uni München. Transplantationsexperten wie Konrad Fischer (München) und Joachim Denner (Berlin) sprachen ebenfalls von einem „großartigen Erfolg“ und einem „Riesenfortschritt“. Für eine abschließende Bewertung sei es jedoch noch zu früh. Ob ein langfristiges Überleben des Transplantats im Körper des Empfängers gewährleistet werden kann, müsse sich noch zeigen.
„Es ist zu hoffen, dass das Überleben nicht nur für wenige Tage oder Wochen, sondern sogar ür mehrere Monate bis Jahre ermöglicht wird“, sagte Fischer. Das Schwein, das Bennett das Leben gerettet hat, kommt von der Biotech-Firma Revivicor in Blacksburg/Virginia. Es wurde bewusst klein gezüchtet (110 kg), damit das Herz nicht zu groß werden kann. Um das Tier-Organ mit dem menschlichen Organismus kompatibel zu machen und Abstoßungsreaktionen zu vermeiden, kam die 2020 mit dem Nobelpreis belohnte Präzisionstechnik der Gen-Schere Crispr/Cas9 zum Einsatz. Vier Gene wurden im Zuchtschwein neutralisiert und sechs menschliche Gene eingebaut. Ethiker haben Probleme damit, dass Schweine zu Ersatzteillagern für den Menschen werden könnten.
Praktiker halten dem entgegen, dass etwa in Deutschland pro Jahr um die 50 Millionen Schweine zum Verzehr geschlachtet werden. Die Züchtung von einigen tausend Spezialschweinen zum Transplantationszweck sei vertretbar.
Jahresbilanz 2021: Organspendezahlen weiterhin stabil Zahlen auch im zweiten Jahr der Coronavirus-Pandemie nahezu unverändert
Frankfurt (ots)Im vergangenen Jahr haben 933 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) entspricht das 11,2 Spendern pro Million Einwohner. Im Vergleich zu 2020 (913 Organspender: 11,0 Spender pro Million Einwohner) ist die Zahl der Spender damit leicht um 2,2 Prozent gestiegen.
Gleichzeitig ging die Zahl der hierzulande postmortal entnommenen Organe mit 2.905 im Vergleich zum Jahr 2020 (2.941) jedoch um 1,2 Prozent zurück.
Zu diesen 2.905 Organen, die Patienten auf den Wartelisten zur Transplantation erhielten, zählen 1.492 Nieren, 742 Lebern, 310 Herzen, 299 Lungen, 57 Bauchspeicheldrüsen und 5 Därme. Die Vermittlung der Organe übernimmt die internationale Stiftung Eurotransplant (ET), zu deren Verbund neben Deutschland auch Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Kroatien, Slowenien und Ungarn gehören.
Stabilität statt Einbruch in Deutschland
Insgesamt blieben die Organspende- und Transplantationszahlen somit hierzulande im Jahr 2021 wie bereits in 2020 auf dem annähernd gleichen Niveau von 2019, dem Jahr vor der Coronavirus-Pandemie. "Angesichts der seit fast zwei Jahren anhaltenden Pandemie und der daraus resultierenden Dauerbelastung auf den Intensivstationen ist diese Stabilität positiv zu bewerten", betont Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO.
Denn im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, darunter auch einige ET-Länder, kam es hierzulande zu keinem Einbruch der Organspende, weder in 2020 noch in 2021. "Dies verdanken wir grundsätzlich der guten Struktur unseres Gesundheitssystems und dem gleichbleibenden Engagement der Ärztinnen und Ärzte sowie des Pflegepersonals auf den Intensivstationen, die sich trotz der andauernden hohen Belastungen für die Organspende eingesetzt haben."
Sichtbar wird dies auch an der Zahl der organspendebezogenen Kontakte: Dies sind die Fälle, in denen sich die Kliniken an die DSO gewendet haben, um über eine mögliche Organspende zu sprechen. Diese Kontakte stiegen von 3.098 in 2020 auf 3.132 in 2021.
Im vergangenen Jahr wurden in den 46 deutschen Transplantationszentren 2.979 Organe nach postmortaler Spende übertragen. Damit lag die Zahl der in Deutschland transplantierten Organe um 74 höher als die Zahl der hierzulande gespendeten Organe.
Dies ist auf den internationalen Organaustausch im Eurotransplant-Verbund zurückzuführen: Seit vielen Jahren werden in Deutschland mehr Organe transplantiert als gespendet wurden, allerdings ist diese Differenz gerade im Rahmen der Coronavirus-Pandemie deutlich zurückgegangen. Trotz der leichten Steigerung der Organspendezahlen entsprechen die 2.979 transplantierten Organe einem geringen Rückgang um 37 Organe (-1,2 Prozent) gegenüber dem Jahr 2020 (3.016 Organe). Verantwortlich für diese Entwicklung ist ein deutlicher Rückgang der Lungentransplantationen (-61) und der Pankreastransplantationen (-27), während die Zahl der Nierentransplantationen sogar zugenommen hat (+58) und die der Herz- und Lebertransplantationen in etwa stabil geblieben ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Coronavirus-Pandemie beim Rückgang bei den Lungen- und Pankreastransplantationen eine Rolle gespielt hat.
Insgesamt wurde 2.853 schwer kranken Patienten durch ein oder mehrere Organe ein Weiterleben ermöglicht bzw. eine bessere Lebensqualität geschenkt. Gleichzeitig standen hierzulande am Jahresende jedoch 8.448 Menschen auf der Warteliste für ein Organ.
"Wir hatten gehofft, in den vergangenen zwei Jahren aufgrund der verabschiedeten gesetzlichen und untergesetzlichen Maßnahmen zur Förderung der Organspende bereits mehr Menschen auf der Warteliste mit einem Spenderorgan helfen zu können", beschreibt der DSO-Vorstand die Situation. Denn genau dafür wurden 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende sowie der begleitende Gemeinschaftliche Initiativplan Organspende beschlossen. Auch die im September 2020 in Kraft getretene neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer unterstützt diese Maßnahmen. "
Allerdings führten die coronabedingten außergewöhnlichen Belastungen in den Kliniken dazu, dass die angestrebten Neuerungen nicht in dem Umfang erfolgen konnten, wie es wünschenswert und notwendig gewesen wäre. Die erhoffte deutliche Steigerung der Organspendezahlen blieb damit auch im vergangenen Jahr aus", resümiert Rahmel.
"Es bleibt daher die Zuversicht, dass sich mit Eindämmung der Coronavirus-Pandemie der Fokus im Gesundheitswesen wieder auf andere Themen richtet und sich damit auch die Situation der Organspende in dem Ausmaß verbessert, wie die gesetzlichen Maßnahmen es vorgesehen haben," so Rahmel weiter.
Pressekontakt:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsche Stiftung Organtransplantation Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 677 328 9400, -9411, -9413, Fax: +49 69 677 328 9409, E-Mail: presse@dso.de Internet: www.dso.de
Aktueller Tätigkeitsbericht
Keine Auffälligkeiten bei Organspenden
Die Kontrollgremien für die Überwachung der Transplantationszentren haben auch in der aktuellen Prüfrunde nichts zu beanstanden. Allerdings erfolgte die Prüfung pandemiebedingt weitgehend schriftlich.
Veröffentlicht: 15.12.2021
Berlin. 45 Transplantationsprogramme haben die Kontrollgremien von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband dieses Jahr geprüft. „Bei keiner der Prüfungen wurden Anhaltspunkte für systematische Richtlinienverstöße oder Manipulationen festgestellt“, sagt der Vorsitzende der Überwachungskommission, Professor Hans Lippert. Damit habe sich die positive Entwicklung der vergangenen Jahre weiter fortgesetzt.
Für den Tätigkeitsbericht 2020/21, den die Kommission am Mittwoch vorgelegt hat, wurden die Herz-, Lungen-, Leber-, Nieren- und Pankreastransplantationen (einschließlich kombinierter Transplantationen) der Jahre 2016 bis 2018 untersucht. Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden verschärften Infektionsschutzmaßnahmen erfolgte die Prüfung allerdings weitestgehend schriftlich auf Grundlage der Krankenakten von 541 Organempfängern. Ergänzt wurde das Verfahren um Webkonferenzen.
Bei der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin zur Meldung von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht gingen im Berichtsraum 2020/2021 insgesamt 22 Eingaben ein. Dabei habe es sich um einzelfallbezogene Fragen zur Organspende und zur Wartelistenführung sowie um Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit bei postmortalen Organspende gehandelt, berichtet Professor Dr. Hans Lilie, Leiter der Vertrauensstelle. „Zudem gingen Anfragen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ein“, so Lilie weiter. (reh)
Gesundheit Organspende: Unzureichende Maßnahmen müssen auf den Prüfstand
Die Situation bei der Organspende in Deutschland ist unverändert schlecht. In einem offenen Brief fordern verschiedene Initiativen von der Politik, weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um das Sterben auf der Warteliste zu beenden.
Hamburg – Die Situation bei der Organspende in Deutschland ist unverändert schlecht. In einem offenen Brief fordern verschiedene Initiativen von der Politik, weitere Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um das Sterben auf der Warteliste zu beenden.
Sie kritisieren die bisher verabschiedeten Gesetze als unzureichend. „Die Zahl der postmortalen Organspenden ist weiter zurückgegangen. Basierend auf den Erfahrungen anderer Länder ist zu befürchten, dass auch das geplante Organspende-Register die Situation nicht wesentlich verbessern wird“, sagt Mario Rosa-Bian von der I.G. Niere NRW. [1] Ein solches Register soll in Deutschland ab März 2022 an den Start gehen. Ob dieser Termin gehalten werden kann, ist fraglich. Zuletzt wurde über Probleme bei der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern berichtet. [2]
Weiterer Zeitverzug für Betroffene nicht hinnehmbar
„Für die Betroffenen ist ein weiterer Zeitverzug nicht hinnehmbar“, betont Zazie Knepper von der Initiative „Menschen auf der Warteliste bei Eurotransplant“. „Mehr als 9.500 PatientInnen warten auf ein Spenderorgan, davon 7.400 auf eine Niere. Die Wartezeit auf eine Niere beträgt in Deutschland mittlerweile 8 bis 11 Jahre. In anderen Ländern sind es weniger als vier“. „Abgänge“, wie es im Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) heiße, erfolgten, weil PatientInnen aufgrund eines sich verschlechternden Gesundheitszustands von der Warteliste genommen werden müssen oder sterben, bevor das lebensrettende Organ da ist. Bei Nieren-PatientInnen sei das jede/r fünfte. [1] Knepper weist darauf hin, dass im europäischen Vergleich in Deutschland überproportional viele PatientInnen mit Dialyse behandelt werden statt durch eine Organtransplantation. Letztere sei aber mit einer deutlich längeren Lebenserwartung verbunden. [3]
Forderungen an die neue Regierung
Die Initiative hat an die Abgeordneten im Rahmen der Koalitionsverhandlungen im Bereich Gesundheit folgende Forderungen:
Evaluation der verabschiedeten Gesetze. Das 2019 verabschiedete „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ habe bisher nicht zu einer Trendwende geführt. Es sei zu befürchten, dass auch das 2020 verabschiedete „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ die Situation nicht wesentlich verbessern wird. [4] Daher müssten beide Gesetze in der neuen Legislaturperiode evaluiert, angepasst und ergänzt werden.
Rahmenbedingungen an Pandemie anpassen. Um die anhaltend schlechten Zahlen zu relativieren, werde vielfach auf die Corona-Pandemie hingewiesen. Dies sei als Begründung inakzeptabel. Vielmehr müsse die Politik Rahmenbedingungen so anpassen, dass die Transplantationsmedizin nicht noch weiter beeinträchtigt wird. Die Verfasser weisen darauf hin, dass sich das Problem durch die Pandemie noch weiter zuspitzen werde. Mediziner gehen davon aus, dass die Zahl der PatientInnen mit bleibenden Organschäden, besonders an den Nieren, infolge einer Covid-Erkrankung zunimmt. [5]
Transparenz hinsichtlich des Online-Registers. Die Initiativen gehen davon aus, dass das beschlossene Online-Register den Notstand nicht wirksam und schon gar nicht kurzfristig beheben werde. In der Schweiz habe sich gut ein Jahr nach der Initiierung des Registers gerade einmal 1% der Bevölkerung eingetragen. [6] Gefordert werden transparente Informationen, wie die Abläufe in Deutschland konkret ausgestaltet werden sollen und wer dafür verantwortlich ist.
Opt-out-Regelung, wie in den meisten europäischen Ländern. Die Verfasser weisen darauf hin, dass sich die Abgeordneten mit der Ablehnung einer doppelten Widerspruchregelung im Januar 2020 über die mehrheitliche Überzeugung der Bevölkerung, der Empfehlung der Ärzteschaft und medizinischer Fachgesellschaften hinweggesetzt haben. Die jüngsten Ergebnisse im Rahmen der Abstimmung21 bestätigten erneut: 70% sprachen sich für eine Widerspruchsregelung aus. Notgedrungen würden politische Bestrebungen jetzt vermehrt dahingehen, mehr Lebendspender zu acquirieren. Dadurch entstehe verstärkt Druck auf Familienangehörige. Dieser Druck könne um einiges schwerer wiegen als der, eine Entscheidung über eine potentielle Organspende nach dem Tod abzugeben.
Perspektivisch europäische Regelung. Die Abgeordneten werden aufgefordert, die Initiative für eine gesamteuropäische, solidarische Regelung der Organspende zu ergreifen. Dann wären PatientInnen in Deutschland nicht mehr auf andere Länder angewiesen, in denen die Organspende erfolgreicher geregelt ist.
Pandemie bremste Verbesserungen bei der Organspende aus
Donnerstag, 28. Oktober 2021
Frankfurt am Main – Die Organspendezahlen in Deutschland stagnieren. Dennoch zeigte sich die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) heute auf ihrer hybriden Jahrestagung in Frankfurt am Main optimistisch. Die DSO befasst sich heute und morgen mit den aktuellen Entwicklungen der Organspende und Transplantation in Deutschland.
Die Stagnation der Spenden sei angesichts des gefühlten Aufbruchs durch die vor gut zwei Jahren verabschiedeten gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung der Organspende enttäuschend, jedoch vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie positiv zu bewerten, hieß es von der DSO.
„Die Belastungen auf den Intensivstationen haben in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern, nicht zu Einbrüchen bei der Organspende und Transplantation geführt“, erläuterte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, heute auf der Eröffnungspressekonferenz.
Leider hätten jedoch aufgrund der außergewöhnlichen Belastungen in den Kliniken im Zuge der Coronapandemie die durch die Gesetzgebung vorgegebenen Rahmenbedingungen und die begleitenden Maßnahmen aus dem Initiativplan nicht in dem gewünschten Maße umgesetzt werden können.
„Somit ist die angestrebte Steigerung der Organspende zunächst noch ausgeblieben“, so Rahmel. Zwar habe die gute Infrastruktur in Deutschland während der Pandemie eine breitflächige Überforderung der Intensivstation verhindert, gleichzeitig sei jedoch nicht auszuschließen, dass die angespannte Personalsituation zu der Stagnation der Organspendezahlen beigetragen habe.
Konkret gab es in diesem Jahr bis Ende September 696 postmortale Organspender und 2.182 gespendete Organe (Vergleichszeitraum in 2020: 707 Organspender, 2.301 gespendete Organe). Auch 2020 waren die Zahlen in Deutschland mit 913 postmortalen Organspendern gegenüber 932 in 2019 trotz der im Frühjahr 2020 einsetzenden Pandemie annähernd stabil geblieben.
Zum Hintergrund: 2019 waren das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende und der begleitende Gemeinschaftliche Initiativplan Organspende in Kraft getreten. Nun sei zu hoffen, dass das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende aus 2020, das im März kommenden Jahres in Kraft tritt, sowie die Entspannung der pandemischen Lage eine Trendwende bringe, sagte Thomas Biet, Kaufmännischer Vorstand der DSO.
Die Ausnahmesituation während der Pandemie und damit die enormen Leistungen der Universitätsmedizin verdeutlichte Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und 1. Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands (VUD). Die Stagnation der Organspendezahlen trotz gesetzlicher Änderungen sieht der Kliniker positiv: „Es ist ein echter Erfolg, dass die Organspendezahlen während der Pandemie stabil geblieben sind“, betonte er.
„Die Uniklinika haben in der Pandemie nicht nur schwererkrankte Patientinnen und Patienten versorgt, sondern auch die regionale Koordination der Versorgung der COVID-Patienten übernommen.“ Dieser Netzwerkgedanke mit einem Uniklinikum im Zentrum und eine klare Aufgabenteilung müssten auch zukünftig im Mittelpunkt der Krankenhausplanung stehen, so Scholz. Dies könne auch der Organspende bundesweit einen zusätzlichen Schub verleihen.
Viele der gesetzlichen Neuerungen, die Anlass zur Hoffnung auf künftig steigende Organspendezahlen geben, betreffen die Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekrankenhäusern. Sie seien das wesentliche Bindeglied zwischen Klinikpersonal und der DSO als Koordinierungsstelle und müssten dringend gestärkt werden, betonte Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer und Vorsitzender des Stiftungsrates der DSO.
Trotz der neuen gesetzlichen Regelungen sei das System der Transplantationsbeauftragten noch nicht mit der Effizienz überall so umsetzt sei, wie man es sich wünsche, bedauerte er. Die Förderung der Transplantationsbeauftragten erfolge leider manchmal nicht wie vorgesehen, Freistellungsmöglichkeiten würden teilweise nicht genutzt. Nach Bewältigung der aktuellen Krise müsse der Fokus auf die Organspende wieder geschärft werden, forderte Montgomery.
„Allein durch Gesetzesänderungen gelingt keine Verbesserung, diese müssen auch entsprechend umgesetzt und gelebt werden“, betonte auch Rahmel. Dies untermauere eine aktuelle Umfrage der Bundesärztekammer vom Sommer dieses Jahres unter mehr als 800 Transplantationsbeauftragten, deren erste Ergebnisse auf dem Kongress vorgestellt werden.
Danach würden lediglich 47 Prozent der Transplantationsbeauftragten für ihre Funktion von ihren sonstigen Aufgaben in der Klinik freigestellt und der Großteil (73 Prozent) sehe diese auch nicht als eine Karrierechance. „Da sind wir enttäuscht“, sagte Rahmel. Positiv sei jedoch, dass sich 71 Prozent der Transplantationsbeauftragten über ihre Position freuten.
Freude über ihre Tätigkeit empfindet auch Kati Jordan, Transplantationsbeauftragte im Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin. „Aus Hoffnungslosigkeit Chancen generieren, das bedeutet Transplantationsmedizin“, sagte sie heute. „Die Aufgaben als Transplantationsbeauftragte muss man ausüben wollen, sondern gerät der Spendeprozess in Gefahr.“ Noch immer kursiere Unsicherheit und Unwissenheit in der Bevölkerung, über Aufklärung müsse das Vertrauen zurückgewonnen werden.
Damit dies in der täglichen Praxis möglich wäre, müssten die Klinikleitungen in die Pflicht genommen werden und dafür sorgen, dass die im Gesetz verankerte Freistellung nicht nur auf Nachfrage der DSO bejaht, sondern auch wirklich gelebt werde.
Forschung zur Organtransplantation US-Chirurgen gelingt erfolgreiche Schweinenieren-Transplantation an Mensch
0.10.2021, 13:31 Uhr
In den USA hat ein Team von Ärzten zum ersten Mal eine Schweineniere in einen Menschen transplantiert, ohne dass das Organ abgestoßen wurde. Ein wichtiger Fortschritt, der dazu beitragen könnte, den Mangel an menschlichen Organen für Transplantationen zu beheben.
Zum ersten Mal ist es gelungen, einem Menschen eine Schweineniere zu transplantieren, ohne dass das Immunsystem des Empfängers eine sofortige Abstoßung auslöste. Das Experiment wurde an der NYU Langone Health in New York City an einer hirntoten Patientin durchgeführt, wie mehrere Agenturen und US-Medien berichten. Für das Verfahren wurde demnach ein Schwein verwendet, dessen Gene so verändert worden waren, dass sein Gewebe kein Molekül mehr enthielt, das bekanntermaßen eine fast sofortige Abstoßung auslöst.
Die Frau zeigte Anzeichen einer Nierenfunktionsstörung. Ihre Familie stimmte dem Experiment zu, bevor sie von den lebenserhaltenden Maßnahmen abgeschaltet werden sollte. Drei Tage lang wurde die neue Niere an ihren Blutgefäßen befestigt und außerhalb ihres Körpers aufbewahrt, sodass die Ärzte Zugang zu ihr hatten. Die Niere tat, was sie tun sollte – Abfall filtern und Urin produzieren – und löste keine Abstoßung aus.
Schweineniere in Mensch: Erstmals keine Abstoßung
Die Testergebnisse der Funktion der transplantierten Niere "sahen ziemlich normal aus", erklärte der Transplantationschirurg und Leiter der Studie, Dr. Robert Montgomery, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Niere produzierte "die Menge an Urin, die man von einer transplantierten menschlichen Niere erwarten würde", sagte er, und es habe keine Anzeichen für die heftige, frühzeitige Abstoßung gegeben, die bei der Transplantation von unveränderten Schweinenieren in nicht-menschliche Primaten beobachtet wird.
Organspende: Verfahrensanweisung und Leitfaden aktualisiert
Dienstag,
Frankfurt – Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) hat ihre Verfahrensanweisungen zur Organspende und den darauf aufbauenden Leitfaden für Kliniken überarbeitet. In den Verfahrensanweisungen wurden unter anderem Begrifflichkeiten überarbeitet und an international verwendeten Termini angeglichen.
„Potenzieller Spender“ bedeutet demnach nun: Es liegt eine schwere Hirnschädigung vor, der irreversible Hirnfunktionsausfall steht unmittelbar bevor oder wird als bereits eingetreten vermutet. Zudem ist kein Widerspruch zur Organspende bekannt.
„Qualifizierte Spender“ sind jene, bei denen der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt wurde, „meldepflichtige Spender“ bei denen der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt wurde und kein Widerspruch bekannt ist. „Realisierter Spender“, bedeutet, dass die Organentnahme erfolgt ist.
Auch die neue Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zum Empfängerschutz brachte laut der DSO einige Anpassungen der Verfahrensanweisungen mit sich.
Beispielsweise können mittlerweile maschinengestützte Konservierungsverfahren (Maschinenperfusion) zum Einsatz kommen, wenn sie zugelassen sind und ihre Verwendung in den organbezogenen Richtlinien der BÄK erwähnt wird. Entsprechend konservierte Organe dürfen während des Transportes längeren Transport- und Ischämiezeiten ausgesetzt sein.
Mehr Wertschätzung für Organspender und ihre Familien Angehörigenbetreuung und Dankesbriefe im Gesetz verankert
Organspender sind Lebensretter, sie schenken anderen Menschen ein besseres und längeres Leben. Ohne sie wäre eine oft lebensrettende Transplantation nicht möglich. Mehr als 30 Lebensjahre sind es im Durchschnitt, die ein Spender den Empfängern seiner Organe schenkt.
Für viele dieser Empfänger ist es ein inneres Bedürfnis, sich bei den Angehörigen des Organspenders für dieses großartige Geschenk und die damit verbundene Chance auf ein neues Leben zu bedanken. Einen solchen Dankesbrief zu erhalten, stellt für die Familie des Verstorbenen nicht nur einen sehr bewegenden Moment dar. Der Brief ist für viele auch ein Zeichen dafür, dass die Organspende die richtige Entscheidung war. Oftmals möchten die Angehörigen den Organempfängern in einem Antwortbrief mitteilen, was ihnen diese erfahrene Wertschätzung persönlich bedeutet.
Ermöglicht wird dieser anonyme Briefwechsel durch das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende, das zum 1. April 2019 in Kraft getreten ist und der Angehörigenbetreuung durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) einen verbindlichen Rahmen gibt. Involviert in den Briefaustausch, zu dem sowohl Organempfänger als auch die Angehörigen ihr Einverständnis gegeben haben müssen, sind neben der DSO zudem die betreffenden Transplantationszentren.
Förderung der öffentlichen Anerkennung von Organspendern
"Auch wenn das Gesetz bereits dazu geführt hat, dass immer mehr Angehörige die tiefe Dankbarkeit der Organempfänger in Form eines Briefes erfahren können, ist die gesellschaftliche Wertschätzung mindestens genauso wichtig", betont der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel. Aus diesem Grund hat der Gemeinschaftliche Initiativplan Organspende, der das im April 2019 verabschiedete Gesetz in der Praxis ergänzt, den öffentlichen Dank an die Organspender mittels Veranstaltungen, Online-Angeboten und Gedenkstätten als eine seiner Maßnahmen aufgeführt. "In den letzten zwei Jahren haben wir den Grundstein dafür gelegt, dass langfristig auch in Deutschland eine Kultur der Organspende entstehen kann", erklärt Rahmel.
So fand am 17. Oktober 2021 in Halle (Saale) bereits zum dritten Mal die bundesweite zentrale Veranstaltung zum Dank an die Organspender statt. Unter der Schirmherrschaft von Sabine Weiss, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, und auf Einladung der DSO kamen rund 250 Gäste zunächst in der Händelhalle zu einem Festakt zusammen, dessen Programm aktiv von Angehörigen von Organspendern und Organempfängern mitgestaltet wurde. Im Anschluss daran ging es zur Baumpflanzung in den Park des Dankens, Hoffens und Erinnerns, der seit 2008 eine Begegnungsstätte für die Menschen ist, die das Thema Organspende verbindet: Transplantierte, die voller Dankbarkeit sind für dieses Lebensgeschenk, Angehörige, die sich an geliebte Menschen erinnern und Patienten, die auf ein rettendes Organ hoffen. Die Bäume erinnern symbolisch an die verstorbenen Organspender.
In diesem Jahr schmückten Angehörige von Organspendern aus ganz Deutschland die Bäume mit individuell gestalteten Erinnerungsherzen, zum Erinnern und Gedenken an die geliebte Person, die sie verloren, und durch deren Organspende andere Menschen eine neue Lebensperspektive erhalten haben.
In ihrem Video-Grußwort zum Festakt erinnerte die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Weiss daran, wie wichtig es sei, dass die Organspende im öffentlichen Bewusstsein der Menschen mit etwas Positiven verbunden werde. Es brauche einen sichtbaren Platz inmitten unserer Gesellschaft, um die Kultur der Organspende in der Gesellschaft weiter zu verstetigen und die Organspender und ihre Familien zu würdigen. Eine solche zentrale Dankesveranstaltung und der Park sind neben dem unermüdlichen Engagement der Selbsthilfegruppen ein weiterer wichtiger Beitrag auf dem Weg dorthin.
Erfahrene Wertschätzung und Dankbarkeit
Annette und Detlef Saul haben 2011 ihren damals 13-jährigen Sohn Jakob verloren. "Wir freuen uns sehr, an dieser Veranstaltung teilnehmen zu dürfen", sagte Annette Saul vor Ort in Halle (Saale). "Vor allem, weil wir hier Menschen treffen, die ein Organ empfangen haben, und natürlich steht für uns der Aspekt des "Erinnerns" sehr im Vordergrund. Einen lieben Menschen zu verlieren, ist das Schwerste im Leben eines Menschen. Wenn der Tod von Jakob einen Sinn hatte, dann nur diesen: dass er mit seinen Organen anderen Menschen helfen konnte. Wir wissen, dass es in seinem Sinne gewesen wäre. Wir haben zu dritt mit unserem Sohn Jonas diese Entscheidung getroffen und sind uns bis heute sicher, dass es die richtige Entscheidung war. Eine besonders schöne Bestätigung hierfür war und ist immer noch der Dankesbrief der Mutter des Mädchens, das Jakobs Herz bekommen hat."
Diese Dankbarkeit von Organempfängern brachte auch Ute Opper zum Ausdruck, Vorsitzende von transplantiert e.V.: "Man empfindet tiefe Dankbarkeit, für die Organspende, die gelebte Nächstenliebe und die Möglichkeit, das Leben weiterleben zu dürfen. Diese Dankbarkeit ist Teil unserer Seele geworden." Anschaulich wurden ihre Worte auch durch die prämierte Ausstellung "WiederLeben", die ihr Verein vom 17. bis 31. Oktober 2021 in der Händelhalle in Halle (Saale) zeigt und die sich mit Menschen befasst, die dank einer Organspende leben.
Sie ist ein virtueller Treffpunkt für Angehörige von Organspendern, Organempfänger, Wartelistenpatienten und alle, die sich mit den Themen Organspende und Transplantation befassen. Das Portal bietet Raum für den Dank und die Erinnerung an die Organspender sowie für die Hoffnung auf eine Transplantation, in dem Videos, Audio-Botschaften, Fotos, Zitate oder Gedichte dort geteilt werden können, die Betroffene persönlich mit Erinnern, Hoffen und Danken verbinden.
Auf dieser Plattform werden zeitnah Bilder der Erinnerungsherzen veröffentlicht, mit denen am 17. Oktober 2021 die Bäume im Park des Dankens, Erinnerns und Hoffens geschmückt wurden. Ab dem 23. Oktober werden Videos von der Veranstaltung über die Website zugänglich sein.
Pressekontakt:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation, Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsche Stiftung Organtransplantation Deutschherrnufer 52, 60594 Frankfurt am Main Tel.: +49 69 677 328 9400 oder -9413, Fax: +49 69 677 328 9409, Mobil: +49 170 5724503 E-Mail: presse@dso.de Internet: www.dso.de Twitter: http://twitter.com/dso_organspende
Gesundheitssystem Bereitschaft zur Organspende: So schneiden Deutsche im internationalen Vergleich ab
08.10.2021
In manchen Ländern sind viele Menschen bereit, nach dem Tod die eigenen Organe für Kranke zu spenden. In Deutschland würden das nur die Wenigsten tun.
913 postmortale Organspender:innen zählt die Deutsche Stiftung Organtransplantation für das Jahr 2020. Demgegenüber stehen hierzulande fast 10.000 benötigte Organe auf der Warteliste - darunter über 7.300 Nieren. Wie niedrig hierzulande die Bereitschaft zur Organspende ist, zeigt der Blick auf die Statista-Grafik. Kommen in Deutschland auf eine Million Menschen elf postmortale Organspender:innen, sind es in den USA und Spanien jeweils rund 38. Auch in Frankreich, Italien und Großbritannien werden deutlich mehr Organe gespendet. Das liegt daran, dass hierzulande nur Personen Organe spenden können, die sich ausdrücklich dazu entschieden haben.
Jens Spahn (CDU), Karl Lauterbach (SPD) und eine ganze Reihe weiterer Abgeordneter wollten das Transplantationsgesetz Anfang 2020 dahingehend ändern, dass künftig jeder Organspender:in sein soll, der oder die dem zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Der Bundestag lehnte diesen Gesetzentwurf mit 379 Nein-Stimmen ab. Besonders groß war die Ablehnung bei AfD und Grünen - wobei letztere einen eigenen Vorschlag zur Abstimmung vorgelegt haben, der im Bundestag eine Mehrheit gefunden hat.
Quelle: Statista
Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft
Trotz Corona keine Engpässe bei Transplantationen
Die DTG sieht Deutschland bei Organspenden bisher gut durch die COVID-19-Pandemie gekommen. Sie empfiehlt Impfungen vor und nach Transplantationen – und die Booster-Dosis.
Die DTG sieht Deutschland bei Organspenden bisher gut durch die COVID-19-Pandemie gekommen. Sie empfiehlt Impfungen vor und nach Transplantationen – und die Booster-Dosis.
Stuttgart. 7.10.2021
In Deutschland hat es seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie und auch in deren Peak-Phasen keine größeren Versorgungsengpässe im Bereich der Transplantationsmedizin gegeben, weder bei Organübertragungen, noch bei Organentnahmen. Das berichtete der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Professor Christian Strassburg von der Universitätsklinik Bonn.
„Die deutschen Transplantationszentren mussten ihre Tätigkeit trotz phasenweise deutlich geringerer Intensivbettenkapazität nicht einstellen“, so Strassburg bei der 30. Jahrestagung des DTG in Stuttgart. „Die Zahl der Transplantationen ist 2020 gegenüber dem Vorjahr nur um sechs Prozent zurückgegangen. Vor dem Hintergrund, dass die Möglichkeit der Transplantation auch von der Intensivbettenkapazität abhängt und es zwei Pandemiewellen im Jahr 2020 gab, ist der Rückgang moderat und vertretbar“, sagte Strassburg. Dies belege die prinzipiell „enorm hohe Leistungsfähigkeit der deutschen Transplantationsmedizin“. Dennoch werde insgesamt zuwenig transplantiert, der Organmangel in Deutschland sei nach wie vor eklatant und eine Trendwende nicht in Sicht. Mit 913 postmortalen Spendern im vergangenen Jahr haben die Spenderzahlen in Deutschland zum zweiten Mal in Folge abgenommen. 2018 waren es 955 Spender, 2019 noch 932.
Im Konsens mit der STIKO
Im Konsens mit der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfiehlt die DTG sowohl vor, als auch nach Transplantation klar eine Impfung gegen COVID-19. Obwohl die Immunantworten durchschnittlich schwächer seien als in der Allgemeinbevölkerung, hätten die Geimpften einen deutlichen Gesamtvorteil. Denn das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe sei europäischen Registerdaten zufolge mit 34 Prozent nach Nierentransplantation deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung mit circa fünf Prozent, sagte DTG-Generalsekretär Professor Mario Schiffer vom Universitätsklinikum Erlangen. Auch die Sterblichkeit liege mit 20 Prozent über der der Normalbevölkerung. Abstoßungsreaktionen würden durch die Impfung nicht gefördert. Mit elektiven Transplantationen wie Nieren von Lebendspendern auf nicht geimpfte Empfänger sei man derzeit zurückhaltend.
„Die DTG unterstützt klar auch die kürzlich veröffentlichte STIKO-Empfehlung, bei schwer immundefizienten Personen wie Organempfängern oder Dialysepatienten vier Wochen nach der zweiten Impfstoffdosis eine dritte zu geben“, sagte Schiffer. Die Drittimpfung reduziere die Rate an Impfversagern deutlich.
Heterologe Impfung sinnvoll
Vier Wochen nach Drittimpfung mit der mRNA-Vakzine BNT162b2 zeige sich sowohl für die humorale, als auch für die zelluläre Immunantwort ein Ansprechen bei mehr als einem Drittel der vorherigen „Impfversager“. Dies führe zu einem Gesamtansprechen bei immerhin 55 Prozent. Sinnvoll sei die heterologe Impfung mit einem mRNA-Impfstoff nach einem Vektorimpfstoff in der primären Impfserie. Die umgekehrte Reihenfolge sei weniger effektiv. (nsi)
Wie bereits im Januar vermeldet, ist die Zahl der Organspender in Deutschland im vergangenen Jahr trotz der Corona-Pandemie nur geringfügig zurückgegangen. 913 Menschen spendeten demnach nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe, 2019 waren es 932, 2018 zählte die DSO 955 Spender (siehe nachfolgende Grafik).
Gleichzeitig ist die Zahl der organspendebezogenen Kontakte der DSO mit den Entnahmekliniken leicht gestiegen. 2019 waren es 3023 Kontakte, ein Jahr später mit 3099 Kontakten 2,5 Prozent mehr (siehe nachfolgende Grafik). Laut DSO ein Zeichen für das hohe Engagement der Häuser für die Organspende.
Im September 2020 ist zudem die neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer in Kraft getreten. Sie sei eine wichtige praxisorientierte Ergänzung zum Transplantationsgesetz, so die Stiftung.
Die Richtlinie gebe vor, dass im Krankenhaus bereits zu dem Zeitpunkt, an dem der irreversible Hirnfunktionsausfall unmittelbar bevorsteht oder als bereits eingetreten vermutet wird, der Wunsch nach einer Organspende ermittelt werden soll. (reh)
Verbraucherzentrale NRW bietet ab sofort Beratung im Pflegerecht an
Ansprüche gegenüber Pflegekassen, Pflegediensten oder Pflegeheimen besser durchsetzen • Wenn der Pflegegrad nicht bewilligt wird oder unerwartete Kosten auftreten, helfen Fachleute der VZ NRW anbieterunabhängig • 22 Beratungsstellen bieten fachlichen Rat und rechtliche Hilfe im Konfliktfall
Ab sofort bietet die Verbraucherzentrale NRW eine anbieterunabhängige rechtliche Beratung und Unterstützung bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Pflegekassen, Pflegediensten und -heimen an. Wenn etwa ein Pflegegrad nicht bewilligt wird, der Pflegedienst Leistungen abrechnet, die nicht vereinbart wurden oder wenn das Pflegeheim unerwartet Preiserhöhungen für seine Dienste ankündigt, finden Betroffene hier nun fachlichen Rat und rechtliche Hilfe im Konfliktfall.
Immer mehr Verbraucher:innen wenden sich wegen Problemen in der Pflege an die Verbraucherzentrale NRW. Betroffene fühlen sich angesichts der komplexen Regelungen häufig überfordert. Ab sofort können sie unabhängige Beratung und Vertretung in Anspruch nehmen. Von der Verbraucherzentrale NRW erhalten Pflegepersonen oder ihre Angehörigen juristischen Rat und damit die nötige Sicherheit, um Ansprüche selbständig durchzusetzen – etwa wenn die Bewilligung von Leistungen zu lange dauert oder diese nicht in vollem Umfang gezahlt werden. Bei komplexen Problemen können die Anwält:innen der teilnehmenden Beratungsstellen die Interessen von Betroffenen gegenüber der Pflegekasse außergerichtlich vertreten oder rechtliche Ansprüche bei den Anbietern von Pflegeleistungen durchsetzen. Geprüft werden der geschilderte Sachverhalt, Verträge und Unterlagen.
Als erste Klinik in Deutschland setzt das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) ein neuartiges System zur Konservierung von Spenderherzen ein. Dabei wird das Organ während des Transports über eine Pumpe mit einer speziellen Nähr- und Konservierungsflüssigkeit versorgt. Die neue Technik soll eine noch bessere Funktion der Spenderorgane sowie wesentlich längere Transporte ermöglichen. Nach sehr guten Ergebnissen im Tierversuch erfolgt nun der Einsatz bei menschlichen Herzen im Rahmen einer Zulassungsstudie. Die Bestätigung der Leistungsfähigkeit dieses Systems hätte für die Transplantationsmedizin erhebliche Folgen.
Die Zeit, in der ein Spenderorgan beim Transport von der Spenderin oder vom Spender zur Empfängerin oder zum Empfänger nicht durchblutet wird, wird als Ischämiezeit bezeichnet. Sie ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Herztransplantation. Denn von allen Organen, die von einer Verstorbenen oder einem Verstorbenen zur Spende entnommen werden können, nimmt das Herz am schnellsten Schaden, wenn es nicht durchblutet wird.
Bislang werden Spenderherzen meist mit einer etwa vier Grad Celsius kalten, konservierenden Lösung durchspült und in Kühlboxen transportiert. So können Gewebeschäden zunächst weitgehend zuverlässig vermieden werden. Dennoch sollte die Ischämiezeit bei Spenderherzen möglichst nicht mehr als vier Stunden betragen. Die Möglichkeiten bei der Auswahl eines passenden Organs für Menschen auf der Warteliste sind damit entsprechend eingeschränkt.
In Schweden wurde jetzt ein neues System entwickelt, das diese Einschränkung recht umfassend aufheben könnte. Es besteht aus einem neuen Gerät zum Transport und einer speziellen Lösung zur Konservierung des Organs und wird nun im Rahmen einer internationalen Zulassungsstudie am DHZB als erster Klinik in Deutschland eingesetzt.
Das Gerät, genannt „XVIVO Heart Box“, wiegt etwa 25 Kilogramm und ist etwas größer als ein Umzugskarton. Es enthält im Wesentlichen ein Kühlsystem, eine Kreislaufpumpe und einen Oxygenator, also vereinfacht gesagt eine künstliche Lunge.
Vor dem Transport wird das Gerät mit einer neu entwickelten Nähr- und Konservierungslösung befüllt. Sie besteht unter anderem aus roten Blutkörperchen, verschiedenen Hormonen, Eiweißen und Humanalbumin, einem Protein, das im menschlichen Blut sowohl als „Transporter“ für Hormone als auch als Regulator für den osmotischen Druck dient.
Nach der Entnahme aus dem Körper der Spenderin oder des Spenders wird das Herz zunächst an die Kreislaufpumpe in der „Heart Box“ angeschlossen und dann in der Nähr- und Konservierungslösung schwimmend gelagert.
Über die Pumpe in der „Heart Box“ wird das Herz während des Transports fortlaufend mit der Lösung durchspült. Dabei werden die Herzmuskelzellen mit Hilfe des Oxygenators in der „Heart Box“ fortlaufend mit frischem Sauerstoff versorgt. Der Kreislauf wird zur zusätzlichen Konservierung des Organs auf konstant acht Grad Celsius gekühlt.
Im Tierversuch habe die „Heart Box“ ihre Funktionsfähigkeit bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt, sagt Herzchirurg Dr. med. Felix Hennig, der die Studie am DHZB koordiniert: „Schweineherzen nehmen außerhalb des Körpers noch schneller Schaden als Menschenherzen, dennoch war selbst nach 24-stündigem Einsatz keinerlei Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit zu erkennen.“
Das System wurde nun in Rahmen einer internationalen Studie für den Einsatz am Menschen zugelassen und am DHZB erstmals in Deutschland eingesetzt.
Die Premiere war aus Sicht der Ärzt*innen ein Erfolg. Das Herz zeigte nach der Verpflanzung in einen 65-jährigen Berliner eine ausgezeichnete Funktionsfähigkeit.
Außer dem DHZB beteiligen sich derzeit acht weitere Zentren an Studie. Sie ist auf mehr als 200 Einsätze ausgelegt und randomisiert, der Einsatz der „Heart Box“ erfolgt also nach dem Zufallsfaktor.
Die Entwickler*innen und ersten Anwender*innen erhoffen sich von der Studie die wissenschaftliche Bestätigung mehrerer wesentlicher Vorteile des Systems:
„Die Möglichkeit deutlich längerer Transportzeiten ohne Schädigung des Spenderorgans könnte die Anzahl in Frage kommender Spenderorgane für unsere Patientinnen und Patienten auf der Warteliste deutlich erhöhen“, sagt Herzchirurg Prof. Dr. med. Christoph Knosalla, chirurgischer Leiter des Transplantationsprogramms am DHZB; „außerdem könnten wir Organe akzeptieren, die wir heute ablehnen müssen, da sie auch kürzere Transporte ohne Sauerstoffversorgung aufgrund verschiedener Faktoren nicht schadlos überstehen würden.“
Die Mediziner*innen erwarten auch einen besseren Schutz des Spenderherzens, wenn die Entnahme des erkrankten Organs bei der Empfängerin oder beim Empfänger besonders zeitaufwändig ist, etwa nach mechanischer Kreislaufunterstützung oder anderen Voroperationen, so Prof. Christoph Knosalla. Sein Fazit: „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Ergebnisse der Studie unsere Einschätzung bestätigen werden, dass die Transplantationsmedizin hier vor einem großen Fortschritt steht.“
Unser Video zeigt den Einsatz des Systems bei einer Herztransplantation im DHZB.
Immer mehr Menschen machen mit: Dieser Ausweis kann Leben retten
Sarah Adam
Organspenden können Leben retten. Eine Studie bringt erfreuliche Nachrichten: Millionen von Deutschen besitzen mittlerweile einen Ausweis, und es werden laufend mehr. Auch Sie können mithelfen und sich den Ausweis kostenlos herunterladen. Im Video stellen wir Ihnen außerdem einen praktische App vor, die in medizinischen Notfällen helfen kann.
Der Anteil der Menschen in Deutschland mit einem Organspendeausweis steigt jährlich. Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mitteilte, wurden von Januar bis Ende April 2020 2,23 Millionen Organspendeausweise bestellt - 33 Prozent mehr als noch im gesamten Jahr davor (2019), in denen sich 1,69 Millionen Menschen für einen Organspendeausweis entschieden.
Ebenso hoch ist auch die grundsätzliche Bereitschaft, Organe zu spenden. Wie eine repräsentative Umfrage der BZgA herausfand, standen 84 Prozent der Deutschen einer Organspende positiv gegenüber.
Lediglich 10,9 Organspender je eine Million Einwohner
Dennoch ist der Bedarf höher als die Anzahl an Organen, die transplantiert werden können. 2020 standen rund 9100 Personen auf der Warteliste für eine Organtransplantation, wovon die meisten Patienten eine Spenderniere benötigen und im Schnitt rund sechs Jahre darauf warten müssen.
Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 913 Organspenderinnen und Organspender. 767 Personen, die auf der Warteliste standen, sind 2020 verstorben. Im europaweiten Vergleich ist die Zahl der Organspender allerdings nicht besonders hoch. Auf Platz eins ist Spanien, mit rund 38 Organspender je eine Million Einwohner.
Um selbst Organspender zu werden, können Sie an folgenden Anlaufstellen einen Ausweis kostenlos abholen oder bestellen:
In Person abholen: Viele Apotheken, Hausärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen haben Organspendeausweise ausliegen
Berlin – Ab März kommenden Jahres soll es in Deutschland ein Onlineregister geben, in das die Menschen ihre Bereitschaft für oder gegen eine Organspende eintragen lassen können sollen. Ob das Register allerdings bis zum März kommen wird, scheint nicht sicher, wie eine Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit auf eine schriftliche Frage der FDP-Abgeordneten Kathrin Helling-Plahr zeigt.
In dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, heißt es vom Ministerium zwar, man gehe wie auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) davon aus, dass das Register „seinen Wirkbetrieb am 1. März 2022 aufnehmen können wird“.
Allerdings weist BMG-Staatssekretärin Sabine Weiss auch auf eine Reihe von Problemen hin, die derzeit die Arbeit am Register behindern. So hätten sich die Länder bisher „nicht auf eine Zuständigkeit für die Anbindung der Ausweisstellen an das Register einigen“ können, schreibt sie. Das BMG habe daher den Vorsitzenden der Gesundheitsministerkonferen (GMK) gebeten, auf eine Einigung der Länderzuständigkeiten „hinzuwirken“.
Nach Auffassung des Bundes hat der Bund nicht die Zuständigkeit für die Umsetzung der Frage, wie „Bürgerinnen und Bürger ab 1. März 2022 ihre Erklärung zur Organspende in den genannten Stellen abgeben können“. Bei den Ländern ist demnach umstritten, ob die Zuständigkeiten der Pass- und Meldeämter in den Bereich der Innenressorts oder der Gesundheitsressorts fallen.
Wie weit das Register technisch bisher umgesetzt ist, schreibt das BMG nicht direkt. Dazu heißt es lediglich, die Initialisierung des Netzanschlusses an die Telematikinfrastruktur (TI) mit einem aAdG-NetG-Anschluss sei gestartet. Die „notwendige Entwicklungskapazitäten“ seien stetig erweitert worden.
Darüber hinaus schreibt das Ministerium, dass Hausärzte zur Unterstützung des „künftigen Aufklärungsauftrags“ ab Januar 2022 ein „Standardinformationspaket“ zur Weitergabe an Patienten bekommen sollen.
Die soll aus einem gemeinsamen Anschreiben des BMG, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie der Bundesärztekammer (BÄK), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des Deutschen Hausärzteverbandes bestehen und auch verschiedene Infobroschüren zur Organ- und Gewebespende enthalten.
Darüber hinaus sind laut BMG weitere Aufklärungsunterlagen, teils in verschiedenen Sprachen, etwa für Pass- und Meldeämter oder Ausländerbehörden erarbeitet worden.
Die FDP zeigt sich mit den Antworten wenig zufrieden. „Im vergangenen halben Jahr hat die Bundesregierung offenbar nicht viel mehr vorangebracht, als Papierausweise zu drucken und Arbeitskreise zu gründen“, sagte Katrin Helling-Plahr, Mitglied im Gesundheits- und Rechtsausschuss des Bundestags, dem Deutschen Ärzteblatt.
Die Betroffenen auf den Wartelisten hätten eine ehrgeizigere Politik verdient. Der Bund könne sich nicht ständig hinter den Ländern verstecken. „Hoffen wir, dass der Wirkbetrieb tatsächlich planmäßig starten kann.“
Vor einem Jahr hatte der Bundestag die Organspendereform beschlossen. Demnach bleiben Spenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Gebers erlaubt. Allerdings soll es mehr Anreize geben. Unter anderem soll Infomaterial bekommen, wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt.
Herzchirurgen des UKSH, Campus Kiel, führen erste erfolgreiche Implantation eines neuen Kunstherzens in Deutschland durch
Montag, 30. August 2021
Einem Team der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, (Direktor: Prof. Dr. Jochen Cremer) unter der Leitung von Prof. Dr. Assad Haneya gelang es deutschlandweit erstmals erfolgreich ein neues Kunstherz zu implantieren. Anders als bisherige Systeme, die primär der Unterstützung der linken Herzkammer dienen, erlaubt das neue Kunstherz die Stabilisierung bei Versagen beider Herzkammern. „Das System stellt eine entscheidende Weiterentwicklung in der Therapie der dauerhaften Herzunterstützungssysteme dar“, sagt Prof. Dr. Haneya, stellvertretender Klinikdirektor und Ärztlicher Leiter des Bereiches Transplantation und mechanische Unterstützungssysteme. „Unser Patient litt an einer schweren Schwäche beider Herzkammern, weshalb er auch für eine Herztransplantation gelistet wurde. Sein Zustand hat sich in den vergangenen Wochen aber dramatisch verschlechtert. Da wir trotz der eingeleiteten intensivmedizinischen Maßnahmen keine Stabilisierung erreichen konnten, entschieden wir im Heart-Team gemeinsam mit dem Patienten, die Implantation durchzuführen“, sagt Prof. Haneya. Die neunstündige Operation des bereits am Herzen voroperierten Patienten verlief erfolgreich und der Patient befindet sich auf dem Weg der Besserung.
„Sofort nach Aktivierung des Systems hat sich der Kreislauf unseres Patienten deutlich stabilisiert“, sagt Dr. Bernd Panholzer, Leiter der herzchirurgischen Intensivstation der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie. „Das Kunstherz läuft stabil. Das System erzeugt – wie ein echtes Herz auch – einen pulsierenden Blutfluss und passt sich den Bedürfnissen des Patienten durch einen Selbstregulationsmechanismus an. Wir können sogar auf die Gabe hochdosierter Blutverdünnung verzichten und sind überzeugt, auch weiteren Patientinnen und Patienten zu guter Lebensqualität verhelfen zu können.“
Die Herzinsuffizienz ist die krankhafte Unfähigkeit des Herzens, dem Körper ausreichend Blut für die Sauerstoffversorgung der Organe und Zellen zur Verfügung zu stellen. Sie zählt zu den Volkskrankheiten und ist eine der häufigsten Todesursachen der westlichen Welt. Je nach Ursache stehen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten – sowohl der Grunderkrankung als auch der Herzinsuffizienz in ihrer Ausprägung – zur Verfügung. „In der Regel gelingt es, die Patientinnen und Patienten mit Medikamenten oder sogenannten interventionellen Verfahren, wie der Versorgung mit Herzschrittmachern oder Defibrillatoren, von ihren Symptomen zu befreien oder diese zu lindern. In schweren Fällen können wir durch die Implantation von Herzunterstützungssystemen, als letzte Behandlungsoption neben der Herztransplantation, die Prognose der Patientinnen und Patienten entscheidend verbessern“, sagt Dr. Alexander Reinecke, Leiter der Ambulanz für Terminale Herzinsuffizienz, Klinik für Innere Medizin III mit den Schwerpunkten Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin des UKSH, Campus Kiel (kommissarischer Direktor: Prof. Dr. Derk. Frank).
Um ein zuverlässiges Versorgungssystem für Kunstherzssysteme anbieten zu können, sind hochprofessionelle Strukturen notwendig. Die Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Campus Kiel, hat ihr Programm für mechanische Unterstützungssysteme kontinuierlich ausgebaut und verfügt über eine hohe Expertise und alle diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten, die Patientinnen und Patienten mit schweren Herzerkrankungen zugutekommen.
Für Rückfragen von Journalistinnen und Journalisten steht zur Verfügung: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Prof. Dr. Assad Haneya, Tel.: 0431 500-22006, assad.haneya@uksh.de
Das neue Kunstherz, das die Größe eines menschlichen Herzens hat, wurde erstmalig in Deutschland erfolgreich in Kiel implantiert. Copyright: Carmat
Die Bereitschaft zur Organspende ist gestiegen. Einer Umfrage der BARMER zufolge stehen 55 Prozent der Menschen einer Organspende offen gegenüber. Doch ganz gleich, wie die individuelle Entscheidung ausfällt, ruft die Krankenkasse die Menschen im Freistaat auf, sich zum Thema Organspende zu informieren und die eigene Entscheidung auf einem Organspendeausweis zu dokumentieren.
Die BARMER selbst verteilt derzeit mehr als zwei Million Organspendeausweise an Haushalte in Sachsen. „Fragen, die das Leben und den Tod berühren, sind niemals einfach. So ist es auch mit der Organ- und Gewebespende. Es gibt hier kein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘. Diese Frage kann jede und jeder nur für sich persönlich beantworten, und niemand hat das Recht, die Entscheidung zu kritisieren“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der BARMER Sachsen.
Wichtig sei, dass diese Entscheidung in einem Organspendeausweis dokumentiert wird. Damit könne den nächsten Angehörigen unter Umständen bei schwierigen Entscheidungen eine große Belastung erspart bleiben.
Über 1,8 Millionen zusätzliche Organspendeausweise
Die Mitglieder der zweitgrößten Krankenkasse im Land bekommen aktuell gleich mehrere Organspendeausweise per Post. Jeweils acht Exemplare sind pro Ausgabe des aktuellen Mitgliedermagazins enthalten.
„Damit bringen wir aktuell insgesamt mehr als 1,8 Millionen Organspendeausweise in die Sächsischen Haushalte. Wer noch keinen hat, bekommt diesen auch in unseren Geschäftsstellen, auf unseren Internetseiten sowie in vielen Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäusern kostenlos“, sagt BARMER-Landeschef Dr. Magerl. Zudem könne der Organspendeausweis bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung online auch in größerer Anzahl kostenlos angefordert werden.
Bereitschaft zur Organspende steigt
Eine bundesweite repräsentative Umfrage unter 1.000 BARMER-Versicherten hatte jüngst ergeben, dass die Bereitschaft zur Organspende gestiegen ist. Demnach erklärten 36 Prozent der Befragten, dass sie bestimmt zur Organspende bereit sind und weitere 19 Prozent, dass sie wahrscheinlich ja dazu sagen würden. Im Jahr 2020 waren lediglich 32 Prozent der Befragten sicher bereit für eine Organspende, im Jahr 2019 waren es gar nur 23 Prozent. Die Zahl derer, die eine Organspende sicher ausschließen, ist dagegen in diesem Jahr von neun auf sechs Prozent gesunken.
Corona verändert Haltung der Jüngeren positiv
Vor allem junge Menschen stehen einer Organspende sehr aufgeschlossen gegenüber. In der Altersklasse der 18- bis 25-Jährigen haben 43 Prozent der Befragten erklärt, dass sie bestimmt zur Organspende bereit sind. Weitere 19 Prozent würden wahrscheinlich ja dazu sagen.
Annäherung im Gesundheitssektor Israel und Emirate starten gemeinsames Organspende-Programm
Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate haben erst im vergangenen Jahr diplomatische Beziehungen aufgenommen. Jetzt setzten die beiden Staaten ihre Annäherung fort – im medizinischen Sektor.
Eine 39 Jahre alte Israelin hat eine Niere für einen Einwohner der
Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gespendet. Das Organ wurde am
Mittwochmorgen im Schiba-Krankenhaus bei Tel Aviv entnommen und
sollte dann rasch nach Abu Dhabi geflogen werden. Im Gegenzug erhält
ein Israeli in Haifa eine Niere aus den Emiraten. Ein Verwandter des
Patienten in Haifa spendet wiederum der Mutter der 39-Jährigen eine
Niere.
Der Dreiertausch ist Teil eines größeren Organspende-Programms der
aufgenommen haben. Die Flugzeit zwischen Israel und Abu Dhabi beträgt
gut drei Stunden.
Professor Eitan Mor, Leiter der Abteilung für Organtransplantation am Schiba-Krankenhaus, sprach am Mittwoch vom »Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit mit Kollegen aus den Emiraten«. Er hoffe auf eine künftige Kooperation auch in anderen medizinischen Bereichen.
Israel unterzeichnete im September vergangenen Jahres in Washington mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain ein Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Zuvor hatten nur zwei arabische Staaten, Ägypten und Jordanien, diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten.
Die beiden Golfstaaten rückten von der jahrzehntelangen Linie arabischer Staaten ab, Beziehungen mit Israel zu verweigern, solange der Konflikt mit den Palästinensern nicht gelöst ist. Israel und die Emirate versprechen sich von ihrer Annäherung wirtschaftliche Vorteile, schmieden aber vor allem eine Allianz gegen den gemeinsamen Erzfeind Iran.
asa/dpa
Covid-19: Veränderte Blutgerinnung verstehen
Tübinger Forscher finden wichtige Hinweise für
eine verbesserte Gerinnungstherapie
Aktualisiert: 14.06.2021
In einem von der Herzstiftung geförderten Projekt haben Prof. Dr. Tamam Bakchoul und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Tübingen die gestörte Blutgerinnung bei schwerkranken Covid-19-Patienten untersucht. Ihre Erkenntnisse lassen besser verstehen, warum sich die Blutgerinnung bei schwer Erkrankten verändert und wie die Gerinnungstherapie individuell angepasst werden muss.
Auffällige Blutgerinnungsstörungen bei Covid-19-Patienten
Bereits unmittelbar nach Beginn der Corona-Pandemie fielen bei Patienten, die an Covid-19 litten – der vom Coronavirus Sars-Cov-2 verursachten Erkrankung –, Gerinnungsstörungen und eine ungewöhnlich hohe Zahl von Thrombosen auf. Heute weiß man, dass es bei rund 20 bis 30 Prozent der Covid-19-Patienten zu bedrohlichen Gerinnungsstörungen als Begleiterkrankung kommt.
Die Tübinger Forscher untersuchten daraufhin das Blut von schwerkranken Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation der Universitätsklinik beatmet wurden, und verglichen die Analyseergebnisse mit gesunden Menschen sowie mit Covid-19-Patienten, die nicht intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Das Resultat: Bei den schwerkranken und beatmeten Covid-19-Patienten ließen sich viele Blutplättchen nachweisen, die in einem äußerst gerinnungsfördernden Zustand waren.
Stark aktivierte Blutplättchen
Normalerweise „schlummert“ die Mehrzahl der Blutplättchen in unserem Körper; nur bei Bedarf werden sie vom Körper geweckt. Dazu bilden sich auf der Oberfläche der Blutplättchen bestimmte Aktivierungsmarker aus. Die Überzahl stark aktivierter Blutplättchen war nicht die einzige Auffälligkeit bei Covid-19-Patienten: Die Tübinger Forscher fanden auch Blutplättchen mit Biomarkern für den sogenannten programmierten Zelltod, die Apoptose. Diese Zellen sind gleichsam zum Sterben verurteilt. Die veränderten Blutplättchen lassen das austarierte System der Blutgerinnung bei Covid-19-Patienten aus dem Gleichgewicht geraten.
Das Blutgerinnungssystem des Menschen
Wer sich in den Finger schneidet, blutet. Doch das Blut fließt nur vorübergehend: Das körpereigene Gerinnungssystem sorgt dafür, dass sich das Leck im Blutgefäßsystem rasch wieder schließt. Dafür zuständig sind spezialisierte Blutzellen, die Blutplättchen oder „Thrombozyten“, und eine Vielzahl löslicher Faktoren. Sie lassen das Blut gerinnen – das verletzte Gefäß wird abgedichtet und repariert. Die Blutgerinnung, die „Koagulation“, ist ein lebenswichtiges Schutzsystem. Es kann nur funktionieren, wenn alle seine Bestandteile in einem stabilen Gleichgewicht zusammenarbeiten. Denn das Blut darf weder zu langsam noch zu schnell koagulieren. Wenn es zu langsam gerinnt – wie bei der Bluterkrankheit – kann es zu lebensgefährlichen inneren Blutungen kommen. Gerinnt es zu schnell oder zu stark, droht die Bildung von Blutpfropfen (Thromben), die wichtige Gefäße verstopfen und eine Thrombose mit schweren Folgen verursachen können: Blockiert ein Gerinnsel ein Lungengefäß, entsteht eine Lungenembolie, verschließt es ein Gefäß im Gehirn, folgt ein Schlaganfall; ist ein Blutgefäß betroffen, das den Herzmuskel versorgt, folgt der Infarkt.
Blutgerinnung aus dem Gleichgewicht
Bei schwer erkrankten, beatmeten Covid-19-Patienten fanden die Tübinger Forscher im Vergleich zu Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt waren, mehr gerinnungsfördernde („pro-thrombotische“) und mehr für den programmierten Zelltod vorgesehene („pro-apoptotische“) Blutplättchen als normale Blutplättchen. Bei nur leicht Erkrankten hingegen ließen sich diese zellulären Veränderungen nicht nachweisen. Sobald sich der Gesundheitszustand der coronainfizierten Patienten allerdings verschlechterte, fanden sich auch bei ihnen die veränderten Blutplättchen. „Dieser Befund könnte also ein Marker für die Schwere der Covid-19-Erkrankung sein“, interpretiert Professor Tamam Bakchoul die klinische Bedeutung dieses Forschungsergebnisses.
Warum verändern sich die Blutplättchen bei Covid-19-Patienten?
Die Veränderungen der Blutplättchen werden von „Antikörpern“ ausgelöst. Dabei handelt es sich um Proteine, die von bestimmten Zellen des Immunsystems gebildet werden und sich gezielt gegen körperfremde Strukturen richten, beispielsweise gegen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren. Im Labor erkannten die Tübinger Forscher, dass die Antikörper fähig sind, schlummernde Blutplättchen aufzuwecken. In den Blutplättchen ereignen sich komplexe molekulare Prozesse, die aus schlafenden Blutplättchen aktive Bluttplättchen machen.
Covid-19-induzierte Blutgerinnungsstörung
Vorläufige Daten zeigen, dass sich die Antikörper sowohl gegen Strukturen auf dem Coronavirus als auch gegen Strukturen auf den Blutplättchen richten. Im Körper der Patienten könnte es deshalb zu einer „Kreuzreaktion“ kommen – so nennen Immunologen Abwehrreaktionen, bei denen ein Antikörper irrtümlich nicht nur an sein eigentliches Ziel, sondern sich auch an ein zweites bindet, weil sich beide Strukturen molekular sehr ähnlich sehen. Im Fall einer schwer verlaufenden Covid-19-Erkrankung könnte es demnach so sein: Das Immunsystem reagiert auf die Coronavirus-Infektion überschießend und bildet unkontrolliert sehr viele Antikörper, die sich nicht allein an die körperfremden Erreger, sondern auch an körpereigene Blutplättchen binden: Das Gerinnungssystem gerät aus der Balance, eine „Covid-19-induzierte Blutgerinnungsstörung“ ist entstanden.
Auch die körpereigene Fähigkeit, Blutgerinnsel aufzulösen, ist bei Covid-19-Patienten beeinträchtigt
Bei Infektionen mit dem Coronavirus spielt auch die Fibrinolyse – die natürliche körpereigene Fähigkeit, Blutgerinnsel aufzulösen – eine wichtige Rolle: Bei der Covid-19-induzierten Blutgerinnungsstörung findet die Fibrinolyse nicht oder nur noch verlangsamt statt. Auch die Beschaffenheit der Gerinnsel ist verändert. „Wir fanden bei Covid-19-Patienten festere Gerinnsel als bei anderen Intensivpatienten oder bei gesunden Menschen“, erläutert Karina Althaus, Erstautorin der in „Blood“ veröffentlichten Tübinger Studie.
Zwischenzeitlich haben die Tübinger Ärzte und Wissenschaftler ein Verfahren weiterentwickelt, mit dem Patienten, bei denen sich starke Gerinnungsstörungen anbahnen, so schnell wie möglich erkannt und Covid-19-Risikopatienten mit einer angepassten Gerinnungstherapie (Antikoagulation) frühzeitig vor Komplikationen geschützt werden können.
Für Herz-Kreislauf-Patienten gilt: Sie haben per se ein höheres Thromboserisiko. „Herz-Kreislauf-Patienten bedürfen deshalb einer größeren Aufmerksamkeit und erhalten früher eine Antikoagulation“, unterstreicht Prof. Tamam Bakchoul, Ärztlicher Direktor des Instituts für klinische und experimentelle Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen.
29.06.2021
Politik
Debatte um Lebendorganspende angestoßen
Berlin – Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist die Debatte um eine Neuregelung der Organspende nicht abgeschlossen. Folgen müsse jetzt eine gesellschaftliche Diskussion über die Lebendorganspende.
„Wir wollen aus dem Ministerium heraus einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Die Dinge müssen auf den Tisch – auch wenn sie emotional schwierig sind“, sagte er heute bei einem von seinem Haus digital veranstalteten Symposium zum Thema „Erweiterung des Spenderkreises bei der Lebendorganspende – eine Perspektive für Deutschland?“.
Die Förderung der Organspende sei ein wichtiges Anliegen in dieser Legislaturperiode gewesen, erklärte Spahn beim Symposium. Eine leistungsgerechte Vergütung in der Transplantationsmedizin, strukturelle Verbesserungen in den Kliniken, wie eine Freistellung der Transplantationsbeauftragten, sowie der Initiativplan Organspende könnten neben der gesellschaftlichen Debatte um die doppelte Widerspruchslösung und die Entscheidungslösung helfen, Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen und den Organmangel zu lindern.
„Wir sollten aber auch die Lebendspende als eine Option diskutieren“, betonte der Minister. Das Symposium könne der Startpunkt für eine neue gesellschaftliche Debatte sein. In Deutschland würden jährlich etwa 2.000 Nieren transplantiert, davon etwa 500 nach einer Lebendorganspende. Der rechtliche Rahmen dafür sei aber momentan sehr eng und spiegele das Spannungsfeld von altruistischer Hilfe und Spenderschutz beziehungsweise Wahrung der Freiwilligkeit wider, sagte Spahn. Darauf, ob die geltende rechtliche Regelung noch zeitgemäß sei, gebe es keine einfache Antwort.
„Ich selbst habe eine persönliche Offenheit, die Lebendspende einfacher zu regeln“, sagte der Minister. Gleichzeitig müsse man aber genau schauen, was man nicht ermöglichen sollte, um Schutzfunktion des Staates zu wahren. „Wir brauchen eine Entscheidung, die nicht zu einem Bruch führt, und zwar eine Mehrheitsentscheidung, mit der möglichst viele gut leben können.“ Auch die Spender müssten sich auf eine Absicherung verlassen können, wenn bei ihnen in der Folge der Spende gesundheitliche Probleme entstehen würden.
Bislang ist die Lebendspende in Deutschland nach Paragraf 8 des Transplantationsgesetzes an strenge Voraussetzungen geknüpft, da sie für gesunde Spender und Spenderinnen keinen Heileingriff darstellt und mit Risiken verbunden sein kann. So müssen Spendende bei einer Lebendspende volljährig und einwilligungsfähig sowie mit dem ersten oder zweiten Grades verwandt oder mit dem Empfangenden verheiratet oder verlobt sein beziehungsweise in besonderer persönlicher Verbundenheit stehen und nach entsprechender umfangreicher Aufklärung in die Entnahme eingewilligt haben.
Voraussetzung für die Lebendspende ist zudem eine positive ärztliche Beurteilung und die Genehmigung einer Kommission. Diese muss gutachterlich dazu Stellung zu nehmen, ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung des Lebendspenders nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand verbotenen Handels ist. Hierdurch soll vor allem der in Deutschland strafbare Handel mit Organen unterbunden werden. Außerdem ist eine Lebendorganspende nur zulässig, wenn zum jeweiligen Zeitpunkt kein postmortales Spenderorgan zur Verfügung steht (Subsidaritätsprinzip).
Über alle Möglichkeiten nachdenken
Angesichts des Mangels an Spenderorganen und 8.000 aktiv gemeldeten Menschen auf der Warteliste für eine Niere, müsse man über alle Möglichkeiten für eine Transplantation nachdenken, sagte heute Bernhard Banas vom Universitätsklinikum Regensburg. Eine Lebendspende stelle einen wichtigen Baustein dar, sei aber nicht unbedingt die Lösung.
Altruistische Lebendspenden, Überkreuz-Lebendspenden zwischen Paaren und Kettentransplantationen hätten nach seiner Ansicht medizinische Vorteile. „Man muss aber auch über die Risiken reden“, betonte der Transplantationsmediziner. „Eine Organspende hat immer Einschränkungen zufolge und es gibt keine Musteraufklärung.“
„Irritierend“ sind für Banas die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) in den vergangenen Jahren gewesen. Die Zahl der Lebendorganspenden habe danach abgenommen, sagte er. Zum Hintergrund: Vor einer Lebendorganspende müssen Ärzte umfassend über alle Risiken aufklären, erklärte der BGH 2019. Bei mangelhafter Aufklärung haben Patienten, die gesundheitliche Schäden davontragen, Anspruch auf Schmerzensgeld und Entschädigung, entschied er in zwei Fällen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
Einer der Kläger war damals Ralf Zietz, Vorsitzender der Interessensgemeinschaft Nierenlebendspende. Er spendete 2010 seiner Frau eine Niere und sprach sich heute gegen eine Ausweitung der Lebendspende aus. Sie könne schwere Nebenwirkungen für den Spender zur Folge haben, bei dem in einen gesunden Organismus eingegriffen werde. Er selbst leide unter chronischer Erschöpfung (Fatigue-Syndrom) und eingeschränkter Nierenfunktion. Dies werde bei der Aufklärung oft nicht berücksichtigt. „Das Fatique-Syndrom ist aber keine Mode-Erkrankung und auch nicht nur Müdigkeit“, betonte er.
Anfänglich litten 70 Prozent der Spender darunter. Die meisten erholten sich nach einigen Monaten, viele benötigten aber eine Rehamaßnahme. „Eine Nieren-Spende ist eine innere Amputation“, erklärte er. Die „Interessengemeinschaft Nierenlebendspende“ wolle die Nierenlebendspende nicht abschaffen, sie dürfe aber auch nicht verharmlost werden, sagte Zietz. Die Quote der spürbar gesundheitlich beeinträchtigten Spender sei hoch. Es käme zu einem Nierenfunktionsverlust mit Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem steigenden eigenen Dialyserisiko und einer niedrigeren Lebenserwartung.
Zudem hätten viele schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Versicherungen gemacht. Ständig gebe es Streitigkeiten über die Kostenübernahme von Folgeoperationen, auch über Lohnfortzahlungen und Rehakosten. „Oft kommt es zu Arbeitsplatzverlusten oder zur Berufsunfähigkeit“. Nicht zu vernachlässigen seien auch die menschlichen Konflikte zwischen Spender und Empfänger. Einige potenzielle Nierenlebendspender seien unter großen moralischen Druck, berichtete er.
DSO-Jahresbericht
913 Organspender 2020 in Deutschland
Die Zahl der Organspender ist trotz der Corona-Pandemie nahezu stabil geblieben. Das geht aus dem Jahresbericht der Deutschen Stiftung für Organtransplantation hervor.
Wie bereits im Januar vermeldet, ist die Zahl der Organspender in Deutschland im vergangenen Jahr trotz der Corona-Pandemie nur geringfügig zurückgegangen. 913 Menschen spendeten demnach nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe, 2019 waren es 932, 2018 zählte die DSO 955 Spender (siehe nachfolgende Grafik).
Gleichzeitig ist die Zahl der organspendebezogenen Kontakte der DSO mit den Entnahmekliniken leicht gestiegen. 2019 waren es 3023 Kontakte, ein Jahr später mit 3099 Kontakten 2,5 Prozent mehr (siehe nachfolgende Grafik). Laut DSO ein Zeichen für das hohe Engagement der Häuser für die Organspende.
Im Septmber 2020 ist zudem die neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer in Kraft getreten. Sie sei eine wichtige praxisorientierte Ergänzung zum Transplantationsgesetz, so die Stiftung.
Die Richtlinie gebe vor, dass im Krankenhaus bereits zu dem Zeitpunkt, an dem der irreversible Hirnfunktionsausfall unmittelbar bevorsteht oder als bereits eingetreten vermutet wird, der Wunsch nach einer Organspende ermittelt werden soll. (reh)
Die Niederlande sind wählerisch bei der Einwanderung, aber nicht so sehr bei der Organspende
Wer sich in dem Land niederlässt, wird gebeten, sich im Spenderegister eintragen zu lassen. Die Bitte erfolgt in zahlreichen Sprachen.
23.02.2021
Die Leber spielt in der Transplantationsmedizin eine wichtige Rolle. Sie kann bis ins hohe Alter entnommen werden. Anatomisches Modell einer menschlichen Leber.
Annick Ramp / NZZ
Ich trinke nicht viel Alkohol. Das macht mich in gewisser Weise attraktiv, jedenfalls meine Leber. Was soll ich damit machen, wenn ich tot bin? Das ist eine Frage, die ich mir nicht gern stelle; aber ich komme nicht darum herum. In der Post war ein Brief, persönlich an mich adressiert, der mich auffordert, ja zwingt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
Der Brief kommt von der niederländischen Ministerin für Volksgesundheit, Wohlfahrt und Sport, Tamara van Ark. Ort der Handlung: Den Haag. Ganz oben, rot und fett gedruckt, steht: «Geben Sie noch heute Ihre eigene Entscheidung an». Nächste Zeile in kleinerem Druck: «betreffend Organ- und Gewebespende».
Wie andere Länder auch, haben die Niederlande ein Organspenderegister. Im Juli vorigen Jahres trat das neue Organspendegesetz in Kraft. Es bestimmt, dass alle Einwohner über 18 Jahre als Spendewillige in das Register aufgenommen werden, es sei denn, sie äussern sich explizit ablehnend. Der Brief der Ministerin soll dazu dienen, mir diese Möglichkeit zu bieten. Er lässt mir vier Optionen: 1. Ich will Spender werden; 2. Nein, ich will kein Spender werden; 3. Ich benenne eine Person, die nach meinem Ableben entscheidet; 4. Mein Partner oder meine Familie entscheidet nach meinem Ableben.
Dualismus von Leib und Seele
Weshalb die erste Option aufgeführt wird, ist nicht ganz ersichtlich, da man ja sowieso als potenzieller Spender ins Register aufgenommen wird, wenn man keinen Einspruch erhebt. Mehr als diese vier Optionen gibt es jedenfalls nicht. Was mich daran etwas irritiert, ist das Alles oder Nichts. Eine bedingte oder teilweise Spendenbereitschaft etwa kommt nicht infrage. Leber, ja, weil ich wenig trinke, aber Herz, nein, denn das ist ja nur für die Erwählte.
So absurd, wie das vielleicht klingt, ist es gar nicht. Mein Herzblut, das Herz aller Dinge, sich etwas zu Herzen nehmen oder es ausschütten und so viele andere Metaphern, die bis unlängst noch etwas bedeuteten: Sind sie auf dem Müllhaufen der Sprachgeschichte gelandet? Ist der eigene Körper in Gänze zum Ersatzteillager geworden? Das ist die wahre Verkörperung des westlichen Dualismus von Leib und Seele, den nicht jeder als Lebensphilosophie akzeptieren mag. Nun, man kann ja die Rückantwort ausfüllen und ablehnen. Wenn man das jedoch nicht tut, ist die Standardoption in jedem Fall die stillschweigende Zustimmung zur Organspende im Fall der Fälle. Daran zeigt sich, dass die niederländische Regierung in dieser Sache keine neutrale Stellung einnimmt, sondern dezidiert um Organspenden wirbt.
Organtransplantation ist das Ergebnis eines eindrucksvollen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts; aber nicht nur. Eine bestimmte, in einer kulturellen Tradition verwurzelte Geisteshaltung gehört auch dazu. Sie besagt, dass der Mensch lebt und auch stirbt mit seinem Gehirn, und dass der Körper nur ein Accessoire ist. Das ist zweifellos ein kulturelles Spezifikum.
Während ich darüber nachdenke, lässt der Brief der Gesundheitsministerin noch andere Überlegungen in meinem Kopf hochkommen. Spende bedeutet auch, dass ich dafür nicht entschädigt werde, weder für meine Leber noch für mein Herz (ausser vielleicht im Himmel). Die Niederlande sind so ziemlich das am meisten kommerziell ausgerichtete Land, das ich kenne. Alles hat einen materiellen Wert, und seine Haut kann, ja muss jeder zu Markte tragen, nicht aber Leber und Herz. Dass diese nur gespendet werden können, muss uneingeschränkt gut finden, wer schon einmal etwas von Organhandel und internationalem Transplantationstourismus gehört hat. Davon hält sich die niederländische Regierung glücklicherweise fern.
Ein Brief in vielen Sprachen
Eine internationale Dimension hat die Aktion des Gesundheitsministeriums in Den Haag freilich dennoch. Der Brief spricht mich persönlich an. Darin ist nicht von «Niederländerinnen und Niederländern» die Rede, sondern von «Menschen in den Niederlanden». Er richtet sich also an die Wohnbevölkerung, die somit auch in dem staatlichen Organspenderegister erfasst wird.
Das gilt nicht nur für EU-Bürger, die Niederlassungsfreiheit geniessen, sondern für alle «Menschen in den Niederlanden». Dass all diese Menschen die niederländische Sprache beherrschen, wird nicht erwartet. Der Brief der Ministerin klärt mich auf der Rückseite darüber auf, dass ich, falls ich ihn nicht lesen kann, eine Übersetzung unter www.donorregister.nl/deutsch finde oder /english oder /español oder /français oder /polski oder /turk oder /chinees. Auf diesen Webseiten findet man in der Tat die relevanten Informationen aus dem Brief in all diesen Sprachen. Warum nicht Maghrebinisch-Arabisch, Italienisch oder Griechisch, frage ich mich. Wie werden die Sprachen ausgewählt?
Da hierzulande Effizienz und Pragmatismus hohe Tugenden sind, darf man annehmen, dass sich das Ministerium die Mühe kaum nur aus symbolischen Gründen gemacht hat oder damit sich chinesisch- und polnischsprachige «Menschen in den Niederlanden» nicht diskriminiert fühlen. Die Chance, dass eine chinesischsprachige Leber gespendet wird, kann nicht so gering sein, dass sich der Aufwand nicht lohnt.
Der Anteil der gebürtigen Niederländer an der Bevölkerung Den Haags von rund 700 000 ist unter 50 Prozent gerutscht, während die Zahl der nichtwestlichen Zuwanderer stetig zugenommen hat. Sie kommen aus den ehemaligen niederländischen Kolonien Surinam und Indonesien wie auch aus anderen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas. Als Sitz der niederländischen Regierung ist Den Haag zudem eine weltoffene Stadt mit Botschaften und vielen internationalen Organisationen. Auf der Strasse hört man die unterschiedlichsten Sprachen. Restaurants, Gotteshäuser und Geschäfte verschiedener Provenienz sowie Menschen, deren Kleidung auf nichtniederländische Herkunft hindeutet, prägen das Stadtbild.
Einbürgerung einer Leber
Wer allerdings aus einem Land ausserhalb der EU in die Niederlande einwandern will, steht nach wie vor zunächst einmal vor einem administrativen Hürdenlauf, der bereits vor dem Grenzübertritt beginnt. In den letzten Jahren ist die Regulierung der Zuwanderung immer strenger geworden. Sie sieht einen Integrationstest vor, mit dem Kenntnisse der niederländischen Sprache und Gesellschaft geprüft werden. Material für das Selbststudium wird in den Botschaften zur Verfügung gestellt, aber die Kosten von 150 Euro müssen die Bewerber tragen.
Es ist beschwerlich, die niederländische Staatsangehörigkeit zu erwerben, das gilt auch für eine permanente Aufenthaltsgenehmigung. Demgegenüber haben es Lebern, Herzen und so weiter leicht. Mit anderen Worten, Organspender sind willkommen, einerlei, woher sie kommen, ob sie niederländisch sprechen und gegebenenfalls wie gut oder ob sie sich mit den Sitten und Konventionen der niederländischen Gesellschaft auskennen.
Es zeugt vom Pragmatismus der Behörden, wenn sie die Wohnbevölkerung in zahlreichen Sprachen dazu auffordern, sich im Spenderegister erfassen zu lassen. Sie wissen, dass sie auf Niederländisch nicht alle Menschen in den Niederlanden erreichen. Der Inhalt des Aufrufs zeugt jedoch davon, dass der Staat kulturelle Präferenzen, nämlich die Annahme der Zustimmung zur Organspende als Normalfall, trotz sprachlicher, ethnischer und kultureller Diversifizierung der Bevölkerung aufrechterhält.
14.02.2021
Anästhesist Jörg Hahnenkamp erklärt, warum das Online-Register Organspenden erschweren könnte, statt sie zu fördern.
Herr Hahnenkamp, was stört Sie an den Plänen für ein Online-Register?
So ein Register könnte wirklich helfen, mehr potenzielle Organspender zu identifizieren. Aber wie es im Gesetz steht, wird das nicht gehen. Denn danach dürften Klinikärzte erst Daten aus dem Register abfragen, wenn die vorgeschriebene Hirntoddiagnostik abgeschlossen ist. Das funktioniert in der Praxis nicht.
Wieso nicht?
Ziel muss immer sein, dem Willen des Patienten zu folgen, der auf der Intensivstation im Sterben liegt. Das ist der Auftrag des Patientenrechtegesetzes, und darum geht es uns Intensivmedizinern. Der Einblick in das Spenderregister kann uns genau diese Antwort geben: Will der Patient im Todesfall Organe spenden, oder will er nicht? Aber wir brauchen die Antwort schon vor Eintritt des Todes, nämlich dann, wenn wir sehen, dass medizinisch nichts mehr zu machen ist, dass der Mensch unabänderlich sterben wird. Denn zu diesem Zeitpunkt erfolgen Weichenstellungen für die weitere Therapie.
Zur Person
Klaus Hahnenkamp ist Anästhesist und Chef der Klinik für Anästhesiologie der Uniklinik Greifswald. Er ist Sprecher der Sektion Organtransplantation der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Die neue Richtlinie zur Spendererkennung der Bundesärztekammer hat er federführend mitentworfen.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Ein junger Mensch liegt nach einem Unfall mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation. Dabei kommt es oft zu einem gefährlichen Anstieg des Hirndrucks, das Gehirn schwillt an, wir haben vielleicht schon Teile des Schädelknochens entfernt und alles versucht, um den Druck zu senken, können aber den Prozess nicht mehr stoppen. Wenn wir das erleben, wissen wir: Das ist unumkehrbar, der Mensch hat bereits schwere, bleibende Hirnschäden erlitten. Er stirbt. Das ist – ganz unabhängig von einer möglichen Organspende – der Zeitpunkt, wo man als Arzt fragt: Würde der Patient jetzt wollen, dass wir trotzdem weitermachen mit allem? Oder will er das nicht?
Den Patienten können Sie aber nicht mehr fragen.
Deshalb suchen wir das Gespräch mit den Patientenvertretern, in der Regel den Angehörigen. Wir informieren sie über die Aussichten, über die Therapieoptionen. Wir fragen sie, ob es eine Patientenverfügung gibt, einen Organspenderausweis. Das sind sehr schwere Fragen, das können Sie mir glauben, in einer sehr belasteten Situation. Und das wäre natürlich auch der Zeitpunkt, in das Spenderregister zu schauen. Damit könnten wir auch die Angehörigen entlasten. Aber das Gesetz verbietet uns das derzeit.
Was passiert, wenn es so bleibt?
In den meisten Fällen wissen die Angehörigen leider nicht, wie der sterbende Mensch zur Organspende dachte. Denn wir alle sprechen im Alltag einfach noch zu wenig über das Thema. Wenn wir als Ärzte und Ärztinnen also künftig nicht im Register nachschauen dürfen, müssen weiterhin die Angehörigen entscheiden. Das ist die eine Möglichkeit …
Das wäre ja genau wie jetzt.
Nicht ganz. Denn künftig wird man ja dann zu einem späteren Zeitpunkt in das neue Register schauen. Was, wenn die Angehörigen einer Organentnahme zugestimmt haben, weil sie dachten, ihr Sohn, ihre Tochter hätte es so gewollt – und im Register findet sich dann ein Widerspruch? Oder sie haben abgelehnt und erfahren dann: Der geliebte Verstorbene hätte eine Organspende gewollt? Wie sollen die Angehörigen damit leben, dass sie den Willen ihres Angehörigen nicht erfüllt haben? Das kann für sie eine lebenslange Last werden. Der Druck, der auf ihnen lastet, wird durch die jetzige Regelung noch größer als er ohnehin schon ist. Die Angehörigen sind ja in einer Grenzsituation, wenn so plötzlich ein nahestehender Mensch aus dem Leben gerissen wird.
Was wäre die zweite Möglichkeit, der neuen Bestimmung gerecht zu werden?
Womöglich sagen Intensivmediziner künftig häufiger: Das Risiko ist zu hoch, dass Angehörige jetzt etwas entscheiden, das sich später durch das Register als falsch herausstellen könnte. Ich fürchte, dass damit künftig häufiger als derzeit gegen die Option Organspende entschieden und die lebenserhaltende Behandlung eingestellt wird.
Also weniger Organspenden statt mehr, obwohl das ja eigentlich das Ziel der Reform war?
Die Gefahr sehe ich. Es gäbe aber, medizinisch gesehen, einen dritten Weg, wenn die Chance erhalten werden soll, einen möglicherweise im Register hinterlegten Spenderwillen auch zu erfüllen: Man müsste bei allen Patientinnen und Patienten, die im Sterben liegen und für eine Organspende möglicherweise in Frage kommen, lebenserhaltende Maßnahmen fortsetzen und sie durch die für eine Organentnahme vorgeschriebene Hirntoddiagnostik führen. Nur so könnte man die Organe erhalten, bis man das Register konsultieren darf.
Das wäre eine Art Lebenserhaltung „auf Verdacht“, da man zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, ob der Sterbende überhaupt seine Organe spenden will.
Richtig, das ist der Punkt. Ein solches Vorgehen ist theoretisch möglich, praktisch wird es aber nicht dazu kommen. Es ist auch unklar, ob das überhaupt durch das Gesetz gedeckt wäre. So etwas dürfte dann die Gerichte beschäftigen.
Ihr Fazit?
Unser aller Aufgabe ist es doch, dem Willen des Menschen, der seine Organe spenden will, gerecht zu werden. Die ganz breite Mehrheit der Bevölkerung will ja spenden, das wissen wir seit langem aus Umfragen. Das Spenderregister soll gerade sicherstellen, dass dieser Spenderwille künftig häufiger auch umgesetzt wird. Das geht aber nur, wenn wir das schon im Sterbeprozess und nicht erst danach erfahren. Ich kann nur hoffen, dass wir da noch zu einer Änderung kommen.
in den letzten Wochen ist bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigten.
Es ist abhängig von den Unterstützungsbedürfnissen des
Entnahmekrankenhauses und der Situation des Spenders in Rücksprache mit
der/dem GfÄ zu entschieden, oberst nach Vorliegen des Ergebnisses der SARS-
CoV-2-Testung in das Entnahmekrankenhaus zu fahren ist.Dies gilt insbesondere
bei Verdacht auf oder erhöhtem Risiko für eine COVID-19-Erkrankung des
Spenders. Zudem sind die eingangs erhobenen Angaben des Krankenhauses zu
der organisatorischen Trennung potentiell an COVID-19 erkrankter Patienten zu
berücksichtigen. Die Empfehlungen für persönliche Schutzmaßnahmen (s.
separates Dokument) sind dabei unbedingt zu beachten.
Zu wenig Spender Neues Organspendegesetz bislang ohne Effekt
von Katja Dietrich-Stieler
Stand: 31. Januar 2021, 05:00 Uhr
In Deutschland warten deutlich mehr Menschen auf ein Spenderorgan, als es Spender gibt. Derzeit muss man aktiv entscheiden, ob man Spender ist. Im Vorjahr lehnte der Bundestag die Widerspruchslösung ab, billigte aber Reformen. Nun ist etwa ein Online-Register für freiwillige Spender geplant. Unter anderem wegen der Corona-Pandemie geht es aber nur langsam voran.
Dreimal in der Woche sitzt der Dresdner Theodor Ludwig am Dialyse-Gerät. Mehrere Stunden dauert es jedes Mal, bis sein Blut wieder sauber ist. Seine Niere schafft das nicht mehr allein. Seit Mai 2018 wartet der 42-Jährige Anwalt auf ein Spenderorgan: "Ich sollte eigentlich auf gepackten Koffern sitzen, weil jederzeit der Anruf kommen könnte, die Niere ist da. Aber mit einer statistischen Wartezeit von zehn Jahren, von denen zwei rum sind, tue ich das nicht." Es sei vorher so gewesen, dass katastrophal wenig gespendet wurde, wenig gemacht worden sei, die Wartezeiten unendlich lang gewesen seien und das sei jetzt noch so, sagt Ludwig.
Organspenden in Deutschland am niedrigsten
Insgesamt erhielten in Deutschland im vergangenen Jahr 2.845 Empfänger ein oder mehrere Organe von Spendern. Zum Vergleich: Mehr als 9.000 Menschen standen Ende vergangenen Jahres auf der Warteliste für ein Organ. Die Zahl der Organspender ging erneut leicht zurück.
Angesichts der Corona-Pandemie müsse man damit aber eher zufrieden sein, meint der Transplantationsmediziner Christian Hugo vom Universitätsklinikum Dresden und damit, "dass die Organspende in Deutschland nicht eingebrochen ist, so wie in anderen Ländern. Aber man darf nie vergessen, wir befinden uns auf dem niedrigsten Niveau im Vergleich zu allen anderen Ländern."
Das Problem insgesamt sei, dass sich überhaupt nichts verändert habe, obwohl es gewisse gesetzliche Veränderungen seit 2019 gegeben habe durch Minister Spahn, die tatsächlich eine Verbesserung brächten, bemerkt Hugo. "Aber die neue Gesetzesinitiative ist vermutlich eher ein Weiter so, von dem ich mir nicht viel erhoffe."
Online-Register geplant
Jetzt soll es also ein Online-Register geben, in das man sich freiwillig als Spender eintragen kann. Hausärzte und Behörden sollen zudem regelmäßig über das Thema Organspende aufklären. Für Mediziner Hugo ein Tropfen auf den heißen Stein: "Ich sage voraus, dass wir in fünf bis sieben Jahren feststellen werden, dass dieses Gesetz nichts gebracht hat und stehen dann wieder genau an dem Punkt, an dem wir eben letztes Jahr waren."
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation hatte auf die Widerspruchslösung gehofft. Denn zuletzt waren wieder mehr Menschen bereit, ein Organ zu spenden. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie waren die Zahlen deutlich nach oben gegangen. Nicht zuletzt, weil sich die Kliniken stärker engagiert haben, indem beispielsweise mehr Transplantationsbeauftragte eingesetzt wurden, die die Abläufe der Organspende koordinieren.
"Brauchen uns nix vorzumachen"
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen in Thüringen, Babett Pfefferlein, sieht die Organspende in Deutschland auf einem guten Weg: "2020, als diese ganze Debatte darum geführt worden ist, ist dieses Thema wirklich in den Vordergrund gerückt und die, wenn man mal schaut, Nachfrage nach einem Organspendeausweis ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gestiegen."
Aber man müsse auch feststellen, dass das Thema durch Corona nicht mehr ganz oben stehe, auch nicht bei den Krankenhäusern, sagt Pfefferlein. Und was das Register anbelange und so weiter und so fort, stecke das noch in den Kinderschuhen: "Also brauchen wir uns gar nix vorzumachen", betont die Politikerin.
Auch für Theodor Ludwig heißt es deshalb, weiter zu warten, bis der erlösende Anruf für eine neue Niere kommt: "Ich rechne damit, dass ich weitere acht Jahre meines Lebens in diesem Halbzustand verbringen werde, wo andere Leute das haben, was man Rushhour des Lebens nennt, mit Karriere, mit Familie. Es ist einfach so viel verlorene Lebenszeit."
Organspende: Großer Bedarf an Aufklärung, aber kaum Geld
Der Bundestag will die Entscheidungsbereitschaft der Bürger zur Organspende stärken. Doch bei der adäquaten Aufklärung könnte es hapern: der zuständigen Bundeszentrale mangelt es an Mitteln.
Berlin. Bei der Umsetzung des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft in der Organspende könnte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu einem Engpassfaktor werden. Das Gesetz hatte der Bundestag im Januar 2020 nach langer und kontroverser Debatte beschlossen.
Die Behörde soll neues Info- und Aufklärungsmaterial produzieren – etwa darüber, dass künftig in den Ausweisstellen und Ausländerbehörden der Kommunen über die Organ- und Gewebespende informiert werden soll. Problem dabei: Der Bundestag hat der BZgA im Bundeshaushalt für das laufende Jahr nicht die erforderlichen zusätzlichen Mittel bewilligt. Das geht aus der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage von Grünen-Fraktionschefin Annalena Baerbock hervor.
Hausaufgaben für verschiedene Bundesbehörden
Mit dem Organspendegesetz, das zum 1. März 2022 in Kraft treten soll, ist ein Rattenschwanz von Hausaufgaben verbunden, die verschiedene Bundesoberbehörden zuvor abarbeiten müssen. So steht beispielsweise im Pflichtenheft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), ein Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende zu errichten.
Die Abstimmungsprozesse für die Software-Entwicklung sind offenbar komplex, weil neben gematik, GKV-Spitzenverband und Deutscher Krankenhausgesellschaft auch Softwarehersteller für die Anwendungen in den Ausweisstellen einbezogen werden müssen. Dennoch geht das BMG derzeit davon aus, dass der Start des Registers zum 1. März 2022 erfolgen kann.
Ungewiss ist dagegen offenbar, inwieweit die BZgA ihren im Gesetz vorgegebenen Aufgaben nachkommen kann. Die Behörde sei um Stellungnahme gebeten worden, wie sie angesichts von zur Verfügung stehenden Mitteln von nur 5,7 Millionen Euro die Umsetzung gewährleisten kann, erklärt die Regierung.
Manual für das Patientengespräch geplant
Denn zur Aufgabe der BZgA gehört auch die Unterstützung von Hausärzten bei Information und Aufklärung in Sachen Organspende. Zurzeit werde ein „Manual für das Arzt-Patienten-Gespräch zur Organ- und Gewebespende“ abgestimmt. Beteiligt an dem Prozess sind neben dem Hausärzteverband auch KBV und Bundesärztekammer.
Hausärzte sollen ihre Patienten alle zwei Jahre zur Organ- und Gewebespende beraten und ermutigen, sich in das Online-Register eintragen zu lassen. Die Beratung soll ergebnisoffen sein – die BZgA soll die Arztpraxen mit den passenden Aufklärungsbroschüren beliefern.
Das BMG kündigt in seiner Antwort an, den Gesundheitsausschuss im Laufe des ersten Quartals über den Stand der Dinge zu informieren.
Neue Organspendezahlen belegen: Die Niere bleibt das häufigste Spenderorgan, wird aber auch am meisten benötigt. Wir zeigen, wie weit diese Zahlen auseinanderklaffen – auch bei anderen Organen.
Trotz der Corona-Krise hat es 2020 in Deutschland fast so viele postmortale Organspenden gegeben wie im Jahr zuvor. Das liege unter anderem daran, dass Krankenhäuser häufiger an die Organspende denken, berichtet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO).
Im vergangenen Jahr wurden hierzulande 2941 Organe gespendet von Menschen, bei denen der Hirntod festgestellt worden war. 2019 waren es mit 2995 nur etwas mehr. 2010 hatte die Zahl bei 4205 gelegen (siehe nachfolgende Grafik), das war vor den Transplantationsskandalen.
Am häufigsten wurde 2020 eine Niere postmortal gespendet – exakt 1447 Mal. Somit war fast jedes zweite Spenderorgan eine Niere (49 Prozent). Es folgen die Leber (746, 25 Prozent), Lungen (342, 12 Prozent) und Herzen (320, 11 Prozent).
Organspender: Höchste Quote in Hamburg
Insgesamt gab es in Deutschland im vergangenen Jahr 913 postmortale Organspender. Die meisten von ihnen stammten aus Nordrhein-Westfalen – zumindest, was die absoluten Zahlen angeht. 174 Spender waren in NRW registriert, danach kamen Bayern (131) und Baden-Württemberg (107).
Aussagekräftiger ist aber ein Vergleich der Spender-Quote pro eine Million Einwohner (siehe nachfolgende Grafik). Und da zeigt sich das beste Verhältnis in Hamburg (26,0 Spender pro eine Million Einwohner), vor Saarland (22,3) und Mecklenburg-Vorpommern (16,8). Der bundesweite Durchschnitt lag bei 11,0 Spendern pro eine Million Einwohnern. 2019 hatte er 11,2 betragen.
9192 Bundesbürger stehen auf der Warteliste
Noch immer werden in Deutschland viel weniger Organe gespendet als benötigt werden. 9192 Patienten standen Ende des Jahres 2020 bei Eurotransplant auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Die mit Abstand größte Nachfrage besteht bei Nieren (7338). Es folgen Lebern (891) und Herzen (700).
Zum Vergleich: Vor zehn Jahren war die Reihenfolge dieselbe – wenn auch mit einem weitaus größeren Bedarf: 2010 fehlten 7869 Nieren, 2161 Lebern und 981 Herzen (siehe nachfolgende Grafik). Damals umfasste die Warteliste 11.562 Menschen.
Gesundheitsminister Jens Spahn will die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung umbauen, deren Arbeit in der Pandemie bisher seltsam blass bleibt. Sie soll reichweitenstark kommunizieren – und doch die Wissenschaftlichkeit nicht vernachlässigen.
Veröffentlicht: 19.01.2021, 16:12 Uhr
Berlin. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) soll zu einer „zentralen Vertrauensinstanz“ in Gesundheitsfragen werden und sich „zu einer echten Kommunikationsagentur für alle Altersklassen“ entwickeln. Das teilt die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag mit. Bedenken, diese Neuausrichtung könne zu Lasten der wissenschaftlichen Ausrichtung der Behörde gehen, weist die Regierung zurück. „Wissenschaft und Forschung“ seien Grundvoraussetzungen für eine „erfolgreiche Aufgabenwahrnehmung der BZgA“, heißt es.
Doch die Vorbehalte hatte die Regierung mit ihrer Ausschreibung des Leitungspostens der Behörde selbst ausgelöst. In der Anzeige vom September 2020 hieß es, die BZgA benötige „ein Update“: „Im Auftreten, im Selbstverständnis, in der Kommunikation“. Aktuell ist ein Nachfolger für BZgA-Direktorin Professor Heidrun Thaiss, die zum 1. Februar das Haus verlässt, noch nicht gefunden. 15 Bewerbungen sind bisher eingegangen. Doch stattdessen wurde BZgA-Vize Professor Martin Dietrich kommissarisch zum Behördenleiter ernannt.
Die Leitungsposition sei künftig mit einem „starken kommunikativen Anforderungsprofil“ versehen. Zudem soll die 1967 gegründete Behörde eine „organisatorische Verschlankung und inhaltliche Neustrukturierung“ verpasst bekommen. „Mehr Flexibilität“ sei gefordert, damit die BZgA „auf aktuelle Anforderungen zeitnah reagieren“ könne.
Genau das haben Beobachter bei der Kölner Behörde in der Corona-Pandemie vermisst. „Die BZgA füllt ihre wichtige Funktion in der Krise nicht angemessen aus. Wesentliche Teile der Kampagnenarbeit übernimmt das Bundesgesundheitsministerium mittlerweile selbst“, kritisiert die Grünen-Gesundheitspolitikerin Dr. Kirsten Kappert-Gonther. Dem widerspricht die Regierung: Die BZgA sei von Anfang an „maßgeblich“ an Aufklärungs- und Info-Kampagnen beteiligt gewesen – als Beispiel wird die Dachkampagne „Zusammen gegen Corona“ genannt, die mit dem Robert Koch-Institut aufgelegt worden sei.
Tatsächlich attestieren Wissenschaftler im Kompetenznetz Public Health COVID-19 der BZgA „eine ausgeprägte Expertise bei der Durchführung von bevölkerungsweiten Kampagnen“. Allerdings stammt die letzte Evaluation der Arbeit der Behörde aus dem Jahr 2012 – eine Neubewertung sei derzeit nicht geplant.
Für die Grünen ist die inhaltliche Bestimmung des BZgA-Updates unklar. „Es ist zu bezweifeln, dass Verschlankung und Rationalisierung die richtigen Antworten auf die bestehenden Probleme sind“, sagt Kappert-Gonther. Sie fordert, am Ende des Prozesses müsse eine „politisch unabhängige und gut ausgestattete Public Health-Institution stehen“. (fst)
Ungewöhnliche Transplantation am UKM
Patientin erhält Organe von Säugling
Münster -
Sandra Giese war seit rund 40 Jahren Diabetikerin (Typ-I), als sich im Herbst ihre Werte so dramatisch verschlechterten, dass sie drohte, dialysepflichtig zu werden. Nach der Transplantation zweier Nieren in Kombination mit einer Bauchspeicheldrüse lebt die Beckumerin nun mit den jüngsten Organen, die je in Deutschland transplantiert wurden, weiter.
Von Westfälische Nachrichten
Erst im September hatten die Ärzte der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Münster (UKM) sie auf die Warteliste für Organtransplantationen gesetzt. „In der Regel warten die Empfänger ein bis zwei Jahre auf ein Angebot“, erklärt der stellvertretende Klinikdirektor, Prof. Jens Brockmann . Doch am 8. November klingelte es abends bei Familie Giese in Beckum: Die Polizei gab Bescheid, dass es ein Organangebot für sie gab. „Ich war noch gar nicht wirklich vorbereitet, hatte meine Sachen nicht gepackt“, erzählt Sandra Giese. Im UKM erfuhr sie, dass es sich um die Organe eines weit unter ein Jahr alten Kindes handelt.
Medizinisch gesehen sind ist es nicht selbstverständlich, dass die Organe eines Kleinkindes überhaupt transplantiert werden, informiert die Klinik in ihrem Pressebericht. Die technischen Risiken würden landläufig als zu groß eingeschätzt. Während alle anderen Zentren die durch die Stiftung Eurotransplant angebotenen Nieren ablehnten, nahm das UKM das kombinierte Angebot aus Nieren und Pankreas an. „Wir haben eine neue Operationstechnik angewendet, die weltweit nur von wenigen Chirurgen überhaupt durchgeführt wird“, sagt Brockmann. Dabei bleiben die eigenen Organe im Körper und der Empfangende bekommt diese Organe gewissermaßen in zweiter Ausführung noch einmal hinzu.
Junge Organe werden seltener abgestoßen
Einer der Vorteile ist, dass die Organe sehr schnell im Körper des Empfängers weiterwachsen. Maßen die Nieren im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Transplantation kaum vier Zentimeter, so sind sie jetzt, sechs Wochen später, schon fast doppelt so groß. Auch scheint es nach Darstellung des UKM so zu sein, dass juvenile Organe seltener abgestoßen werden.
Leid und Glück
Nicht ausblenden will Giese, die selbst Mutter ist, dass der Tod eines Kindes ihr zu einem neuen Leben verholfen hat. „Leid und Glück sind in der Transplantation untrennbar miteinander verknüpft“, sagt Klinikdirektor Prof. Andreas Pascher. Und Brockmann, der die Transplantation mit seinem Team durchgeführt hat, ergänzt: „Es muss ein unvorstellbar schwerer Schritt für Eltern sein, die Organe des eigenen Kindes zur Transplantation freizugeben.“ Gleichzeitig beschreibt er es für Mütter und Väter auch als tröstend, zu wissen, dass sie mit diesem Einverständnis mehreren Menschen das Leben retten. „Das hilft, ein Stück weit bei der Verarbeitung.“
Kontrollgremien für die Überwachung der Transplantationszentren findet keine systematischen Verstöße.
Veröffentlicht: 11.12.2020
Berlin. Bei der Überprüfung von 30 Transplantationsprogrammen wurden keinerlei systematische Richtlinienverstöße gefunden. Das geht aus dem Tätigkeitsbericht 2019/2020 der Kontrollgremien von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband hervor. Geprüft wurden Programme der Herz-, Lungen-, Leber-, Nieren- und Pankreastransplantationen von 2016 bis 2018.
Wegen der besonderen Umstände in diesem Jahr wurden nur drei Transplantationszentren vor Ort und 27 im schriftlichen Verfahren geprüft. Die positive Entwicklung der vergangenen Jahre habe sich weiter fortgesetzt, kommentiert der Vorsitzende der Überwachungskommission, Professor Hans Lippert, die Ergebnisse.
Verdachtsunabhängige Prüfungen
Bei der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin zur Meldung von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht gingen im Berichtsraum 2019/2020 21 Eingaben ein. „Diese betrafen neben allgemeinen und einzelfallbezogenen Fragen zur Organspende und -transplantationen insbesondere Fragestellungen zur Lebendorganspende, wie etwa zu den Voraussetzungen und zur Kostenerstattung der Nachsorgebehandlung“, erklärt der Leiter der Vertrauensstelle, Professor Hans Lilie.
Die Prüfungskommission und die Überwachungskommission kontrollieren in der Regel alle drei Jahre verdachtsunabhängig die 126 Transplantationsprogramme der 46 Transplantationszentren in Deutschland. Auch die Vermittlungsstelle Eurotransplant sowie die Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation werden regelmäßig überprüft. (chb)
Wir erklären, was Sie bei ihren Willensbekundungen unbedingt beachten sollen
Ist eine Patientenverfügung nichtig, wenn man einen Organspendeausweis hat?
10. Dezember 2020 - 8:48 Uhr
Egal ob Patientenverfügung oder Organspendeausweis: Vorsorge ist wichtig!
Auch wenn wir die Gedanken über mögliche Krankheiten, Leiden und den Tod am liebsten ganz weit von uns wegschieben wollen, ist es wichtig, sich auch mit diesen unbequemen Themen auseinanderzusetzen. Bei uns in Deutschland gibt es zwei wichtige Verfügungen, durch die wir im Vorfeld entscheiden können, was mit uns in einem medizinischen Notfall passieren soll und ob wir unsere Organe spenden wollen oder nicht. Doch häufig passiert es, dass sich diese zwei unterschiedlichen Willenserklärungen – Patientenverfügung und Organspendeausweis – widersprechen. Wir erklären Ihnen, welche Folgen das für Sie als Patient mit sich bringen kann und was sie unbedingt berücksichtigen sollten.
Wie kommt es dazu, dass eine Patientenverfügung einer Organspende widerspricht?
Eine Patientenverfügung soll dabei helfen, im medizinischen Ernstfall den eigenen Willen durchzusetzen. So haben viele Menschen beispielsweise für den Fall einer schweren, irreversiblen Gehirnschädigung festgelegt, dass keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Gleichzeitig besitzen viele aber auch einen Organspendeausweis. Doch damit Organe entnommen werden können, müssen intensivmedizinische Maßnahmen weiter fortgesetzt werden, um zweifelsfrei den Hirntod feststellen zu können. Dies wiederum würde allerdings – sollte der Patient beispielsweise eine künstliche Beatmung ablehnen – der Patientenverfügung widersprechen. Was passiert also, wenn sich Patientenverfügung und Organspendeausweis gegenseitig ausschließen? Verliert die Patientenverfügung dann ihre Gültigkeit?
Wie handeln Ärzte, wenn sich Patientenverfügung und Organspendeausweis widersprechen?
In einem solchen Fall ist für die Ärzte und Ärztinnen nicht eindeutig klar, wie sie nun handeln sollen. "In der medizinischen Praxis kann diese unklare Situation dazu führen, dass eine Organentnahme oftmals gar nicht in Betracht gezogen wird", erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf der Homepage der deutschen Organspende.
Um solche Situationen zu vermeiden, hat die Bundesärztekammer (BÄK) ein Arbeitspapier veröffentlicht, worin sie für eine solche Situation ethische und rechtliche Empfehlungen ausspricht. Sollte der Fall eintreten, dass ein Patient, der in seiner Patientenverordnung angegeben hat, keine lebenserhaltenden Maßnahmen erhalten zu wollen, gleichzeitig aber der Organspende zugestimmt hat, bereits auf der Intensivstation liegen und künstlich beatmet werden, unterscheidet die BÄK zwischen drei verschiedenen Situationen:
Sollten die Ärzte vermuten, dass der Hirntod bereits eingetreten ist, ist es laut der BÄK ethisch und rechtlich vertretbar, die erforderlichen Maßnahmen kurzzeitig aufrechtzuerhalten, um eine Organspende durchführen zu können: "Dieses Vorgehen beachtet auch den in der Patientenverfügung ausgedrückten Willen sterben zu dürfen, weil die intensivmedizinischen Maßnahmen nur für den Zeitraum fortgesetzt werden, der für die Realisierung der vom Patienten gewünschten Organspende erforderlich ist. Eine isolierte Betrachtung der Patientenverfügung ohne Rücksicht auf die Organspendererklärung würde dem Willen des Patienten nicht gerecht werden", heißt es dazu in dem Arbeitspapier. Ob ein Hirntod tatsächlich eingetreten ist, kann immer erst durch eine Hirntoddiagnostik festegestellt werden.
Anders ist es, wenn die Ärzte vermuten, dass ein Hirntod möglicherweise erst in wenigen Tagen eintreten wird. Sollte der Patient allerdings schon versterben, bevor ein Hirntod eintritt, dürfen die Ärzte laut der BÄK keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen. Zuvor müssen sie mit den Angehörigen oder einem Patientenvertreter – dabei handelt es sich um eine von dem Patienten zuvor festgelegte Person für Gesundheitsfragen – beraten, wie weiter vorgegangen werden soll.
Sollte der Patient einen Herzstillstand erleiden und in der Patientenverfügung angeordnet haben, keine Reanimation durchzuführen, sollte nur aufgrund eines Organspendeausweises auf keinen Fall ein Wiederbelebungsversuch unternommen werden, da völlig ungewiss ist, ob ein Hirntod, der ja für eine Organspende Voraussetzung ist, eintreten wird.
Worauf muss ich bei der Erstellung meiner Patientenverfügung achten?
Beachten Sie also bei der Erstellung ihrer Patientenverfügung, dass diese – sofern sie einer Organspende zustimmen – nicht im Widerspruch mit ihrem Organspendeausweis steht. Dafür sollten Sie in ihrer Patientenverfügung ausdrücklich festlegen, was für Sie in einer solchen Situation Vorrang hat: Die Möglichkeit der Organspende oder auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten.
Wie sie dies am besten ausformulieren ist Ihnen überlassen, eine standartisierte Patientenverfügung gibt es in Deutschland nicht. Allerdings gibt es auf der Homepage der deutschen Organspende – auf der Sie im übrigen auch kostenlos einen Organspendeausweis bestellen können – Formulierungshilfen, um ihre Entscheidung für oder gegen einer Organspende unmissverständlich und klar auszudrücken.
DSO-Jahrestagung
Organspende: Noch zu häufig entscheiden Angehörige
Die Zahl der Organspender steigt. Doch damit geben sich Transplantationsmediziner nicht zufrieden: Der Patientenwille werde zu selten von den Betroffenen selbst, also noch zu Lebzeiten, dokumentiert.
Veröffentlicht: 03.11.2020, 19:59 Uhr
Frankfurt/Main. Kein Abwärtstrend trotz SARS-CoV-2: Bereits im Sommer hatte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vermeldet, dass die Zahl der Organspender trotz der Corona-Pandemie gestiegen ist. Bis Ende Juni registrierte die Stiftung 487 postmortale Spender, Stand Ende Oktober sind es 793.
Das ist eine leichte Steigerung von 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, hieß es am Dienstag auf dem DSO-Jahreskongress, der wegen der Pandemie dieses Jahr rein digital stattfindet.
Der Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt aber, dass dieses kleine Plus mehr wiegt als in den Jahren zuvor. In Spanien etwa seien im Frühjahr die Organspenderzahlen auf fast ein Viertel der früheren Aktivität zurückgegangen. Spanien gilt als besonders schwer betroffen von der Pandemie.
Mehr Kontakte zwischen Kliniken und DSO
Die DSO schreibt das Plus vor allem dem Engagement in den Kliniken zu, trotz des Fokus auf Corona an die Organspende zu denken. So hätten die organspendebezogenen Kontakte zur DSO als Koordinierungsstelle ebenfalls zugenommen, um 4,1 Prozent auf 2626 Kontakte.
Dennoch müsse mehr und vor allem früher über das Thema Organspende gesprochen werden, mahnten Transplantationsmediziner auf der Tagung. „Wir müssen wissen, was der Patient möchte“, sagte Professor Klaus Hahnenkamp, Sprecher der Sektion Organspende und Organtransplantation bei der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Die gelebte Praxis in der Intensivmedizin in den letzten Jahren habe dabei sicherlich nicht förderlich gewirkt, sondern das bewusste Auseinandersetzen mit dem Organspendewillen auch in der Patientenverfügung eher in den Hintergrund gerückt, gestand er ein. Oft hätten die Patienten auch Angst, dass zu viel an medizinischen Maßnahmen auf den Intensivstationen getan werde.
Transparenz für Angehörige schaffen
Helfen soll die überarbeitete Richtlinie „Spendererkennung“ der Bundesärztekammer (BÄK), die seit September – wenn auch bislang etwas zu geräuschlos, wie Tagungsteilnehmer kritisierten – in Kraft ist. Danach soll bereits vor einer Entscheidung zur Therapiebegrenzung der Wille zur Organspende erkundet werden.
„Ich glaube wir können uns allen und den Patientenvertretern auch mehr zutrauen“, ermunterte er die Kollegen aus den Kliniken. Das Gespräch mit den Angehörigen sollte bereits stattfinden, wenn der Eintritt des Hirntods wahrscheinlich sei, so Hahnenkamp, der Mitautor der Richtlinie ist.
Wichtig sei dabei Transparenz, nicht nur über die medizinischen Maßnahmen, die ergriffen würden. Die Angehörigen sollten auch auf den zeitlichen Rahmen der Organspende bzw. dafür notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen vorbereitet werden.
Zu wenige besitzen einen Organspendeausweis
Dennoch appelliert auch Hahnenkamp, möglichst zu Lebzeiten selbst eine persönliche Entscheidung zur Organspende zu treffen und diese auch zu dokumentieren. Das hatten von den bei der DSO gemeldeten möglichen Organspendern im vergangenen Jahr allerdings gerade einmal 15 Prozent getan.
Hinzu kommen außerdem neue Zahlen, wonach tatsächlich mehr Gestorbene für eine Organspende infrage kommen könnten als bislang realisiert werden. Seit vergangenen Jahr müssen alle der rund 1200 Entnahmekrankenhäuser Daten für die „Todesfallanalyse“ bereitstellen.
Darin werden alle Todesfälle mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung erfasst – damit maßgeblichen Kriterium pro postmortaler Organentnahme – sowie die Gründe, die eine Organspende verhindert haben. Nach einer ersten Auswertung der DSO hätten 2019 bundesweit doppelt so viele Menschen nach ihrem Tod Organspender werden können. (reh)
- Aktuelles zum Stand der Gesetzesreform - Transplantationsbeauftragte sind Wegbereiter - Zahl der Organspender trotz Coronavirus-Pandemie leicht steigend
Die Jahrestagung der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) startet heute mit über 700 Anmeldungen in ihr dreitägiges virtuelles Programm. Besonders erfreulich: Knapp die Hälfte der registrierten Teilnehmer sind Transplantationsbeauftragte, die im Mittelpunkt der gesetzlichen Novellierungen vom letzten Jahr stehen. "Die Transplantationsbeauftragten sind unsere wichtigsten Partner im Organspendeprozess in den Kliniken", erklärt der Medizinische Vorstand der DSO, Dr. med. Axel Rahmel. "Daher liegt der Fokus beim Kongress auch darauf, was sich seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen in den Entnahmekrankenhäusern getan hat und was sich aus Sicht der Transplantationsbeauftragten noch verbessern müsste. Die große Resonanz bei den Anmeldungen bestätigt erneut unsere Ausrichtung auf eine praxisnahe Fortbildungsveranstaltung mit aktuellen Beiträgen aus Medizin und Politik und spiegelt zudem das gestiegene Interesse der Transplantationsbeauftragten wider, ihre neuen Aufgaben in den Kliniken als Wegbereiter für die Organspende bestmöglich wahrzunehmen."
Ziel des "Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" vom 1. April 2019 ist die Erhöhung der Organspendezahlen - und zwar primär durch strukturelle Änderungen bei der Erkennung möglicher Spender in den Kliniken. Eine wichtige Maßnahme, die Zahl der Organspenden zu erhöhen, ist dabei auch die seit letztem April gesetzlich vorgeschriebene Todesfallanalyse. Damit sind alle der rund 1.200 Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, die Todesfälle mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung zu erfassen und die Gründe zu eruieren, die eine Organspende verhindert haben. Eine erste Auswertung der bisher erstmals bundesweit eingegangenen Daten an die DSO zeigt, dass 2019 potenziell die Anzahl der Organspender hätte verdoppelt werden können. Dies verdeutlicht erneut, dass dem hiesigen Organspendemangel durch verbesserte Abläufe in den Kliniken weiter entgegengewirkt werden kann.
Eine andere Lücke bei der Erkennung möglicher Organspender schließt nun die seit Anfang September geltende neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer.
Sie rückt die frühzeitige Beachtung des Patentenwillens in den Mittelpunkt, sodass jeder Organspendewunsch auch umgesetzt werden kann. Prof. Dr. med. Klaus Hahnenkamp, Mitautor der Richtlinie, erläutert, dass es die Aufgabe der Ärzte sei, bereits zum Zeitpunkt eines zu erwartenden oder vermuteten Hirnfunktionsausfalls den möglichen Wunsch einer Organspende zu ermitteln. Das bedeute, diese Frage sei mit den Angehörigen zu klären - und zwar bevor die Einleitung einer palliativen Behandlung eine spätere Organspende ausschließe.
Eine bedeutende Neuerung brachte das Gesetz vom letzten April auch bei der Angehörigenbetreuung mit sich, die nun offiziell der DSO übertragen wurde. Anne-Bärbel Blaes-Eise, Koordinatorin der DSO-Region Mitte, ist froh über die rechtliche Grundlage für die damit verbundene Wertschätzung und Würdigung der Organspender und ihrer Familien. So ist es z.B. für die nächsten Angehörigen bzw. nahestehende Personen eines Organspenders wichtig zu erfahren, ob die gespendeten Organe transplantiert werden konnten und wie es den Organempfängern geht. "Sie haben so das Gefühl, dass dem plötzlichen Tod ein wenig von seiner Sinnlosigkeit genommen wurde," erklärt die Koordinatorin.
In den ersten 10 Monaten des Jahres gab es mit 793 postmortalen Organspendern eine leichte Steigerung von 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Im Gegensatz zu Spanien, wo die Zahlen im Frühjahr auf fast ein Viertel der früheren Aktivität zurückgingen, oder auch Italien mit einem zeitweisen 30-prozentigen Rückgang, konnten Organspende und Transplantation hierzulande relativ konstant weitergeführt werden. Dies liegt insbesondere an dem andauernden Engagement in den Kliniken, trotz der Krise an die Organspende zu denken. Dies zeigen auch die organspendebezogenen Kontakte zur DSO als Koordinierungsstelle, die bis Ende Oktober bei 2.626 Kontakten und damit um 4,1 Prozent über dem Vorjahr lagen.
In seinem 16. Jahr findet der DSO-Jahreskongress aufgrund der Coronavirus-Pandemie virtuell statt und bietet an drei Kongresstagen lebendigen Wissensaustausch zwischen Teilnehmern und Experten.
Weitere Informationen zu diesen Themen finden Sie hier:
Birgit Blome, Bereichsleiterin Kommunikation Nadine Körner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Dr. Susanne Venhaus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Deutsche Stiftung Organtransplantation
Göttinger Organspendeskandal : Freigesprochener Arzt bekommt 1,2 Millionen Euro Entschädigung
Aktualisiert am 28.10.2020
Das Land Niedersachsen muss einem Mediziner rund 1,2 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Zuvor war der Mann in einem Prozess um den Organspendeskandal an der Göttinger Uniklinik freigesprochen worden.
Im Verfahren um eine Entschädigung für den im Göttinger Organspendeskandal freigesprochenen Arzt ist das Land Niedersachsen dazu verurteilt worden, dem Mediziner rund 1,2 Millionen Euro zu zahlen. Das teilte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig am Mittwoch mit. Das Land hatte sich in dem Berufungsprozess am OLG gegen die Entschädigungszahlung an den Mediziner gewehrt. Das Oberlandesgericht bestätigte nun im Wesentlichen das Urteil des Landgerichts Braunschweig, das dem Arzt im vergangenen Jahr eine Entschädigung von rund 1,2 Millionen Euro zugesprochen hatte.
2015 war der frühere Chirurg an der Göttinger Uniklinik in einem bundesweit aufsehenerregenden Prozess vom Vorwurf des elffachen versuchten Totschlags und der dreifachen Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen worden. Zuvor hatte der heute Dreiundfünfzigjährige fast das komplette Jahr 2013 in Untersuchungshaft verbracht und wurde nach Zahlung einer Kaution von 500.000 Euro entlassen.
Seine Forderung nach der Millionen-Entschädigung begründete er nicht nur mit der U-Haft und Zinsschäden durch die Kaution von 500.000 Euro. Es ging ihm vor allem um ein verpasstes Gehalt von 50.000 US-Dollar pro Monat in Jordanien, wo er eine neue Stelle antreten wollte. Dieser Posten machte nach Angaben des Oberlandesgerichts mit circa 1,1 Millionen Euro den größten Teil der Klage aus.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen. Das Land kann innerhalb von vier Wochen Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.
Quelle: dpa
MT 13.06.2020
Spenderlunge für Corona-Patientin
Die Pandemie bremst die Transplantationsmedizin weltweit aus. Doch wie ist die Situation in Deutschland? Herzchirurg Jan Gummert aus Bad Oeynhausen klärt auf.
Carolin Nieder-Entgelmeier
Berlin/Bad Oeynhausen.
Die Ausbreitung des Coronavirus stellt die Transplantationsmedizin
weltweit vor gewaltige Herausforderungen. Vielerorts kann nur noch eingeschränkt gearbeitet werden. In Italien und Spanien sind die Zahlen der Organspenden massiv eingebrochen und in China wurden Transplantationen zeitweise sogar komplett ausgesetzt.
Gleichzeitig machen erste Erfolge bei Transplantationen bei Covid-19-Patienten Hoffnung. Doch wie ist die Situation in Deutschland?
„Da die Pandemie in Deutschland bislang sehr glimpflich verlaufen ist, konnte die Transplantationsmedizin ungehindert weiterarbeiten“, erklärt der ärztliche Direktor des Herz- und Diabeteszentrums (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen, Jan Gummert. „Mir ist kein Fall bekannt, dass eine Transplantation aufgrund der Krise abgesagt werden musste.“ Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) belegen die Einschätzung: „Im März und April ist es im Vergleich zum Vorjahr nicht zu einem deutlichen Rückgang der Organspende in Deutschland gekommen.“ Patienten müssen laut DSO nicht länger warten als vor der Krise. Insgesamt haben zwischen Januar und Mai 410 Menschen in Deutschland ein oder mehrere Organe gespendet. Im Vergleichszeitraum 2019 waren es 379 und 2018 396. Ein leichter Rückgang der Zahlen im April kann laut Gummert auch auf eine normale Schwankung zurückzuführen sein. „Bei den leider noch immer geringen Spenderzahlen in Deutschland lässt sich nicht sicher sagen, ob der leichte Rückgang im Vergleich zum Vorjahr auf die Pandemie zurückzuführen ist“, ergänzt Gummert. Auf eine Million Einwohner kommen in Deutschland etwa 11,5 Organtransplantationen.
Zum Vergleich: In Spanien sind es 48 auf eine Million Einwohner. In anderen Ländern sind die einbrechenden Zahlen der Organspenden hingegen eine deutlich sichtbare Folge der Pandemie. In Italien und Spanien sind die Zahlen mitunter um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. „Das ist eine Folge der überlasteten Krankenhäuser. Die Krise hat die Gesundheitswesen der Länder so stark überfordert, dass nicht mehr alle Patienten, die auf eine intensivmedizinische Behandlung angewiesen waren, auch auf einer Intensivstation behandelt werden konnten“, erklärt Gummert. „In solchen Krisensituationen ist keine Zeit für Hirntod-Diagnostik, mit der Folge, dass mögliche Organspender nicht identifiziert werden.“ Da das Gesundheitswesen in Deutschland nach Angaben Gummerts zu keinem Zeitpunkt überlastet war, ist auch die Zahl der Organspenden stabil geblieben. „In Deutschland konnten alle Patienten, die auf intensivmedizinische Behandlung angewiesen waren, auch betreut werden. Es war also weiter Zeit für die Hirntod-Diagnostik, die mitunter mehrere Tage dauert.“ Trotz der stabilen Lage belastet die Pandemie auch die Transplantationsmedizin in Deutschland. Risikominimierung ist hier das wichtigste Stichwort. Organspender und -empfänger werden auf das Coronavirus getestet. Zudem wird bei beiden Gruppen auch nach Aufenthalten in Corona-Risikogebieten und Kontakt zu Infizierten oder Verdachtsfällen gefragt. Laut Gummert kann eine Infektion mit dem Coronavirus durch eine Organtransplantation unvorhersehbare Folgen für den Empfänger haben. „Eine aktive Infektion schließt Spende und Transplantation deshalb aus.“ Möglich sind aber offenbar auch Transplantationen bei Covid-19-Patienten, wenn diese nicht mehr infektiös sind. Im Allgemeinen Krankenhaus Wien gelang Ärzten im Mai die erste Lungentransplantation bei einer Covid-19-Patientin in Europa. Nach Angaben der Klinikleitung wäre die 45-jährige Patientin ohne Transplantation aufgrund eines schweren Lungenversagens gestorben. Grundsätzlich gilt laut DSO auch in der Corona- Krise für alle Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, der Grundsatz, dass die Entscheidung über die Transplantation nur unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko für den Empfänger erfolgt. Spätestens seit der Transplantation bei der Covid-19-Patientin in Wien stellen sich Experten die Frage, ob das Coronavirus den Bedarf an Transplantationen erhöhen wird. Trotz der noch vielen offenen Fragen zum Virus beobachten Intensivmediziner, dass Covid-19 nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe wie das Herz oder die Nieren schwer schädigen kann. „Trotzdem kann aktuell niemand seriös abschätzen, ob der Bedarf an Transplantationen steigen wird“, sagt Gummert. Doch auch wer ein dringend benötigtes Organ erhalten hat, ist durch das Coronavirus weiterhin in Gefahr,weil Transplantierte zur Hochrisikogruppe zählen. Insbesondere in Ländern, in denen das Gesundheitssystem überfordert wurde, lag die Mortalität transplantierter Patienten laut der Deutschen Transplantationsgesellschaft nochmals höher.
Wachsendes Interesse an Organspende
22.05.2020
Hamburg – Immer mehr Menschen setzen sich offenbar mit dem Thema Organspende auseinander. Von Januar bis Ende April dieses Jahres gingen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Bestellungen für rund 2,23 Millionen Organspendeausweise ein, wie der Spiegel berichtet.
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (1,69 Millionen) entspricht das einem Anstieg von 33 Prozent. Auch die Nachfrage nach Informationsbroschüren mit integriertem Ausweis wuchs demnach. Die Daten gehen aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Frage von Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock hervor.
Im Januar hatte der Bundestag über eine Neuregelung der Organspende entschieden. Die Mehrheit im Parlament stimmte für ein Modell, das Baerbock mitentwickelt hatte: Die Bereitschaft zur Organspende kann von 2022 an in ein Onlineregister eingetragen werden.
„Das Interesse an Organspendeausweisen ist deutlich gewachsen“, sagte die Grünen-Vorsitzende. Damit es zu mehr Transplantationen komme, müsse das neue Register jetzt „zügig kommen“. Das Gesundheitsministerium hat zu dessen Umsetzung eine Projektgruppe einrichten lassen, die von Sicherheits- und Datenschutzexperten begleitet wird.
Die öffentliche Diskussion zum Thema hat nach Einschätzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zu vermehrtem Interesse geführt. Die Zahl der Organspender stieg laut DSO in den ersten vier Monaten 2020 im Vorjahresvergleich um 11,5 Prozent auf 330 Spender.
Die Pandemie erschwert Transplantationen, Lebendspenden sind teilweise ausgesetzt. Weil die Kliniken jetzt wieder mehr operieren, werden auch mehr Blutspender gesucht.
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation verzeichnete im ersten Quartal 2020 noch 41 postmortale Organspender mehr als im Vorjahr. Das entspricht einem Anstieg von 16,1 Prozent in Deutschland. Aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor, so lässt sich noch nicht genau sagen, ob und inwieweit sich die Corona-Krise auf die Organspende auswirkt. In Deutschland gibt es aber nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation noch genügend Intensivkapazitäten in den Kliniken. „Nach unseren Erfahrungen in den vergangenen Wochen denken die Entnahmekrankenhäuser weiterhin an die Organspende. Organspender werden weiterhin gemeldet und Organtransplantationen finden weiterhin statt“, sagte eine Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Derzeit ist auch ein negativer Sars-CoV-2-Befund bei einer klinischen Untersuchung für eine Organspende notwendig.
Gleichwohl könnte die Corona-Krise laut Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, zu einem Rückgang der Spender und Transplantationen führen: „Derzeit stellt die Coronavirus-Pandemie unser gesamtes Gesundheitssystem vor bisher nicht gekannte Herausforderungen, die möglicherweise auch an der Organspende und Transplantation nicht spurlos vorbeigehen werden“, sagt er. In Italien, in den USA, aber auch in anderen Ländern gebe es jedoch dramatische Rückgänge um bis zu 30 Prozent.
Während Verstorbenen-Organspenden noch möglich sind, ist die sogenannte Lebendspende in vielen deutschen Transplantationszentren eingestellt worden, so die Sprecherin. Bei einer Lebendspende spenden Angehörige beispielsweise eine ihrer Nieren oder einen Teil ihrer Leber. Sie müssen dafür Verwandte ersten Grades (Eltern, Großeltern) oder zweiten Grades (Tanten, Onkel) des Empfängers sein oder ein sehr enges Verhältnis zu ihm haben. Derzeit werde die Lebendspende nur in Ausnahmefällen durchgeführt. „Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit ist man bei der Lebendspende aktuell sehr zurückhaltend“, sagte die Sprecherin.
Wieder mehr Operationen
Anfang März waren die Blutkonserven im Zuge der Corona-Krise knapp: Die Zahl der Blutspender ging stark zurück, der Bedarf an Blutkonserven konnte nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) nicht gedeckt werden. Der DRK-Blutspendedienst konnte zudem vielerorts nicht mehr auf vorherige Spendeorte wie Schulen, Turnhallen und Gemeindehäuser zurückgreifen, da diese geschlossen wurden. Und Menschen hatten hinsichtlich einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus beim Blutspenden Bedenken. Doch darüber müssen sich potenzielle Spender laut DRK und der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie keine Sorgen machen: Bei der Blutspende seien die hohen Hygienestandards noch verschärft worden. Da gerade in Corona-Zeiten Blutspenden benötigt werden, wurden bundesweit zahlreiche Aufrufe gestartet.
„Die Aufrufe haben gefruchtet: Wir haben derzeit bundesweit genügend Spender“, sagte ein Sprecher des DRK-Blutspendedienstes dem RND. Seit dem Beginn der Corona-Krise habe das DRK trotz der anfänglichen Rückgänge einen Anstieg an Erstspendern und jungen Spendern erlebt. Seit Ende März gab es keine Engpässe mehr, so der DRK-Sprecher, was nicht zuletzt auch an den Maßnahmen der Krankenhäuser gelegen hat, den Blutverbrauch zu reduzieren. So wurden nicht dringende Operationen verschoben. Der Blutverbrauch lag demnach Ende März um etwa 30 Prozent niedriger als vor der Corona-Krise.
Nun wollen die Kliniken allerdings angesichts der schrittweisen Lockerung der Corona-Maßnahmen auch ihren Betrieb langsam wieder hochfahren. Vorher verschobene Operationen, für die Blutkonserven benötigt werden, sollen also nach und nach wieder durchgeführt werden. Der Blutspende-Bedarf werde also nun langsam wieder steigen, sagte der DRK-Sprecher: „Somit sind wir auch auf mehr Spender angewiesen.“
Von Ben Kendal
NW 15.04.2020
17künstliche Lungen stehen bereit
Das Herz- und Diabeteszentrum hat die speziellen Beatmungsgeräte schon seit Jahren im Einsatz. Jetzt wird auch ein Corona-Patient mit Lungenversagen damit behandelt.
Heidi Froreich
Bad Oeynhausen. Einer der Patienten, die jetzt mit einer Corona-Infektion auf der Intensivstation des Herz- und Diabeteszentrums NRW behandelt werden, erfordert besondere Behandlungskompetenz. Weil seine Lunge infolge der Infektion versagt, braucht er eine sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO): „Das ist eine künstliche Lunge“, erläutert Jan Gummert, Ärztlicher Direktor des HDZ. Und diese speziellen Beatmungsgeräte gibt es längst nicht auf jeder Intensivstation eines Krankenhauses. 17 solcher Geräte stehen im HDZ zur Verfügung.“Sie wurden nicht eigens für die Behandlung von Patienten angeschafft, die mit einer schweren Coronavirusinfektion stationär bei uns aufgenommen werden“, betont Gummert. Vielmehr sei die ECMO-Therapie ein seit vielen Jahren im HDZ eingesetztes, bewährtes Verfahren. Technisch ähnelt das Gerät einer Herz-Lungen Maschine und wie diese kommt es am HDZ auch in anderen Notfällen zum Einsatz. Beispielsweise bei schwerherzkranken Patienten, die eine notfallmäßige mechanische Kreislaufunterstützung brauchen. „Wir betreten kein Neuland“, betont Gummert. Allerdings könnten bei Covid19-Patientenaufgrund von Begleiterkrankungen oder aufgrund der Behandlungsdauer Besonderheiten auftreten. „Daher stehen unsere Behandlungsteams im engen Austausch mit Kollegen aus anderen Ländern, in denen bereits sehr viele Covid-19-Patienten mit ECMO behandelt worden sind. Unschätzbar wertvoll sei es dabei in diesen Tagen, sich auf die große Erfahrung der Mitarbeiter der HDZ-Intensivstationen und der fachärztlichen Kollegen wie Lukasz Kizner (Leiter der herzchirurgischen Intensivstationen), Jost Niedermeyer (Spezialist in der Behandlung von Lungenerkrankungen) und Vera von Dossow (Direktorin des Instituts für Anästhesiologie und Schmerztherapie) verlassen zu können. Ebenso habe sich das Konzept, die verschiedenen Fachbereiche im HDZ gemeinsam zur bestmöglichen Therapie interdisziplinär zu bündeln (die NW berichtete), bewährt. „Das ist bei der Covid19-Behandlung nicht anders. Pflege, Kardiologie, Innere Medizin, Diabetologie, Anästhesiologie,Labormedizin und viele weitere Disziplinen sind beteiligt“, betont der Ärztliche Direktor. „Eine künstliche Lunge wird nur bei einem von 200 Patienten mit schwerster Coronavirus- Infektion benötigt“, stellt er klar. Weil die Infektion eben nur ganz selten zu einem Totalversagen der Lunge führt. Immerhin 80 Prozent erleben einen grippeähnlichen Verlauf ohne Notwendigkeit einer Behandlung im Krankenhaus. Bei 15 Prozent der Infizierten reichen während der Krankenhausbehandlung zusätzliche Sauerstoffgaben aus. Fünf Prozent liegen auf einer Intensivstation, weil sie wegen der schweren Lungenerkrankung beatmet werden müssen. Hierbei wird ein Schlauch, der über Mund oder Nase bis in die Luftröhre geschoben wird, mit einer Beatmungsmaschine verbunden. Derzeit sind es zwei Patienten im Herz-und Diabeteszentrum, die aufgrund ihrer schweren Lungenerkrankung auf diese invasive Form der Beatmung angewiesen sind. Ein weiterer Patient wird derzeit zusätzlich mit einer ECMO behandelt; ein vierter Patient benötige lediglich Sauerstoffgaben. 89 Intensivbetten mit Beatmungsgeräten stehen derzeit im HDZ bereit, elf Betten stellt das Klinikum aktuell für intensivpflichtige Covid-19-Patienten zur Verfügung, darüber hinaus weitere neun Betten im Isolationsbereich mit Möglichkeit einer Sauerstoffversorgung per Maske. „Wir sind auf steigende Infektionszahlen vorbereitet“, betont Gummert. Und deshalb seien vorsorglich Operationen bei Patienten,bei denen„ für mindestens zwei Monate ein stabiler Zustand zu erwarten sei“, abgesagt worden. „Aber Patienten mit akuten Herzbeschwerden kommen nicht zu kurz“, stellt er klar, eine notfallmäßige Behandlung sei jederzeit garantiert. Und falls die Patienten nach einem Eingriff eine intensivmedizinische Behandlung brauchen,ist auch die gewährleistet. Gummert: „Für unsere Herz-Notfälle halten wir immer Betten bereit. Und natürlich auch Kreislaufunterstützungssysteme.“
Deutschen Stiftung Organtransplantation
Mehr Organspenden - Transplantationsgesellschaft noch unzufrieden
Veröffentlicht: 13.04.2020, 12:03 Uhr
Berlin. Die Zahl der Organspenden hat in den ersten drei Monaten des Jahres offenbar deutlich zugenommen. Wie die „Augsburger Allgemeine“ unter Berufung auf Daten der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtete, spendeten im ersten Quartal 260 Menschen postmortal ihre Organe. Das entspricht demnach einem Zuwachs von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
„Wir sehen die Entwicklung als positives Zeichen“, sagte Axel Rahmel, Medizinischer DSO-Vorstand, der Zeitung. Er erklärt sich den Anstieg unter anderem mit der öffentlichen Diskussionen um eine Organspende-Reform.
Der Bundestag hatte Mitte Januar eine moderate Neuregelung beschlossen: Die Menschen in Deutschland sollen auch künftig nicht automatisch als Organspender gelten. Allerdings soll eine stärkere Aufklärung mehr Bürger zu konkreten Entscheidungen für eine Spende bewegen.
Unabhängig von diesen Zahlen monierte am Wochenende die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG), dass das bereits seit einem Jahr geltende Gesetz für bessere Organspende-Bedingungen in den Kliniken noch keine grundlegenden Fortschritte zeige. So verwies die DTG auf Anfrage darauf, dass wichtige Teile wie eine bessere Organisation der Hirntoddiagnostik noch nicht umgesetzt seien. „Im internationalen Vergleich können in Deutschland nur ein Drittel bis ein Viertel der anderswo üblichen Transplantationen durchgeführt werden“, sagte DTG-Vorstandsmitglied Bernhard Banas.
Das am 1. April 2019 in Kraft getretene Gesetz sieht mehr Zeit und mehr Geld für die Kliniken vor, um zu mehr Organspenden zu kommen. Transplantationsbeauftragte der Häuser sollen zum Beispiel von anderen Aufgaben befreit sein. Und ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll sichern, dass der Hirntod als Voraussetzung für Entnahmen überall festgestellt werden kann - auch in kleinen Häusern. Die Akteure des Gesundheitswesens sollen bis Ende 2020 eine geeignete Einrichtung mit der Organisation dafür beauftragen.
Dieser „Neurodienst“ sei allerdings noch nicht etabliert, merkt dazu die Deutsche Krankenhausgesellschaft an. „Derzeit haben wir noch keinen umfassenden Überblick, welchen Effekt die Neuregelungen hatten.“ Die leicht erhöhte Zahl von Organspenden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stimme zwar optimistisch, lasse aber eine fundierte Bewertung noch nicht zu. (dpa)
Anstieg bei Organspenden in Deutschland
Montag, 13. April 2020
Augsburg – Die Zahl der Organspenden in Deutschland hat sich seit Beginn des Jahres erhöht. Im ersten Quartal spendeten 260 Menschen postmortal ihre Organe, wie die Augsburger Allgemeine unter Berufung auf Daten der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) berichtet.
Auch die Zahl der Organspendeausweise erhöhte sich demnach deutlich. Der Zuwachs bei den Organspenden liegt demnach bei 16 Prozent. „Wir sehen die Entwicklung als positives Zeichen“, sagte Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, der Zeitung.
Die erhöhte Bereitschaft zur Organspende wurde nach Rahmels Einschätzung auch die Diskussion um die Widerspruchslösung ausgelöst, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplant hatte. Deren Einführung hätte dazu geführt, dass jeder Bürger nach seinem Tod potenzieller Organspender geworden wäre, wenn er dem nicht aktiv widersprochen hätte.
Zwar scheiterte der Vorstoß letztlich im Bundestag. Die Debatte um die Widerspruchslösung habe die Öffentlichkeit jedoch die für das Thema sensibilisiert, sagte Rahmel.
2019 haben in Deutschland 932 Menschen nach ihrem Tod für eine
Transplantation gespendet. Patienten auf den Wartelisten sind aktuell
besonders gefährdet.
Carolin Nieder-Entgelmeier
Berlin/Bad Oeynhausen. 932 Organspender haben im vergangenen Jahr 2.995 Organe gespendet und Leben gerettet. Die Zahl der Organspender in Deutschland ist damit erneut rückläufig. Der Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigt nach einem deutlichen Plus im Jahr 2018 nun einen aktuellen Rückgang um 2,4 Prozent. Die ersten beiden Monate 2020 zeigten dagegen wieder eine deutliche Steigerung, doch mit Ausbruch des Coronavirus ist nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) aktuell unklar, wie sich die Zahl entwickeln wird.
Fest steht hingegen, dass das Coronavirus für die Menschen, die auf ein Organ warten oder bereits transplantiert wurden, ein besonderes Risiko darstellt, erklären die DSO-Vorstände Axel Rahmel und Thomas Biet. Zudem befürchten die Experten Einschränkungen der Organtransplantationstätigkeit aufgrund der Pandemie.
Damit rechnet auch Deutschlands größtes Herztransplantationszentrum, das das Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW in Bad Oeynhausen. „Durch Besuchsverbote in den Krankenhäusern sind zum Beispiel Gespräche zwischen Ärzten und Angehörigen von Verstorbenen erschwert. Auch sind die Pflegekräfte und Ärzte schon jetzt überlastet und mit vielen zusätzlichen Aufgaben konfrontiert. Diese schwierige Situation wird dazu führen, dass noch weniger potenzielle Organspender überhaupt als solche identifiziert werden“, erklärt der ärztliche Direktor des HDZ, Jan Gummert. „Das ist keine Kritik am Vorgehen der Krankenhäuser, denn Besuchsverbote sind zum Schutz der Patienten und Mitarbeiter wichtig. Vielmehr wird es sich bei einem tatsächlichen Rückgang der Zahl der Organspenden um einen Kollateralschaden als Folge der Coronavirus-Ausbreitung handeln.“
Einige Länder, wie zum Beispiel China, haben Organtransplantationen während der Krise teilweise ausgesetzt. Doch auch während der Krise gibt es Patienten, die dringend auf eine lebensrettende Organspende angewiesen sind. Aktuell warten nach Angaben der Stiftung Eurotransplant 9.004 schwer kranke Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan.
Viele Patienten stehen schon länger auf der Warteliste, andere sind während der Wartezeit im vergangenen Jahr verstorben, weil die Zahl der Organspenden nicht ausreicht. Ein Blick auf die Warteliste für Spenderherzen zeigt, dass viele Patienten die lange Wartezeit nicht überleben. 2019 haben 599 Patienten in Deutschland auf ein Spenderherz gewartet, doch nur 344 von ihnen konnten auch transplantiert werden. 101 Patienten sind 2019 verstorben.
Erstmals veröffentlicht die DSO in diesem Jahr auch Zahlen zu Transplantationen bei Kindern bis 15 Jahre. „Für Kinder und ihre Familien ist allein schon die Wartezeit eine große psychische Belastung“, erklären die DSO-Vorstände Axel Rahmel und Thomas Biet. 2019 standen 340 Kinder auf der Warteliste für ein Organ, die meisten für eine Leber und eine Niere. Die Lebendspende ist laut DSO für die Transplantation bei Kindern eine lebenswichtige Alternative zur postmortalen Spende. 22 Prozent der Nierentransplantationen und 32 Prozent der Lebertransplantationen seien 2019 aufgrund einer Lebendspende ermöglicht worden.
Doch auch Kinder sind auf Organspenden nach dem Tod angewiesen. Vor allem für junge Patienten mit angeborenen oder erworbenen Herzerkrankungen stellt das laut DSO die einzige Therapie dar. Doch in den vergangenen zehn Jahren sind bereits 95 Kinder auf der Warteliste für ein Herz gestorben. Über die Hälfte der Todesfälle waren Kinder im Alter bis drei Jahre.
Die Bereitschaft, Organe nach dem Tod zu spenden, soll in Deutschland künftig regelmäßig erfragt werden. Das hat der Deutsche Bundestag mit einem Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft beschlossen. Künftig soll eine Erklärung auch in Ausweisstellen möglich sein. Nach wie vor ist jedoch das Ausfüllen eines Organspendeausweises wichtig. Das ist online möglich: www.organspende-info.de
Organspenden: Kinder mit Transplantationsbedarf aufs Ausland angewiesen
Dienstag, 7. April 2020
Frankfurt am Main – Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 15 Jahren, die eine Transplantation benötigen, sind besonders auf Organspenden aus dem Ausland angewiesen. Das geht aus dem neuen Jahresbericht 2019 der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor.
Bei der Nierentransplantation der Kinder in der Altersgruppe der 0 – 15-Jährigen kamen laut dem Bericht 34 Prozent aus dem Ausland. Bei Erwachsenen waren es im Berichtsjahr 17 Prozent der Organe. 54 Kinder kamen demnach neu auf die Liste für eine Herztransplantation. 61 Kinder wurden von der Liste genommen, davon zehn, weil sie starben.
„Wie auch bei den Erwachsenen macht die Kardiomyopathie bei den Kindern circa 60 Prozent der Indikationen für eine Herztransplantation aus“, berichten die Autoren des DSO-Jahresberichtes. 111 Kinder kamen 2019 auf die Liste für Nierentransplantationen, 93 Kinder konnten von der Liste genommen werden.
„Die Fehlbildung der Niere mit Zysten und die chronische Nierenkrankheit bilden die zwei häufigsten Indikationen für eine Nierentransplantation sowohl bei den Erwachsenen (33 Prozent) als auch bei den Kindern (52 Prozent)“, so die Autoren.
177 Kinder kamen neu auf die Liste für die Lebertransplantationen, 124 konnten von der Liste genommen werden. „Bei den Kindern sind die drei Hauptdiagnosen (63 Prozent): angeborene Fehlbildung, Fibrose/Zirrhose und Leberversagen“, berichten die Autoren.
„Die Lebendspende ist für die Transplantation bei Kindern eine lebenswichtige Alternative zur postmortalen Spende“, heißt es in dem Jahresbericht. 22 Prozent der Nierentransplantationen und 32 Prozent der Lebertransplantationen wurden aufgrund einer Lebendspende ermöglicht.
Weltweite Innovation zur mobilen Herzunterstützung erstmals in Bad Oeynhausen eingesetzt
Die kleine Barbare (5) ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als Dr. Eugen Sandica, Direktor der Klinik für Kinderherzchirurgie und angeborene Herzfehler am Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, eine neue Epoche der künstlichen Herzunterstützung für Kinder und Jugendliche einleitete: Der erfahrene Herzspezialist nahm in dieser Woche das weltweit erste und einzige, nur 15 Kilogramm leichte und leistungsfähigste Antriebssystem (Excor® Active, Berlin Heart) für eine mobile Herzunterstützung in Betrieb. Schwer herzkranken Kindern wie Barbare bietet es künftig eine größere Bewegungsfreiheit und eine deutlich verbesserte Lebensqualität.
„Auf diesen riesigen technischen Fortschritt haben wir lange gewartet“, sagt Dr. Sandica, der im Bad Oeynhausener Kinderherzzentrum und Zentrum für angeborene Herzfehler Hand in Hand mit der Kinderkardiologie das gesamte Spektrum der Therapiemöglichkeiten für herzkranke Kinder und Jugendliche anbietet. „Vor allem kleine Patienten mit schwerster Herzschwäche werden oft über lange Zeit in unserer Klinik versorgt. Sie waren bisher auf ein rund 90 Kilogramm schweres Antriebsgerät angewiesen, das die Bewegungsfreiheit enorm einschränkt.“ Die große Konsole muss ständig mit der implantierten Unterstützungspumpe sowie einer Stromquelle in Verbindung bleiben. Nur etwa 30 Minuten kommt das System ohne Strom aus. Es wird eingesetzt, um den Herzmuskel zu entlasten, bis sich das kranke Herz wieder erholen kann. In den meisten Fällen dient es jedoch dazu, das Herz vor einem Pumpversagen zu retten und die Wartezeit bis zu einer Herztransplantation zu überbrücken.
Den Wechsel von Barbares großem Antrieb auf das neue mobile System hat Dr. Sandica auf der Intensivstation des Kinderherzzentrums durchgeführt. Das Mädchen wurde mit einer erblich bedingten Herzmuskelerkrankung geboren und wartet seit fast vier Monaten in Bad Oeynhausen auf ein Spenderherz. Seit Anfang Januar ist es auf auf eine künstliche Herzunterstützung angewiesen. Mit dem neuen System durfte Barbare schon erste kleine Ausflüge auf der Station unternehmen. Zudem wird sie im Kinderherzzentrum auch physiotherapeutisch betreut.
Im größten Herztransplantationszentrum Deutschlands in Bad Oeynhausen sind die Erfahrungen mit den künstlichen Herzpumpen (Ventricular Assist Devices - VAD) bei Kindern und Jugendlichen besonders gut: 47 dieser Berlin Heart Systeme haben Dr. Eugen Sandica und sein Team bereits bei Kindern im Alter von 0 bis 16 Jahren implantiert, die längste Unterstützungszeit lag bei 619 Tagen. Fast alle Kinder konnten erfolgreich transplantiert werden. Bei acht Patienten führte die Therapie zur Erholung des Herzens. Die Bad Oeynhausener Statistik zeigt dabei eine hervorragende Überlebensrate von 93 Prozent bei den eingesetzten Berlin-Heart-Kinderherzpumpen. Damit gehört das Klinikum in Bad Oeynhausen zu den weltweit erfolgreichsten Therapiezentren.
Der neue Antrieb, den der deutsche Hersteller Berlin Heart GmbH (Berlin) jetzt erstmals weltweit zur Verfügung stellt, wiegt nur noch 15 Kilogramm und kann in der Größe eines Koffertrolleys mitgeführt oder als Handgepäck zusammen mit einem Kinderwagen bewegt werden. Die Akkulaufzeit beträgt bis zu sieben Stunden. Das System trägt den Namen Excor® Active, es hat im November des vergangenen Jahres die CE-Kennzeichnung für den europäischen Einsatz erhalten. „Wir sind sehr stolz, dass man sich bei der Markteinführung des neuen Antriebs auf die langjährige Erfahrung unseres Zentrums verlassen hat“, bestätigt Chefarzt Dr. Eugen Sandica, der das System in Bad Oeynhausen am Dienstag nahezu zeitgleich mit dem Deutschen Herzzentrum in Berlin in Betrieb nahm.
Quelle Bild: 21.02.2020 NW
Länderkammer billigt Neuregelung der Organspende
Freitag, 14. Februar 2020
Berlin – Der Bundesrat hat die Neuregelung der Organspende gebilligt. Damit bleiben Organspenden in Deutschland weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Die Entscheidungslösung war im Januar vom Bundestag beschlossen worden.
Danach sollen künftig alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Abholen von Ausweisen auf das Thema angesprochen werden. Auch Hausärzte sollen ihre Patienten regelmäßig darauf hinweisen.
Zudem wird ein bundesweites Online-Register eingerichtet, in dem Bürger ihre Spendebereitschaft dokumentieren und jederzeit ändern können. Ziel ist, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatten in der Debatte um die Neuregelung der Organspende eine doppelte Widerspruchslösung gefordert.
Danach hätte jeder Bürger als potenzieller Spender gegolten, sofern er dem nicht widersprochen hätte. Dieser Vorschlag war von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt worden.
Für die Entscheidungslösung hatte sich dagegen eine Gruppe von Abgeordneten um Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Linken-Chefin Katja Kipping sowie Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) ausgesprochen.
Der Bundesrat hat am Freitag eine Organspende-Reform gebilligt, die Bürger stärker für Spenden sensibilisieren soll.
Demnach sollen alle Bürger künftig mindestens alle zehn Jahre direkt beim Ausweisabholen auf das Thema angesprochen werden. Die neuen Regeln zielen darauf, die Zahl der potenziellen Organspender zu erhöhen. In Kraft treten sollen sie voraussichtlich 2022.
Das Info-Material zu Organspenden werde man auch alle zwei Jahre von seinem Hausarzt bekommen können. Die künftigen Informationspflichten sollen ebenfalls für Ausländerbehörden gelten, was aus Sicht des Bundesrates falsch interpretiert werden könnte. Denn man könnte den Eindruck bekommen, dass eine Organspendebereitschaft einen Einfluss auf die amtliche Entscheidung über den aufenthaltsrechtlichen Antrag haben könne. Dies sei aber unbedingt zu vermeiden.
Der Bundestag hatte Mitte Januar eine moderate Reform der Organspenderegeln beschlossen. Der Entwurf sieht die Möglichkeit vor, eine Entscheidung dazu in ein neues zentrales Online-Register einzutragen.
Rückgang der Organspenden
Die Zahl der Spender ging im vergangenen Jahr wieder leicht auf 932 zurück, nachdem 2018 noch 955 Menschen nach ihrem Tod Organe für andere Patienten überlassen hatten. Es gab jetzt aber weiterhin mehr Spender als beim bisherigen Tiefstand von 797 im Jahr 2017. Im vergangenen Jahr wurden 2995 Organe an die Vermittlungsstelle Eurotransplant übergeben – vor allem Nieren, Lebern und Lungen.
aa/sb/dpa
Nach moderater ReformBericht: Bestellungen von Organspende-Ausweisen verdoppelt
09.02.2020
Es geht doch: Die Zahl der Bestellungen von Spenderausweisen soll sich innerhalb eines Monats verdoppelt haben. Vorangegangen waren eine moderate Reform der Organspende und eine aufwendige Werbekampagne.
Im Zuge der Diskussion vor der Bundestagsentscheidung über eine Organspende-Reform hat sich die Zahl der Bestellungen von Spenderausweisen laut einem Medienbericht im Januar verdoppelt.
In dem Monat wurden 740.000 Ausweise bestellt, wie das Wirtschaftsmagazin «Business Insider» unter Berufung auf Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) berichtet. Zuvor gab es nach Angaben des BZgA im Schnitt rund 330.000 Bestellungen pro Monat.
Außerdem verzeichne die Informationsseite des BZgA eine stark erhöhte Nachfrage. Die Aufrufe stiegen demnach von 30.000 monatlich auf über 175.000 Aufrufe im Januar.
Der Bundestag hatte Mitte Januar nach kontroverser Debatte eine moderate Reform der Organspende beschlossen. Künftig sollen alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema Organspende angesprochen werden - etwa wenn sie im Bürgeramt einen Personalausweis beantragen oder verlängern. Auch das Informationsangebot zum Thema Organspende soll ausgeweitet werden.
Westfalen Blatt; 1. Februar 2020
Fabian Wittbrock hatte einen großen Freundeskreis. 300 Menschen seien zur
Trauerfeier gekommen, sagen seine Eltern, die die ungezählten
Kondolenzkarten und Briefe in diesem Koffer aufbewahren. Sie haben ihre
Kritik übrigens auch dem Krankenhaus übermittelt, aber bis heute keine
Reaktion erhalten. Foto: Althoff
„Es ging nur um Fabians Organe“ Was Eltern in den
Tagen nach dem Tod ihres Sohnes empfanden
Von Christian Althoff
Borchen (WB). Der 11. August 2019 war ein Sonntag. Am
Nachmittag klingelten Polizisten am Haus von Hiltrud (55)
und Jochen Wittbrock (62) in Borchen und informierten sie,
dass ihr Sohn Fabian (23) mit seinem Motorrad im Sauerland
verunglückt und in eine Unfallklinik geflogen worden sei. „Wir
ahnten nicht, dass er da bereits klinisch tot war“, sagt der
Vater, ein Oberstudienrat. Was die Eltern in den folgenden
drei Tagen erlebten, wühlt sie bis heute auf. „Es ging den
Ärzten nur um die Organe unseres Sohnes“, sagt
Sonderpädagogin Hiltrud Wittbrock. „Wir Angehörige waren
denen völlig egal.“ An jenem Sonntag fuhren die Eltern mit
Fabians Freundin und seinen beiden Schwestern in die 120
Kilometer entfernte Unfallklinik. „Der Arzt, der uns empfing,
war der einzige emphatische Mensch, den wir dort
kennenlernen sollten. Er sagte, Fabian sei hirntod, und so ein
Unfall gehe auch ihnen nahe.“ In der Erwartung, die Familie
werde einer Organspende zustimmen, sei ihr Sohn noch
operiert worden. „Er hatte unter anderem einen offenen
Beinbruch, und damit wollten die Ärzte ihn nicht bis zur
endgültigen Hirntoddiagnose liegenlassen – vielleicht wegen
einer Emboliegefahr“, sagt der Vater.
Eigentlich sei es für die Familie keine Frage gewesen, die
Organspende zu erlauben, erzählt die Mutter. „Fabians
Spruch war: ‚Wenn mir was passiert, können die alles haben.
Ich brauche es ja nicht mehr.‘“ Diese Einstellung habe dem
Wesen ihres Sohnes entsprochen, sagt Hiltrud Wittbrock.
„Fabian hat in Bielefeld soziale Arbeit und Management
studiert und ein Praktikum im Kinderheim gemacht. Er war
ein liebevoller Chaot mit einem Riesen-Herzen.“ Bis spät in
die Nacht saßen die Angehörigen an jenem Sonntag am Bett
des 23-Jährigen. Er wurde beatmet, um den Kreislauf in
Gang zu halten. Nach drei Tagen, so sei es ihnen erklärt
worden, sollte von zwei Ärzten der Hirntod offiziell
festgestellt werden. Hiltrud Wittbock: „Wir waren völlig fertig,
und weil man uns gesagte hatte, dass Fabian nichts mehr
mitbekommt, sind wir in der Nacht zurück nach Hause
gefahren.“ Am nächsten Morgen hätten sie einen Anruf
bekommen und seien vorwurfsvoll gefragt worden, warum sie
nicht in der Nähe der Klinik geblieben seien. „Wir sind sofort
zurückgefahren und wurden von einem Pfleger mit den
Worten empfangen: ‚Und? Wofür haben Sie sich entschieden?
Organspende?‘“ Jochen Wittbrock: „In diesem Moment weiß
man gar nicht, was man einem so gefühllosen Menschen
antworten soll.“ Seine Frau sagt, sie sei damals versucht
gewesen, ‚Jetzt nicht mehr!‘ zu antworten. „Nur der Wille
unseres Sohnes hat mich davon abgehalten. Also haben wir
zugestimmt.“ Es habe in den drei Tagen niemanden gegeben,
der mit ihnen über ihren Verlust gesprochen habe. „Wir
wurden uns selbst überlassen. Es gab keinen Raum, in dem
wir uns hätten aufhalten können, und wir hatten keinen
zentralen Ansprechpartner“, sagt der Vater. Sie seien immer
wieder aus dem Krankenzimmer geschickt worden und hätten
sich auf dem Flur oder im überfüllten Wartezimmer
herumdrücken müssen. „Als eine unserer Töchter abbaute
und ich eine Schwester fragte ob sie etwas zu trinken
bekommen könne, wurden wir auf den Colaautomaten im
Erdgeschoss verwiesen“, erzählt Hiltrud Wittbrock. Am
dritten Tag hätten sie sich in die Cafeteria gesetzt. „Dort
wurden wir angerufen und sollten kommen.“ Als sie das
Zimmer ihres Sohnes erreicht hätten, seien sie wieder
fortgeschickt worden und hätten fast eine Stunde im
Wartebereich verbracht. Der Vater: „Dann durften wir endlich
ans Totenbett, wo wir über den offiziellen Hirntod informiert
wurden. Ich bat den Arzt, das nicht an Fabians Bett zu
besprechen, aber er sagte, es gebe keinen anderen Raum
und schaute auf seine Uhr.“ Als Fabians Schwestern in Ruhe
Abschied von ihrem Bruder nehmen wollten, seien permanent
Pflegekräfte ins Zimmer und wieder hinaus gehuscht. „Eine
Pflegerin hat unsere Tochter sogar Richtung Bett geschoben
und gesagt: ‚Gehen Sie doch näher ran!‘“, sagt die Mutter.
Später sei ein Mitarbeiter der Deutschen Stiftung
Organspende aus Essen erschienen. „Er war der erste
Mensch, der sich Zeit für uns nahm und sich angemessen
verhielt. Er wollte uns erklären, welche Organe nun
entnommen würden, aber das wollten wir nicht wissen, das
haben wir abgebrochen“, sagt der Vater. Hiltrud Wittbrock
erzählt, sie könne Berichte über kranke Menschen, die ein
Spenderorgan benötigten, nicht mehr unbefangen lesen. „Sie
machen mich wütend. Alles fokussiert sich auf den Kranken
und seine Erwartung, aber der Spender und seine Familie
werden komplett ausgeblendet.“ Sie hätten erfahren müssen,
dass der Tod ihres Sohnes „auf eine unmenschliche Art“ auf
seine Organe reduziert worden sei. „Wir Angehörigen waren
nur die, die zustimmen sollten. Ansonsten interessierten wir
nicht. Uns hat übrigens auch niemand aus dem Krankenhaus
jemals sein Beileid ausgesprochen.“ Die Unfallklinik habe sich
bis heute nicht zu der Kritik geäußert. Sie als Eltern, sagt
Hiltrud Wittbrock, hätten ihre eigene Bereitschaft zur
Organspende nach diesen Erfahrungen aufgegeben. „Wir
können unseren Töchtern einfach nicht zumuten, im Ernstfall
noch einmal so etwas durchzumachen.“ Emphatie hätten sie
schließlich von Menschen erfahren, von denen sie es
überhaupt nicht hätten erwarten können, sagt die Mutter und
lächelt zum ersten Mal. „Zur Trauerfeier erschien die
türkische Familie, deren Auto unser Sohn mit seinem
Motorrad gerammt hatte. Sie sprach uns ihr Beileid aus.“
Westfalen Blatt 18.1.2020
Zentrum für Lungentransplantierte
Klinik in Bad Lippspringe übernimmt Nachsorge
für ganz Norddeutschland
Bad Lippspringe (WB). Etwa 350 Patienten bekommen
jedes Jahr in Deutschland eine neue Lunge, etwa 400
Menschen stehen regelmäßig auf der Warteliste. Die
Klinik Martinusquelle in Bad Lippspringe übernimmt von
sofort an die Rehabilitation von Patienten, die eine
Spender-Lunge erhalten haben. Damit ist Bad
Lippspringe neben der Schön-Klinik Berchtesgadener
Land einer von zwei Standorten in ganz Deutschland,
die im Bereich der Transplantationsnachsorge für
Lungenkranke mit großen Patientenzahlen aktiv sind.
Im Anschluss an eine Transplantation kommen die
Patienten für mehrere Wochen nach Bad Lippspringe,
um unter anderem mit gezieltem Training von Ausdauer
und Kraft eine möglichst große Verbesserung ihres
Gesundheitszustandes zu erlangen. „Nach der
Rehabilitation sollen die Patienten ohne zusätzlichen
Sauerstoff und andere Hilfsmittel auskommen können.
Im Idealfall erreicht man sogar
nach etwa einem halben Jahr die Wiedererlangung der
Berufsfähigkeit“, sagt Chefarzt Dr. Ralf Schipmann.
Erste Patienten seien bereits in den ersten Wochen des
Jahres aufgenommen worden. Für das Medizinische
Zentrum für Gesundheit (MZG), zu dem die Klinik
gehört, stelle die Weiterentwicklung zu einem Zentrum
für die Rehabilitation von Menschen mit einer neuen
Lunge eine konsequente Weiterentwicklung dar, sagte
ein Sprecher. In der jüngeren Vergangenheit habe sich
die Klinik Martinusquelle bereits als
Spezialeinrichtung etabliert, in der Patienten mit
schweren Lungenerkrankungen behandelt würden. Im
Jahr 2019 litten mehr als 50 Prozent der 2459
Lungenpatienten an erheblichen Einschränkungen der
Atemwege, beispielsweise einer schweren oder sehr
schweren Erkrankung mit Husten, vermehrten Auswurf
und Atemnot. Durch den Rückzug der bisherigen Klinik
für die Transplantationsnachsorge in Norddeutschland
konnte Bad Lippspringe deren Position übernehmen. Als
neuer Kooperationspartner wird die Klinik
Martinusquelle insbesondere mit der Medizinischen
Hochschule Hannover und dem Westdeutschen Zentrum
für Lungentransplantationen in Essen
zusammenarbeiten, die oberhalb der
Mainlinie die meisten Lungentransplantationen
durchführen und nach eigenen Angaben einen
qualifizierten Partner für die Nachsorge von etwa 150
Patienten pro Jahr benötigen. „Für den
Gesundheitsstandort Bad Lippspringe ist die neue
Aufgabe eine großartige Auszeichnung. Wir werden
damit unsere Position als Top Standort im Bereich der
Lungen Rehabilitation weiter ausbauen können“, sagt
MZG-Geschäftsführer Achim Schäfer. Sein Dank gelte
Chefarzt Schipmann, der die Herausforderung mit
seinem Team angehe: „Wir sind optimal vorbereitet für
die Transplantationsnachsorge.“ Neben der Einrichtung
einer speziellen Station stocke man auch das Personal
auf, um eine individuelle Betreuung zu ermöglichen.
Mindener Tageblatt 17. Januar 2020
Carolin Nieder-Entgelmeier
Berlin/Bad Oeynhausen.
Organspender wird in Deutschland auch künftig
nur, wer dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Ein
vom Bundestag beschlossenes Gesetz sieht vor,
die Bürger bei Behördengängen und
Hausarztbesuchen zu einer Entscheidung zu
ermuntern. Die geplante Einführung der
Widerspruchslösung als Reform der
Organspende hat der Bundestag abgelehnt. In
Deutschlands größtem
Herztransplantationszentrum,dem Herz und
Diabeteszentrum (HDZ) NRW in Bad
Oeynhausen, löst die Entscheidung Bestürzung
aus. „Mit dem Beschluss wird sich nur wenig
verändern. Unregelmäßige Beratungen in
Hausarztpraxen oder Kommunalverwaltungen
reichen nicht aus, um das Problem niedriger
Organspender Zahlen zu lösen“,erklärt der
ärztliche Direktor des HDZ,Jan Gummert. „Mit
der Entscheidung gegen die Widerspruchslösung
hat der Bundestag die historische Chance eines
dringend notwendigen Paradigmenwechsels
verpasst und damit auch gegen den Willen der
Bevölkerung gestimmt, da sich die Mehrheit für
Organspenden ausspricht.“ Die
Widerspruchslösung ist laut Gummert eine
einfache Möglichkeit, um den Willen der
Bevölkerung zu dokumentieren und die
Solidargemeinschaft im Organspendesystem in
ein Gesetz zupacken. DieErfahrungender 23 EU-
Staaten, in denen die Widerspruchslösung gilt,
zeigen laut Gummert zudem,dass so die
Organspender-Zahl steigt. „Es ist nur ein
Baustein, aber der entscheidende. Ohne diesen
werden auch die Verbesserungen in
Krankenhäusern kaum Wirkung entfalten.“ Die
Abgeordneten, die gegen die
Widerspruchslösung gestimmt haben, sind laut
Gummert jetzt in der Pflicht, alles zu tun, um
die Zahl der Organspender zu erhöhen, damit
sich die Situation der 10.000 Schwerkranken
auf der Warteliste verbessert. „Daran müssen
wir die Abgeordneten messen. Sie akzeptieren,
dass Deutschland Organe aus Ländern mit
Widerspruchslösung akzeptiert, tun aber selbst
nichts dafür, um die Zahlen in Deutschland zu
erhöhen.“ Auch Bundesärztekammer-Präsident
Klaus Reinhardt aus Bielefeld hat sich für die
Widerspruchslösung stark gemacht. „Trotzdem
ist das Gesetz zur Stärkung der
Entscheidungsbereitschaft ein Fortschritt
gegenüber der bisherigen Regelung“, sagt
Reinhardt auf Anfrage dieser Zeitung. Sinnvoll
sei vor allem das Onlineregister zur schnellen
Feststellung der Spendebereitschaft. „Auch
wenn wir uns eine andere Entscheidung
gewünscht hätten,werden wir alles daransetzen,
dieses Gesetz zu einem Erfolg zu machen.“
■ So haben die Bundestagsabgeordneten
aus Ostwestfalen-Lippe abgestimmt:
■ Entscheidungslösung:
Achim Post (SPD)
Frank Schäffler (FDP),
Wiebke Esdar(SPD),
Britta Haßelmann (Grüne),
Christian Haase(CDU),
Elvan Korkmaz-Emre (SPD),
Carsten Linnemann(CDU),
Christian Sauter(FDP)und
Friedrich Straetmanns (Linke).
■ Widerspruchslösung:
Ralph Brinkhaus (CDU),
Stefan Schwartze (SPD) und
Kerstin Vieregge (CDU).
■ Vertrauenslösung:
Udo Hemmelgarn (AfD).
Kommentar
Gegen den Willen der Bevölkerung Thema:
Bundestag lehnt Organspende-Reform ab
Carolin Nieder-Entgelmeier
Der Status quo bleibt bestehen. Der Bundestag
hat entschieden, die Situation für Menschen,die
auf ein lebensrettendes Organ warten, nicht zu
verbessern. 379 Bundestagsabgeordnete haben
mit ihrem Nein zur Einführung der
Widerspruchslösung in kauf genommen, dass
auch weiterhin jedes Jahr Tausende Menschen
sterben werden. Eine Entscheidung gegen den
Willen der Mehrheit der Bevölkerung.
Die Ursache der niedrigen Zahl an
Organspendern sind nicht die Menschen, die
eine Organspende ablehnen, sondern die, die
sich vor einer Entscheidung drücken. Dieses
Problem hätte die Widerspruchslösung beseitigt,
doch der Bundestag hat sich dagegen
entschieden. Deutschland geht in der von den
Abgeordneten vielbeschworenen Einheit
europäischer Länder weiter einen Sonderweg.
Und wird weiter Organe aus Ländern
importieren, in denen die Zahl der
Organspender aufgrund der Widerspruchslösung
höher ist, tut aber selbst nichts, um die Zahl
deutscher Organspender zu erhöhen.
Der Entscheidungslösung fehlt hingegen das
Abverlangen einer Entscheidung. In einer
Solidargemeinschaft kann eine Entscheidung
abverlangt werden, die über Leben und Tod von
Tausenden Menschen entscheidet.Die Umkehr
der bisherigen gesellschaftlichen
Vertragsgrundlage, in jedem zunächst einen
potenziellen Organspender zusehen, es sei
denn, er widerspricht, ist keine Zumutung,
sondern Ausdruck von Zutrauen. Dem
Zutrauen, dass wir verantwortungsvoll über das
Leben anderer Menschen entscheiden.
Es ist zutiefst bedauerlich, dass so viele
Abgeordnete, die gewählt wurden, um sich für
das Gemeinwohl einzusetzen, ihre persönlichen
Beweggründe über ihre eigentliche Aufgabe als
Mandatsträger stellen. Es ist zutiefst
bedauerlich, dass die Gegner der
Widerspruchslösung die Debatte für sich genutzt
haben, um Ängste zu schüren, Halbwissen zu
verbreiten und zu verschweigen,dass der
Grundsatz der Freiwilligkeit auch mit der
Widerspruchslösung unangetastet bleibt. Die
Reformgegner müssen jetzt alles dafür tun, um
die Zahl der Organspender anders zu erhöhen.
Das sind sie nicht nur den 10.000 Menschen auf
der Warteliste schuldig, sondern der gesamten
Bevölkerung.
carolin.nieder-entgelmeier@ihr-kommentar.de
16. Januar 2020
Organspende-Reform kommt: Was bringen die neuen Impulse?
Direkt aus dem dpa-Newskanal
Berlin (dpa) - Das Ziel ist klar: Angesichts Tausender todkranker Menschen auf den Wartelisten sollen in Deutschland dauerhaft mehr Organe gespendet werden. Doch wie soll das gelingen?
Der Bundestag beschloss am Donnerstag eine Reform, die auf mehr Impulse setzt, damit sich mehr mögliche Spender auch konkret entscheiden.
Was soll sich konkret ändern?
Umgesetzt werden soll ein Vorstoß, den eine Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping erarbeitet hat. Der etwas komplizierte Name ist Programm: Ziel ist die "Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende". Dafür sollen mehr regelmäßige Denkanstöße organisiert werden - und leichtere Möglichkeiten, eine Entscheidung zu dokumentieren. Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll im Amt Info-Material bekommen. Beim Abholen soll man sich dann schon direkt vor Ort, aber auch jederzeit später zu Hause in ein neues Online-Register eintragen können - mit Ja oder Nein, Änderungen bleiben immer möglich. Auch in Ausländerbehörden soll es ein solches Angebot geben.
Was ist ergänzend geplant?
Selbst beraten sollen die Mitarbeiter der Ämter nicht. Dafür sollen Hausärzte eine größere Rolle spielen, zu denen viele besonderes Vertrauen haben. Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern - aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht zu einer Erklärung gibt. Grundwissen über Organspenden soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden, um vor allem junge Leute zu erreichen. Auch bei der Ärzteausbildung soll die Thematik größeres Gewicht bekommen und Prüfungsstoff werden.
Wie rasch greifen die Neuregelungen?
Die Umsetzung braucht noch Zeit. Vor allem, um das zentrale Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufzubauen. In Kraft treten sollen die Neuregelungen daher zwei Jahre nach Verkündung des Gesetzes - bei Veröffentlichung in diesem Jahr also 2022. Im Register soll dann jeder ab 16 Jahren Erklärungen zur persönlichen Entscheidung zu Organspenden abgeben, ändern oder widerrufen können. Ein Widerspruch ist schon ab 14 möglich. Abrufen können die Angaben dann nur der Betroffene selbst sowie rund um die Uhr benannte Ärzte, die aber nicht an der Organspende beteiligt sind. Wer die Angaben nicht per Internet machen kann oder möchte, kann auch weiter einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung nutzen.
Was ist überhaupt das Problem mit der Spendebereitschaft?
Mehr als 9000 Menschen in Deutschland warten auf Organe. Für sie geht es um Leben und Tod. Und jeder kann ja in diese Situation kommen. Doch nur 40 Prozent haben laut einer Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse einen Spendeausweis, auf dem man Ja oder Nein ankreuzen kann. Dabei haben 84 Prozent generell eine positive Einstellung dazu. Obwohl die Kassen regelmäßig Vordrucke durch die Republik schicken, schieben viele eine Festlegung immer wieder vor sich her. Und ohne ausdrücklich erklärtes Ja dürfen keine Organe entnommen werden.
Was können Vorbehalte sein?
Für Organspenden muss der Tod zweifelsfrei sein: Dafür müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den vollständigen und unumkehrbaren Ausfall des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigen. Manche machen sich Sorgen, dass der Tod zu früh festgestellt werden könnte. Auch Organspendeskandale 2012 verunsicherten viele Leute. Es ging um Manipulationen bei Wartezeiten für Transplantationen. Und generell verhindert eine Spende, dass Angehörige im letzten Moment dabei sein können. Hirntote sind noch warm, das Herz schlägt.
Wie haben sich die Zahlen entwickelt?
Alarmiert hat Ärzte und Politik der Tiefstand von 797 Spendern im Jahr 2017. Womöglich auch angesichts der anziehenden Debatte gingen die Zahlen dann aber herauf - im vergangenen Jahr überließen 955 Menschen nach dem Tod Organe für andere Patienten, etwas weniger als 2018. Jedoch waren es 2012 noch 1200 gewesen. Jeder Spender schenkte zuletzt im Schnitt mehr als drei Schwerkranken neue Lebenschancen.
Was wird noch für mehr Organspenden getan?
Die bundesweit rund 1300 Kliniken, die Organe entnehmen, sollen mehr Geld und Zeit dafür bekommen. Eine Gesetzesänderung dafür ist aber erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Eigens für Transplantationen beauftragte Mitarbeiter sollen nun mehr Freiräume haben. Kliniken werden für den Prozess von Organspenden besser vergütet. Ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen des Hirntods überall festgestellt werden können.
Wie ist die Organspende in anderen Ländern geregelt?
Befürworter der im Bundestag gescheiterten Widerspruchslösung verweisen etwa auf Spanien, das auf viel höhere Spenderzahlen kommt. Dort werden aber auch Spenden nach Herztod einbezogen, wie die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt. In Frankreich, Belgien, Österreich, Tschechien und Polen gilt ebenfalls die Widerspruchslösung. In Norwegen werden in der Praxis Angehörige vor einer Entnahme gefragt, ob sich der Verstorbene dagegen ausgesprochen hat. In Schweden muss der Verstorbene in der Regel vor dem Tod zugestimmt haben. Sonst werden Angehörige gefragt.
NW 16.01.2020
Herzstiftung für doppelte Widerspruchslösung
An diesem Donnerstag Beratung im Bundestag zum Thema Organspende – Gummert:
„Wichtiger Baustein“
An diesem Donnerstag will der Bundestag über
mögliche Gesetzesänderungen bei der Entscheidung
über die Organspende abstimmen. Potenzial für eine
positive Entwicklung der Organspende sieht die
Deutsche Herzstiftung vor allem in der Einführung einer
doppelten Widerspruchslösung. Eines der Ziele dieser
Lösung ist, dass mehr Patienten eine Organ- oder
Gewebespende erhalten. „Die Kluft zwischen
schwerkranken Herzpatienten, die auf ein Spenderherz
warten, und den verfügbaren Spenderorganen ist weiter
alarmierend“, warnt der Herzchirurg und
Transplantationsmediziner Prof. Dr. Jan Gummert. Er ist
Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung und
Direktor der Klinik für Thorax- und
Kardiovaskularchirurgie am Herzund Diabeteszentrum
(HDZ) NRW in Bad Oeynhausen. Nur leicht ist die Zahl
der transplantierten Herzen von 318 (2018) auf 344
(2019) angestiegen. „Dem stehen auf der Warteliste
mehr als 1000 Herzpatienten gegenüber, die auf ein
Spenderorgan warten. Die doppelte Widerspruchslösung
wäre ein wichtiger Baustein, um Menschen zu helfen,
die dringlich auf ein Spenderorgan warten“, meint
Gummert. „Zudem“, erklärt er, „ist es schwer
verständlich, dass in Deutschland Spenderorgane aus
Ländern mit einer Widerspruchslösung wie Belgien,
Slowenien, Frankreich und Österreich akzeptiert
werden, während bei uns aber eine solche Lösung
bisher nicht eingeführt wurde.“ Die häufigsten Ursachen
und Indikationen für eine Herztransplantation seien
schwerwiegende Herzmuskelerkrankungen, die
koronare Herzkrankheit, die Grund
liert Prof. Gummert seine Position. Er ist auch Präsident
der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie. Die Einführung einer doppelten
Widerspruchslösung dürfte die Auseinandersetzung mit
der Organspende und damit die Dokumentation des
Patientenwillens stärken, heißt es in einer
Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung. Zudem
würden bei dieser Lösung gezielt die Angehörigen zur
sicheren Feststellung des Patientenwillens des
Verstorbenen mit eingebunden. Anders als bei der
bisherigen Entscheidungslösung führe eine nicht
abgegebene Erklärung dazu, dass eine Organ- oder
Gewebeentnahme zulässig sei, wenn die sonstigen
Voraussetzungen für eine Entnahme erfüllt seien. Als
weitere Punkte zur doppelten Widerspruchslösung
nenntdie Deutsche Herzstiftung diese: l Alle
Bürgerinnen und Bürger, die das 16. Lebensjahr
vollendet haben, sollen sich entscheiden. Vor der
Entscheidung erfolgt dreimal eine umfangreiche
schriftliche Information durch die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Wer nach dreimaliger Information keinen Widerspruch
einlegt, gilt als potenzielle Spenderin oder potenzieller
Spender. l Ein nachträglicher Widerspruch ist jederzeit
möglich. l Es wird ein Register eingerichtet, in dem die
Erklärung zur Organ- und Gewebespende registriert
werden kann. l Vor einer Organ- und Gewebespende
wird der nächste Angehörige der verstorbenen Person
gefragt, ob ein der Entnahme entgegenstehender Wille
der verstorbenen Person bekannt ist.
Politik
Änderungsanträge zur Organspende eingebracht
Mittwoch, 18. Dezember 2019
Berlin – Der Bundestag will sich im Januar des kommenden Jahres mit einer Novelle der Organspende befassen. Im Gesundheitsausschuss wurden heute noch Änderungsanträge zur Widerspruchslösung eingebracht, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegen. Es geht unter anderem um Klarstellungen und Korrekturen beim geplanten Register und eine Werbekampagne für die Organspende.
Eine Gruppe von Abgeordneten um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach strebt mit ihrem Entwurf eine sogenannte doppelte Widerspruchslösung an. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organspender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat.
Wenn zugleich auch den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Organentnahme als zulässig. Die Bürger sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Erklärung zur Organspende in ein Online-Register einzutragen.
Dieses sollte bislang beim Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) angesiedelt werden. Einem Änderungsantrag zufolge soll dies nun das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übernehmen.
Klarstellungen für Ärzte
Mit den Änderungen werde auch klargestellt, dass die Auskunft aus dem Register an den vom Krankenhaus benannten Arzt weitergegeben werden darf, der mit dem nächsten Angehörigen zu klären hat, ob ein Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille bekannt ist, heißt es in der Begründung zum Antrag.
Eine Klarstellung haben die Abgeordneten um Spahn und Lauterbach in Bezug auf konkrete Abläufe bei der Organspende in einem weiteren Antrag eingebracht. Geregelt wird darin, dass der Arzt, der im Falle eines fehlenden Registereintrags zu klären hat, ob eine Erklärung des möglichen Organ- oder Gewebespenders für eine Spende vorliegt, weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe beteiligt sein darf.
Informationskampagne geplant
„Mit der Regelung werden Interessenkonflikte vermieden, die insbesondere dann entstehen können, wenn der Entnahmearzt oder der transplantatierende Arzt diese Klärung herbeiführen“, heißt es in der Begründung. Die Regelung diene damit der Transparenz des Spendeverfahrens.
Ein dritter Antrag sieht eine umfassende Informationskampagne vor. Wenn es eine Entscheidung für die Widerspruchslösung im Bundestag gibt, soll dadurch die Bevölkerung in einer Übergangsphase über die geänderte Rechtslage angemessen informiert werden, heißt es. Mit einer „umfassenden, geeigneten und multimedialen Kampagne durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ solle sichergestellt werden, dass alle Bürger erreicht werden.
Premiere in Österreich Erstmals "reanimiertes" Spenderherz transplantiert
Üblicherweise werden Organe von hirntoten Organspendern, bei denen das Herz noch schlägt, entnommen und den Patienten transplantiert.
09. Dezember 2019
Zum ersten Mal in Österreich ist in der vergangenen Woche ein Herz nach Tod durch Kreislaufstillstand transplantiert worden. Die sehr seltene Operation wurde am AKH Wien im Herztransplantationsprogramm an der Abteilung für Herzchirurgie (Leitung Günther Laufer) durchgeführt, teilte die MedUni am Montag mit.
Neue Methode
Üblicherweise werden Organe von hirntoten Organspendern, bei denen das Herz noch schlägt, entnommen und den Patienten transplantiert. Die neue Methode mit der Bezeichnung "Donation after Circulatory Death" (DCD) wird bei Lungen-, Leber und Nierentransplantation bereits erfolgreich angewendet. Für das Herz wurde diese Methode aber lange als unmöglich angesehen, da das Herz durch einen längeren Kreislaufstillstand massiv geschädigt werde.
Auch die erste erfolgreiche Herztransplantation, die 1967 von Christian Barnard in Kapstadt durchgeführt wurde, war eine DCD-Transplantation, da damals noch keine Kriterien für die Hirntoddiagnostik existierten, erklärte Günther Laufer. Spender und Empfänger lagen damals in benachbarten Operationssälen. 2014 wurde in Sydney die erste erfolgreiche DCD-Herztransplantation, bei der Spender und Empfänger in unterschiedlichen Spitälern lagen, durchgeführt. Weitere Zentren folgten, vor allem in Großbritannien.
Das DCD-Herz-Programm an der MedUni wird von Arezu Aliabadi geleitet, die sich in Sydney in der neuen Technik schulen ließ und vier Jahre lang die Operation in Wien vorbereitete. Die Transplantation wurde durch den Einsatz des "Organ Care Systems" (Transmedics) ermöglicht, einer transportablen Maschine, in der das Spenderherz wieder zum Schlagen gebracht, laufend analysiert und therapiert werden kann. Wie die "Kronen Zeitung" am Montag berichtete, hat die OP insgesamt neun Stunden gedauert, dem 61-jährigen Empfänger geht es laut MedUni bereits sehr gut. Die DCD-Herztransplantation könne in Zukunft dazu beitragen, Transplantationszahlen zu steigern, die Wartezeit für Patienten zu verkürzen und damit die Sterblichkeit auf der Warteliste zu verringern, hieß es von der MedUni.
Entscheidung über Organspendereform erst im kommenden Jahr
Donnerstag, 7. November 2019
Berlin – Der Bundestag wird nicht mehr in diesem Jahr über eine Reform in der Organspende entscheiden. Darauf haben sich die beiden Abgeordnetengruppen im Bundestag verständigt, wie die SPD heute auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes bestätigte.
Demnach soll eine Entscheidung des Parlaments in der ersten Sitzungswoche Mitte Januar angestrebt werden. Einen genauen Termin gebe es aber noch nicht, hieß es weiter. Eigentlich waren Abschlussdebatte und Beschluss des Bundestages noch für dieses Jahr vorgesehen.
Die Gruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Experten Karl Lauterbach (SPD), die eine Widerspruchslösung vorschlägt, habe jedoch wegen Änderungsanträgen noch einmal um Terminverschiebung gebeten, berichtet der Tagesspiegel.
Dem habe die andere Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Vorsitzende Katja Kipping zugestimmt. Nach deren Antrag soll eine Organentnahme ohne ausdrücklich geäußerten Willen des Spenders auch künftig nicht möglich sein. Allerdings soll die Spendebereitschaft regelmäßig bei Behörden oder beim Arzt erfragt werden.
In Deutschland warten weiterhin viele Kranke auf ein Spenderorgan.
In den ersten zehn Monaten 2019 sei die Zahl der Spender und der gespendeten Organe nicht angestiegen, teiltedieDeutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit. Die DSO zählte bundesweit bis Oktober 775 postmortale Organspender, im Vorjahreszeitraum waren es 787 Organspender. Die Anzahl der gespendeten Organe liegt laut DSO aktuell bei 2.507 gegenüber 2.566 im Vergleichszeitraum. „Seit zwei Jahrzehnten basteln wir an den Symptomen des anhaltenden Organmangels,ohne dass sich für die Patienten auf den Wartelisten etwas verbessert hat“,sagte der medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel.
Gesundheit
Organspenden: Kärnten mit Vorreiterrolle
Nach Vorwürfen stellt Eurotrasplant und das Wiener Transplantationszentrum klar: Es konnten keine Regelverletzungen bei der Organvergabe festgestellt werden. Im internationalen Vergleich warten Österreicher verhältnismäßig kurz auf ein Spenderorgan, denn es werden mehr gespendet. Bei der Organspenderate ist Kärnten top, hierzulande warten derzeit 60 Personen auf ein Organ.
1. November 2019
Auf eine neue Niere wartet man im Schnitt drei Jahre, auf eine Bauchspeicheldrüse sechs Monate, vier Monate muss man im Schnitt auf ein neues Herz oder eine neue Lunge warten. Zwei Monate auf eine neue Leber.
Ein Weg zurück zur Lebensqualität
Ulf Scheriau erhielt heuer im März ein neues Herz. Der Wirtschaftsjurist aus Klagenfurt erlitt vor neun Jahren einen massiven Herzinfarkt bei einer Bergtour. Seit damals verschlechterte sich der Zustand seines Herzens kontinuierlich, die letzten Jahre war er auf ein Kunstherz angewiesen. Seit der Transplantation im März geht es gesundheitlich wieder bergauf. „Es ist der Weg zurück zur neuen Lebensqualität. Ich bin ganz positiv überrascht wie gut das Ergebnis dieser Transplantation ist. Ich spüre die Verbesserung von Monat zu Monat“, so Scheriau.
Kärnten hat Vorreiterrolle
Möglich geworden ist das Dank eines Spenders. Und Kärnten nimmt bei den Organspenden eine Vorreiterrolle ein, sagt der Transplantationsreferent für Südösterreich, Michael Zink. „Kärnten ist Top in Österreich. Wir haben mit einer Organspenderate mit etwa 40 pro Million Einwohner fast eine doppelt so hohe Rate, wie in Restösterreich“.
Alter der Organspender steigt
In Österreich gilt die Widerspruchsregel, das heißt, wer sich zu Lebzeiten nicht explizit gegen eine Organspende ausspricht, gilt im Todesfall als potentieller Spender. Im Vorjahr haben in Kärnten 23 Menschen Organe gespendet. Kommt jemand in Frage, werden die Angehörigen gefragt. 90 Prozent der befragten Angehörigen stimmen der Organentnahme zu. Der typische Organspender ist mittlerweile nicht mehr das junge Unfallopfer.
„Vor 25 Jahren war der junge Motorradfahrer der klassische Organspender. Heute ist es der 65-Jährige mit Zuckererkrankung und Bluthochdruck, der eine Hirnblutung bekommt. Diese Änderung führt dazu, dass unsere Organspender auch älter werden. War es früher das mittlere Alter ungefähr bei 30 Jahren ist es heute bei 60 Jahren. Bis 90 Jahren ist es kein Problem, wir haben aber auch schon die Organe eines 93-Jährigen übertragen. Wichtig ist, dass die Organe in einem guten Zustand sind“, so Zink.
Zeitdruck beim Transplantieren
Die Entnahme der Organe erfolgt durch ein eigenes Operationsteam aus Graz. Parallel dazu wird die Empfängerin oder der Empfänger auf die Transplantation vorbereitet. „Zeitdruck ist eines der größten Probleme in der Transplantationsmedizin, weil die Zeit, die das Organ außerhalb des Körpers sein darf, ist sehr limitiert“, so Zink. Bei einem Herz bleiben ab der Entnahme maximal acht Stunden Zeit, bei einer Niere bis zu 24 Stunden. In Österreich werden Transplantationen im AKH Wien und in den Universitätskliniken Innsbruck, Graz und Linz durchgeführt.
5. Oktober 2019
Nieren: Organspende trotz Hepatitis?
Behandlung mit antiviralen Medikamenten ermöglicht Transplantation infizierter Nieren
Doch verwertbar: Auch Organe von Hepatitis-C-Patienten könnten sich für eine Transplantation eignen. Denn wie das Beispiel von sieben Nierentransplantationen zeigt, gelangen mit den Organen zwar Hepatitis-Viren in den Körper der Empfänger. Diese lassen sich jedoch erfolgreich mit antiviralen Medikamenten bekämpfen. Nach Ansicht der Mediziner ist die Verpflanzung infizierter Nieren daher bedenkenlos möglich.
In Deutschland mangelt es noch immer massiv an Spenderorganen. Neben der geringen Zahl an Organspendern begrenzen auch Qualitätsanforderungen das Angebot. Um transplantiert werden zu können, müssen Leber, Niere und Co in einem ausreichend guten Zustand sein. Und: Sie dürfen die Gesundheit des Empfängers nicht gefährden – etwa, indem sie ihn mit einer ernsthaften Krankheit anstecken.
Aus diesem Grund galten Organe von Patienten mit Hepatitis C lange Zeit als unverwertbar für Transplantationen. Denn mit dem Gewebe betroffener Spender gelangen zwangsläufig auch die Erreger der leberzerstörenden Infektion in den Körper der Transplantierten. Doch wie gravierend ist das? Weil es inzwischen recht gut wirkende antivirale Medikamente gegen Hepatitis C gibt, scheint die Verpflanzung infizierter Organe heute durchaus eine Option zu sein, wie Mediziner um Justa Friebus‐Kardash vom Universitätsklinikum Essen erklären.
Erfolgreich bekämpft
Die Wissenschaftler berichten nun von sieben Fällen, bei denen Patienten ohne Hepatitis-Infektion die Nieren Hepatitiskranker verpflanzt wurden. Für alle an der Untersuchung beteiligten Empfänger gab es kein anderes passendes Spenderorgan und alle wurden im Vorfeld ausführlich über die Besonderheit ihrer neuen Niere aufgeklärt.
Was passierte nach der Transplantation? Wie erwartet, war das Hepatitis-Virus bei allen sieben Patienten innerhalb von drei Tagen nach dem Eingriff nachweisbar. Aus diesem Grund wurden sie sofort mit antiviralen Mitteln behandelt – und zwar acht bis zwölf Wochen lang. Diese Therapie hatte dem Forscherteam zufolge einen durchschlagenden Effekt. So hatte nicht nur die transplantierte Niere ihre Aufgabe im Körper übernommen. Auch die Leber der Patienten funktionierte ganz normal und das Virus war im Blut der Empfänger nicht mehr nachweisbar.
„Machbar und auch sicher“
„Dank der Expertise unserer Kliniken und Chirurgen konnten wir hier in Essen Organe erfolgreich transplantieren, die zuvor als nicht benutzbar galten. Derzeit ist unsere Stichprobe noch klein, aber es zeigt sich, dass eine frühzeitige antivirale Medikamentierung machbar und auch sicher ist“, konstatiert Mitautorin Ute Eisenberger. „Jetzt werden wir versuchen, in weiteren Untersuchungen den therapeutischen Ansatz zu finden, der für die Patienten optimal ist.“
Bestätigen sich die vielversprechenden Ergebnisse, wäre damit ein wichtiger Schritt im Kampf gegen das Organmangel-Problem gelungen. Denn je mehr Organe für eine Transplantation in Frage kommen, desto mehr Patienten kann in Zukunft geholfen werden.
Quelle: Universität Duisburg-Essen
4. Oktober 2019
- Daniela Albat
24.09.2019
"Doppelte Widerspruchslösung"
Organspende-Anhörung: Viele Experten fordern große Reform
Wie kann man zu mehr lebensrettenden Organspenden kommen? Und mit welchen ethischen Folgen? Der Bundestag berät über zwei Alternativen, und beide Lager sammeln Argumente - auch von Sachverständigen.
Berlin (dpa) - Im Ringen um mehr Organspenden in Deutschland wird unter Experten viel Unterstützung für eine tiefgreifende Reform deutlich.
Anhörung im Bundestag für eine "doppelte Widerspruchslösung" aus, die eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anstrebt.
Demnach sollen alle Volljährigen als Organspender gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können, ansonsten wäre auch noch bei Angehörigen nachzufragen. Dagegen wenden sich unter anderem die beiden Kirchen. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt.
Die Bundesärztekammer erklärt in ihrer Stellungnahme für die Anhörung im Gesundheitsausschuss an diesem Mittwoch, es sei "seit zehn Jahren keine durchschlagend positive Entwicklung der Spenderzahlen" zu verzeichnen. Es sei an der Zeit, den Aspekt der Organspende als solidarische und auf Gegenseitigkeit beruhende Gemeinschaftsaufgabe durch die doppelte Widerspruchslösung auch gesetzlich eindeutig abzubilden. Diese zwinge niemanden dazu, Organe zu spenden, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt am Dienstag. Sie nehme Menschen aber in die Pflicht, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.
Die großen Kirchen melden indes "erhebliche rechtliche und ethische Bedenken" gegen eine Widerspruchslösung an und unterstützen einen anderen Vorschlag einer Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Dieser sehe "behutsame Modifikationen" im System vor, erklären die evangelische und die katholische Kirche. Sie seien geeignet, "das Vertrauen in die Organspende zu erhöhen und Menschen zu befähigen, eine informierte Entscheidung zu treffen".
Der Entwurf schlägt vor, alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende anzusprechen. Dazu soll ein bundesweites Online-Register gehören, in dem man seine Entscheidung für oder gegen eine Spende eintragen und ändern kann. Zudem sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre informieren.
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation gibt zu bedenken, dass bei dieser Vorgehensweise eine mehrjährige Umsetzungszeit zu erwarten sei. Eine von Gesellschaft und Politik getragene Widerspruchslösung gäbe "ein klares Signal an die Bevölkerung im Hinblick auf die Organspende".
Dafür spricht sich auch die Stiftung Eurotransplant aus, die für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern zuständig ist. Die Einführung der Widerspruchslösung sei nötig "zum Erhalt der Solidarität" im Verbund. Ab kommendem Jahr hätten sie alle Eurotransplant-Länder außer Deutschland. Auch die Deutsche Transplantationsgesellschaft wirbt dafür.
Dagegen argumentiert der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen werde eingeschränkt. Menschen könnten sich zur Organspende gedrängt fühlen, was die Vertrauenskrise verschärfe.
Der Erlanger Theologe Peter Dabrock warnt, die Widerspruchslösung sei auch mit Blick auf Sorgen der nächsten Angehörigen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft "schädlich und damit insgesamt unverhältnismäßig". Die Bezeichnung "doppelte" Widerspruchslösung sei zudem irreführend. Davon wäre nur zu sprechen, wenn Angehörige eine eigenständige Entscheidungsmöglichkeit hätten - das werde aber eigens verneint.
Über die beiden Gesetzentwürfe soll der Bundestag voraussichtlich noch in diesem Jahr in freier Abstimmung entscheiden. Auch die AfD hat einen Antrag vorgelegt. Ziel ist es, angesichts von fast 10.000 Menschen auf den Wartelisten zu mehr Spenden zu kommen.
Die Zahl der Spender war nach langem Abwärtstrend 2018 wieder spürbar gestiegen - auf 955. In diesem Jahr gab es aber zunächst wieder einen Rückgang. Von Januar bis August waren es 614 Spender - nach 650 im selben Zeitraum des Vorjahres. Unabhängig von der Debatte gelten inzwischen neue Regeln, um die Organspende-Bedingungen in Kliniken zu verbessern - mit mehr Geld und mehr Freiraum für Transplantationsbeauftragte.
24.09.2019
Interview
„Die Zustimmungsregelung reicht einfach nicht aus“
vonTimot Szent-Ivany
Herr Professor Nuscheler, Gesundheitsökonomen schauen sicher nüchterner auf die sehr emotional geführte Debatte über die künftigen Regeln zur Organspende. Unterstützen Sie den Vorschlag einer Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Spahn oder den Gegenentwurf? Seit Jahrzehnten wird die Bevölkerung darüber informiert, wie wichtig die Organspende ist. Die Krankenversicherung klärt auf, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Stiftung Organtransplantation. Man kann sich diesem Thema doch gar nicht mehr entziehen. Und dennoch sind die Spenderzahlen auf bescheidenem Niveau geblieben. Die bisherige Zustimmungsregelung reicht einfach nicht aus, noch mehr Informationen machen sie nicht besser. Deshalb müssen wir mit der Widerspruchslösung eine neue Variante ausprobieren.
Wie bewerten Sie das Argument der Kritiker, das sei ein unzulässiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht? Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber die Frage ist doch, wie schwer dieser Eingriff wiegt. Man geht davon aus, dass die Widerspruchslösung die Spenderzahlen erhöht. Dann jedoch steigen die Überlebenschancen derer, die auf ein Organ warten. Vor diesem Hintergrund relativiert sich der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht doch ganz erheblich. In einer Situation, in der in Deutschland jährlich gut 1000 Menschen auf der Warteliste sterben, darf man von den Bürgern verlangen, sich mit dem Thema Organspende zu beschäftigen. Dabei muss sich der Einzelne gar nicht mit dem eigenen Tod auseinandersetzen, wie das manche Kritiker ja behaupten. Er kann einfach widersprechen und dann hat sich die Sache erledigt.
Aber führt die Widerspruchslösung auch in der Praxis zu mehr Spenderorganen? Das ist in der Tat nicht ganz so einfach zu sagen, aber es spricht doch sehr viel dafür. So haben Länder mit einer Widerspruchslösung in der Regel zum Teil deutlich höhere Spenderzahlen als Länder mit einer Zustimmungslösung.
Liegt das tatsächlich an der Widerspruchslösung? Einfache Ländervergleiche sind nicht ganz unproblematisch, da sich die Länder nicht nur in den Regelungen zur Organspende unterscheiden. Spanien hat europaweit die höchsten Spenderzahlen und hat seit langem eine Widerspruchslösung sowie exzellente Strukturen zur Organgewinnung in den Krankenhäusern. Es spricht viel dafür, dass es die Kombination dieser beiden Dinge ist, die Spanien weit nach vorne bringt. Im Frühjahr wurden in Deutschland per Gesetz die Bedingungen für die Organgewinnung in den Krankenhäusern verbessert. Wenn nun noch die Widerspruchslösung kommt, bin ich hinsichtlich der Spenderzahlen optimistisch. Sollten die Spenderzahlen dann immer noch unzureichend sein, sollte man über Anreize zur Organspende nachdenken.
Was schlagen Sie vor? Wir plädieren für ein Malus-System. Wer einer Spende widerspricht, wird dann, wenn er selbst einmal ein Organ benötigt, weiter hinten auf die Warteliste gesetzt. Er muss also länger auf ein Organ warten. Wir nennen das Reziprozität. Eine Reihe von Experimenten von Verhaltensforschern hat ergeben, dass die Spendebereitschaft dadurch deutlich steigt. Israel, Singapur und Chile haben übrigens Reziprozitätsregelungen.
Das klingt brutal und unethisch, und in Deutschland gibt es den gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen, unabhängig vom eigenen Verhalten. Die Knappheit an Organen ist brutal und unethisch. Wir sind moralisch dazu verpflichtet alles rechtlich Mögliche zu unternehmen, diese Knappheit zu beseitigen. Reziprozität kann Teil der Lösung sein. So erhöht man durch die Spendebereitschaft seine Überlebenschancen, sollte man selbst ein Organ benötigen. Außerdem wird die Organverteilung dadurch gerechter. Es ist nicht einzusehen, warum Menschen, die nicht zur Organspende bereit sind, dieselben Chancen auf ein Organ haben sollen wie potenzielle Spender. Schließlich sind die Verweigerer die Ursache für die Knappheit.
Der Chirurg hatte im Transplantationsskandal ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen. Eine Gericht sprach ihm nun eine Entschädigung in Millionenhöhe zu.
13. September 2019, 12:12 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa,
Der 2015 im Göttinger Transplantationsskandal freigesprochene Chirurg soll vom Land Niedersachsen mit mehr als einer Million Euro entschädigt werden. Das hat das Landgericht Braunschweig in einem Zivilverfahren entschieden. Nach Angaben des Richters müsse das Land dem Mediziner etwa 1,1 Millionen Euro zahlen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Arzt Verdienstausfall wegen der Untersuchungshaft hatte. Gegen das Urteil ist Berufung möglich.
Der Mediziner, der das Lebertransplantationszentrum in Göttingen von 2008 bis 2011 leitete, war 2014 in einem bundesweit aufsehenerregenden Prozess um illegale Organspenden verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm unter anderem vorgeworfen, medizinische Daten manipuliert zu haben. Durch falsche Angaben gegenüber Eurotransplant, der Vermittlungsstelle für Spenderorgane in Europa, waren so eigene Patienten des Mediziners bevorzugt mit Spenderlebern versorgt worden. Andere Patienten hatten auf dieser Grundlage dagegen keine Spenderorgane erhalten.
Nach dem Freispruch hatte der Mediziner Schadensersatzansprüche geltend gemacht, unter anderem als Ausgleich für seinen Verdienstausfall während einer einjährigen Untersuchungshaft. Zudem gab er an, dass er in dieser Zeit eine gut dotierte Stelle in Jordanien nicht habe antreten können. Nach eigenen Angaben war diese mit einem Gehalt von 50.000 Dollar pro Monat dotiert. Der ärztliche Leiter der Klinik in Jordanien bestätigte diese Absprache als Zeuge. Der mögliche Verdienstausfall war der mit Abstand größte Posten unter den Forderungen des Arztes. Nach eigenen Angaben arbeitet der Mediziner mittlerweile für das Krankenhaus in der jordanischen Hauptstadt Amman. Was er dabei seit 2017 verdient, ist nicht bekannt.
Der 2012 öffentlich gewordene Skandal gehört zu den größten Transplantationsskandalen um manipulierte Patientendaten in der Bundesrepublik. Seit dem Bekanntwerden war das Vertrauen in die Organspende signifikant gesunken. 2014 sank die Zahl der Organspender mit 864 auf den niedrigsten Stand seit 1997.
Forscher konservieren menschliche Lebern erstmals für 27 Stunden bei Minustemperaturen
10. September 2019
Extrem heruntergekühlt: Forschern ist es zum ersten Mal gelungen, menschliche Spenderorgane bei Minustemperaturen zu konservieren. Sie kühlten Lebern auf minus vier Grad Celsius herunter, ohne dass das Gewebe gefror. Durch dieses sogenannte Supercooling überlebten die Lebern bis zu 27 Stunden außerhalb des Körpers. Das ist dreimal länger als mit gängigen Verfahren in der Regel möglich ist, wie das Team im Fachmagazin „Nature Biotechnology“ berichtet.
Für Menschen mit akutem Organversagen oder einer schweren chronischen Erkrankung ist eine Organtransplantation oftmals die letzte Hoffnung auf Heilung. Doch Spenderorgane sind knapp: Neben der geringen Zahl an Organspenden begrenzt auch der Faktor Zeit das Angebot. So müssen entnommene Lebern, Nieren und Co im Schnitt innerhalb von neun Stunden beim Empfänger sein. Denn außerhalb des Körpers gehen die sensiblen Zellen und Strukturen sehr schnell kaputt.
Forscher suchen daher schon länger nach Alternativen zum gängigen Transport bei vier Grad Celsius in der Kühlbox, die die Überlebensdauer der Organe verlängern könnten. In den Fokus ist dabei zuletzt das sogenannte Supercooling gerückt. Bei dieser Methode werden die Organe auf Minustemperaturen heruntergekühlt, ohne dass sich dabei für das Gewebe schädliche Eiskristalle bilden. Inspiriert ist das Prinzip von der Natur: Auch einige Tiere können dank eines solchen Tricks die kalte Jahreszeit überstehen.
Frostschutz-Cocktail für Lebern
Wie aber gelingt dies bei Organen? Bereits vor fünf Jahren hatte ein Team von US-Wissenschaftlern gezeigt, dass sich Rattenlebern auf minus sechs Grad herunterkühlen lassen, ohne einzufrieren. Möglich wurde dies unter anderem durch die Zugabe spezieller Frostschutzmittel. Auf die 200-mal größeren menschlichen Organe ist dieses Verfahren allerdings nicht so einfach übertragbar. „Je größer das Volumen, desto schwieriger wird es, die Bildung von Eiskristallen bei Minustemperaturen zu verhindern“, erklärt Reinier de Vries von der Harvard Medical School in Boston.
Ihm und seinen Kollegen ist genau dies nun trotzdem gelungen: Sie haben die Supercooling-Methode zum ersten Mal erfolgreich bei menschlichen Lebern angewandt. Um ihr Ziel zu erreichen, passten die Forscher das zuvor bei Ratten erprobte Verfahren in einigen Punkten an. Zunächst optimierten sie die Zusammensetzung der Antifrost-Lösung: Zusätzlich zu den Frostschutzmitteln 3-O-Methyl-D- Glukose und einem Polyethylenglykol gaben sie dabei Trehalose und Glycerin zu der Mischung. Gemeinsam schützen und stabilisieren diese Stoffe die Zellen und verhindern die Eisbildung.
Langsam heruntergekühlt
Für den entscheidenden Schritt koppelten die Forscher menschliche Lebern an eine Perfusionsmaschine, die die Organe ähnlich einem künstlichen Blutkreislauf mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Über diese Maschine speisten sie dann nach und nach die Konservierungsflüssigkeit ein, die sich dadurch besonders gleichmäßig im gesamten Organ verteilte.
Anschließend wurde die Leber langsam auf minus vier Grad Celsius heruntergekühlt. Dabei sorgte das Team dafür, dass kein Kontakt zu Luft bestand. Denn sie hatten herausgefunden, dass Interaktionen mit Luft das Risiko für die spontane Kristallbildung auf der Organoberfläche erhöhen. Nach der Konservierung wurden die Lebern über die Perfusionsmaschine allmählich wieder auf Raumtemperatur gebracht.
Aufgetaut und funktionsfähig
Wie gut hatten die Organe die Prozedur überstanden? Die Ergebnisse zeigten, dass die Lebern dank der Supercooling-Methode bis zu 27 Stunden außerhalb des Körpers überlebten – und damit dreimal länger als beim herkömmlichen Transport in der Kühlbox üblich. Wie die Wissenschaftler berichten, war die Funktionsfähigkeit der Lebern nach der Unterkühlungsprozedur noch genauso gut wie vorher. Transplantiert haben sie die Organe zwar nicht. Simulationen legten jedoch nahe, dass die Lebern die Verpflanzung in einen neuen Körper wahrscheinlich problemlos überstehen würden.
Bestätigen weitere Untersuchungen den Nutzen der neuen Methode, wäre dadurch wertvolle Zeit gewonnen: „Wenn ein Organ verfügbar wird, ist ein geeigneter Empfänger nicht immer in der Nähe“, erklärt de Vries‘ Kollegin Shannon Tessier. „Eine längere Haltbarkeit bedeutet mehr Zeit für die Suche nach einem passenden Patienten und den Transport. Und das bedeutet, dass weniger Spenderorgane entsorgt werden müssen und mehr Patienten gut geeignete Organe erhalten, mit denen sie lange leben können.“
Weitere Alternativen im Test
Das Supercooling-Verfahren ist jedoch nicht die einzige Methode, die derzeit als Alternative zur Kühlbox diskutiert wird. So erproben Mediziner zum Beispiel auch Verfahren, bei dem Organe nicht gekühlt, sondern in einem Zustand wie im Körper gehalten werden. Dabei wird den Organen während des Transports quasi vorgegaukelt, sich noch im Organismus zu befinden. Diese Technik könnte sich vor allem für vorgeschädigte Organe eignen, die Kühlprozesse häufig weniger gut überstehen.
Quelle: Harvard Medical School/ National Institute of Biomedical Imaging & Bioengineering/ Massachusetts General Hospital
10. September 2019
- Daniela Albat
Ärzteschaft
Hausärzteverband und BZgA informieren gemeinsam über Organspenden
Dienstag, 27. August 2019
Berlin/Köln – Der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informieren Patienten gemeinsam über das Thema Organspende. Sie haben dazu ein Magazin namens „entscheiden. Das Magazin zur Organ- und Gewebespende“ erstellt, das künftig in Wartezimmern von Hausarztpraxen ausliegen soll.
„Organspende ist ein sehr persönliches Thema, das für Patienten mit vielen individuellen Fragen verbunden ist“, sagte der DHÄV-Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt. Hausärzte seien in der Regel mit der Krankheitsgeschichte ihrer Patienten und ihrem sozialen Umfeld über Jahre vertraut und daher die idealen Ansprechpartner. Insbesondere der persönliche Ansatz sei wichtig, um Patienten vertrauensvoll und kompetent über ein so sensibles Thema zu informieren
Die erste Ausgabe des Magazins beleuchtet auf rund 30 Seiten unterschiedliche Aspekte der Organspende. In mehreren Portraits und Interviews schildern Menschen ihre persönlichen Geschichten, Erfahrungen und Gedanken rund um die Organspende. Ergänzt werden die Erfahrungsberichte durch Daten und Fakten, eine Zusammenstellung der häufigsten Fragen und Antworten sowie praktische Tipps – beispielsweise, wie man einen Organspendeausweis ausfüllt.
Heidrun Thaiss, Leiterin der BZgA, verwies auf eine Befragung der BZgA wonach 44 Prozent gerne mehr Information zum Thema Organspende hätten. „Diesem großen Bedarf nach Information kommen wir mit dem neuen Wartezimmermagazin zum Thema Organspende nach, indem wir Menschen bei ihrer Entscheidung mit seriösen Informationen unterstützen“, sagte sie.
Göttingen/Braunschweig. Gut vier Jahre nach seinem Freispruch im Prozess um den Göttinger Transplantationsskandal verlangt ein Arzt gut 1,2 Millionen Euro Schadenersatz vom Land Niedersachsen. Eine Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig werde am Freitag über die Klage des Mediziners verhandeln, teilte das Gericht am Dienstag mit.
Der damals vom Dienst suspendierte Chirurg, der während der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig 2013 gut elf Monate lang in Untersuchungshaft gesessen hatte, fordert unter anderem einen Ausgleich für seinen Verdienstausfall. Seine Begründung: Er habe als Folge der Untersuchungshaft eine gut dotierte Stelle in Jordanien nicht antreten können.
Das Landgericht Göttingen hatte den früheren Leiter der Transplantations-Chirurgie an der Göttinger Universitätsmedizin im Mai 2015 nach 64 Prozesstagen vom Vorwurf des elffachen versuchten Totschlags und der dreifachen Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen.
Entschädigung von 8500 Euro zugesprochen
Die Richter bescheinigten dem Arzt zwar eine verwerfliche Manipulatione medizinischer Daten, die eine schnellere Zuteilung von Organen für seine Patienten bewirkt hätten. Wegen der damaligen Rechtslage sah das Gericht aber keine Strafbarkeit. Der Bundesgerichtshof hatte sich dieser Auffassung angeschlossen und die Revision der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen den Freispruch zurückgewiesen. Für die Untersuchungshaft hatte das Landgericht Göttingen dem Arzt damals eine Entschädigung von 8500 Euro zugesprochen.
Der Mediziner verlangt nach Darstellung des Landgerichts Braunschweig mit seiner Klage jetzt in Vielfaches dieser Summe. Es geht um insgesamt 1,207 Millionen Euro. Der Arzt macht vor allem einen Verdienstausfall während der Untersuchungshaft geltend, weil er in dieser Zeit eine Stelle in einen Krankenhaus in Jordanien nicht habe antreten können, die mit 50 000 Dollar im Monat dotiert gewesen sei.
Land weist Forderungen zurück
Zudem verlangt der Arzt laut Gericht die Erstattung eines sogenannten Zinsschadens, weil er die für die Außerkraftsetzung des Haftbefehls verlangte Kaution von 500.000 Euro habe finanzieren müssen. Schließlich fordere der Mediziner die Erstattung der Kosten für eine Verfassungsbeschwerde, durch die er die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft hatte überprüfen lassen wollen. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das beklagte Land Niedersachsen weist die Forderungen des Mediziners nach Angaben des Landgerichts Braunschweig zurück. Es bestreite, dass der Mediziner tatsächlich in dem jordanischen Krankenhaus angestellt worden wäre und ein Monatsgehalt in Höhe von 50.000 Dollar bezogen hätte.
Unabhängig von der Schadensersatzklage hat das Oberlandesgericht Braunschweig dem Chirurgen kürzlich Auslagenersatz für zwei Verteidiger in dem 2015 abgeschlossenen Göttinger Prozess zugesprochen und das Land Niedersachsen angewiesen, dem Arzt rund 166.000 Euro plus Zinsen zu erstatten. Das Landgericht Göttingen hatte dem Mediziner nur Auslagenersatz für einen Verteidiger zugebilligt.
Ralf Nowotny 5. August 2019
Immer wieder kursiert in sozialen Medien ein Schriftstück, welches diverse Behauptungen über die Praxis bei einer Organentnahme enthält.
Einige Stellen dieses Schriftstücks, dessen Quelle leider nicht bekannt ist, erwecken den Eindruck, dass eine Organentnahme ein grundsätzlich barbarischer Akt ist, der zu verurteilen sei. Es handelt sich um jenes Schriftstück:
Folgende Stellen sind explizit mit roter Umrandung, Unterstreichung und Pfeilen hervorgehoben:
Der „Spender“ wird an Armen und Beinen festgebunden, um Bewegungen zu verhindern.
Er bekommt muskelentspannende Medikamente und oft auch Narkosemittel, die Schmerzmittel enthalten. Doch viele Anästhesisten verzichten auf Anraten von Ärzteorganisationen auf Narkose- und Schmerzmittel. Das Problem der Bundesärztekammer ist, dass mit einer verpflichtenden Erklärung zur Narkose bestätigt würde, es handele sich bei den „Hirntoten“ um noch lebende Menschen. Also nimmt man billigend in Kauf, dass Menschen während der Organentnahme Schmerzen erleiden könnten.
Bei „normalen“ Operationen werden diese Zeichen [Blutdruck-, Herzfrequenz- und Adrenalinanstieg] als Schmerzreaktionen gewertet. Nicht jedoch bei „Hirntoten“!
Die Organe werden bei schlagendem Herzen freigelegt und für die Entnahme präpariert.
Mit der Entnahme der Organe ist der „Hirntote“ gestorben.
Den Pflegekräften bleibt es am Ende oft allein überlassen, den Körper auszustopfen und die riesigen Wunden zu verschliessen.
Ein friedvolles und behütetes Sterben im Beisein von Angehörigen oder Freunden ist bei einer Organentnahme nicht möglich. Sterbebegleiter sind die Transplantationsmediziner.
Zusammengefasst soll jener Text also belegen, dass eine Organentnahme eine unaussprechliche Qual für den Spender darstellt. Ob dies nun auch allerdings den Tatsachen entspricht, möchten wir im Folgenden betrachten!
Wann ist ein Mensch wirklich tot?
Immer wieder wird von verschiedenen Arten des Todes gesprochen: Hirntod, Herztod, Erstickungstod, Organtod. Allerdings weisen all diese Namen zumeist nur auf die Ursache eines Todes hin und erwecken nur einen scheinbaren Eindruck, dass man den endgültigen Tod eines Menschen verschieden definieren könne. Wie aber Stefanie Förderreuther vom Neurologischen Konsiliardienst der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in einem Gespräch mit Bayern2 erklärte, gibt es im Prinzip nur einen Tod: Den Hirntod!
Wie wird der Hirntod festgestellt?
Der medizinisch sogenannte „Irreversible Ausfalls der Hirnfunktionen“ besagt, dass die Gesamtfunktion des Gehirns dauerhaft außer Kraft gesetzt ist und sich auch nicht mehr erholen kann. Dabei wird von allen Hirnarealen gesprochen, also Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm. Wenn auch nur eines davon noch funktionsfähig ist, liegt auch kein Hirntod vor.
Bei der neurologischen Untersuchung von Patienten müssen Ärzte immer wieder den Zustand des Gehirns überprüfen, bevor ein Gehirntod diagnostiziert werden kann. Dies geschieht beispielsweise durch Überprüfung des Atemantriebes, Hustenreflex, Reaktion der Pupillen auf Licht und Blinzelreflex bei Berührung der Hornhaut des Auges.
Zusätzlich wird überprüft, ob bestimmte Einflüsse die neurologischen Untersuchungen beeinflussen, beispielsweise ob ein bestimmtes Medikament oder Besonderheiten im Stoffwechsel des Patienten dazu führen, dass nur ein scheinbarer Hirntod vorliegt. Letztendlich werden auch bei
manchen Patienten EEG-Messungen vorgenommen, um Gehirnströme nachzuweisen, dazu
noch Durchblutungsuntersuchungen, also ob das Gehirn überhaupt noch mit Blut versorgt
wird.
Und all diese Tests werden nicht etwa von einem Arzt alleine gemacht, sondern von zwei Ärzten unabhängig voneinander. Beide Ärzte müssen jahrelang Erfahrung in der Intensivstation vorweisen können, eine spezielle Ausbildung bekommen haben und dürfen nichts mit einer eventuellen, späteren Organentnahme bei einem Patienten zu tun haben.
Bevor also ein Patient für hirntod erklärt wird, werden eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt. Wenn dieser aber dann schließlich von zwei Ärzten unabhängig voneinander festgestellt wurde, steht fest, dass das Gehirn, die Schaltzentrale des Menschen, nicht mehr funktioniert.
Ohne Hirnfunktion kein Schmerz!
Was viele Angehörige von hirntoten Patienten verunsichert (und letztendlich wohl auch zu jenem obigen Schriftstück führte), ist der Anblick des Patienten: Ein hirntoter Mensch sieht im Krankenhaus keineswegs tot aus! Der Kreislauf funktioniert noch, der Brustkorb hebt und senkt sich, die Haut hat eine relativ gesunde Farbe, sogar Schwitzen und Fieber sind bei einem solchen Patienten möglich.
Dies alles geschieht allerdings nur, weil diese Körperfunktionen durch die Maschinen am Krankenbett aufrecht erhalten werden. Würde man die Maschinen abschalten, stünde der Kreislauf in kürzester Zeit still, das Herz würde aufhören zu schlagen, die Leichenstarre würde einsetzen.
Wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert, kann ein Patient auch nichts mehr empfinden, auch keinen Schmerz mehr, da die Signale der Nerven im Körper vom Gehirn nicht mehr verarbeitet werden!
Warum wird der Körper dann festgeschnallt?
Zwar können vom Gehirn aus keine willentlichen Bewegungen mehr ausgeführt werden, ein hirntoter Patient kann aber durchaus noch Reflexe zeigen. Als Beispiel sei das Hämmerchen genannt, welches einem der Arzt manchmal auf das Kniegelenk haut, um den Reflex zu testen: Der Unterschenkel schnellt automatisch nach vorne, obwohl er vom Gehirn keinen Befehl dazu bekommen hat.
Teilweise konnten Ärzte bei hirntoten Patienten auch komplexere Bewegungen feststellen, bei der der Patient beispielsweise bei einem Schmerzreiz am Brustbein mit den Armen versucht, die Hand des Arztes wegzuwischen. Dies sorgt bei unerfahrenen Arzthelfern natürlich für große Verunsicherung, doch mittlerwqeile konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass diese Reflexe von Nerven kommen, die sich im Rückenmark befinden. Jene Nerven im Rückenmark werden weitgehenst vom Gehirn kontrolliert, doch wenn dieses nicht mehr funktioniert, reagieren die Nerven unkontrolliert und lösen manchmal jene Reflexe aus.
Auch aus diesem Grund müssen bei einer Organentnahme immer erfahrene Ärzte anwesend sein, die genau feststellen können, ob ein Reflex nur vom Rückenmark ausgeht oder ein Indiz für eine Hirntätigkeit ist.
Warum bekommt ein Hirntoter Narkosemittel?
Bei einer lebenden Person soll die Narkose dazu dienen, dass der Patient keine Schmerzen empfindet, in einen schlafähnlichen Zustand versetzt wird und die Muskeln des Patienten entspannt werden. Für jedes dieser Ziele gibt es ein Medikament:
Ein Mittel gegen Schmerzen = Analgetikum,
ein Schlafmittel = Hypnotikum und
ein Mittel zur Muskelerschlaffung = Muskelrelaxans
Bei einer Organentnahme werden Muskelrelaxantien werden verabreicht, um spinale Reflexe, die zu Spontanbewegungen und zum Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz während der Organentnahme führen, zu verhindern. Also keine Narkose, keine Schmerzmittel, aber ein Medikament um spontane Muskelbewegungen zu unterbinden.
Fazit
Das obige Schriftstück wurde anscheinend von einem Laien verfasst, der sich nicht wirklich mit dem medizinischen Hintergrund einer Organentnahme beschäftigt hat. Vor einer Organentnahme muss der Hirntod zweifelsfrei von zwei Ärzten unabhängig voneinander durch verschiedene Untersuchungsmethoden festgestellt werden. Mit dem Hirntod hat ein Patient auch keinerlei Schmerzempfinden mehr. Alle Punkte in dem Schriftstück gehen aber davon aus, dass ein Patient noch prinzipiell am Leben ist.
So wird die Medikation eines hirntoten Patienten missgedeutet, ebenso die Reflexreaktionen des Körpers falsch interpretiert. Das schlagende Herz wird nur noch durch Maschinen am Leben erhalten, ist jedoch kein Indiz dafür, dass der Patient eigentlich noch lebt, wenn festgestellt wurde, dass das Hirn nicht mehr arbeitet.
Somit steht zwar auf dem Totenschein tatsächlich erst das Datum der Organentnahme als Todesdatum, allerdings auch nur deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt dann auch die Maschinen abgeschaltet werden, welche den Kreislauf und die Organe am Leben erhalten haben, während das Hirn, somit auch der Mensch, im Prinzip schon tot waren.
Der Hirntod selbst wird auch deshalb nicht direkt als Todesdatum verwendet, da es nicht möglich ist, einen exakten Zeitpunkt dafür festzulegen: Ärzte schauen nicht einfach kurz, sagen „Hirntod“ und haken es ab, sondern das EEG des Patienten darf mindestens vier bis acht Wochen lang keinerlei Hirntätigkeiten vorweisen.
Schlussendlich ist das Schriftstück also eine Sammlung von falschen Behauptungen und Missinterpretationen über Organentnahmen
Organspende ist ein schwieriges Thema - nicht nur hinsichtlich der aktuellen Diskussion um die Widerspruchslösung. Für viele Menschen ist immer noch die Frage nur unvollständig geklärt, ob es als Hirntoter wirklich keinen Weg mehr zurück gibt. Ein Kommentar von FOCUS-Online-Gastautor Heiko Burrack.
Die Frage, ob es als Hirntoter wirklich keinen Weg mehr ins Leben gibt, stellt auch Frau Kelle in ihrem Gastbeitrag und beantwortet sie gleich: Aus ihrer Sicht haben Mediziner das Hirntodkonzept geschaffen, damit sie straffrei Menschen Organe entnehmen können. Die offensichtliche Begründung liegt auf der Hand: Wie sonst könnten hirntote Frauen Kinder gebären und wie sonst kommt es bei der Organentnahme zu einem Anstieg des Blutdrucks.
Wären diese Menschen wirklich tot, wäre dies aus Sicht von Frau Kelle nicht möglich. Nun ist hier die Antwort ein wenig komplizierter. Ich beginne mit der Frage, warum überhaupt das Hirntodkonzept eingeführt wurde. Die Gründe finden wir Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Seinerzeit gab es in der Intensivmedizin viele Innovationen.
Die Intensivmedizin hat heute ganz andere Möglichkeiten als früher
Ärzte können seither Patienten künstlich beamten; vorher sind sie verstorben, wenn sie nicht mehr selbsttätig Luft holen konnten. Der Herztod war die Folge. Nun konnten die Ärzte vielen von ihnen eine Brücke zurück ins Leben bauen. Genau daraus hat sich aber die Frage entwickelt, wie lange die Ärzte diese und andere Maßnahmen durchführen durften. Wann ist dies ethisch nicht mehr zulässig?
Die Antwort ist Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts wie heute die gleiche: Man muss damit aufhören, wenn der Hirntod eingetreten ist. Damals wurde der Begriff Coma depasse eingeführt, der genau diesen Zustand beschreibt. An der Frage und der Antwort darauf hat sich nichts geändert. Der Hirntod hat also mit der Transplantation im ersten Schritt wenig zu tun. Er ist vielmehr auf Fortschritte in der Intensivmedizin zurückzuführen.
Einen Toten darf man nicht mehr beatmen
Ein zweiter Fehler besteht eben genau im unzulässigen Verknüpfen von Transplantation und Hirntod. Jeder Leser kommt zu der Annahme, dass beide Themen fest miteinander verwoben sind. Natürlich kann man in Deutschland nur dann Organe entnehmen, wenn der Hirntod festgestellt wurde. Aber wird diese Diagnose auch bei einem Patienten durchgeführt, bei dem die Organe definitiv nicht explantiert werden?
Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Im Zweifelsfall müssen die Ärzte diesen Diagnoseschritt gehen, weil man auch hier feststellen muss, ob jemand tot ist. Dabei schließt sich der Kreis, da die Ärzte nach der Feststellung des Hirntodes sofort mit jeder Therapie aufhören. Es gibt dann keinen Weg mehr zurück und genau deswegen ist es ethisch nicht mehr in Ordnung weitere Maßnahmen durchzuführen. Oder kurz: Einen Toten darf man nicht mehr beatmen.
Wie ein Kind in einer Toten heranwachsen kann
Wenn aber zum Beispiel eine Frau tot ist, wie kann sie dann noch ein Kind gebären und warum ist das Sperma eines Mannes noch zeugungsfähig? Beim Sperma ist die Sache einfach: Sterben ist ein Prozess. Auch wenn das Herz für immer aufgehört hat zu schlagen, bricht nicht das gesamte Leben im Körper zusammen. Der Magen verdaut noch einige Stunden weiter und die Hornhaut kann man noch 48 Stunden danach zur Spende für Blinde entnehmen.
Bei der hirntoten Schwangeren ist es etwas komplizierter: Hier geht es nicht mehr darum, das Leben dieser Frau zu retten; sie ist tot. Die Ärzte wollen nur noch ein lebendes Baby zur Welt bringen. Die Plazenta arbeitet dabei weitestgehend autonom, wenn genug Sauerstoff und Nährstoffe im Blut sind. Wie weitestgehend dies heute schon möglich ist, zeigt das Heranwachsen eines Lämmchens in einem Plastikbeutel.
Hirntote haben noch Reflexe
Wie sieht es aber mit dem im Text von Frau Kelle erwähnten Blutdruckanstieg aus? Solche Reaktionen gehören in das weite Feld der spinalen Reflexe und sind sicherlich das größte Problem. Sie sind es nicht, weil sich daraus Zweifel am Hirntod ableiten lassen. Für die Angehörigen, für die Ärzte und auch für das Pflegepersonal stellen sie vielmehr eine psychologische Herausforderung dar. Neben einem Anstieg des Blutdrucks kann es bei Hirntoten noch vor der Operation zu Bewegungen der Finger, aber auch der Hände und der Arme kommen.
Auch wenn ganz ausgeprägte Bewegungen selten sind, können sie gerade von den Angehörigen nur als Schock empfunden werden. Aber was passiert da genau? Reflexe, also eine unwillkürliche und gleichartige Reaktion auf einen bestimmten Reiz, können entweder über das Gehirn oder das Rückenmark geschaltet werden. Ein Reflex des Gehirns ist zum Beispiel das Verengen der Pupillen, wenn wir von einer dunklen in eine helle Umgebung gelangen. Auch die Atmung ist ein solcher Reflex des Stammhirnes.
Alle diese über unser Denkorgan gesteuerten Reaktionen sind bei einem hirntoten Menschen nicht mehr zu finden und kommen nie wieder. Da aber das Rückenmark noch funktionsfähig ist, sind diese darüber gesteuerten Reflexe noch voll sichtbar. Bei einem Hirntoten wird sich der Unterschenkel also bewegen, wenn man die richtige Stelle am Knie trifft. Die Bewegungen sind aber auch deshalb so ausgeprägt, weil das Gehirn nicht mehr regulierend eingreifen kann.
Die involvierten Ärzte profitieren vom Festellen des Hirntods nicht
Um überhaupt Organe spenden zu können, müssen außerdem Voraussetzungen gegeben sein. Ich nenne hier nur einige: Der Patient muss im tiefsten Koma liegen und befindet sich damit immer auf einer Intensivstation. Und er wird künstlich beatmet. Sind diese und weitere Vorrausetzungen erfüllt, werden in einem zweitstufigen Prozess die Hirnstammreflexe überprüft.
Beim zweiten Durchgang sprechen wir vom Unwiederbringlichkeitstest, weil er zeigt, dass das Gehirn nicht wiederherstellbar verloren ist. Aber auch an die Untersucher werden spezielle Anforderungen gestellt. Die Ärzte müssen voneinander unabhängig sein und es muss sich jeweils um Fachärzte handeln, also zum Beispiel um Neurologen oder Neurochirurgen. Beide müssen mehrjährige Intensivmediziner sein.
Auch wenn ich den Prozess hier nur ganz kurz angerissen habe, sieht man schon, dass er mit viel Aufwand verbunden ist. Es sei nochmals festgehalten, dass die involvierten Ärzte davon nicht profitieren. Sie haben nur mehr Arbeit.
Info: Organspende
Für eine Organspende müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
Bei dem Patienten muss durch mehrere Untersuchungen ein irreversibler Ausfall der Hirnfunktion zweifelsfrei festgestellt worden sein – unabhängig voneinander durch zwei verschiedene Ärzte.
Es muss eine Einwilligung des Patienten zur Organspende vorliegen, etwa in Form eines Organspendeausweises. Gibt es keine Aussage des Patienten dazu, werden die Angehörigen um eine Entscheidung im Sinne des Verstorbenen gebeten.
Gespendet werden können generell Herz, Lunge, Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse und Teile des Darms. Dabei ist es auch möglich, bestimmte Organe von der Spende auszuschließen.
Weniger Oberflächlichkeit, mehr Tiefe bitte
Was bleibt: Das Hirntodkonzept ist im Detail schwierig und kann in der Praxis schockierend sein. Das ändert aber nichts daran, dass man gerade bei einem solchen Thema keine Ängste schüren, sondern unter die Oberfläche blicken sollte.
"Für Hirntote gibt es keine Hoffnung, wieder aufzuwachen"
Viel zu wenige Deutsche spenden Organe. Manche haben Angst, dass etwas schiefläuft, zeigt eine ZEIT-ONLINE-Umfrage. Ein Experte erklärt, warum das nicht nötig ist.
Im Bundestag wird an diesem Mittwoch über zwei Gesetzentwürfe zur Reform des Organspenderechts debattiert. Drei Menschen sterben jeden Tag in Deutschland, weil sie kein Spenderorgan bekommen. Und das, obwohl die allermeisten Deutschen der Organspende positiv gegenüberstehen. Wo liegt also das Problem? ZEIT ONLINE hat seine Leserinnen und Leser gefragt, ob sie Angst vor der Organspende haben. Über die Zuschriften, die uns erreicht haben, haben wir mit Christian Hugo gesprochen, Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft.
ZEIT ONLINE: Einige unserer Leser haben Angst vor der Organspende. Besonders häufig davor, zu früh für hirntot erklärt zu werden.
Christian Hugo: Es kursieren viele Geschichten darüber, dass irgendwann mal irgendjemand fälschlicherweise zu früh für hirntot erklärt worden ist. Nur sind das eben Gerüchte. In Deutschland wurde bis heute kein einziger derartiger Fall nachgewiesen. Ich kann Ihren Lesern versichern: Diese Angst ist vollkommen unberechtigt.
Sobald ein Verdacht auf irreversiblen Hirnfunktionsausfall, also Hirntod, besteht, wird eine
ganze Palette an Untersuchungen durchgeführt (siehe Infobox). Zwei unabhängige Ärzte
prüfen und stellen fest, ob der Patient die typischen Symptome des Hirntodes aufweist.
Dazu müssen beispielsweise jegliche Hirnströme auf dem EEG erloschen und alle
Hirnstammreflexe ausgefallen sein. Bei der Prüfung muss immer ein erfahrener Neurologe
dabei sein. All das wird mindestens zweimal nach 12 oder 72 Stunden überprüft. Das
Verfahren ist extrem sicher.
ZEIT ONLINE: Einige Leser wollten wissen, ob der Spender bei der Entnahme eine Narkose erhält.
Hugo: Grundsätzlich braucht der Spender keine Narkose, denn bei einem festgestellten Hirntod kann er keine Schmerzen mehr empfinden. Sein Gehirn ist nicht mehr durchblutet, alle Zentren, die für die bewusste Wahrnehmung zuständig sind, arbeiten nicht mehr. Wenn manche Krankenhausärzte dennoch eine Narkose durchführen, machen sie das aus einem anderen Grund: Sie wollen unwillkürliche Muskelzuckungen unterbinden. Basale Teile des Nervensystems, die mit dem Bewusstsein rein gar nichts zu tun haben, wie zum Beispiel die Reflexbögen im Rückenmark, können auch bei Hirntoten noch funktionieren. Ich verstehe, dass das für Laien manchmal schwer zu verarbeiten ist, weil sie unwillkürliche Bewegungen für ein Lebenszeichen halten. Deshalb muss ich noch einmal betonen: Für Hirntote gibt es keine Hoffnung, wieder aufzuwachen.
ZEIT ONLINE: Eine andere Angst unserer Leser: Weil Ärzte oder Angehörige schnell an die Organe eines schwerkranken Menschen heranwollen, wird auf Maßnahmen verzichtet, um ihn zu heilen oder am Leben zu halten.
Hugo: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ärzten an deutschen Kliniken geht es immer darum, Leben zu retten. Oft sind Ärzte ja mit dem gegenteiligen Vorwurf konfrontiert: zu viel zu machen, Menschen auf der Intensivstation zu lange am Leben zu halten. Wenn manche Patienten trotz aller Maßnahmen nicht zu retten sind und der Krankheitsverlauf eine offensichtliche reine Leidensverlängerung ohne Chancen auf Erholung zeigt, werden die therapeutischen Maßnahmen eingefroren oder beendet, und der Patient stirbt. Leider denken die Ärzte in diesen Fällen und Situationen nicht immer daran, dass dieser Patient möglicherweise seine Organe hätte spenden wollen.
ZEIT ONLINE: Viele unserer Leserinnen und Leser sagen: Wenn ich schon bereit bin zu spenden, möchte ich auch, dass die Transplantation erfolgreich verläuft. Wie häufig kommt es vor, dass Transplantationen schiefgehen?
Hugo: Transplantationen sind an deutschen Kliniken Routine. In den allermeisten Fällen gehen sie gut. Aber natürlich kann es auch zu Komplikationen kommen. Wie erfolgreich eine Transplantation ist, hängt von ganz verschiedenen Dingen ab: vom Transplantationsteam, dem Krankheitszustand des Organempfängers, davon, unter welchen Umständen der Spender gestorben ist und natürlich von der Qualität der Organe. Wir haben in Deutschland im Schnitt alles andere als optimale Spenderorgane, aber auch überproportional kranke Organempfänger, da sich während der langen Wartezeit auf ein Organ der Gesundheitszustand der Empfänger kontinuierlich verschlechtert. Dennoch funktionieren zum Beispiel von 100 gespendeten Nieren nach einem Jahr noch weit über 90 Prozent.
ZEIT ONLINE: Woran liegt es, dass wir keine optimalen Organe haben?
Hugo: Je jünger der Spender, desto besser funktionieren die Organe und desto besser ist die Reservefunktion der Organe. Das Spendenalter aber liegt in Deutschland bei durchschnittlich 55 Jahren. Weil wir in Deutschland europaweit die geringste Spenderquote haben, können wir es uns nicht erlauben, auf ältere Organe zu verzichten. Für die Nierentransplantation gibt es deshalb das European Senior Program, in dem Spender, die älter als 65 Jahre sind, Organe von über 65-Jährigen bekommen.
ZEIT ONLINE: Hätten wir mehr Spender in Deutschland, hätten wir also auch höhere Erfolgsraten?
Hugo: Ja. In Deutschland sind die Ergebnisse in der Nieren-Lebendspende im Europäischen Vergleich besonders gut, aber bei der Spende nach dem Tod, wo die Spendersituation in Deutschland katastrophal ist, unterdurchschnittlich. In Ländern, in denen postmortal mehr Organe gespendet werden, warten die Patienten kürzer und überstehen die Operation im Schnitt besser, die Erfolgsrate steigt. Spanien ist mit 46,9 Spenderinnen und Spendern je eine Millionen Einwohner und Jahr das führende Land in Europa. In Deutschland kommen wir nur auf circa 10 Spender pro Million Einwohner.
ZEIT ONLINE: Noch etwas hat unsere Leserinnen und Leser bewegt. Passiert es manchmal, dass ein qualitativ hochwertiges Organ, das bereits entnommen wurde, nicht transplantiert wird, weil die Organisation versagt, es beispielsweise logistische Probleme gibt?
Hugo: Das kann man grundsätzlich nie ausschließen. Aber mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem das passiert ist. Die Organspende ist ein komplett durchorganisierter komplexer Prozess, der von der Deutschen Stiftung Organtransplantation sehr kompetent ausgeführt wird.
ZEIT ONLINE: Wie sieht es mit Missbrauch und Organhandel aus? Der deutschlandweite Organspendeskandal vor sieben Jahren hat Vertrauen gekostet. Was wird getan, damit sich so etwas nicht wiederholt?
Hugo: Vor sieben Jahren haben einige Ärzte an bestimmten Krankenhäusern und Transplantationszentren einzelne Patienten auf dem Papier kränker gemacht haben, als sie waren. Das ist Missbrauch, den man nicht entschuldigen kann. Es handelte sich aber nie um Organhandel, sondern darum, dass Ärzte ihre eigenen Patienten bevorzugt haben. Inzwischen ist das strafbar und an Krankenhäusern wurden zahlreiche Änderungen eingeführt. Es gibt jetzt Mehraugen-Transplantationskommissionen und regelmäßige strenge Kontrollen durch eine zentrale Prüfungs- und Überwachungskommission, außerdem wurde eine Vertrauensstelle für Transplantationsmedizin gegründet.
ZEIT ONLINE: In unserer Umfrage stellte sich auch heraus: Manche misstrauen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Können Sie das nachvollziehen?
Hugo: Nein, überhaupt nicht. Die DSO war gar nicht in den Skandal involviert. Sie kümmert sich erst, wenn der irreversible Hirnfunktionsausfall bereits festgestellt ist und organisiert dann den Ablauf der Organspende. Sie hat keinen Einfluss darauf, wer die Organe erhält und auch keinen Interessenkonflikt. Die DSO erfüllt kompetent eine wichtige, klar umschriebene, vor allem organisatorische Aufgabe, es gibt keinen Grund, ihr zu misstrauen.
Ärztepräsident: Empfang von Spenderorgan von Spendebereitschaft abhängig machen
In der Debatte um Organspenden hat Ärztepräsident Klaus Reinhardt dafür geworben, den Empfang eines Spenderorgans teilweise von der eigenen Spendebereitschaft abhängig zu machen.
20. Juni 2019
In der Debatte um Organspenden hat Ärztepräsident Klaus Reinhardt dafür geworben, den Empfang eines Spenderorgans teilweise von der eigenen Spendebereitschaft abhängig zu machen. Das sei "diskussionswürdig", sagte der neue Präsident der Bundesärztekammer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagsausgaben). "Wer bereit ist zu geben, kann bevorzugt empfangen."
Reinhardt verwies auf eine Regelung in Israel. Dort hänge der Platz auf der Empfängerliste bei Organtransplantationen auch davon ab, ob und wann sich jemand zum Spender erklärt habe. "Wer zu einer Spende bereit ist, wird bei der Transplantation eines Organs bevorzugt", sagte der Ärztekammerpräsident. "Das intensiviert den Gedanken, sich mit dem Thema zu befassen." Es wundere ihn, dass dies in der politischen Debatte in Deutschland bisher keine Rolle gespielt habe.
In der Diskussion um Organspenden wirbt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die sogenannte Widerspruchslösung. Demnach soll künftig jeder Bürger als Organspender gelten, solange er dem nicht ausdrücklich widerspricht. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat Spahn zusammen mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach vorgelegt.
Kritiker, vor allem Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Chefin Katja Kipping, setzen stattdessen auf mehr Information und Beratung. Sie haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgestellt.
Bundesärztekammerpräsident schlägt neue Regeln bei Organspende vor
Donnerstag, 20. Juni 2019
Berlin – Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat neue Regeln bei der Organspende vorgeschlagen. Wer selbst zur Organspende bereit sei, könne auch bei der Vergabe von Spenderorganen bessergestellt werden, sagte Reinhardt heute den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Den Empfang eines Spenderorgans von der eigenen Bereitschaft zur Spende abhängig zu machen, finde ich diskussionswürdig“, sagte er. „Wer bereit ist zu geben, kann bevorzugt empfangen.“ Reinhardt bezog sich bei seinem Vorschlag auf eine Regelung in Israel. Dort hänge der Platz auf der Empfängerliste bei Organtransplantationen auch davon ab, ob und wann sich jemand zu Lebzeiten zum Spender erklärt habe.
„Wer zu einer Spende bereit ist, wird bei der Transplantation eines Organs bevorzugt. Das intensiviert den Gedanken, sich mit dem Thema zu befassen“, sagte Reinhardt. Es wundere ihn, dass dies in der politischen Debatte in Deutschland bisher keine Rolle gespielt habe.
In der kommenden Woche wird der Bundestag das erste Mal über eine Neuregelung der Organspende debattieren. Zur Diskussion steht dabei unter anderem die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagene Widerspruchslösung.
Danach wird automatisch jeder zum Organspender, der nicht zu Lebzeiten widersprochen hat. Reinhardt nennt das eine gute Lösung. „Länder wie Spanien, in denen es die Widerspruchslösung gibt, haben eine deutlich höhere Zahl von Transplantationen. Das erhoffe ich mir auch für Deutschland“, erklärte er.
Stiftung Patientenschutz zum deutschen Organspendesystem: Der Staat sollte mehr Macht bekommen
Epoch Times1. Juni 2019
Bisher sind die Schlüsselfunktionen wie Organisation und Durchführung von Organspenden von privatrechtlichen Akteuren besetzt, erklärt Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Selbst bei den Verteilungsregeln und der Kontrolle sei der Staat weitestgehend außen vor. Er fordert eine Änderung.
Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz verlangt mehr Verantwortung für staatliche Institutionen beim Thema Organspende.
Er forderte, die Verantwortung für das Transplantationssystem auf eine staatliche Institution zu übertragen. Bisher seien die Schlüsselfunktionen wie Organisation und Durchführung von privatrechtlichen Akteuren besetzt.
Selbst bei den Verteilungsregeln und der Kontrolle sei der Staat weitestgehend außen vor. Daher sei es nicht verwunderlich, dass letztlich nur 36 Prozent einen Organspendeausweis besäßen, kritisierte Brysch.
Die Stiftung Patientenschutz kritisierte weiterhin, das alle bisherigen Bemühungen und Gesetzentwürfe zum Thema Organspende die Gerechtigkeitsfrage außer Acht lassen. Das Vertrauen in die Gerechtigkeit sei aber „eine Voraussetzung für eine positive Stimmung bei der Organspende“.
Ältere Bürger zweifeln an der Gerechtigkeit im Organspendersystem
Vor allem ältere Bundesbürger haben Zweifel an der Gerechtigkeit des Organspendesystems. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) halten das Transplantationssystem in Deutschland nicht für gerecht, wie aus einer Umfrage der Deutschen Stiftung Patientenschutz hervorgeht, die der Nachrichtenagentur AFP am Samstag vorlag. Die Hälfte der Befragten (50 Prozent) hält das System hingegen für gerecht.
Erhebliche Unterschiede zeigen sich in den Altersgruppen. Während bei den 14- bis 29-Jährigen fast zwei Drittel (65 Prozent) meinen, dass das Organspendesystem gerecht sei, sinkt die Zustimmung mit dem Alter.
Bei den 30- bis 59-Jährigen denkt weniger als die Hälfte so (47 Prozent), bei den über 60-Jährigen halten nur 44 Prozent das System für gerecht. Das Marktforschungsunternehmen Kantar hatte für die Erhebung Mitte Mai 1025 Menschen ab 14 Jahren befragt.
Tag der Organspende in Kiel
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb zum Tag der Organspende am Samstag erneut für die sogenannte Widerspruchslösung. „Ich finde, jeder Mensch sollte sich zumindest ein Mal im Leben mit dem Thema Organspende auseinandersetzen“ erklärte Spahn auf Twitter. Angesichts des großen Mangels an passenden Organen in Deutschland dankte Spahn den Spendern: Leben zu schenken bedeute „größtmögliche Solidarität“.
Der Tag der Organspende findet jährlich am ersten Samstag im Juni statt, zentraler Veranstaltungsort war in diesem Jahr Kiel. „Bei Begegnungen mit Menschen, die dank einer Organspende noch am Leben sind, kann man hautnah erleben, wie lebenswichtig Organspende ist“, sagte Spahn in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt.
In einem Gastbeitrag für die „Passauer Neue Presse“ vom Samstag hatte Spahn zuvor betont, dass es bei der Widerspruchslösung keinen Automatismus gebe. Volljährige Bürger als potenzielle Organspender sollten künftig „dreimal angeschrieben und auf diese Rechtsänderung hingewiesen“ werden – „und sie können jederzeit widersprechen“, schrieb der Minister. Falls dies nicht zu Lebzeiten passiere, würden die Angehörigen nach dem Willen der Verstorbenen gefragt.
„Die einzige Pflicht wäre, sich Gedanken zu machen“, erklärte der Minister. „Ich finde, ein ‚Nein‘ auszusprechen, ist angesichts der bedrückenden Lage auch in unserer freien Gesellschaft zumutbar.“
AfD: Widerspruchslösung und Zwangsmaßnahmen
Bei der Organspende gilt bislang die sogenannte Entscheidungsregelung, derzeit stehen bundesweit etwa 10.000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
Spahn setzt sich mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach für die Widerspruchslösung ein; Kritiker, vor allem Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Chefin Katja Kipping, setzen stattdessen auf mehr Information und Beratung und stellten einen eigenen Gesetzentwurf vor.
Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Axel Gehrke, bekräftigte am Samstag die Forderung der AfD nach einer „Vertrauenslösung“. Eine Widerspruchslösung werde „allein schon durch die damit verbundene Zwangsmaßnahme eher das Gegenteil erreichen“, kritisierte er. (afp/dpa)
TUM VORTRAG
Freisinger Forscherin: Das Schwein als künftiger Organspender
„Schwein gehabt“ könnte es bald schon heißen, wenn Menschen ein Spenderorgan brauchen. In Freising referierte Forscherin Prof. Angelika Schnieke.
Freising– Sicher erinnern sich viele noch an Dolly, das erste Schaf aus der Retorte. In den 1990er-Jahren schaffte es ein Team aus Wissenschaftlern, das Tier aus einer einzigen Zelle zu reproduzieren. Eine von ihnen war Professor Angelika Schnieke. Seitdem hat sich viel getan in der Forschung und Schnieke arbeitet heute an ihrem Lehrstuhl für Biotechnologie an der TUM daran, das Schwein zum Organspender des Menschen zu machen. In der beliebten Reihe „Wissensschaft für alle erklärt“ gab die Professorin jetzt Einblick in ihr Fach.
Dabei musste man als Zuhörer konzentriert dabei sein. Biotechnologie, Genforschung – ein komplexes Thema, das für Normalsterbliche schwer zu greifen ist. Noch schwieriger wird es, wenn die Folien in der Präsentation vor allem auf Englisch sind. Doch die Zuhörer lauschten gespannt, zu faszinierend fanden sie wohl die Vorstellung, dass ein Schweineherz einmal ihr Leben retten könnte.
Nur drei von 1000 Organen sind tauglich
Dass die Forschung nach alternativen Organspendemöglichkeiten enorm wichtig ist, zeigte Angelika Schnieke gleich zu Beginn auf. Deutschland sei im europaweiten Vergleich am unteren Ende der Liste, wenn es um die Spenderwilligkeit geht. Aber selbst wenn mehr Menschen spenden würden: „Es sind ohnehin nur drei von 1000 Organen tauglich“, sagte sie und folgerte: „Ein Mangel wird bleiben.“ Und hier kommt das Schwein ins Spiel, das Säugetier, dessen Organe denen des Menschen physiologisch sehr ähnlich sind. Langfristiges Ziel ist es, die Organe des Tieres genetisch so zu verändern, dass sie der menschliche Körper nicht mehr abstößt. Xenotransplantation nennt man das dann, die Transplantation zwischen zwei Spezies.
Algen sind die Lösung
Klingt verrückt? Ist aber mehr als reine Zukunftsmusik. Schweineherzklappen werden bereits transplantiert. Auch sogenannte Inselzellen, eine Zellgruppe in der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produziert, können bereits verpflanzt werden. Damit sie vom Körper nicht abgestoßen werden, müssen sie derzeit in einem kleinen Container in die Bauchdecke eingesetzt werden. Und weil die Zellen so nicht mit Sauerstoff versorgt werden, muss der von außen zugeführt werden. „Da hängen Schläuche aus dem Bauch, das ist noch nicht so optimal“, zog Schnieke Bilanz. Allerdings könnten Algen im Container die Lösung sein. Die würden durch Lichtbestrahlung Sauerstoff produzieren. Daran arbeitet man gerade. Ganze Organe hat man auch schon in Tierversuchen transplantiert. So hat zum Beispiel ein Affe mit einem zusätzlichen Schweineherz drei Jahre überlebt.
Die Sache mit den Inselzellen
Problem bei allen Transplantationen: ein Zuckermolekül, das sogenannte Alpha-Gal, aufgrund dessen der Mensch das Organ sofort abstößt.
Um das zu verhindern, wollen die Forscher die Schweinegenetik verändern. Das könnte auch andere menschliche Probleme lösen, etwa Fleischallergien. In etwa fünf Jahren soll die Methode mit den Inselzellen klinikreif sein, die Sache mit dem Herz allerdings frühestens erst in zehn Jahren.
Aber die Forschung schreitet weiter voran. Dann könnte man bald sagen „Schwein gehabt“.
Stand: 27.05.2019
Organspende: Ziel ist, den Empfängern Gutes zu tun
von Andreas Schmidt
Bundesweit warten fast 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Viele sterben, bevor sie eine rettende Spende erhalten können. Am 1. Juni ist Tag der Organspende. Im Schleswig-Holstein Magazin widmen wir dem Thema eine ganze Wochenserie: Wie ist es, jahrelang auf ein Organ zu warten, wie lebt es sich mit Organen eines anderen Menschen im eigenen Körper, wie läuft eine Spende ab?
Das Leben sucht sich seinen Weg, genau wie der Tod. Diesmal war es an einem Sonntagmorgen im Mai, als der Anruf kam. Im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg ist eine Patientin verstorben. Der Kieler Chirurg Dr. Jan Beckmann fährt hin, um ihre Organe zu entnehmen. "Das ist für uns ein professionelles Herangehen und das Ziel dabei ist, am Ende auch den Empfängern mit den Organen Gutes zu tun", erklärt Beckmann. "Das ist sicherlich manchmal nicht ganz einfach. Jetzt bei älteren Personen ist es für uns vielleicht auch einfacher. Aber es gibt natürlich auch Situationen, wo Kinder zur Organentnahme anstehen. Da ist es für alle Beteiligten nochmal deutlich belastender", so Beckmann.
Die Vorbereitungen laufen den ganzenTag
Die Körperfunktionen der Patientin werden bis zur Organentnahme künstlich aufrecht erhalten. Ein irritierender Anblick: Der Brustkorb hebt und senkt sich, aber nur durch die Beatmungsmaschine. Schon den ganzen Tag über laufen die Vorbereitungen. Die Frage ist, ob die Organe gesund genug für eine Transplantation sind. Jan Beckmann wird es erst nach der Operation wissen.
Auch juristisch sind die Hürden für die Organentnahme genommen. Nach dem Organspendenskandal vor sieben Jahren sind die Regeln noch einmal verschärft worden. Richtig findet Beckmann. Er braucht Sicherheit. Denn er arbeitet in einem Grenzbereich. In diesem Fall ist die Zustimmung der Patientin eindeutig durch ihren Spenderausweis nachvollziehbar. Die ältere Frau ist nach einem erfüllten Leben gestorben. Schon vor der Operation waren Leber und Nieren der Verstorbenen an Kranke vergeben. Wer die Organe erhält und wo sie eingesetzt werden, das bleibt geheim.
Jeder sollte sich entscheiden - und darüber sprechen
Für niemanden im OP-Saal ist das hier leicht. "Man steht auch so ein bisschen vor der Frage, wie würde ich reagieren, wie würde ich für meine Angehörigen entscheiden", sagt Dr. Ingo Meisenburg von der Deutschen Stiftung Organspende. "Deswegen finde ich es auch so wichtig, dass jeder seine Entscheidung selber trifft und auch darüber spricht. Denn es ist oft eine große Last für Angehörige, eine solche Frage entscheiden zu müssen, so Meisenburg.
In diesem Fall war die Organspende eindeutig von der Patientin bestimmt. Das ist Beckmann am liebsten. Eine Leber kann etwa zwölf Stunden außerhalb eines Körpers überleben, eine Niere sogar 24 Stunden. Einpflanzen werden sie andere Chirurgen in den Empfängerkliniken. Vorher untersuchen Spezialisten noch Gewebeproben, damit nicht doch eine bislang unentdeckte Krankheit mit verpflanzt wird.
Eine Tote - und drei Menschen können wieder hoffen
Jan Beckmann ist fertig: "Gerade am Anfang handelt es sich eigentlich um eine normale Operation, wir machen einen Hautschnitt, der Patient ist anästhesiologisch betreut. Insofern ist das zu Beginn eine gewohnte Situation. Aber das Ende ist sicherlich abweichend", erklärt Beckmann sichtlich erschöpft. Zwei Nieren, eine Leber. Drei Menschen, die dem Tod nahe sind, können jetzt auf das Leben hoffen. Und die Chirurgen haben am nächsten Tag um sieben wieder Dienst.
Forscher regenerieren Schweineherzen: Hilfe bei geschädigten Spenderlungen?
Der Mangel an Organspenden ist ein großes Problem. Einen möglichen medizinischen Ausweg haben US-Forscher geprüft. Der Wert für die klinische Praxis sei allerdings
begrenzt, gibt ein Experte zu bedenken.
New York
Mit dem Ziel, die Zahl verfügbarer Spenderlungen zu erhöhen, haben Wissenschaftler ein Verfahren zur schnellen Lungenregeneration entwickelt. Dabei wird das Organ außerhalb des Körpers therapiert, um es in einen Zustand zu bringen, in dem es für die Transplantation geeignet ist. „Bemerkenswerterweise werden bis zu 80 Prozent der gespendeten Lungen nicht verwendet, häufig als Folge einer Verletzung zum Zeitpunkt des Todes“, erläutern die Forscher um Matthew Bacchetta von der Vanderbilt University in Nashville (Tennessee/USA) in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.
Eine Ursache für Verletzungen ist das Verschlucken von Erbrochenem, das durch den hohen Säuregehalt die Luftwege der Lunge verätzt. Bacchetta und Kollegen entwickelten und testeten eine Methode, um solche Verletzungen schnell zu kurieren und die Lunge in einen transplantationsfähigen Zustand zu versetzen.
Schon nach 18 Stunden hatte sich die Lunge erholt
Die Forscher verwendeten Schweine als Modellorganismen. Sie platzierten Mageninhalt mit einem pH-Wert von 2 (sehr sauer) in einen Lungenflügel. Nach sechs Stunden entnahmen sie die komplette Lunge und schlossen den Blutkreislauf über Kanülen außerhalb des Körpers an ein zweites Schwein an („Cross Circulation“). Dann wurde die Lunge künstlich beatmet und die Wissenschaftler führten therapeutische Maßnahmen durch: Sie spülten innerhalb von 15 Minuten dreimal die Luftwege der Lunge. Dann ersetzten sie den oberflächenaktiven Stoff (Surfactant). Schließlich ergriffen sie Maßnahmen, um möglichst viele Lungenbläschen zu reaktivieren.
Während der Prozedur und des Heilungsprozesses maßen die Forscher zahlreiche biologische Funktionen, zum Teil über Biomarker. Schon nach 18 Stunden hatte sich die Lunge gut erholt. Nach 36 Stunden war der verletzte Lungenflügel zwar noch nicht wieder komplett regeneriert, doch waren die Werte so gut, dass die Lunge hätte transplantiert werden können. Die Forscher testeten ihr Verfahren an insgesamt acht Schweinen. Außerdem zeigten sie, dass der Heilungsprozess mit einer weiterentwickelten Thermografietechnik gut überwacht werden kann.
Methode in der Praxis ungeeignet?
Als Einschränkung ihrer Studie geben die Forscher an, dass nur eine von vielen Verletzungsarten getestet wurde und auch nur an einem Lungenflügel. Auch müssten in weiteren Studien die Auswirkungen der Immunsuppression – der Unterdrückung des Immunsystems zur Verringerung der Abstoßungsreaktion – untersucht werden. Jedes Jahr stürben Tausende Patienten, während sie auf geeignete Organe für die Transplantation warteten, schreiben die Forscher. „Die Wiederherstellung eines ungeeigneten Organs kann ihre einzige Chance für eine Transplantation und ein Überleben darstellen.“
Für grundsätzlich gut gemacht hält Gregor Warnecke von der Medizinischen Hochschule Hannover die Studie, an der er nicht beteiligt war. Ihm gefällt der Ansatz, dass im Tiermodell genau definierte Schäden zugefügt wurden, um exakte Messungen des Therapie- und Heilungsprozesses vornehmen zu können. Allerdings hält er die Behandlung der Lunge außerhalb des Körpers in der „Cross Circulation“ für veraltet: „Seit es Herz-Lungen-Maschinen und auch spezielle Organperfusionsmaschinen gibt, ist diese Methode eigentlich obsolet und beim Menschen auch im Grunde undurchführbar.“
Warnecke, der auch stellvertretender Vorsitzender der Kommission Herz/Lunge bei der Deutschen Transplantationsgesellschaft ist, sieht den Wert der Studie für die klinische Praxis als recht begrenzt an.
Von RND/dpa
Politik
Bundestag will Anfang Juni über Organspende beraten
Donnerstag, 16. Mai 2019
Berlin – Über eine Reform der Organspende will das Parlament in der ersten Juniwoche beraten. Das kündigte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach heute vor der Presse an. Zur Debatte stehen zwei Vorschläge, mit denen die derzeitige Situation des Mangels an Spenderorganen verbessert werden soll.
Der am 1. April von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lauterbach sowie weiteren Abgeordneten vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“ sieht im Kern vor, dass jeder volljährige Mensch in Deutschland automatisch als Organspender gilt – es sei denn, er hat dem widersprochen.
Seit dem 6. Mai liegt zudem ein Alternativvorschlag einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus Union, SPD, FDP, Linken und Grünen um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock vor. Ihr Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsfreiheit bei der Organspende“ setzt explizit auf eine bewusste und freiwillige Entscheidung der Menschen und deren ausdrückliche Zustimmung zur Organspende.
Für Lauterbach ist es zwar „großartig“, dass es diesen Alternativvorschlag gibt. Er sei ein guter Anstoß für die Debatte. „Inhaltlich geht er aber nicht weit genug“, sagte er. Allein durch die Einführung eines Onlineregisters sei kein Effekt auf die Zahl der gespendeten Organe zu erwarten.
„Wir drehen mit dem Vorschlag nur eine weitere Zeitschleife“, kritisierte er. Auch die bisherigen Bemühungen bei der Entscheidungslösung hätten schließlich nicht ausreichend gefruchtet. „Die einzige Möglichkeit zur Steigerung der Spenderzahlen ist die Widerspruchslösung“, betonte er.
Ob man tatsächlich eine doppelte Widerspruchslösung braucht, wie von Spahn und Lauterbach gefordert, war indes bei den Ärzten und Juristen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei ihrem Treffen Mitte April umstritten.
Befürworter wie Bernhard Banas, Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, und Henning Rosenau, Direktor des Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrums Medizin – Ethik – Recht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sind sich sicher, dass durch eine Einführung der Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden um 20 bis 30 Prozent ansteigen würde. Sie plädierten für einen „Kulturwandel“ pro Organspende: „Wir brauchen eine gesellschaftliche Übereinkunft, dass man mit Organspende Leben retten kann.“
Kritiker der Widerspruchslösung hielten dagegen, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Organspender um 16 Prozent zugenommen, die Zahl der Organ-Transplantationen aber um 30 Prozent abgenommen habe. „Auch in den Ländern mit einer Widerspruchslösung sind die Organspenden nicht automatisch hoch gegangen“, betonte der Theologe Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg.
Mehr als 60 Prozent der Deutschen wären bei Widerspruchslösung Organspender
Mittwoch, 15. Mai 2019
Berlin – Fast zwei Drittel der Deutschen wären Organspender, wenn sie diesen Status automatisch von Geburt an hätten. Aktuell besitzen gerade einmal 36 Prozent der Bundesbürger einen Organspenderausweis. Diese große Lücke ist der bestehenden Zustimmungslösung geschuldet. Das stößt bei vielen Menschen in Ländern mit Widerspruchslösung auf Kritik, wie der Stada-Gesundheitsreport 2019 zeigt.
63 Prozent der deutschen Teilnehmer gaben demnach an, dass sie ihren Status als Donor beibehalten würden, wenn auch hierzulande ein passives System bestünde. Unter den rund 18.000 Befragten waren jeweils rund 2.000 Befragte aus Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Serbien, Spanien und dem Vereinigten Königreich. Die Befragung wurde vom Marktforschungsinstitut Kantar Health im Auftrag der Stada Arzneimittel AG durchgeführt.
Bei einer Pressekonferenz in Berlin wurde deutlich, dass in Deutschland – wie auch in Großbritannien, das ebenfalls auf eine Zustimmungslösung setzt – ein großes ungenutztes Potenzial an Organspendern existiert.
Die anderen sieben untersuchten Nationen haben eine Widerspruchslösung. Dort ist nicht nur die Zahl der Organspender höher als in der Bundesrepublik, die Bevölkerung der Länder kritisiert teilweise auch das Zustimmungssystem: Knapp die Hälfte der Befragten hält das Vorgehen von Deutschland und Großbritannien für wenig sinnvoll. 22 Prozent sind sich sicher, dass dadurch viele Organspender verloren gehen, weitere 24 Prozent halten die Organspende ohnehin für ihre Pflicht.
Gene sind Privatsache
Eine weitere Frage war, wie offen die verschiedenen Nationen gegenüber neuen Trends in der Medizin sind und wie sehr sie noch auf die klassische Medizin vertrauen. Die Deutschen schnitten in beiden Punkten unterdurchschnittlich ab. Der Gesundheitsreport zeigt, dass die Deutschen offenbar am ehesten auf die eigenen Erfahrungen vertrauen und sowohl technischem als auch medizinischem Fortschritt skeptischer gegenüberstehen als der Rest Europas.
Würde der Arzt zum Beispiel einen Gentest empfehlen, um Gesundheitsrisiken besser abschätzen zu können und eine bessere Behandlung anzubieten, würden nur 42 Prozent vorbehaltlos zustimmen. In allen anderen befragten Ländern liegt der Wert bei über 60 Prozent.
Besonders skeptisch sind deutsche Frauen und die Befragten zwischen 35 und 49 Jahren, von ihnen würden nur 39 bzw. 37 Prozent vorbehaltlos zustimmen. Weitere 24 Prozent der Deutschen würden zwar zustimmen, sich dabei aber sehr unwohl fühlen. Jeder Dritte lehnt kategorisch ab. Warum? Fehlendes Vertrauen in die Richtigkeit des Tests (8 Prozent) oder Angst, dass die eigenen Ergebnisse in die „falschen Hände“ geraten (4 Prozent). Und jeder Fünfte sagt, er möchte gar nicht wissen, welche Risiken ihn erwarten.
In anderen Nationen steht man Gentests offener gegenüber, in Spanien etwa würden 90 Prozent der Befragten einen Test durchführen lassen, wenn der Hausarzt es empfehlen würde. Ein durchaus überraschendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass nur im Schnitt 24 Prozent der Befragungsteilnehmer in Europa überhaupt wissen, was bei einem Gentest untersucht wird und was damit entdeckt werden kann.
„Dieses Ergebnis zeigt zum einen den Einfluss, denn der Hausarzt auf seine Patienten hat, andererseits aber auch große Wissenslücken“, sagte Tim Irfan von Kantar Health, der die Ergebnisse der Befragung vorstellte.
Grundsätzlich zeigt der Report auf, dass es beim Gesundheitswissen der Europäer noch Nachholbedarf gibt. Von den rund 18.000 Teilnehmern beantworteten nur 51 alle sechs gestellten Wissensfragen – wie „Was ist ein Generikum?“, „Was ist ein Biosimilar?“ „Was sind Probiotika?“) korrekt. Spitzenreiter war Spanien (15 Teilnehmer, die alle Fragen beantworten konnten), Deutschland bewegte sich mit fünf „Alleswissern“ im unteren Mittelfeld.
OP vom Roboter stößt auf Ablehnung
Ein ähnlich kritisches Bild wie bei den Gentests zeigt sich in Deutschland auch bei anderen zukunftsrelevanten Fragen: 49 Prozent der Bundesbürger können sich vorstellen, vom Arzt eine Diagnose via Webcam zu bekommen. Nur in Belgien sind noch weniger Menschen offen für die zeitsparende Art der Kommunikation mit dem Arzt. Biosensoren zur Überwachung von Gesundheitsdaten würden 29 Prozent der Deutschen nutzen, im europäischen Durchschnitt sind es 38 Prozent, Spitzenreiter ist Spanien mit 49 Prozent.
Beim Blick in die fernere Zukunft lehnt jeder zweite Deutsche eine Operation von einem Roboter kategorisch ab. Nur in Serbien sind es noch mehr. In Italien beispielsweise würden sich zwei Drittel der Bevölkerung vom Roboter operieren lassen. Besonders skeptisch in Deutschland sind in diesem Punkt wieder Frauen – von ihnen würden sich nur 42 Prozent von einem Roboter operieren lassen.
Angesichts dessen, dass roboterassistierte Operationen bereits gang und gäbe seien, bestehe hier offenbar dringen Aufklärungs- und Informationsbedarf, sagte Tim Irfan von Kantar Health.
Misstrauen gegenüber Schulmedizin
Aber auch der klassischen Schulmedizin stehen die Deutschen offenbar mit Skepsis gegenüber. Nur 23 Prozent der Bundesbürger vertrauen dieser völlig, 39 Prozent immerhin im Großen und Ganzen. Besonders misstrauisch sind erneut Frauen und die Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen, also diejenigen, die auch den Gentest am häufigsten kategorisch ablehnen. Im Ländervergleich haben nur Russland, Polen und Serbien noch weniger Vertrauen in die Schulmedizin.
Worauf vertrauen die Deutschen dann? Auf sich selbst. Bei Anzeichen einer leichten Erkrankung, etwa Magen- oder Erkältungsbeschwerden, greifen 49 Prozent auf Hausmittel wie Hühnerbrühe oder Wärmflasche zurück, der mit Abstand höchste Wert in allen neun befragten Ländern. Im europäischen Durchschnitt setzen nur 27 Prozent zuerst auf Hausmittel, in Italien sogar nur 14 Prozent.
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30.04.2019
Bad Oeynhausen (WB). Israelische Forscher haben jüngst mit einem
3D-Drucker ein Mini-Herz aus menschlichem Gewebe erzeugt. Der
Prototyp, dessen Zellen sich noch nicht synchron zusammenziehen
können, hat die Größe eines Hasenherzens. Es besteht aus Gewebe
und Blutgefäßen und verfügt über Kammern. Über die
Forschungsarbeit der Universität Tel Aviv hat diese Zeitung mit Prof.
Dr. Jan Gummert, Ärztlicher Direktor am Herz- und
Diabeteszentrums (HDZ), gesprochen. Die Fragen stellte Claus
Brand.
?Was ging Ihnen spontan durch den Kopf, als Sie vom Mini-
Herz aus dem 3D-Drucker gehört haben?
Prof. Jan Gummert: Ein spannendes Forschungsergebnis, über das
aber viel zu früh und so prominent berichtet wird. Vielen Patienten
wird dann wieder Hoffnung gemacht, die so nicht gerechtfertigt ist.
Anfragen, ob wir unseren Patienten, die auf ein Herz warten, nun
ein Herz drucken würden, gab es zum Glück nicht.
?Wie würden Sie dem medizinischen Laien das
Druckverfahren erklären?
Gummert: Im Gegensatz zu leblosen Materialien, die beim 3DDruck
genutzt werden, wurden hier lebendige Zellen verwendet. Der
Computer, der den 3DDrucker steuert, wählt dann statt
verschiedenen Farben oder Materialien unterschiedliche Zellen aus,
die mit Hilfe von Stabilisierungsmaterialien Schicht für Schicht zu
einem großen Zellklumpen angehäuft werden.
?Bis Patienten profitieren können, wird es wohl noch viele
Jahre dauern. Was ist Ihre Einschätzung zum Zeitfenster?
Gummert: Solange es kein funktionstüchtiges Tiermodell gibt, ist es
unverantwortlich, ein Zeitfenster für die klinische Einführung zu
nennen.
?Wo sehen Sie die Probleme auf dem Weg der
Weiterentwicklung der Forschungsergebnisse aus Tel Aviv?
Gummert: Entscheidende Hindernisse auf dem Weg zu ersten
Tierversuchen müssen noch überwunden werden. Die mit dem
3DDrucker aufgeschichteten Zellen arbeiten nicht miteinander, was
aber für ein funktionierendesHerz eine zwingende Voraussetzung ist.
Auch muss das Verfahren für größere Herzen funktionieren, was
noch nicht gezeigt wurde. Die Durchblutung eins funktionstüchtigen
Herzens ist außerdem viel komplexer als ein nicht arbeitendes Herz.
?Ist der Begriff »Medizinischer Meilenstein« in diesem
Zusammenhang zutreffend? Gummert: Den Begriff
»Medizinischer Meilenstein« schätze ich überhaupt nicht. Dadurch
werden unberechtigte Hoffnungen bei Patienten geweckt, die nur
selten erfüllt werden können. Bei einem solchen Forschungsprojekt
sollte von einem »Meilenstein in der Grundlagenforschung«
gesprochen werden.
?Gibt es einen Bezug dieser Forschungsarbeit zum Herz und
Diabeteszentrum?
Gummert: Die im HDZ durchgeführte Transplantationsforschung ist
patientennah und beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung
schonenderer Therapieformen zur Vermeidung von Abstoßungen.
?Sie treffen einen der Forscher aus Israel. Welche
Frage/Fragen stellen Sie ihm? Gummert: Welche konkreten
Schritte sind als nächstes geplant, um die dann angekündigten
Tierversuche durchführen zu können
? Welche Techniken kommen in Frage, damit die Zellen koordiniert
arbeiten und das ausgedruckte Herz wirklich Blut pumpen kann?
?Sehen Sie ein ethisches Problem im Zusammenhang mit
dieser Forschungsarbeit? Gummert: Ethische Probleme sehe ich
bei dieser Forschungsarbeit überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Bei
diesem Projekt werden – anders als bei der Diskussion um die
Forschung mit embryonalen Stammzellen – die körpereigenen
Zellen verwendet, die letztlich der eigenen Genesung dienen. Das
wäre bei einer möglichen klinischen Anwendung ein sehr großer
Vorteil.
?Angenommen, eine Weiterentwicklung gelingt: Wo liegt der
Vorteil eines solchen Herzens bei der Behandlung eines
Patienten? Gummert: Der große Vorteil wäre, dass solche Herzen
vom Immunsystem des Patienten nicht
abgestoßen würden. Daher könnte man dann nach einer
Transplantation auf abwehrschwächende Medikamente verzichten.
Die abwehrschwächenden Medikamente führen bei einigen Patienten
zu Nebenwirkungen wie Infektionskrankheiten oder
Tumorerkrankungen.
?Laut der israelischen Forscher soll versucht werden, in
absehbarer Zeit solche Herzen oder deren Weiterentwicklung
an Hasen oder Ratten in Tierversuchen zu testen.
Realistisch? Gummert: Das kann ich auf Grund der mir zur
Verfügung stehenden Informationen nicht seriös beurteilen. Auf
jeden Fall müssen noch viele grundlegende Probleme gelöst werden,
bevor Tierversuche möglich sind. Und das kann dauern.
?Was wünschen Sie den Forschern aus Israel? Gummert: Vor
allem gratuliere ich ihnen zu diesem innovativen Ansatz und drücke
die Daumen, dass dieses wirklich schwierige Projekt in absehbarer
Zeit weitere Fortschritte macht.
Justiz
Urteil: Keine Kosten-Erstattung für illegale Organspenden
Von dpa
17.04.2019, 14:00
Berlin. Ein Deutscher, der sich in den Niederlanden die Niere eines Mannes aus Sierra Leone implantieren ließ, muss dafür nach einem Berliner Urteil selbst zahlen. Die Krankenkasse müsse die Kosten nicht übernehmen, da die Transplantation nach deutschem Gesetz nicht zulässig gewesen sei, teilte das Sozialgericht in der Hauptstadt am Mittwoch zu dem Urteil mit. Ein Versicherter dürfe sich in einem anderen EU-Staat nur die von den deutschen Krankenversicherungen vorgesehenen Leistungen beschaffen. (Aktenzeichen: S 76 KR 1425/17).
Das deutsche Transplantationsgesetz sehe eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Spender und Empfänger vor, hieß es. In dem Fall des 57-jährigen Mannes, der die Niere bekam, sei diese Verbundenheit nicht zu erkennen gewesen. Der Mann aus dem westafrikanischen Land habe sich zu der Spende bereit erklärt, als er den Mann in Deutschland noch nicht persönlich kannte, hieß es im Urteil.
Zwei deutsche Krankenhäuser hatten deshalb die Operation abgelehnt. Der 57-Jährige stand bei der Stiftung Eurotransplant auf der Warteliste für ein Organ, war aber bis zu seiner eigenen Entscheidung nicht berücksichtigt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Berufung ist möglich.
(dpa)
Organspende: "Entscheiden Sie sich!"
Professor Matthias Anthuber von der Universitätsklinik Augsburg sieht es als Bürgerpflicht, sich für oder gegen die Organspende zu entscheiden
von Dr. Achim G. Schneider, 11.04.2019
Herr Professor Anthuber, ab April soll ein Gesetz Kliniken darin stärken, mögliche Organspenden auch zu realisieren. Eine gute Neuerung?
Das Gesetz ist sicher sehr hilfreich. Doch es genügt nicht. So sprechen sich 84 Prozent der Menschen in Deutschland für die Organspende aus, doch nur 36 Prozent dokumentieren das mit einem Spenderausweis. Diese Kluft macht deutlich, dass wir mehr als dieses Gesetz brauchen. Zum Beispiel die Widerspruchslösung, über die aktuell debattiert wird.
Wer nicht schriftlich widerspricht, wäre damit künftig automatisch ein Organspender. Was halten Sie von dem Einwand, dass fehlender Widerspruch nicht einfach als Zustimmung gewertet werden könne?
Manche Kritiker sagen sogar, die Widerspruchslösung entspreche einer Organ-Abgabepflicht und habe mit einer Spende nichts mehr zu tun. Ich halte das für eine falsche Interpretation. Es bestünde lediglich die Pflicht, eine Entscheidung zu treffen und sie bekannt zu geben. Mit einem "Nein" kommt man als Organspender nicht mehr infrage.
Manche halten es für unangemessen, ein "Ja" oder "Nein" zu erzwingen.
Ich meine, man darf das. Wir müssen uns gegenüber dem Staat ständig erklären: Wo wir wohnen, wie viel wir verdienen und so weiter. Wenn wir den Solidargedanken zu Ende denken, können wir auch erwarten, dass Menschen in einer so wichtigen Frage wie der Organspende eine Entscheidung fällen. Und wenn man sich damit gar nicht befassen möchte, stimmt man mit "Nein". Im Übrigen kann man sich jederzeit umentscheiden.
Viele Menschen sehen die Organspende generell positiv, scheuen aber davor zurück, das mit einem "Ja" zu dokumentieren. Woran liegt das?
An diffusen Ängsten und Vorbehalten. So höre ich häufig die Frage: Werden Ärzte mich bei einer schweren Hirnschädigung noch voll behandeln oder eben nicht, weil sie in mir schon den Organspender sehen? Für mich ist das eine abstruse Vorstellung. Denn das käme einer bewussten Tötung gleich.
Besteht nicht eher bei manchen die Sorge, quasi noch am Leben zu sein, wenn Organe entnommen werden?
Viele Menschen, darunter auch Ärzte und Pfleger, haben das Konzept des Hirntods intellektuell noch nicht wirklich durchdrungen. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich vergleiche den Hirntod mit einer inneren Enthauptung. Groß-, Mittel- und Stammhirn sind zerstört und damit auch alle grundlegenden Lebensfunktionen erloschen.
Im Mai 2018 ging ein Fall aus den USA durch die Presse. Ein 13-Jähriger wachte auf, nachdem Ärzte ihn für hirntot erklärt hatten.
In keinem Bericht darüber wird erwähnt, ob nach den bei uns üblichen Standardkriterien eine Hirntod-Diagnostik erfolgt ist. In Deutschland stellen zwei damit erfahrene Ärzte unabhängig voneinander und bei Kindern im zeitlichen Verlauf mehrmals den irreversiblen Hirnausfall fest. Bestätigt werden die klinischen Befunde durch Ergebnisse von technischen Untersuchungen wie Ableitung der Hirnstromkurve, Ultraschall und Angiografie. Ein Irrtum ist unter den hiesigen Bedingungen also ausgeschlossen.
Eine Entnahme findet auch nur statt, wenn die Angehörigen zustimmen.
Diese Situation ist für alle Seiten extrem belastend. Es handelt sich sicher um eines der schwierigsten Gespräche, die man als Arzt führen muss. Die Angehörigen empfinden eine so unglaubliche Trauer, dass sie sich mit dem Gedanken an die Organspende nicht beschäftigen wollen. Auch ihnen würde es sehr helfen, wenn die Entscheidung dafür oder dagegen zu Lebzeiten klar dokumentiert würde.
Sie werben für die Organspende. Was ist Ihr stärkstes Argument?
Man eröffnet damit Todkranken die Chance auf ein längeres, qualitätvolles Leben. Derzeit sterben in Deutschland täglich rund drei Menschen auf der Warteliste. Wenn wir mehr Organspender hätten, könnten wir die Not etwas lindern.
Pro und Contra: Schützt oder entmündigt? SPD-Mann und FDP-
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien will durchsetzen, dass künftig in Deutschland jeder als potenzieller Organspender behandelt wird, wenn er nicht zuvor widersprochen hat.
Karl Lauterbach (SPD) ist einer von ihnen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Fricke (FDP) hält dagegen. In einem "Pro und Contra" für FOCUS Online erklären die beiden Politiker ihre Position.
Pro: Wer nicht widerspricht, ist Organspender
Das Transplantationsgesetz in Deutschland muss dringend geändert werden. Die seit 2012 geltende Entscheidungslösung, nach der nur die Personen als mögliche Spender gelten, die einer Entnahme ausdrücklich zustimmen, ist offensichtlich wirkungslos. Weit über 10.000 Menschen sind auf der Warteliste, und sie warten häufig im Angesicht des Todes. Darunter sind viele Kinder. 2000 Todesfälle pro Jahr sind während der Wartezeiten zu beklagen. Das ist unnötiges Leid. Als Arzt und Politiker kämpfe ich für die Einführung einer Widerspruchslösung.
Pro: Karl Lauterbach (SPD)
Lauterbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, ist
habilitierter Mediziner. Er kämpft – unter anderem mit Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) – für die so genannte Widerspruchslösung. Kernpunkt: Wer nicht
widerspricht, ist automatisch Organspender. Er selbst erklärt sich zur Organspende
bereit.
Jeder, der einer Organspende nicht ausdrücklich widerspräche und diesen Widerspruch dokumentieren ließe, käme grundsätzlich als Spender in Frage. Damit würde der größte Teil der Bevölkerung zu Spendern. Mit der Widerspruchslösung wäre die deutliche Verbesserung möglich, die wir bei den Spenderzahlen brauchen.
Wir könnten damit viele Menschen vor dem Tod retten oder ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Politisch sollten wir uns in diese Richtung bewegen, gesellschaftlich müssen wir diese Diskussion führen. Ein großer Teil der Bevölkerung wäre zur Organspende bereit. Trotzdem wird nur eine Minderheit im Todesfall auch Spender. Die Organisation und die Vergütung der Organentnahme haben wir per Gesetz verbessert, aber das reicht noch nicht. Die Länder mit hoher Transplantationsquote haben fast alle Widerspruchslösungen.
"Kein massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte"
Organspende soll keine Bürgerpflicht werden, sondern nur der Widerspruch, wenn man keine Organe spenden möchte. Und jeder, der sich dagegen entscheidet, entscheidet auch moralisch und bleibt trotzdem weiter Empfänger. Es gibt keine Nachteile. Durch die Widerspruchslösung bringt man Menschen dazu, sich überhaupt erst die Frage zu stellen, ob sie spenden wollen oder nicht. Das schuldet man Schwerstkranken, die auf ein Organ warten.
Einen massiven Eingriff in Persönlichkeitsrechte kann ich dabei nicht erkennen. Die Gesellschaft darf verlangen, dass sich jeder sehr bewusst mit der Frage auseinandersetzt, wie er zur Organspende steht. Die allermeisten Bürger, die sich bisher noch nie mit dem Thema beschäftigt haben, erwarten schließlich, im Fall der Fälle selbst ein Organ zu bekommen. Die Widerspruchslösung wird dieser Anspruchshaltung gerecht. Auch die Angehörigen erhielten ein zusätzliches Widerspruchsrecht, aber nur dann, wenn die Familie nach dem Tod ihres Angehörigen glaubhaft versichert, dass dieser sich gegen die Organspende entschieden hat. Dann werden die Organe nicht gespendet.
Ich bin mir bewusst, dass eine Widerspruchsregelung das Misstrauen gegenüber der Transplantationsmedizin für wenige noch erhöhen könnte. Daher muss alles getan werden, um ein Nein zur Organspende verlässlich zu dokumentieren. Kommt die Widerspruchslösung nicht, stellen wir unsere abstrakten und zum großen Teil unberechtigten Bedenken über das konkrete Leid der Betroffenen. Die Widerspruchslösung ist eine Regelung, die Leid und unnötigen Tod verhindert, aber gleichzeitig auch vor Fehlern und Missbrauch schützt. Das ist aus meiner Sicht eine Regelung, die gut in unsere Zeit passt.
Contra: Der Bürger ist mündig, sich für oder gegen Organspenden zu entscheiden
Die Befürworter der Widerspruchslösung und ich haben etwas gemeinsam: Wir alle wollen mit mehr Organspenden Leben retten. Dabei ist es mir jedoch wichtig, dass die Problemlösung mit den Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam erfolgt – und nicht ohne sie. Unsere interfraktionelle Entscheidungslösung erfüllt diese Anforderung.
In der Debatte über Organspenden werden regelmäßig die tatsächlich erfolgten Organspenden und die Organspendebereitschaft – teilweise bewusst – vermischt. Zwischen ihnen besteht jedoch ein eklatanter Unterschied.
Contra: Otto Fricke (FDP)
Fricke, Haushaltspolitiker und praktizierender Christ, ist dagegen, dass in Deutschland
künftig der Automatismus gilt „Wer nicht widerspricht, ist Organspender“. Er plädiert
– unter anderem mit Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) dafür,
alle Bürger regelmäßig und verbindlich zu ihrer Haltung zur Organspende zu
befragen. Fricke selbst erklärt sich zur Organspende bereit.
Rund 28 Millionen Deutsche haben sich laut Umfragen entschieden, Organe zu spenden. Sie sind also potenzielle Spender. Auf der anderen Seite wurden 2018 nur 3.113 Organe gespendet. Gleichzeitig warteten 9.697 Menschen auf ein Spenderorgan. Diese Zahlen machen deutlich: Die Anzahl der Spender muss erhöht werden. Das ist Ziel unseres Vorschlags einer verbindlichen Entscheidungslösung und auch Ziel des Gegenvorschlags, der Widerspruchslösung.
Wenn der Bürger aber kein Untertan ist, dürfen wir ihn "nur" bitten
Zwischen den beiden Ansätzen gibt es jedoch einen grundsätzlichen Unterschied: das Menschenbild. Ich sehe den Menschen als mündigen Bürger, der sich von sich aus für oder auch gegen eine Organspende entscheidet. Hierbei fehlt es immer wieder an Informationen und der Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Organspendefrage.
Wenn der Bürger aber kein Untertan ist, dürfen wir ihn "nur" bitten, sich damit auseinanderzusetzen. Konkret wollen wir, dass Bürger Informationen und Hinweise auf Ansprechpartner rund um die Organspende erhalten. Insbesondere, wenn sie einen Personalausweis beantragen.
Bewusst aber ist eine Entscheidung bei der Beantragung nicht vorgesehen. Erst bei der Abholung wird nach einer Entscheidung gefragt. Hier gibt es jedoch auch die Möglichkeit anzugeben, dass man sich noch nicht entscheiden kann oder möchte. Geändert werden kann die Entscheidung zudem von jedem selbst, zukünftig zum Beispiel im Rahmen eines elektronischen Registers.
Hier sagt der Staat dem Bürger: Ich als Staat weiß besser, was richtig ist
Die Entscheidung, zu spenden oder nicht zu spenden, trifft der Bürger bei unserer Lösung stets selbst. Das ist mir wichtig, denn meine Überlegungen gehen insbesondere bei diesen Fragen stets vom Grundgesetz aus, welches auf der Idee beruht, dass staatliche Eingriffsrechte immer vom Bürger her gedacht und von seinen individuellen Rechten her abgeleitet werden müssen.
Mit der Widerspruchslösung würde dieser Prozess am Anfang umgekehrt: Der Staat macht den Bürger zum Organspender, der Bürger muss nun agieren und widersprechen, wenn er nicht dem Staat folgen will. Auch eine Absicherung durch den möglichen Widerspruch der Angehörigen gibt es bei der Widerspruchslösung nur, wenn der Verstorbene sich zu Lebzeiten in irgendeiner Form hinreichend zur Organspende geäußert hat.
Hier sagt der Staat dem Bürger: Ich als Staat weiß besser, was richtig ist, statt an die Freiheit des Einzelnen zur Verantwortung zu appellieren. Das ist der falsche Weg: Es geht bei einer Organspende immer um einen Eingriff in den Körper. Automatisch, ohne seinen Willen geäußert zu haben, darf deshalb niemand potenzieller Spender sein, so sehr ich mir möglichst viele potentielle Spender wünsche.
Westfalen Blatt 2. April 2019
Widerstand gegen die Widerspruchslösung
Organspende: Ethiker und Patientenschützer gegen Spahns Vorschlag
Berlin (dpa/epd). Eine Politikergruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stößt mit ihrem Gesetzentwurf zur Organspenderegelung auf Widerstand.
Der Ethikrat-Vorsitzende Peter Dabrock spricht sich gegen den Vorschlag aus, eine höhere Bereitschaft zur Organspende durch eine Widerspruchslösung zu erreichen. »Damit wird für mich der Körper nach dem Hirntod zu einem Objekt der Sozialpflichtigkeit«, sagte der Theologieprofessor gestern im Deutschlandfunk. Der Vorstoß der Widerspruchslösung sei unnötig und schädlich, weil er Vertrauen beschädige und zu kaum mehr Effizienz bei der Organspende führe. In dem Entwurf ist vorgesehen, dass alle Personen ab 16 Jahren ausführlich informiert und als Spender registriert wer
den – außer sie widersprechen. Dabrock sieht zwar einen Unterschied zwischen Hirntod und Tod, hält Organspenden grundsätzlich aber für wichtig und gut, weil sie ein »Akt der Solidarität mit schwerstkranken Menschen« seien. »Wir brauchen eine viel breitere Debatte zu den Schwierigkeiten, die das ganze Transplantationswesen vielen Menschen bereitet, aber nicht, damit wir die Bereitschaft senken, sondern damit wir sie erhöhen.« Auch der Medizinethiker Giovanni Maio lehnt die Einführung einer Widerspruchsregelung ab. »Die Widerspruchslösung führt nicht automatisch zu einer Zunahme an Spenden«, sagte der Freiburger Wissenschaftler im WDR5-»Morgenecho«. Studien in Dänemark und Schweden könnten nicht belegen, dass die Regelung zu mehr Organspenden führe. Vielmehr sei die Organisation
der Spenden maßgeblich. Zugleich beharrte er auf Freiwilligkeit. Die Unverfügbarkeit des menschlichen Körpers werde sonst außer Kraft gesetzt. »Jeder Mensch hat das Recht darauf, dass sein Körper unversehrt bleibt.« Das gelte auch nach dem Tod. »Wir haben ein Empfinden, dass der Körper auch nach dem Tod natürlich etwas mit uns zu tun hat.«
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnt ebenfalls. Bei der Widerspruchsregelung könne von Spende keine Rede mehr sein, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. »Jede Organspende ist eine freiwillige Entscheidung.« Die Widerspruchslösung setze aber darauf, dass die meisten sich nicht mit der Frage beschäftigen und schweigen. »Schweigen heißt aber nicht Zustimmung«, sagte Brysch. Es sei ethisch besonders wertvoll, einem anderen Menschen sein Organ zu schenken. »Doch dieses Geschenk ist nicht mit der Brechstange zu erzwingen.« An Spenderorganen herrscht Mangel. In Deutschland standen zuletzt 9400 Patienten auf den Wartelisten für eine Transplantation. Erstmals seit 2010 war die Zahl der Spender im Vorjahr wieder gestiegen: auf 955.
LEITARTIKEL
Organspende Mein Körper gehört mir – auch im Tod
Von Andreas Schnadwinkel
Vor elf Jahren hat der deutsche Dokumentarfilmer Markus Vetter eine ebenso wahre wie anrührende Geschichte erzählt. Im Westjordanland wird 2005 ein elfjähriger palästinensischer Junge von israelischen Soldaten erschossen, weil er eine echt aussehende Spielzeugwaffe in der Hand hält. Die Ärzte in Haifa stellen den Hirntod fest, die Eltern stimmen der Organspende zu – und retten damit drei israelischen Kindern das Leben. Wer den Film »Das Herz von Jenin« gesehen hat oder sich in Erinnerung ruft, dass der heutige Bundespräsident FrankWalter Steinmeier seiner Frau Elke Büdenbender eine Niere gespendet hat, kann in Organspenden natürlich nur Gutes sehen. Und das stimmt auch, weil in beiden Fällen freiwillige Entscheidungen bewusst getroffen worden sind. Das ist bei dem, was Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und anderen Politikern vorschwebt, nicht so. Die Widerspruchslösung schränkt Freiheitsrechte ein, weil sie im Kern darauf setzt, dass Menschen zu ihren Lebzeiten der Organspende eben nicht explizit widersprechen. Dass die Angehörigen noch gefragt werden sollen, ob sich der Verstorbene irgendwann einmal gegen Organspenden ausgesprochen hat, klingt nicht nur wie eine ProForma-Maßnahme am Sterbebett – in der Praxis wäre es auch genau so. Unser Grundgesetz beginnt mit den Grundrechten. Artikel 1 garantiert die Menschenwürde, Artikel 2 die körperliche Unversehrtheit. Beides reicht über den Hirn- oder Organtod hinaus. Eine Widerspruchslösung widerspricht dem generell. Niemand sollte etwas ablehnen müssen, dem er nie zugestimmt hat. Das Argument, jeder könnte einmal in die Situation kommen, auf ein Organ angewiesen zu sein, und müsse deshalb ganz automatisch auch Spender sein, zieht nicht. Jeder Mensch muss davon ausgehen können, dass sein Körper nach dem Tod unversehrt bestattet wird – und nicht als ausgeschlachtetes Ersatzteillager. Die Hauptursache für Organmangel liegt woanders. Laut einer Studie der Zeitschrift »Deutsches Ärzteblatt« hätte es 2015 insgesamt 2780 Organspenden geben können; es waren aber nur 877, weil in Krankenhäusern potenzielle Organspender zu selten erkannt und gemeldet werden. Hier, und erst einmal nur hier, gilt es anzusetzen. Die Politik wäre gut beraten, wenn sie vorerst die Wirkung des neuen Transplantationsgesetzes abwarten würde. Darin ist vieles enthalten, das Kliniken bei Organspenden hilft.
WESTFALEN-BLATT Nr. 78 Dienstag, 2. April 2019
Zwei Wege zu mehr Organspenden Was die beiden Vorschläge unterscheidet
Berlin (epd/dpa). Zwei Gruppen von Bundestagsabgeordneten setzen sich fraktionsübergreifend für unterschiedliche Wege bei der Neuregelung der Organspende ein. Eine Gruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach hat einen Gesetzentwurf für eine Widerspruchsregelung ausgearbeitet (siehe links). Eine zweite Gruppe um den CDU-Politiker Heribert Hirte und die GrünenVorsitzende Annalena Baerbock lehnt eine Widerspruchsregelung ab und schlägt ein bundesweites Online-Register für Erklärungen zur Organspende vor (siehe rechts). Der Bundestag soll ohne Fraktionszwang über eine Reform entscheiden. Wann, ist noch unklar.
Ärzte Zeitung online, 01.04.2019
Bundestag
Organspende-Debatte startet mit Streit
Widerspruchs- oder Zustimmungsregelung? Bundestagsabgeordnete ringen ohne Fraktionsgrenzen um den Weg zu mehr Organspendern.
Von Anno Fricke
BERLIN. Der Entwurf für eine Reform der Organspende hin zur Einführung einer Widerspruchsregelung hat ein breites Echo ausgelöst.
Professor Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, nannte den Vorstoß einer Gruppe von Parlamentariern am Montag „ethisch unproblematisch“ und „medizinisch wünschenswert“, meldete aber rechtliche Bedenken an. Es gebe in Deutschland keinen Rechtsakt, bei dem Schweigen implizit als Zustimmung gewertet werde, sagte Montgomery.
Der Gesetzentwurf sieht tatsächlich vor, dass jede Person als Organ- und Gewebespender gilt, es sei denn, sie hat zu Lebzeiten widersprochen. Liegt kein Widerspruch vor, sollen die für die Organentnahme verantwortlichen Ärzte bei den nächsten Angehörigen den mutmaßlichen Willen des potenziellen Spenders ermitteln.
Die Autoren bezeichneten ihren Entwurf am Montag als unbürokratisch, ethisch sauber, weil niemand gezwungen werde, Spender zu sein, sowie effizient und sicher, weil es eine doppelte Absicherung gebe.
Register bei der BZgA geplant
Der Vorstoß von Jens Spahn (CDU, Gesundheitsminister), Professor Karl Lauterbach (SPD), Dr. Georg Nüßlein (CSU) und Petra Sitte (Linke) enthält Vorgaben zum Aufbau eines Registers voraussichtlich bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dort sollen Widersprüche, aber auch Zustimmungen dokumentiert werden.
Das Register solle von jeder Arztpraxis angesteuert werden können, so Spahn. Die Ära des Organspendeausweis würde damit auslaufen. Spahn sagte, er könne sich vorstellen, dass die Haltung zur Organspende auch in die elektronischen Patientenakte aufgenommen werden könne.
Die Idee eines solchen Registers reklamiert eine weitere interfraktionelle Parlamentariergruppe für sich, die in den kommenden Wochen einen Alternativvorschlag für eine ausdrückliche „Zustimmungsregelung“ wollen. Dazu soll auch eine Beratung durch den Hausarzt gehören.
Die Haltung zur Spende soll mehrmals im Leben zum Beispiel bei der Erneuerung des Personalausweises abgefragt werden. Aus dieser Gruppe kamen am Montag massive Vorwürfe.
Spahn als unfair dargestellt
Die Widerspruchsregelung sei grundgesetzwidrig, merkte Kathrin Vogler (Linke) an. Zu der konkurrierenden Gruppe gehören unter anderen der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger, die Grünen Annalena Baerbock und Kirsten Kappert-Gonther sowie Karin Maag (CDU).
Ebenfalls dazu gehört die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus. Sie warf Jens Spahn vor, Absprachen gebrochen zu haben. Die konkurrierenden Gesetzentwürfe hätten ursprünglich zeitgleich vorgestellt werden sollen. Dass Spahn nun unfair und übereilt vorgeprescht sei, zeige seine Nervosität, keine Mehrheit zu erhalten.
Spahn verwies hingegen darauf, dass die Debatte im Bundestag parallel verlaufen werde. Der Konkurrenzentwurf, für den sein Ministerium Formulierungshilfe leiste, sei komplizierter und bedürfe daher mehr Zeit für die Ressortabstimmung.
Noch in diesem Jahr will der Bundestag eine Neuregelung auf den Weg bringen, um die Zahl potenzieller Organspender zu
erhöhen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn(CDU) und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbachhaben dazu jetzt
einen gemeinsamen Gesetzentwurf ausgearbeitet, den sie im Parlament zur Abstimmung stellen wollen.
Der Gruppenantrag, der von Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterstützt wird, sieht nach SPIEGEL-Informationen vor, dass jeder Bürger nach seinem Tod als potenzieller Organspender gelten soll - wenn er zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Bürger, die keine Organe spenden wollen, müssten dies in einem Register dokumentieren. Sie könnten dieses Veto jederzeit selbst eintragen oder auch löschen, falls sie ihre Meinung ändern. Auch der Fall, dass eine Organspende ausdrücklich gewünscht wird, soll im Register vermerkt werden können.
"Extrem unbürokratisch"
Ist kein Widerspruch hinterlegt, gilt dies als Zustimmung. Allerdings sollen Angehörige die Organentnahme ablehnen können, wenn sie glaubhaft machen, dass der Verstorbene kein Spender sein wollte, dies aber nicht dokumentiert habe. Um den Schutz der Daten zu gewährleisten, könnte das Register bei einer Bundesbehörde angesiedelt werden.
Lauterbach hielt den Vorschlag auf Anfrage für "extrem unbürokratisch". Das Modell der Widerspruchslösung sei sehr sicher, "weil man ohne große Mühe eine Meinungsänderung dokumentieren kann".
Über die Neuregelung der Organspende will der Bundestag fraktionsoffen abstimmen. Der Ausgang ist noch ungewiss. Mindestens eine Parlamentariergruppe will einen aussichtsreichen Gegenvorschlag für ein Gesetz einbringen. Zu den Initiatoren dieses zweiten Gruppenantrags gehören Grünenchefin Annalena Baerbock und der CSU-Politiker Stephan Pilsinger.
Kommentar
Darum brauchen wir die Widerspruchslösung
Jutta Falke-Ischinger, Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden! e.V.“ über Spahns Vorschlag zur Organspende
von: Jutta Falke-Ischinger, Vorsitzende des Vereins „Leben Spenden!“
veröffentlicht am
25.03.2019 - 15:42 Uhr
Alle politischen Kräfte berufen sich immer wieder auf das Prinzip der Solidarität als Grundbaustein einer demokratischen Gesellschaft. Dies funktioniert auch in vielen Bereichen gut.
Wo es nicht funktioniert, ist bei der Organspende: Nirgendwo in Europa müssen Kranke länger auf ein rettendes Organ warten als bei uns. Deutschland muss hier 30 Jahre aufholen, so moniert es die spanische Transplantationsbehörde.
30 Jahre!
Nun hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Abläufe und Strukturen in Kliniken verbessern soll. Das ist gut und wichtig. Doch Strukturverbesserungen allein schaffen nicht die Trendwende, wie unsere niederländischen Nachbarn nach zehn Jahren Reformen erleben mussten. Sie führen jetzt zusätzlich die Widerspruchslösung ein.
Auch in Deutschland stehen wir nach über 40 Jahren Diskussion vor dieser
Entscheidung. Bisher gibt der Gesetzgeber einen Negativtrend normativ vor:
Niemand ist Organspender – es sei denn, er meldet sich ausdrücklich.
Im Klartext heißt das: Wir sind ein Land, in dem beim Thema Organspende zwar
jeder prinzipiell Empfänger ist, aber nicht Spender. Das ist weder logisch, noch
solidarisch. Und funktioniert auch nicht.
Deshalb brauchen wir die Widerspruchslösung
Da ist es umgekehrt: Spenden ist Normalfall, Nicht-Spenden die Ausnahme. Auf diesem solidarischen Konsens fußt der spanische Erfolg, darauf konnten die Reformen gedeihen und immer ehrgeiziger werden. In Spanien geht man vom Gedanken der Gegenseitigkeit aus: Wir nehmen nicht nur, wir geben auch. Nichts anderes meint die Widerspruchslösung.
Westfalen Blatt 20.03.2019
UniklinikEssen hilft bei Organspende- Fällen
Essen (epd).
Fünf Mediziner des Universitätsklinikums Essen beraten andere
Krankenhäuser, um Organspende Fälle besser feststellen zu können.
Im Bereitschaftsdienst rückten die Mediziner aus,um einen
möglichen Hirntod zu diagnostizieren, erklärte die Uniklinik in Essen.
Ein unumkehrbarer Hirnfunktionsausfall ist Voraussetzung für die
Organspende.Die Kooperation mit der Deutschen Stiftung
Organtransplantation erreicht den Angaben zufolge Krankenhäuser
im Ruhrgebiet, in Westfalen und in Teilen des Rheinlands.
Ulrike Wirges, Geschäftsführende Ärztin der Deutschen Stiftung
Organtransplantation in der Region Nordrhein-Westfalen, betonte
den Modell- und Vorbildcharakter der Kooperation. Sie hoffe, dass
der neurologische Konsildienst von den Krankenhäusern vor Ort
genutzt werde,um dadurch mehr Menschen zu helfen, die ein Organ
benötigen. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie
am Universitätsklinikum Essen, erklärte, die Mediziner wüssten um
die besondere Bedeutung ihres Angebots für die kleineren
Krankenhäuser.
Mindener Tageblatt; 12.03.2019
Warten, bangen, hoffen
Die Zahl der Organspender in Deutschland ist
nach jahrelangem Abwärtstrend wieder
gestiegen. Minden liegt über dem
Bundesschnitt. Doch auch am Klinikum werden
die Ärzte immer wieder mit Ablehnung
konfrontiert.
Von Sebastian Radermacher
Minden (mt).
Es ist ein Satz, der verdeutlicht, wie wichtig
Organspender sind. Und wie wichtig es ist, dass es in
Zukunft mehr von ihnen geben wird. „Viele
schwerkranke Menschen,die dringend ein
Spenderorgan benötigen,müssen damit rechnen,
dass sie auf der Warteliste sterben werden“, sagt
Prof. Dr. Jörg Radermacher. Im Hörsaal 1des
Campus-Geländes am Johannes Wesling Klinikum
(JWK) ist es mucksmäuschenstill. Der Chefarzt, von
2003 bis Ende 2018 Transplantationsbeauftragter am
JWK und ein geschätzter Fachmann auf diesem
Gebiet,steht am Rednerpult und hält einen
Vortrag.Vor ihm sitzen aber keine Studenten,
sondern Politiker Radermacher informiert sie über
die Zahl der Organspender in Minden, über den Weg
vom Erfassen eines Spenders über die Suche nach
einem passenden Empfänger bis hin zur
Transplantation.es Kreis Gesundheitsausschusses. Es
geht auch um die komplexen Aufgaben des
Ärzteteams im JWK, das die Transplantationen
koordiniert,um den Umgang mit Familienangehörigen
und natürlich um die wichtigste Frage bei dem
Thema: Organspende –ja oder nein? Radermacher
persönlich hat sein Einverständnis zur Entnahme von
Organen und Gewebe nach seinem Tod durch die
Unterschrift auf dem Organspendeausweis gegeben.
Er respektiert aber jeden Menschen,der sich nicht
dazu bereiterklärt,das macht der Mediziner in seinem
Vortrag immer wieder deutlich. Mit der Zustimmung
auf dem Papier sei es aber längst noch nicht getan.
Letztlich würden vor jeder Spende immer die
Familien befragt. „Eine Klinik wird gegen den Willen
der Angehörigen keine Organe entnehmen“, stellt
der Chefarzt klar. „Selbst dann nicht, wenn der
Verstorbene dafür seine Unterschrift gegeben hat.“
Warum ist das so?Sollte eine Organspende gegen
den Willen einer Familie in der Öffentlichkeit die
Runde machen, drohten laut Radermacher
verheerende Folgen:„Einmal miese Presse–und das
Thema ist für die nächsten Jahre verbrannt.“
Radermacher berichtet von einer insgesamt guten
Entwicklung: Aktuell stünden laut Umfragen rund 80
Prozent der Bevölkerung dem äußerst sensiblen
Thema positiv gegenüber.Und auch die Zahl der
Spender ist nach langem,teils drastischem
Abwärtstrend wieder gestiegen. 955 Menschen in
Deutschland überließen 2018 nach ihrem Tod Organe
für andere Patienten –im Vergleich zu 2017 bedeutet
dies ein Plus von knapp 20Prozent. „Das ist
erfreulich, die Hysterie ist verflogen“, sagt
Radermacher. Er spielt damit auf den
Transplantationsskandal über manipulierte
Wartelisten mit gefälschten Krankenakten vor
einigen Jahren an.Rückblick:2010 gab es in
Deutschland 1.296 Organspen der.Nachdem der
Skandal an die Öffentlichkeit gelangt war, stürzte die
Zahl in den Keller. Tiefpunkt
war das Jahr2017, als die Deutsche Stiftung
Organtransplantation(DSO) nur noch 797 Spender
registrierte. Auch wenn sich der Trend insgesamt
umgekehrt hat, so bleibt Nordrhein-Westfalen
weiterhin Schlusslicht bei den Organspendern. In
Minden sei die Entwicklung allerdings
zufriedenstellend,wieder Chefarzt ins einem Vortrag
verdeutlicht.Pro Jahr entnehmen externe
Transplantationsteams im JWK durchschnittlich fünf
Spendern Organe. Seit 2009 liege Minden, bezogen
auf die Einwohnerzahl, immer über dem Landes-und
Bundesdurchschnitt. Aber auch im JWK werden die
Ärzte immer wieder mit Ablehnung konfrontiert. Im
vergangenen Jahr seien vier Transplantationen
abgelehnt worden–in zwei Fällen habe es keine
Einwilligungen der Angehörigen gegeben,einmal
habe keine Freigabe durch die Staatsanwaltschaft
vorgelegen und in einem Fall habe ein Patient einen
Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten, erläutert der
Mediziner. Eine Organspende ist nur bei der Diagnose
Hirntod möglich (siehe Info-Kasten).„In der Regel
erhalten wir aber inmer mehr als der Hälfte der Fälle
eine Einwilligung“,betont Radermacher. Eine
Diskrepanz besteht immer noch bei der Zahl der
potenziellen Organspender und derer, denen
tatsächlich Organe entnommen werden. 2018gab es
laut Radermacher in Deutschland 653
„organspendebezogene Kontakte“, aber lediglich163
Spender. Die mittlere Wartezeit zum Beispiel auf eine
Spenderniere betrage aktuell acht Jahre. 96 Monate
warten,bangen,hoffen–dass man am Ende ein Organ
bekommt,das einen am Lebenhält. Der Chefarzt legt
in seinem Vortrag viel Wert auf die Tatsache,dass
Organspenden theoretisch in jedem Alter möglich
sind. „Die gesunde Niere eines 90-Jährigen kann
noch 20 Jahre halten“, betont er. Und auch für
Organe eines zweijährigen Kindes gebe es
Abnehmer,die darauf warten würden. Und wie lässt
sich die Zahl der Organspenderin Deutschland
langfristig erhöhen?Der Chefarzt vom JWK spricht
sich für die im Bundestag diskutierte
Widerspruchslösung aus: Demnach wird im Falle
eines Hirntods automatisch jeder zum potenziellen
Spender, der solch einem Eingriff zuvor nicht
ausdrücklich widersprochen hat. Eine Alternative
könne eine verpflichtende Erklärung zur
Organspende mit Beginn der Volljährigkeit sein, etwa
im Zusammenhang mit dem Führerschein, sagt
Radermacher. Fast alle Länder in Europa haben eine
Widerspruchsregelung eingeführt, in den
Niederlanden tritt das Gesetz zum Beispiel 2020
inKraft.„Die niedrige Zustimmungsrate durch die
Familienangehörigen ist der eindeutig limitierende
Faktor bei der Organspende– da muss man
ansetzen“, fordert der Chefarzt.
Der Autor ist erreichbar unter Telefon (0571) 882
201 oder Sebastian.Radermacher@MT.de
Voraussetzungen für eine Organspende
■ Eine Organspende nach dem Tod (postmortale
Organspende) ist nur möglich, wenn bei der
verstorbenen Person der unumkehrbare Ausfall der
gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) festgestellt
wurde. Die Bezeichnung „Hirntod“ beschreibt einen
besonderen Zustand, bei dem die Gesamtfunktion
des Großhirns, Kleinhirns und Hirnstammes
unwiederbringlich und unumkehrbar ausgefallen ist.
■ Mit der Diagnose Hirntod ist der Tod des Menschen
nach neurologischen Kriterien sicher festgestellt
–eine Rückkehr ins Leben ist ausgeschlossen. Das
Herz-Kreislauf-Systemeiner hirntoten Person kann
durch intensivmedizinische Maßnahmen für eine
begrenzte Zeit künstlich aufrechterhalten werden.
Auf diese Weise werden Organe weiter durchblutet
und können so für eine Transplantation
entnommen werden.
■ Ist hingegen das Herz
Kreislauf-Systemzusammen gebrochen, werden die
Organe aufgrund der fehlenden Durchblutung und
Sauerstoffversorgung zunehmend geschädigt, sodass
sie nicht mehr übertragen werden können. Sollen
keine Organe gespendet werden, werden nach der
Diagnose Hirntodalle intensivmedizinischen
Maßnahmen zeitnah eingestellt.
■ Wer die eigene Entscheidung in einem
Organspendeausweis festhält, schafftKlarheit und
erspart seinen Angehörigen unter Umständen eine
große Belastung: Denn wurde die Entscheidung für
oder gegen eine Organ- und Gewebespende zu
Lebzeiten nicht getroffen oder nicht dokumentiert,
bleibt sie den Angehörigen überlassen. Kennen
diese den Willen der verstorbenen Person nicht, ist
es schwer, in ihrem Sinne zu entscheiden.
(Quelle: www.organspendeinfo.de)
■ Prof. Dr. Jörg Radermacherwar 15 Jahre lang
Transplantationsbeauftragter am Klinikum Minden.
Anfang dieses Jahres haben Oberärztin Dr. Tina
Meister (Operative Intensivstation) und Oberarzt Dr.
Sebastian Heidemeyer (Kardiologie/Intensiv) diese
Aufgabe übernommen. (rad)
Kommentar
Zumutbare Entscheidung Thema: Organspende
–ja oder nein?
Von Sebastian Radermacher
10.000 Menschen in Deutschland warten auf ein
Spenderorgan –teilweise bis zu acht (!) Jahre. Sie
benötigen Hilfe ihrer Mitmenschen, um überleben zu
können.Sollte also jeder bereit sein, nach dem Tod
seine Organe zur Verfügung zu stellen?Wer sich
diese Zahl vor Augen hält, sollte keine Sekunde
zögern –und ein „Ja“ im Organspendeausweis
ankreuzen.
Keine Frage, es ist ein sensibles Thema. Zum einen
musssich jeder, der sich über Organspenden
Gedanken macht,automatisch auch mit dem eigenen
Tod auseinandersetzen.Zum anderen ist das
Misstrauen immer noch groß,seitdem bekannt
wurde, dass Ärzte mit manipulierten Akten ihre
Patienten auf den Wartelisten nach oben bugsieren
wollten.
Jedem mündigen Bürger ist es aber zuzumuten, sich
zu entscheiden. Und egal, ob er für oder gegen
Organspenden ist: Wichtig ist, dass er sich
überhaupt festlegt. Denn sonst überlässt er dies
allein den Angehörigen –und die haben im Todesfall
andere Gedanken im Kopf, als eine solche
Entscheidung zu treffen. Das ist einer der
Hauptgründe, weshalb die Ablehnungsquote
weiterhin hoch ist.
Die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
angestoßene Widerspruchsregelung wäre ein
gewaltiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
des Menschen. Jeder wäre nach dem Tod ein
potenzieller Spender, sofern er zuvor nicht explizit
widersprochen hat. Trotzdem ist der Ansatz richtig
und sinnvoll, denn er schließt die Menschen ein, die
Organe spenden würden, dies aber nicht
dokumentiert haben –aus welchen Gründen auch
immer. Und der freie Wille bliebe ja vorhanden: Ein
„Nein“ bliebe ein „Nein“. In den meisten Ländern
Europas hat sich diese Regelung bewährt,
Deutschland hinkt hinterher. Hoffentlich nicht mehr
lange.
Mehr Zeit und Geld für Organspenden
Oft scheitern mögliche Entnahmen an Hindernissen
in den Krankenhäusern –das soll sich bald ändern
Berlin/Minden (dpa/rad) Mehr Zeit,mehr Geld,
mobile Expertenteams für kleine Krankenhäuser: Um
zu mehr lebensrettenden Organspenden in
Deutschland zukommen, sollen in Kliniken bessere
Bedingungen geschaffen werden. Darauf zielt ein
Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU),
das der Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen
hat und das voraussichtlich im April in Kraft treten
soll. Konkret geht es darum,mehr geeignete
Spenderfinden zu können.„Das gibt den 10.000
Patienten Hoffnung,die auf ein Spenderorgan
warten“, sagte
Spahn. Unabhängig davon läuft im Bundestag eine
Diskussion über neue Regeln,wie sich mehr
Menschen überhaupt über eine Bereitschaft zum
Organspenden klar werden können. Die
Voraussetzungen in den bundesweit rund 1.300
Krankenhäusernf ür Organ-Entnahmen sind aber ein
entscheidender Schlüssel,wie auch Ärzte sagen. Hier
setzt das Gesetz an. Ein Überblick:
Mehr Zeit Seit 2012müssen alle Kliniken
Transplantationsbeauftragte haben, die sich um
Organspenden kümmern–also dass mögliche
Spender identifiziert und gemeldet
werden,Angehörige eine Begleitung bekommen und
auch Ärzte und Pfleger bei dem Thema auf dem
Laufenden bleiben. Künftig sollen die Beauftragten
verbindlich von anderen Aufgaben befreit werden
–durch einheitliche Vorgaben, die sich nach der
Bettenzahl in Intensivstationen richten. In Minden ist
dies bereits der Fall, wie Prof. Dr. Jörg Radermacher
im Kreis-Gesundheitsausschuss berichtete. Die
beiden Transplantationsbeauftragten teilen sich eine
halbe Stelle für diese Aufgaben.
Mehr Geld Kliniken soll der ganze Prozess von
Organspenden besser vergütet werden.Jetzige
Pauschalen seien nicht kostendeckend, und
Engagement führe systematisch zu Verlusten,sagte
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. Das solle sich
ändern,ohne damit Gewinne zu machen. „Wir geben
etwas mehr Geld aus,aber wir sparen
auch“,erläuterte er. So seien Folgekosten
ausbleibender Transplantationen teils höher, etwa bei
dauerhafter Blutreinigung wegen schwerer
Nierenerkrankungen. Laut Entwurf dürften auf die
gesetzlichen Krankenkassen geschätzte Ausgaben
von jährlich mehr als 30Millionen Euro zukommen.
Mobile Expertenteams Geplant ist ein neuer
Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams. Das soll
gewährleisten, dass die medizinischen
Voraussetzungen für Entnahmen überall festgestellt
werden können. Damit will man vermeiden, dass
Spenden in kleinen Kliniken ohne eigene Experten
sonst scheitern. Bis Ende2020sollend ie Akteure des
Gesundheitswesens „eine geeignete Einrichtung“ mit
der Organisation beauftragen.
Weitere Punkte Erleichtert werden soll auch ein
Austausch zwischen Betroffenen –mit Regeln für
anonymisierte Schreiben, mit denen sich
Organempfänger bei den Angehörigen von
Organspendern bedanken können. Kommen soll
auch ein bundesweites Dokumentationssystem der
Kliniken. Erfasst und ausgewertet werden sollen
damit zum Beispiel Gründe, warum ein Ausfall von
Hirnfunktionen nicht festgestellt wurde.
Organspende: Widerspruchslösung in England eingeführt
Mittwoch, 27. Februar 2019
London – Englische Parlamentarier haben laut Medienberichten vom Dienstagabend ein Gesetz zur Neuregelung von Organspenden verabschiedet. Demnach soll künftig von der Zustimmung des möglichen Spenders ausgegangen werden, wenn nicht explizit dessen Widerspruch vorliegt. Bislang gilt in England die Zustimmungsregelung, laut der das explizite Einverständnis des Organspenders nötig ist.
England folgt damit dem Beispiel von Wales, wo die Widerspruchsregelung im Jahr 2015 eingeführt wurde. Seitdem sind dort die Zustimmungsraten für Organspenden auf 75 Prozent gestiegen. Auch das schottische Parlament wird eine Überarbeitung der Regelung in dieser Woche diskutieren.
Regierungsminister argumentieren, dass die Änderung der Gesetzgebung, die mit
Jahresbeginn 2020 in Kraft treten soll, allein in England bis zu 700 Leben pro Jahr retten
könnte. In Großbritannien stehen derzeit rund 6.000 Menschen auf der
Transplantationsliste. Im vergangenen Jahr starben mehr als 400 Patienten, während sie
auf ein geeignetes Organ warteten.
Das Gesetz wird laut Medienberichten als „Max und Keiras Gesetz“ bezeichnet werden –
nach dem Mädchen, dessen transplantiertes Herz den Jungen Max gerettet hat. Die Eltern
beider Kinder und der gerettete Junge hatten sich für eine Änderung der Gesetzgebung
Pulmologen treten für Widerspruchslösung bei Organspenden ein
Dienstag, 26. Februar 2019
Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hat die Pläne der Politik begrüßt, das Transplantationsgesetz zu verändern und damit unter anderem die Transplantationsbeauftragen an deutschen Kliniken zu stärken. „Das neue Transplantationsgesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, sagte Jürgen Behr, Kongresspräsident des 60. DGP-Kongresses, der Anfang März in Berlin stattfindet. „Ob es ausreicht, um die Versorgung schwerstkranker Lungenpatienten zu verbessern, ist fraglich“, schränkte er jedoch ein.
Jedes Jahr erhalten laut der Fachgesellschaft über 300 Menschen in Deutschland eine oder zwei Spenderlungen. Gleichzeitig würden pro Jahr mehr als 400 Patienten neu für eine Transplantation angemeldet. Für viele Menschen mit Lungenversagen sei diese Transplantation die letzte Hoffnung auf Überleben.
„Die Lungentransplantation ist ein komplexes Therapieverfahren mit erheblichen Risiken, weshalb nur Patienten mit fortgeschrittenen Lungenerkrankungen für diese Behandlung in Betracht kommen, wenn alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft sind“, sagt Behr, der die Medizinische Klinik und Poliklinik V am Klinikum der Universität München und die Asklepios-Lungenfachklinik München-Gauting leitet.
Wartezeit variiert zwischen Tagen und Jahren
Wie lange es dauert, bis einem Patienten eine Spenderlunge angeboten wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Größe und Blutgruppe gehören laut der DGP zu den Basiskriterien. Zusätzlich berechnet der sogenannte Lungen-Allokations-Score, wie dringend jemand eine Transplantation braucht und wie hoch die Erfolgsaussichten sind. Für manche wird nach wenigen Tagen schon ein passender Spender gefunden, andere warten bis zu drei Jahren. „Wenn man bedenkt, dass viele dieser Patienten nicht mehr selbstständig atmen können, sind die Wartezeiten immer noch sehr, sehr lang“, betonte der Kongresspräsident.
Die Fachgesellschaft unterstützt daher die sogenannte Widerspruchslösung bei den Organspenden: „Überall dort, wo Organspende auf der gesetzlichen Grundlage der sogenannten Widerspruchslösung geregelt ist, sind die Organspenderzahlen deutlich höher als in Ländern mit Zustimmungs- oder Entscheidungslösung“, sagte Behr.
Osnabrück (ots) - Neue Patientenbeauftragte fordert Widerspruchslösung bei Organspenden
Schmidtke: Klar dafür - Unterstützung für Spahn im Streit über mehr Arzt-Sprechstunden - Ruf nach Ärzte-Bussen auf dem Land
Osnabrück. Zur Überwindung des Organspende-Notstandes fordert die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke (CDU), eine Widerspruchslösung, bei der Spender oder deren Angehörige eine Entnahme ablehnen müssen. "Angesichts der vielen tausend Menschen, die in Deutschland verzweifelt auf ein Spenderorgan warten, halte ich diese Pflicht für zumutbar", sagte Schmidtke im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass jeder von uns schon morgen in diese Situation kommen und auf ein Organ angewiesen sein könnte."
Auch bei einer Widerspruchslösung "bleibt die Spende wie bisher freiwillig", betonte die Herzchirurgin und Bundestagsabgeordnete. "Jede Person hat die Möglichkeit, einer Organspende einfach und unbürokratisch zu widersprechen." Auch wenn sie "klar für die Widerspruchsregelung" sei, respektiere sie die Gegenpositionen und hoffe auf eine "Auseinandersetzung mit Fairness" im Bundestag und eine "Grundsatzentscheidung". Schmidtke sagte: "Das sind wir den vielen Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, einfach schuldig."
Im Streit von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit der Ärzteschaft über eine Ausweitung der Sprechstunden stellte sich Schmidtke hinter den CDU-Politiker: Lange Wartezeiten auf Facharzttermine seien "ein häufiges Thema" für Patienten, berichtete sie. Eine Umfrage des Krankenkassenverbandes GKV habe gezeigt, dass "ein Teil der Ärzte" weniger als 20 Stunden in der Woche anbiete. "Hier kann die Ausweitung der Sprechstunden einen Beitrag zu einer Verbesserung der Patientenversorgung leisten", sagte Schmidtke der "NOZ". Zugleich verwies sie darauf, dass etwa Hausärzte schon heute mehr als 30 Wochenstunden Sprechzeiten anböten.
Um eine gute Versorgung von Kranken auf dem Lande zu garantieren, forderte die Patientenbeauftragte "eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Strukturen, aber auch mobile Angebote der Ärzte, wie der Ärztebus". Notwendig sei auch eine Reform des Medizinstudiums. "Es muss das Ziel sein, junge Menschen schon während des Studiums für eine ärztliche Tätigkeit auf dem Land zu begeistern", appellierte die Schleswig-Holsteinerin. Alarmiert zeigte sich Schmidtke über Klagen von Pflegefachkräften, die neuen Personaluntergrenzen würden zum Abbau von Stellen genutzt, wenn Kliniken das gesetzliche Minimum überträfen. "Die Personaluntergrenzen sind keine staatliche Legitimation zum Abbau von Pflegekräften, sondern das Gegenteil", sagte sie. Um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern, gelte es auch, "die Entlohnung zu verbessern und die Ausbildung sowie den Beruf insgesamt noch attraktiver zu machen."
Pressekontakt: Neue Osnabrücker Zeitung Redaktion Telefon: +49(0)541/310 207
15. Febraur 2019
Große Wissenslücken beim Thema Organspende
Köln – Rund um das Thema Organspende gibt es nach einer Umfrage große Wissenslücken. Jeder dritte Bundesbürger (32 Prozent) weiß nicht, dass in Deutschland der Hirntod zwingende Voraussetzung für eine Organspende ist, wie aus der heute vom WDR in Köln veröffentlichten Befragung hervorgeht. Sie seien der Ansicht, Organe könnten entnommen werden, wenn das Hirn noch arbeitet, während das Herz stillstehe.
Organspenden finden aber statt, wenn das Hirn irreversibel ausfällt und das Herz noch schlägt. Doch 40 Prozent von gut 1.000 Befragten waren nach den Angaben der Meinung, unter diesen Umständen dürften keine Organe entnommen werden. Selbst Besitzer eines Organspendeausweises wüssten nicht besser Bescheid über das Hirntodkriterium als die Befragten ohne Ausweis. Am Dienstag berichtet die Sendung „Quarks“ im WDR-Fernsehen ab 21.00 Uhr über die von ihr in Auftrag gegebene Befragung von infratest dimap.
„Die Ergebnisse zeigen, dass selbst die Gruppe, die sich mit der Thematik befasst haben sollte, ehe sie den Organspendeausweis ausgefüllt hat, nicht nachhaltig genug aufgeklärt ist“, sagte die Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, Beatrice Lugger. Fast die Hälfte der Menschen ab 65 Jahren (46 Prozent), die keinen Ausweis haben, begründeten dies nach den Angaben mit ihrem Alter, obwohl es für eine Organspende gar keine Altersgrenze mehr gebe.
21 Prozent der Befragten ohne Ausweis haben sich den Angaben zufolge mit dem Thema Organspende noch nicht beschäftigt. „Angesichts der derzeitig geringen Informiertheit der Bevölkerung“ ist nach Ansicht Luggers die in der Diskussion stehende Widerspruchslösung kritisch zu betrachten. Bislang ist nur Organspender, wer dies ausdrücklich dokumentiert. Eine Widerspruchslösung würde dies umkehren: Bis zum Widerspruch wäre jeder ein potenzieller Spender. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) favorisiert eine solche Regelung.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz wertete die Zahlen als Argument gegen die Widerspruchslösung. Sie setze darauf, dass „der Bürger sich mit der Organspende nicht beschäftigt und schweigt“, sagte Vorstand Eugen Brysch in Dortmund. Die bewusste Entscheidung für die Organspende würde damit faktisch abgeschafft.
Brysch betonte, eine Organspende müsse eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben. „Es kann sehr persönliche Gründe geben, sich gegen die Organspende zu entscheiden. Diese Menschen dürfen sich für ihre Haltung nicht rechtfertigen müssen.“ Wolle der Staat wirklich etwas für die Schwerstkranken auf der Warteliste tun, müsse er selbst Verantwortung übernehmen. „Deshalb muss der Bundestag sowohl für die Verteilungsgerechtigkeit als auch für die staatliche Organisation und Kontrolle sorgen.“
Spahn: Die Zahl der Organspenden kann weiter steigen
Zweites Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes - Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende
Krankenhäuser sollen mehr Zeit und Geld für Organtransplantationen bekommen. Das ist Ziel einer Gesetzesänderung, die der Bundestag am 14.02.2019 abschließend beraten hat. Damit soll die Zahl der Organspenden erhöht und so mehr Menschenleben gerettet werden. „Die gestiegenen Organspende-Zahlen sind gut, aber nicht gut genug“, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Bundestag.
Alle acht Stunden stirbt ein Mensch auf der Warteliste, weil kein passendes Spender-Organ gefunden wird. Das muss sich ändern! Mit dem "Zweiten Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" sollen künftig mehr Leben durch eine Organspende gerettet werden können. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz kann nach dem zweiten Durchgang im Bundesrat Anfang April 2019 in Kraft treten.
„Gut, dass sich der Deutsche Bundestag so schnell entschieden hat, die Bedingungen für Organspenden zu verbessern. Wir geben den Krankenhäusern mehr Zeit und Geld, geeignete Spender zu finden. Damit kann die Zahl der Organspenden weiter steigen. Das gibt den 10.000 Patienten Hoffnung, die auf ein Spenderorgan warten.“
Eine Schlüsselrolle zur Erhöhung der Organspenden in Deutschland spielen die
Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden. Gut funktionierende Abläufe bei der
Erkennung möglicher Organspender, mehr Zeit und eine gute Finanzierung können dazu
beitragen, mehr Menschenleben zu retten. Hier setzt unser Gesetzentwurf an, den das
Bundeskabinett am 31. Oktober 2018 verabschiedet hat und der am 14. Februar 2019 in
zweiter und dritter Lesung vom Deutschen Bundestag abschließend beraten wurde. Nach
dem zweiten Durchgang im Bundesrat kann das nicht zustimmungspflichtige Gesetz Anfang
April 2019 in Kraft treten.
Die Regelungen des Gesetzes im Einzelnen
Transplantationsbeauftragte (TxB)
Es gibt verbindliche Vorgaben für die Freistellung der Transplantationsbeauftragten.
Die Freistellung erfolgt auf der Grundlage der Anzahl der Intensivbehandlungsbetten in den Entnahmekrankenhäusern für einen Stellenanteil von 0,1 Stellen je 10 Intensivbehandlungsbetten.
Hat ein Entnahmekrankenhaus mehr als eine Intensivstation, ist für jede Station mindestens ein TxB zu bestellen.
Der Aufwand wird vollständig refinanziert. Die Krankenhäuser müssen die Mittelverwendung nachweisen.
TxBs erhalten Zugangsrecht zu den Intensivstationen und sind hinzuzuziehen, wenn Patienten nach ärztlicher Beurteilung als Organspender in Betracht kommen.
Ihnen sind alle erforderlichen Informationen zur Auswertung des Spenderpotentials zur Verfügung zu stellen.
TxBs sind für die fachspezifische Fort- und Weiterbildung freizustellen; die Kosten dafür trägt die Klinik.
Entnahmekrankenhäuser
Entnahmekrankenhäuser werden künftig für den gesamten Prozessablauf einer Organspende besser vergütet.
Sie erhalten einen Anspruch auf pauschale Abgeltung für die Leistungen, die sie im Rahmen des Organspendeprozesses erbringen.
Zusätzlich erhalten sie einen Zuschlag dafür, dass ihre Infrastruktur im Rahmen der Organspende in besonderem Maße in Anspruch genommen wird. Der Zuschlag beträgt das Zweifache der berechnungsfähigen Pauschalen.
Rufbereitschaft
Bundesweit bzw. flächendeckend wird ein neurologischer/neurochirurgischer konsiliarärztlicher Rufbereitschaftsdienst eingerichtet.
Dieser soll gewährleisten, dass kleineren Entnahmekrankenhäusern jederzeit qualifizierte Ärzte bei der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zur Verfügung stehen.
Die TPG-Auftraggeber (GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer) werden verpflichtet, bis Ende 2020 eine geeignete Einrichtung mit der Organisation dieses Bereitschaftsdienstes zu beauftragen.
Dokumentation
Ein neues klinikinternes Qualitätssicherungssystem schafft die Grundlage für ein flächendeckendes Berichtssystem bei der Spendererkennung und Spendermeldung.
Dabei sollen die Gründe für eine nicht erfolgte Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls oder eine nicht erfolgte Meldung an die Koordinierungsstelle (DSO) intern erfasst und bewertet werden.
Die Daten sollen von der Koordinierungsstelle ausgewertet werden. Die Ergebnisse sollen den Entnahmekrankenhäusern und den zuständigen Landesbehörden übermittelt und veröffentlicht werden.
Die Kliniken müssen zukünftig verbindliche Verfahrensanweisungen erarbeiten, mit der die Zuständigkeiten und Handlungsabläufe für den gesamten Prozess einer Organspende festgelegt werden.
Angehörigenbetreuung
Das Gesetz schafft eine klare rechtliche Grundlage für den Austausch von anonymisierten Schreiben zwischen Organempfängern und den nächsten Angehörigen der Organspender. Ein solcher Austausch ist vielen Betroffenen ein besonderes persönliches Anliegen.
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Die Glocke 13.02.2019
14.02.2019
Neues Gesetz zu Organspenden
Mehr Geld eingeplant
Ein neues Gesetz soll die Chancen auf eine Organspende erhöhen. Auch sind höhere Vergütungen für Kliniken geplant, die Transplantationen durchführen.
BERLIN dpa/epd | Krankenhäuser in Deutschland sollen mehr Geld und bessere Bedingungen bekommen, um sich stärker um Organspenden kümmern zu können. Das sieht ein Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, das der Bundestag am Donnerstag beschlossen hat. Dafür stimmten neben der Koalition auch Linke, Grüne und FDP, die AfD votierte dagegen.
Geplant sind höhere Vergütungen für die Kliniken. Transplantationsbeauftragte sollen mehr Kompetenzen und Freiräume bekommen. Mobile Ärzteteams sollen kleineren Einrichtungen ohne eigene Experten helfen, Voraussetzungen für Entnahmen festzustellen.
Spahn sprach von einem großen und wichtigen Schritt. Diejenigen, die sich in den Krankenhäusern um Organspenden kümmerten, sollten nicht bestraft werden. Es gelte, Kliniken fair so zu stellen, dass bei ihnen keine Kosten hängen blieben. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach sagte: „Wir wollen, dass dort keine Gewinne gemacht werden, aber wir wollen auch nicht, dass jemand Verluste macht.“ Auch von Rednern der Opposition kam zu den Kernpunkten der Pläne überwiegend Zustimmung.
Das Gesetz soll voraussichtlich Anfang April in Kraft treten. Zustimmungspflichtig im Bundesrat ist es nicht. Unabhängig davon läuft eine Diskussion darüber, ob und wie Entscheidungen der Bürger über Organspenden grundlegend neu geregelt werden sollen. Die Zahl der Organspenden ist nach langem Abwärtstrend 2018 wieder gestiegen.
Eine Studie mit dem Titel „Rückgang der Organspenden in Deutschland – Eine bundesweite Sekundärdatenanalyse aller vollstationären Behandlungsfälle“ zeigt an welchen Stellen es intern im Sependenprozess hackt. Die zehn Forscher kommen zu dem Schluss, dass der zuletzt gestoppte Rückgang der postmortalen Organspenden vor allem mit einem Erkennungs- und Meldedefizit der Entnahmekrankenhäuser zusammenhängt. „Gelingt es, diesen Prozess organisatorisch und politisch zu stärken, könnte die Zahl der gespendeten Organe erheblich gesteigert werden“ – genau das soll das neue Gesetz bewirken.
Westfalen Blatt 15.02.2019
Mehr Zeit und Geld für Organspenden Neues Gesetz
soll bessere Bedingungen in Entnahme-Kliniken
schaffen
Berlin (dpa). Um zu mehr lebensrettenden Organspenden in Deutschland zu
kommen, sollen Kliniken dafür künftig bessere Bedingungen erhalten. Mehr Zeit,
mehr Geld, mobile Expertenteams für kleine Krankenhäuser: Darauf zielt ein
Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das der Bundestag gestern
mit breiter Mehrheit beschlossen hat. Es geht darum, mehr geeignete Spender
finden zu können. Die Voraussetzungen in den bundesweit rund 1300
Krankenhäusern für OrganEntnahmen sind ein entscheidender Schlüssel. Das
Gesetz soll voraussichtlich Anfang April in Kraft treten. Zentrale Punkte sind:
Mehr Zeit: Seit 2012 müssen alle Kliniken Transplantationsbeauftragte haben, die
sich speziell um Organspenden kümmern – also mögliche Spender identifizieren
und melden, Angehörige begleiten sowie Ärzte und Pfleger regelmäßig bei dem
Thema auf dem Laufenden halten. Sie sollen künftig verbindlich von anderen
Aufgaben befreit werden.
Mehr Geld: Kliniken soll der ganze Prozess von Organspenden besser vergütet
werden. Jetzige Pauschalen seien nicht kostendeckend, Engagement führe
systematisch zu Verlusten, sagte SPDFraktionsvize Karl Lauterbach.
Das solle sich ändern, ohne damit Gewinne zu machen. Laut Entwurf dürften auf
die gesetzlichen Krankenkassen geschätzte Ausgaben von mehr als 30 Millionen
Euro im Jahr zukommen.
Mobile Expertenteams: Geplant ist ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen
Ärzteteams. Das soll gewährleisten, dass die medizinischen Voraussetzungen für
Entnahmen überall festgestellt werden können: der endgültige, nicht behebbare
Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms.
Das soll vermeiden, dass Spenden in kleinen Kliniken ohne eigene Experten sonst
scheitern. Bis Ende 2020 sollen die Akteure des Gesundheitswesens
nun »eine geeignete Einrichtung« mit der Organisation beauftragen.
Weitere Punkte: Erleichtert werden soll auch ein Austausch zwischen Betroffenen
– mit Regeln für anonymisierte Schreiben, mit denen sich Organempfänger bei
den Angehörigen von Spendern bedanken können. Kommen soll auch ein
bundesweites Dokumentationssystem der Kliniken. Erfasst und ausgewertet
werden sollen damit zum Beispiel Gründe, warum ein Ausfall von Hirnfunktionen
nicht festgestellt wurde.
Nierenlebendspende: Geschenk fürs Leben
Die Zahl der Organspenden ist viel zu niedrig, Patienten warten Jahrzehnte auf eine Transplantation - und oft vergebens. Michael W. hatte Glück. Er bekam die Niere seines besten Freundes
von Sonja Gibis, 14.02.2019
Geschafft: Die Operation ist gut verlaufen. Günters Niere hat ihre Arbeit im Körper von Michael (links) aufgenommen
Günter W. (41) hebt sein hellgrünes OP-Hemd und klopft sich auf die Flanke. "Die rechte, die wird’s", sagt er und lacht. In ein paar Stunden werden Ärzte des Uniklinikums Halle eine Niere aus seinem Körper schneiden und in den von Michael W. (36) pflanzen. Geht alles gut, wird sie dort sofort die Aufgaben übernehmen, zu denen dessen Organe nicht mehr fähig sind. Seit sieben Jahren hängt Michael an der Dialyse. "Ohne die Maschine wäre ich nicht mehr", sagt der junge Mann. Bis irgendwann der Anruf kommt, dass eine Spenderniere verfügbar ist, müsste er wohl noch Jahre warten. Wäre da nicht Günter.
Etwa 8000 Menschen in Deutschland warten auf eine neue Niere. 1364 erhielten im vorigen Jahr das Organ eines toten Spenders, 557 das eines lebenden. Als Spender infrage kommen vor allem nahe Angehörige. Doch auch Menschen, die dem Empfänger "in besonderer persönlicher Verbundenheit nahestehen", wie es im Transplantationsgesetz heißt, können spenden.
Ein Kreuz auf jedem Bauch
Während Günter erzählt, betritt ein Arzt den Raum und malt ihm ein Kreuz auf die Seite. Hier wird die Niere rausgeholt. Michael bekommt ein Kreuz auf den Bauch. Dort kommt die Niere rein. "Dann hast du von mir eine Beule am Bauch", scherzt Günter. Lachen, Witze machen, das ist ihre Art, mit schwierigen Dingen klarzukommen.
Gar nicht nach lachen war es Günter allerdings, als er von der Krankheit seines Freundes erfuhr. Als Michael Ende 20 war, stellt ein Arzt zufällig fest, dass die Nieren nur eingeschränkt arbeiten. "Vielleicht durch eine verschleppte Grippe", vermutet er. Der junge, sportliche Mann macht sich erst mal keine Sorgen.
Als erneut die Nierenwerte getestet werden, ist es zu spät. Michael ist auf eine Blutwäsche angewiesen. Dreimal die Woche muss er ins Krankenhaus, für viereinhalb Stunden. "Danach ist man total platt", berichtet er. Nierenversagen, das bedeutet zudem, dauernd Durst zu haben. Einen halben Liter, mehr darf Michael pro Tag nicht trinken. Seine Nieren scheiden keine Flüssigkeit mehr aus. Dazu kommt eine strenge Diät. Zu viel Kalium – und das Herz könnte versagen.
Seine Frau, die er während der Dialysezeit kennenlernte, würde eine Niere spenden. Doch sie hat zwei Kinder. "Der Nierenspezialist sagte gleich, das Risiko ist ihm zu groß", erzählt Michael.
Als Günter erfährt, dass auch er spenden kann, steht für ihn schnell fest: Das mach ich. Michael zweifelt. "Reden kann man viel. Ich habe erst nicht daran geglaubt." Nur langsam wird ihm klar, dass sein Freund ihm wirklich ein neues Leben schenken will.
Lange Liste von Untersuchungen
Zumal der Weg nicht leicht war. Bluttests, Herzecho, Bauch-CT, Nieren-Szintigramm: Günter kann sich an die lange Liste von Untersuchungen kaum erinnern. Schließlich muss sich seine Niere nicht nur für Michael eignen. Es muss auch feststehen, dass sein Körper in der Lage ist, auf das Organ zu verzichten.
Damit ein gesunder Mensch ein Organ spenden kann, muss überdies eine Ethikkommission zustimmen. Sie besteht aus einem Arzt, einem Psychologe, einem Juristen. Alle stellen Fragen: erst Spender und Patient gemeinsam, dann jedem getrennt. Es muss feststehen, dass Günter Entschluss freiwillig ist und er kein Geld dafür bekommt. Außerdem muss klar sein, dass beide das psychisch bewältigen.
Gespräch mit der Kommission
Die Experten wollen wissen, wie lange sie sich schon kennen. Ob sie ernste Gespräche führen über das, was sie vorhaben. Was, wenn die OP kein Erfolg ist? Was, wenn Michael seine Medikamente nicht regelmäßig nimmt und das Organ verliert? "Ich sagte: Das ist dann seine Niere – und seine Verantwortung", so Günter. Doch war es das, was die Fachleute hören wollten?
Als Günter den Raum verlässt, hat er Tränen in den Augen. Auch Michael kommt niedergeschlagen aus der Befragung. "Ich dachte, die sagen Nein." Doch es kommt anders. Die Kommission wünscht den beiden viel Glück. Die Tür zum Krankenzimmer öffnet sich, eine Schwester schiebt eine Maschine herein: ein Dialysegerät. Es könnte die letzte Blutwäsche für Michael sein – für viele Jahre, vielleicht sogar für immer. Ob die beiden aufgeregt sind?
Michael winkt ab. "Die wissen, was sie tun." Nur eins, das wäre hart: "Wenn sie Günter die Niere rausnehmen und mein Körper stößt sie ab." Sein Freund hätte für ihn ein Organ geopfert – vergebens. Besser nicht daran denken.
Am nächsten Tag, kurz vor 9 Uhr. Während im Raum nebenan die Arme des OP-Roboters in Position gebracht werden, präparieren die Chirurgen Günters Niere frei. Sie blicken dabei auf einen Monitor, auf den eine Kamera Bilder aus dem Körperinneren überträgt. Die Eingriffe werden minimal-invasiv durchgeführt. "Darauf sind wir durchaus stolz", sagt Professor Paolo Fornara, Transplantationsexperte und Leiter der Urologischen Klinik des Uniklinikums Halle. Dem Spender bleibt so ein fast 20 Zentimeter langer Schnitt erspart. Beim Empfänger verringert sich das Risiko für Wundinfektionen. Da sein Immunsystem gehemmt wird, ist das besonders wichtig.
Die Niere kommt
Um 10.32 Uhr beginnt die heiße Phase. Die Blutgefäße der Niere werden abgeklemmt. Jetzt muss jeder Griff sitzen. Eine, höchstens eineinhalb Minuten darf es dauern, bis die Ärzte eine kalte Infusion in das Organ geleitet haben, die es konserviert. "Die Niere kommt", ruft Operateur Dr. Nasreldin Mohammed. Durch einen kleinen Schnitt zieht er das Organ behutsam aus dem Körper, hält es in den Händen wie einen verletzten Vogel, der schnell Hilfe braucht. Schon beugt sich das Ärzteteam darüber, spült es, näht es vorsichtig in einen kühlenden Mantel aus einem Bauchtuch und Eis. Wärmen wird es erst wieder das Blut in Michaels Körper.
Bis es so weit ist, vergehen nur wenige Minuten – ein Grund, dass die Erfolgsaussichten einer Lebendspende hervorragend sind. Dennoch ist in den vergangenen Jahren nicht nur die Zahl toter Spender drastisch zurückgegangen. Auch Lebendspenden werden seltener durchgeführt. "Die ganze Transplantationsmedizin steckt in der Krise", beklagt Fornara. Eine Folge: Die Wartezeiten auf ein Organ verlängern sich weiter. "Und das ist nicht wie das Warten auf einen Zug. Es bedeutet Komplikationen, Leid, Sterben."
Die Dialyse ermöglicht zwar das Überleben. Auf lange Sicht aber leidet der Körper. Wenn die Patienten ein Organ erhalten, sind die Schäden oft bereits unumkehrbar.
Hightech-Assistenten im Einsatz
"Das System braucht ein Paket an Korrekturen", fordert Fornara. Der erste große Schritt wäre seiner Ansicht nach die sogenannte Widerspruchslösung: Wer nach seinem Tod keine Organentnahme wünscht, sollte sich klar dagegen aussprechen müssen. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt eine Reform angestoßen hat – für Fornara längst überfällig.
Im OP-Saal nebenan ist bereits alles für das Einsetzen des Organs vorbereitet. Operateur Dr. André Schumann sitzt einige Meter von Michael entfernt an einer Konsole. Per Joystick steuert er die OP-Geräte, in denen die Arme des Roboters enden, ohne Zittern und auf Millimeterbruchteile genau. Der Hightech-Assistent macht es möglich, das Organ minimal-invasiv einzusetzen. Nach ersten Studien des Klinikums bringt die neue Methode tatsächlich Vorteile für den Patienten.
Um 12.05 Uhr sind Gefäße und Harnleiter angeschlossen. Die Klemmen werden geöffnet, das Organ füllt sich mit Michaels Blut. Jetzt ist es seine Niere. Im Gang vor dem OP-Saal wischt eine Schwester die Zahl 2050 von einer weißen Tafel und ersetzt sie durch 2151. So viele Nieren sind im Klinikum jetzt verpflanzt worden. "Wir ändern das immer sofort", sagt sie. Wird es vergessen, gilt das unter den Mitarbeitern als schlechtes Omen, gesteht sie lächelnd.
Leben wie vor der Krankheit
Am nächsten Tag ist vor allem Günter geschafft, während sein Freund am liebsten schon aufstehen würde. "Alles gut", versichern beide.
Zwei Monate später sind die Freunde gemeinsam in der Reha, so wie sie sich das vorgestellt haben. Morgens Fitness, dann zum Schwimmen, später ein Spaziergang am See. "Ich wusste gar nicht, dass ich so weit runterkommen kann", sagt Günter. Er hat die Zeit hier genutzt, um mit dem Rauchen aufzuhören. Auf seine verbliebene Niere will er schließlich gut achtgeben. Dass er nur noch eine hat, spürt er nicht. Was allerdings nervt, ist die viele Bürokratie mit den Krankenkassen.
Michael muss seit der Transplantation Medikamente nehmen, die sein Immunsystem hemmen, damit sein Körper das neue Organ nicht abstößt. Ansonsten kann er fast so leben wie vor der Krankheit. Als er aus der Klinik kam, wurde erst mal gefeiert. "Mein Körper hat wieder eine ganz andere Kraft", sagt er. Beruflich will er jetzt neu durchstarten. Die Freundschaft der beiden jungen Männer hat sich durch die Organspende nicht geändert. "Wir kabbeln uns wie vorher", erzählt Günter lachend. Sie bleiben einfach, was sie waren: ziemlich beste Kumpel.
Wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs zu Organspenden erwartet
Epoch Times27. Januar 2019 Aktualisiert: 27. Januar 2019 12:07
Das eine Organspende für den Empfänger lebenslange schwere gesundheitliche Folgen hat,
ist bekannt. Das auch Lebendspender vor Organen, wie Nieren oder Teilen der Leber, unter
gesundheitlichen Einschränkungen für den Rest ihres Lebens leiden müssen ist dagegen
weitgehend unbekannt. In Karlsruhe wird verhandelt wie weit die Aufklärungspflichten von
Ärzten dazu gehen und ob sie zu Schmerzensgeldzahlungen, bei unzureichender
Aufklärung, verurteilt werden können.
Der Bundesgerichtshof (BGH) verkündet am Dienstag ein Urteil über die Klagen von zwei
Nierenspendern, die wegen ungenügender Aufklärung durch die Ärzte Schmerzensgeld und
Schadenersatz fordern. Der BGH dürfte ein Grundsatzurteil dazu fällen, unter welchen
Voraussetzungen Ärzte und Kliniken für Folgeschäden bei solchen Lebendorganspenden
haften. Ein Überblick über die rechtlichen Grundlagen für solche Spenden und das
Karlsruher Verfahren:
Worüber wird in Karlsruhe verhandelt?
In einem Fall spendete eine Tochter ihrem Vater eine Niere, in dem anderen geht es um die
Nierenspende eines Manns an seine Ehefrau. Beide beklagen, dass sie seither unter
anderem an chronischer Erschöpfung leiden. Sie werfen den Ärzten vor, sie nicht
ausreichend aufgeklärt zu haben.
Voraussetzungen für Lebendorganspenden
Zu Lebzeiten können eigentlich nur eine Niere oder Teile der Leber gespendet werden. Eine solche Spende ist zudem nur zwischen Menschen möglich, die sich sehr nahestehen. Das können zum Beispiel Eltern, Geschwister oder Ehepartner sein. Das Gesetz schreibt den Ärzten eine Aufklärung über mögliche Folgen vor. Dabei ist unter anderem vorgesehen, dass bei einem Aufklärungsgespräch ein zweiter Arzt anwesend sein muss.
Welche Rechtsfragen sollen geklärt werden?
Die Klagen der beiden Nierenspender blieben in den Vorinstanzen erfolglos. Das Oberlandesgericht Hamm stellte in den Berufungsverfahren zwar Fehler bei der Aufklärung fest. Es nahm aber an, dass die Kläger auch bei korrekter Aufklärung der Organspende zugestimmt hätten.
Der zuständige BGH-Zivilsenat bezweifelte in der mündlichen Verhandlung im November ebenfalls, dass alle Anforderungen an die Aufklärung der Organspender eingehalten wurden. Entscheidend dürfte deshalb die Frage sein, ob eine sogenannte hypothetische Einwilligung angenommen werden kann. Dabei geht ein Gericht davon aus, dass die Spender auch bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Organspende eingewilligt hätten.
Organentnahmen nach dem Tod
Ein Spenderorgan kann nur entnommen werden, wenn Ärzte den Hirntod eines Menschen feststellen. Voraussetzung ist aber, dass ein Verstorbener einer Organspende zu Lebzeiten etwa durch einen Organspendeausweis zustimmte. Ansonsten werden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gefragt.
Diskutiert wird derzeit die Einführung einer Widerspruchslösung. Dabei wird eine Zustimmung vorausgesetzt, wenn jemand zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widerspricht. Im Gespräch ist auch eine doppelte Widerspruchslösung, bei der die Angehörigen noch nein sagen können.
(afp)
Modifizierte T-Zellen verhindern Abstoßung von Organen nach Transplantation
Wer aufgrund von akutem Organversagen oder durch eine chronische Erkrankung auf eine Organtransplantation angewiesen ist, muss meist ein Leben lang Immunsuppressiva einnehmen, welche das Immunsystem unterdrücken, um ein Abstoßung des transplantierten Organs zu verhindern.
Somit sind Betroffene wesentlich anfälliger für teils lebensbedrohliche Infektionen. Die Wissenschaft sucht bereits seit langer Zeit nach einem Weg, die Abstoßung eines transplantierten Organs zu verhindern, ohne das körpereigene Abwehrsystem wehrlos gegenüber Krankheitserregern zu machen.
Das Team um Jean Pieters von der Universität Basel ist nun eine Entdeckung gelungen, welche genau das nahelegt:
Für eine Studie veränderte das Team transplantierte Mäuse so, dass das Protein Coronin 1, welches eine wichtige Rolle für eine Abstoßungsreaktion spielt, nicht mehr bei den Mäusen produziert wird.
Herausgekommen ist dabei ein erstaunliches Ergebnis. Mitautor Rejesh Jayachandran erklärt: „Wir haben herausgefunden, dass die T-Zellen die Immunreaktion gegenüber dem transplantierten Organ nach Entfernen von Coronin 1 nicht nur massiv unterdrücken, sondern die Abstoßung sogar aktiv verhindern.“
Dennoch bleibt das Immunsystem aktiv. Weitere Experimente offenbarten den Grund hierfür: Coronin 1 greift in den T-Zellen in einen Signalweg ein, der zur Produktion de Botenstoffs cAMP führt.
In Abwesenheit von Coronin 1 steigt die Konzentration des genannten Botenstoffs in den T-Zellen drastisch an, in welcher Folge sich die Zellen so verändern, dass das transplantierte Organ toleriert wird und Viren, Bakterien und Co weiterhin effektiv bekämpft werden.
Diese neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Immunantwort des Körpers auf ein transplantiertes Organ selektiv abschalten lässt.
Weitere Studien werden zeigen, inwiefern dies möglicherweise neue Türen in der Entwicklung euer Therapiemöglichkeiten im Kampf gegen eine Abstoßungsreaktion öffnet.
Quelle: Pflege News 21.01.2019
En: gpass Klinik
Viele Menschen sind zur Organspende bereit, doch trotzdem fehlen Transplantate. Mehr Geld für Krankenhäuser soll das Problem verringern.
verstorbenen Spendern wurden im vergangenen Jahr Organe entnommen – bei
mehr als 9000 Patienten, die auf ein Transplantat warten*. Im Musterland
Spanien werden fast fünfmal so viele Organe gespendet.
Vor dem jüngsten Anstieg der Spenderzahl in Deutschland lag ein lang andauernder Rückgang. Doch paradoxerweise nahm in der gleichen Zeit die Verbreitung von Organspendeausweisen zu: Jeder dritte Bundesbürger trägt heute einen bei sich. Und relativ unverändert geben seit zwanzig Jahren in Umfragen drei von vier Personen an, dass sie einer Organspende grundsätzlich zustimmen würden. Bei so viel Spendenbereitschaft verwundert es, dass Deutschland so weit zurückliegt. Experten verorten den Engpass weniger in der Spendenbereitschaft, sondern eher in den unzureichenden Strukturen der Krankenhäuser. Viele mögliche Spenden würden dort nicht realisiert – vor allem, weil längst nicht all die Organe entnommen werden, die entnommen werden könnten. Es scheint, als hätten viele Krankenhäuser kein großes Interesse an diesem Zweig der Medizin.
Nun diskutierte am vergangenen Donnerstag der Bundestag in erster Lesung Gesetzesänderungen, die den Krankenhäusern die Arbeit erleichtern sollen. Vor allem mit mehr Geld will man es richten. Die 1246 Kliniken in Deutschland, die Organentnahmen durchführen können, sollen etwa mehr Mittel für Transplantationsbeauftragte erhalten. Das sind Mediziner, die auf den Intensivstationen potenzielle Spender identifizieren, Gespräche mit Angehörigen führen und eine Organspende organisieren. Das ist zeitaufwendig und auch teuer. Zudem sollen an mehreren Standorten in ganz Deutschland Bereitschaftsdienste geschaffen werden, die jederzeit in Kliniken den irreversiblen Hirntod feststellen können – eine schwierige Aufgabe, die großer Erfahrung bedarf und Voraussetzung für die Entnahme von Organen ist.
Die gesamte Vergütung für eine Organentnahme könnte verdreifacht werden.
Die Häuser sollen zwar an dieser Arbeit weiterhin nichts verdienen, aber
zumindest nichts mehr drauflegen – bislang waren Organentnahmen für die
Kliniken nämlich ein Minusgeschäft. 34 Millionen Euro jährlich dürften die
Maßnahmen die Krankenkassen zusätzlich kosten, so die Schätzung der Politik.
Aber wird dieser Geldsegen auch die Einstellung in den Krankenhäusern zur
Organentnahme maßgeblich ändern?
Gerade kleine Kliniken könnten mehr Spenderorgane bereitstellen
Das neue Gesetz gehe durchaus in die richtige Richtung, meint Kevin Schulte vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, Co-Autor der jüngsten Studie zum Thema, die im Juli vergangenen Jahres im Deutschen Ärzteblatt erschien. Die zusätzlich bezahlten Bereitschaftsdienste seien vor allem für kleine Kliniken wichtig, die oft nicht einmal einen einzigen potenziellen Spender pro Jahr hätten und denen deshalb die Routine fehle. Auch die Stärkung der Transplantationsbeauftragten hält er für sinnvoll. "Ungefähr ein Viertel der Organspenden kommt aus den kleinen Kliniken", sagt Schulte, "da liegt wahrscheinlich noch ein großes verstecktes Potenzial." Was ihn stört: Das Gesetz definiert nicht, welche Konsequenzen es hat, wenn Kliniken zu wenige mögliche Spender melden.
Viele Kliniken könnten da künftig in Erklärungsnot geraten. Kevin Schulte fand heraus, dass die Anzahl möglicher Spender in deutschen Krankenhäusern zwischen 2010 und 2015 um etwa 14 Prozent zugenommen hat. Trotzdem wurden in diesem Zeitraum weniger potenzielle Spender bei der koordinierenden DSO gemeldet – und weniger Organe entnommen. Das Fazit der Kieler Forscher: "Der Rückgang der postmortalen Organspenden ist mit einem Erkennungs- und Meldedefizit der Entnahmekrankenhäuser assoziiert." Auf Deutsch: Die Kliniken erkennen potenzielle Spender längst nicht immer oder melden sie nicht. Was Schulte dabei ärgert: "Die Jahresberichte der DSO haben seit Jahren große Unterschiede zwischen verschiedenen Kliniken nahegelegt. Da wundert es schon, dass die Behörden nicht früher tätig geworden sind und auf die Einhaltung des Transplantationsgesetzes gedrängt haben."
Dass den Kliniken viele Spender entgehen, stellte eine detaillierte Untersuchung des Universitätsklinikums Jena fest. Der Anästhesist Martin Brauer ging in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen jedem Todesfall nach, der für eine Spende hätte infrage kommen können. Für solche Analysen haben sich Kliniken früher nicht in die Karten gucken lassen. "Es hat Jahre gedauert, bis das möglich war", sagt Brauer.
Ärzte Zeitung online, 17.01.2019
Stärkung der Organspende – Sogar Grüne loben den Minister
Klare Verantwortlichkeiten, bessere Refinanzierung: Der Bundestag bewertet ein eher technisches Gesetz, das die Voraussetzungen der Organspende verbessern soll, positiv. Doch die Grundsatzdebatte kommt erst noch.
Die Ärztin und grüne Gesundheitspolitikerin Dr. Kirsten Kappert-Gonther schritt bei der Debatte „zum Äußersten“ und lobte: „Das ist ein gutes Gesetz“. Freilich fordert ihre Fraktion dennoch, den Entwurf an mehreren Punkten nachzujustieren.
Die Koalition will vor allem an vier Punkten ansetzen
Transplantationsbeauftragte: Sie hätten es bisher „schwer, in Krankenhäusern die nötige Aufmerksamkeit zu finden“, so Spahn. Künftig soll es eine bundeseinheitliche Regelung zur Freistellung der Beauftragten von ihren sonstigen Aufgaben geben. Maßstab ist dabei die Zahl der Intensiv- oder Beatmungsbetten in der Klinik. Je zehn Betten sind 0,1 Stellen für den Beauftragten vorgesehen. Klargestellt werden auch ihre Rechte und Pflichten, sagte der CDU-Abgeordnete Lothar Riebsamen. So sollen die Beauftragten per Gesetz ein Zugangsrecht zu Intensivstationen bekommen.
Refinanzierung der Mehrkosten: Das Gesetz soll den Missstand abstellen, dass Krankenhäuser, die einem Patienten Organe entnehmen, finanziell bislang schlechter wegkamen als solche Häuser, die potenzielle Spender erst gar nicht melden. Die Pauschalen, die Kliniken für die Vorbereitung einer Organentnahme bekämen, seien zu undifferenziert, sagte SPD-Fraktionsvize Professor Karl Lauterbach. Das werde das Gesetz ändern.
Konsiliarärztlicher Rufbereitschaftsdienst: Er soll auch für kleine Kliniken sicherstellen, dass ein Neurologe zeitnah zur Verfügung steht. Der Linken-Abgeordnete Harald Weinberg verwies darauf, dass von 1300 Entnahmekrankenhäusern mehr als 1000 nicht über eine Neurochirurgie verfügen. Der Neurologe soll Kollegen bei der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zur Seite stehen. Die Grünen-Politikerin Kappert-Gonther forderte, dass auch die PKV anders als bisher vorgesehen für die Finanzierung dieses Dienstes herangezogen wird.
Betreuung von Angehörigen: Organempfänger sollen die Möglichkeit erhalten, sich in Form anonymisierter Schreiben bei den Angehörigen des Spenders zu bedanken.
Nach einer sogenannten Orientierungsdebatte im vergangenen November werben beide Gruppen im Parlament um Unterstützer für ihre Position.
Die Linken-Politikerin Kathrin Vogler zeigte sich überzeugt, nach der Verbesserung der Prozesse in den Entnahmekliniken und einer besseren Finanzierung der Organspende müsse die „ethisch sensible und moralisch heikle Frage der Widerspruchslösung nicht weiter verfolgt werden“. Spahn solle den Gesetzgebungsprozess nicht mit dieser Streitfrage belasten, forderte sie.
Organspendegesetz
» Das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO) soll Mitte März im Bundestag abschließend beraten und verabschiedet werden.
» Der Bundesrat hat im Dezember keine Einwände gegen die Vorlage erhoben. Das Inkrafttreten ist schon für den 1. April geplant.
Westfalen Blatt 16.01.2019
Hemmnisse bei der Organspende
Fehlen einer Hirntod-Diagnose verhindert Entnahme – Kliniken sollen Problem
lösen
Düsseldorf (WB/hir). Warum werden in NRW so wenige Organe gespendet? Oftmals ist
eine fehlende Hirntod-Diagnose der Grund, wie ein Bericht von NRW
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) aufzeigt. Meist wurde bislang eine
fehlende persönliche Erklärung als Grund dafür genannt, dass die Organspenden im
NRW von 2009 bis 2017 um 43 Prozent von 259 auf 146 Spender gesunken sind. Doch
tatsächlich gibt es weitere Hemmnisse. So erklären Patienten in ihrer Verfügung oder
später oft auch die Angehörigen, dass sie im Falle einer Krankheit mit absehbarer
Todesfolge keine lebensverlängernde Behandlung wünschen. Als Konsequenz werden
Geräte zum Erhalt der Herz-Kreislauffunktion früher abgeschaltet, die aber für die
Diagnose des Hirntods als Voraussetzung für eine Organentnahme notwendig wären.
Laumann hatte als Reaktion auf die sinkenden Zahlen 18 Kliniken mit einer
neurochirurgischen oder neurologischen Station besucht, da dort häufiger als anderswo
Patienten auch infolge eines Hirntods sterben können. Die Gespräche führte er unter
anderem im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld und dem Johannes-Wesling-Klinikum
in Minden. Dabei erfuhr er, dass die rechtzeitige Feststellung des Hirntods bei einem
Patienten auch daran scheitert, dass ein vom Gesetz als Bestätigung geforderter zweiter
Spezialist nicht verfügbar ist. Ohnehin fehle in Kliniken Personal für Hirntod-Diagnose
und Organspende. Deshalb lehnen Kliniken mit neurologischen Abteilungen die
Aufnahme eines Patienten nur zur Organentnahme ab. »Wir brauchen eine frühzeitige
Identifizierung potenzieller Organspenden in den Kliniken: Da ist sicherlich noch Luft
nach oben«, sagte Laumann dieser Zeitung. Zugleich erkannte er an, dass die
Gespräche Wirkung zeigen: »Die Krankenhäuser bemühen sich nun wie
der aktiv um Lösungen.« Das zeige sich in den 2018 auf 163 gestiegenen
Spenderzahlen. Zu den Lösungsvorschlägen der Kliniken zählt ein einheitliches Muster
der Patientenverfügung mit einem Passus zur Organspende. Intern wollen Kliniken die
Aufgaben der Transplantationsbeauftragten auf Teams übertragen und so die
Sensibilität für Organspende auf den Stationen erhöhen. Wenn Angehörige eine
Therapiebegrenzung wünschen, solle künftig die Organspende angesprochen werden.
Kliniken ohne Neurologie will die Deutsche Stiftung Organtransplantation Ärzte zur
Hirntod-Diagnose vermitteln.
Westfalen Blatt 14.01.2019
Arzt fordert bessere Reha
Chirurg: Transplantierte sollten in spezialisierte Kliniken
Versmold (WB/ca). Das Schicksal des Versmolders, der nach einer
Nierentransplantation in einer Rehaklinik nicht richtig betreut worden war, ist nach
Ansicht eines Experten kein Einzelfall. Prof. Richard Viebahn ist Direktor der
Chirurgie an der Uniklinik Bochum. Mit jährlich 60 Nierentransplantationen und bis
zu 30 kombinierten Nieren-Bauchspeicheldrüsen-Transplantationen ist sie
europaweit führend. Viebahn: »Ich versuche seit Jahren, bei Krankenkassen und
Rentenversicherungen zu erreichen, dass unsere Transplantierten in bestimmte
Kliniken kommen.« Eine Rehaklinik in Mecklenburg-Vorpommern und eine in
Bayern seien spezialisiert, Nierentransplantierte auf ihr Leben mit dem neuen
Organ einzustellen. »Man muss sensibel werden für Signale seines Körpers und
sie bewerten können.« Sein Vorstoß bei den Kassen sei aber bisher ins Leere
gelaufen, sagt der Chirurg. Der Versmolder, der in Bochum transplantiert worden
war, hatte bei der Rentenversicherung beantragt, in eine der beiden Kliniken zu
kommen. »Stattdessen haben sie mich nach Bad Salzuflen geschickt«, sagt der
57-Jährige. Wie berichtet, war nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamm in der
Rehaklinik der Medikamentenspiegel des Patienten nicht richtig kontrolliert
worden. Der Körper stieß die Bauchspeicheldrüse ab, die neue Niere wurde
schwer geschädigt. Jetzt muss der Frührentner wieder zur Dialyse. Prof. Viebahn:
»Eigentlich müsste eine optimale Reha im Interesse der Kassen sein, damit es
möglichst nicht zu solchen Folgen kommt.« Eine Sprecherin des NRW-Herzund
Diabeteszentrum sagte, Herztransplantierten werde die Gollwitzer-Meier-Klinik in
Bad Oeynhausen zur Reha empfohlen. »Dann ist im Ernstfall der Weg zu uns auch